Archiv der Kategorie: Ökonomisierung der Bildung

Technologie in der Bildung: EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN?

Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms? Summary.

Aus der deutschen Übersetzung der deutschen UNESCO-Kommission einige Kernaussagen mit Schwerpunkt „Digitale Medien in der Bildung“:

Es gibt einen Mangel an guten, unvoreingenommenen Erkenntnissen über die Auswirkungen von digitalen Medien in der Bildung.

  • Es gibt wenige belastbare Belege für den Mehrwert von digitalen Medien in der Bildung. Die Technologie entwickelt sich schneller, als wir sie evaluieren können: Produkte aus dem Bereich der Bildungstechnologien ändern sich im Durchschnitt alle 36 Monate. Der Großteil der Erkenntnisse stammt aus den reichsten Ländern. Im Vereinigten Königreich haben 7 % der Unternehmen für Bildungstechnologien randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt, und 12 % nutzten eine externe Zertifizierung. Eine Umfrage unter Lehrkräften und Schulverwaltungen in 17 US-Bundesstaaten ergab, dass nur 11 % von ihnen vor der Einführung nach einer von Fachleuten geprüften Bewertung fragten. (S. 1)
  • Ein Großteil der Studien stammt von den Anbietern, die die Produkte verkaufen wollen. Pearson [der weltweit größte Bildungskonzern und Buchverlag, zudem Marktführer für Bildungsmedien in Großbritannien, Indien, Australien und Neuseeland, zugleich die zweitgrößte Verlagsgruppe in den USA und Kanada] finanzierte eigene Studien und bestritt unabhängige Untersuchungsergebnisse, wonach die Produkte des Unternehmens keine Effekte zeigten. (S. 1)

Kurz gesagt: Wir verfügen zwar über viele allgemeine Forschungsarbeiten zum Lernen mit digitalen Medien. Der Umfang der Forschung zu konkreten Anwendungen und Rahmenbedingungen ist jedoch unzureichend, sodass es schwierig ist, nachzuweisen, dass eine bestimmte Technologie eine bestimmte Art des Lernens fördert. (S. 7)

Warum entsteht dennoch häufig der Eindruck, dass digitale Medien die Antworten auf die großen Herausforderungen im Bildungsbereich bieten könnten?

Um den Diskurs über digitale Medien in der Bildung zu verstehen, ist es wichtig, dass wir die Sprache, mit der sie beworben werden, und die Interessen, denen sie dienen sollen, hinterfragen.

  • Wer definiert den Rahmen für die Probleme, die mit digitalen Medien gelöst werden sollen?
  • Welche Folgen entstehen daraus für die Bildung?
  • Wer präsentiert digitale Medien in der Bildung als Voraussetzung für die Transformation von Bildung?
  • Wie glaubwürdig sind solche Behauptungen?
  • Welche Kriterien und Standards müssen festgelegt werden, um den aktuellen und potenziellen künftigen Beitrag digitaler Medien für die Bildung zu beurteilen, damit wir Hype und Substanz unterscheiden können?
  • Können Forschung und Evaluation mehr sein als kurzfristige Beurteilungen von Auswirkungen auf das Lernen und potenziell weitreichende Folgen des umfassenden Einsatzes digitaler Medien in der Bildung erfassen? (S. 7)

Übertriebene Erwartungen an digitale Medien gehen Hand in Hand mit übertriebenen Schätzungen zur Größe des weltweiten Marktes. Die Schätzungen von Business-Intelligence-Anbietern für das Jahr 2022 bewegen sich zwischen 123 Mrd. und 300 Mrd. US-Dollar. Solche Berechnungen werden fast immer in die Zukunft projiziert und sagen ein optimistisches Wachstum voraus, aber sie geben keine Auskunft über historische Entwicklungen und prüfen nicht, ob sich frühere Prognosen bewahrheitet haben. Solche Berichte bezeichnen Bildungstechnologien routinemäßig als unverzichtbar und Technologieunternehmen als Enabler und Disruptoren. Wenn sich die optimistischen Prognosen nicht erfüllen, wird die Verantwortung implizit auf die Regierungen abgewälzt, um den indirekten Druck auf diese aufrechtzuerhalten, vermehrt in entsprechende Anschaffungen zu investieren. Das Bildungswesen wird dafür kritisiert, dass es sich nur langsam verändere, in der Vergangenheit verhaftet sei und in Sachen Innovation hinterherhinke. Eine solche Darstellung spielt mit der Faszination der Menschen für Neues, aber auch mit ihrer Angst, abgehängt zu werden. (S. 7)

Technologieunternehmen können einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Entwicklung entsprechender Untersuchungen haben. So finanzierte [der weltweit größte Bildungskonzern] Pearson beispielsweise Studien, mit denen unabhängige Analysen angefochten wurden, die ihrerseits gezeigt hatten, dass die Produkte von Pearson keine Wirkung hatten. (S. 11)

Studien auf der Grundlage von PISA-Daten deuten auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien und den Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler hin, sobald die Schwelle einer moderaten Nutzung überschritten ist. Lehrkräfte empfinden die Nutzung von Tablets und Handys als Beeinträchtigung ihrer Klassenführung. Mehr als eine von drei Lehrkräften in sieben Ländern, die an der ICILS-2018-Studie teilnahmen, stimmten zu, dass die Verwendung digitaler Medien im Klassenzimmer die Lernenden ablenkt. (S. 11f)

Bildungssysteme sollten bei der Entscheidung über die Einführung digitaler Technologien stets sicherstellen, dass die Interessen der Lernenden im Mittelpunkt eines auf Rechten basierenden Rahmens stehen. Der Fokus sollte nicht auf digitaler Infrastruktur, sondern auf den Ergebnissen des Lernens liegen. Zur Verbesserung des Lernens sollten digitale Medien die persönliche Interaktion mit Lehrkräften nicht ersetzen, sondern ergänzen. (S. 20)

Weitere Fragestellungen und Hinweise:

Die Rolle von digitalen Medien in der Bildung ist seit langem Gegenstand intensiver Debatten:

  • Sorgen sie für eine Demokratisierung des Wissens – oder bedrohen sie die Demokratie, indem sie die Kontrolle über Informationen in die Hände weniger Auserwählter legen?
  • Bieten sie grenzenlose Möglichkeiten, oder führen sie in eine zukünftige Technologieabhängigkeit, aus der es kein Zurück mehr gibt?
  • Führen sie zu einer Angleichung der Bedingungen, oder verschärfen sie die Ungleichheit?
  • Sollten sie für den Unterricht junger Kinder eingesetzt werden, oder besteht ein Risiko für deren Entwicklung? (S. 33)

Der UNESCO-Bericht „Technologie in der Bildung: EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN?“ empfiehlt, dass Technologie in der Bildung evidenzbasiert eingeführt werden sollte, also auf Grundlage von Nachweisen, dass sie geeignet, chancengerecht, skalierbar und nachhaltig ist. Mit anderen Worten: Ihr Einsatz sollte im besten Interesse der Lernenden liegen und die zwischenmenschliche Interaktion ergänzen. Digitale Medien sollten als Werkzeug verstanden werden, das unter diesen Bedingungen genutzt werden kann. (S. 33)

Technologie [in der Bildung] kann aber auch ausgrenzend, irrelevant und belastend, wenn nicht sogar schädlich sein. Regierungen müssen für die richtigen Bedingungen sorgen, um einen chancengerechten Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen, und müssen die Nutzung von Technologien so regulieren, dass die Lernenden vor deren negativen Einflüssen geschützt werden. (S. 33)

Weitere Informationen:

UNESCO-Bericht zu IT in Schulen fordert mehr Bildungsgerechtigkeit

Technologie in der Bildung: EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN?

Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen

Frankfurt am Main, 22.11.2023: Über 40 führende Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen fordern zusammen mit Kinder- und Jugendärzten von den Kultusminister:innen der Länder ein Moratorium der Digitalisierung an Schulen und vorschulischen Bildungseinrichtungen.

Unter den Erstunterzeichnern sind führende Experten wie der Ordinarius für Schulpädagogik Prof. Klaus Zierer (Universität Augsburg), die Mediziner Prof. Manfred Spitzer (Universitätsklinik Ulm) und Prof. Thomas Fuchs (Jaspers-Lehrstuhl Universität Heidelberg) sowie der Medienpädagoge Prof. Ralf Lankau (Hochschule Offenburg).

„Wir fordern die Kultusminister:innen aller 16 Bundesländer auf, bei der Digitalisierung an Schulen und Kitas ein Moratorium zu erlassen“, sagt Prof. Ralf Lankau, einer der Initiatoren des Aufrufs. „Die wissenschaftliche Erkenntnis ist inzwischen, dass Unterricht mit Tablets und Laptops die Kinder bis zur 6. Klasse nicht schlauer, sondern dümmer macht. Hinzu kommen laut Studien negative gesundheitliche, psychische und soziale Wirkungen durch den vermehrten Einsatz digitaler Geräte im Unterricht. Jetzt ist der Zeitpunkt, dass die Schulpolitik auf die Pädagogen und Kinderärzte dieses Landes hört und den Versuch des digitalen Unterrichts abbricht! In Schweden ist es bereits so weit: Die schwedische Bildungsministerin stoppte den Tablet-Einsatz in der Primarstufe. Das können die Kultusminister:innen in den Ländern nun auch tun.“

Die skandinavischen Länder waren Vorreiter in der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen. Doch die schwedische Regierung korrigierte 2023 die Entscheidung ihrer Vorgänger, bereits Vorschulen des Landes verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten. Der Grund für das Umdenken ist die Stellungnahme von fünf Professor:innen des renommierten Karolinska-Instituts (Stockholm), die die Strategie der Digitalisierung von Schulen in einem Gutachten als falsch kritisierte: Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die behaupteten positiven Befunde nicht belegbar seien. Die Forschung habe stattdessen gezeigt, dass „die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“ habe. Die Ziele (Bildungs- und Chancengerechtigkeit, Unterrichtsverbesserung, gesellschaftliche Teilhabe) würden nicht erreicht, im Gegenteil: „Es ist offensichtlich, dass Bildschirme große Nachteile für kleine Kinder haben. Sie behindern das Lernen und die Sprachentwicklung. Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen“ (Gutachten des Karolinska-Instituts von 2023, einer der besten medizinischen Forschungseinrichtungen der Welt).

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hat 2023 Leitlinien zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend herausgegeben, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie von vielen Fachverbänden aus Medizin, Psychologie und Suchtprävention mitgetragen werden. Die wichtigste Empfehlung für alle Altersstufen: Reduktion der Bildschirmzeiten, keine eigenen Geräte für Kinder und keinen unkontrollierten, unbegleiteten Zugang zum Internet.

Der U.S. Surgeon General (oberste Gesundheitsbehörde in den USA) hat 2023 eine Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen herausgegeben. Sie zeigt detailliert auf, wie stark junge Menschen von digitalen Medien beeinflusst und abhängig werden. Die immer längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter habe Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: Körperunzufriedenheit, gestörtes Essverhalten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, geringes Selbstwertgefühl, Depression.

Kontakt für Rückfragen: Prof. Dr. phil. Ralf Lankau
Redaktionsleitung Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.
ralf.lankau@bildung-wissen.eu

Der Moratoriumsaufruf in voller Länge und mit allen Erstunterzeichnern

Bildungsgipfel – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Manfred Fischer, Berlin, 1.5.2023

Der folgende Beitrag nimmt den gescheiterten Bildungsgipfel zum Anlass, insbesondere den beachtlichen Einfluss der sogenannten Bildungsstiftungen auf die Politik kritisch zu kommentieren und die Frage zu verfolgen, welchen Interessengruppen dadurch das Wohl der Schülerinnen und Schüler anvertraut wird. 

Die Sozialpartner DGB und BDA schrieben in einer gemeinsamen Stellungnahme am 13.03.2023: „Von der `Bildungsrepublik Deutschland´, die bereits 2008 von der Bundeskanzlerin und den Ländern ausgerufen worden ist, sind wir 15 Jahre später immer noch meilenweit entfernt.“

Die damals gesteckten Ziele beim Bildungsgipfel vom 22.10.2008 wurden bis heute allesamt „deutlich verfehlt“: Halbierung der Anzahl der Schulabgänger ohne „Hauptschulabschluss“ von 8 Prozent auf 4 Prozent, Halbierung der Zahl der jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 17,0 Prozent auf 8,5 Prozent sowie die Erhöhung der Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Jedoch das Ziel, „die Studienanfängerquote im Bundesdurchschnitt auf 40 Prozent eines Jahrgangs zu steigern“ war bereits 2008, im Jahr des Bildungsgipfels, mit 40,3 Prozent erreicht. Diese Quote wurde in den Folgejahren von Jahr zu Jahr deutlicher übertroffen. Jedoch nicht nur für Berlin gilt: Die wundersame Leistungssteigerung wurde durch Niveausenkung erkauft! Deutlich wird dies auch durch die hohen Studienabbruchquoten von bis zu 50 Prozent in den Naturwissenschaften.

„Reformprozesses im Bildungswesen“ nach den Vorgaben der „Bildungs“-Stiftungen

Wie aus einer Pressemitteilung vom 14.03.2023 zu entnehmen ist, appelliert ein „breiter Kreis aus [17] Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften an den Bundeskanzler und die Regierungschef:innen der Länder, mit einem Nationalen Bildungsgipfel einen grundlegenden Reformprozess im Bildungswesen einzuleiten.“ Die Initiatoren des Appells waren die Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Karg-Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland sowie die Wübben Stiftung. [1] Die Akteure sind meinungsstarke und kapitalkräftige Stiftungen, deren Aktivitäten Christian Füller im „Tagesspiegel“ so überschreibt: Bildungs-Stiftungen planen den „Systemwechsel“.

Betrachtet man die mit den Stiftungen verbundenen Konzerne sowie deren Aktivitäten untereinander genauer, entdeckt man ein „perfektes Zusammenspiel“. Die Stiftungen öffnen durch ihre Medienpräsenz und die sich wiederholenden „Botschaften“, „öffentlichkeitswirksamen Studien“ und „Handlungsempfehlungen“ sowie durch das „Anprangern von Missständen“ die Türen für das milliardenschwere Bildungs- und Testgeschäft der Unternehmen. In den „technologiebasierten Innovationen“ für Lernen, Unterricht und Schule, die Technologien wie „Machine Learning, Educational Data Mining oder Learning Analytics“ nutzen, liegt nicht, wie die Akteure behaupten, verheißungsvoll die Lösung, sondern oft das Problem! Der Einsatz dieser Technologien soll das Bildungssystem „revolutionieren“.

Von den Stiftungen wird vordergründig und vermeintlich selbstlos in ihren „Botschaften“ hervorgehoben, sich für den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler, für Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit einzusetzen, und den Lehr- und Fachkräften im Bildungsbereich wird versprochen, sie für wichtige pädagogische Aufgaben zu entlasten. Es geht jedoch den Stiftungs-Akteuren darum, die „digitalen Bildungskonzepte“ der Stiftungen gewinnbringend für die Unternehmen an unseren Kitas und Schulen umzusetzen – ganz ohne demokratische Kontrolle und öffentliche und fachwissenschaftliche Diskussion.

Euphemistisch schreiben die Initiatoren in ihrem Appell, dass auf dem von ihnen eingeforderten „Nationalen Bildungsgipfel“ neben dem Bundeskanzler „alle relevanten Akteure“ vertreten sein sollen. Festzuhalten ist: Nur ein ergebnisoffener Dialog auf Augenhöhe, ohne interessenbezogene Auswahl von Experten und Teilnehmern könnte zielführend sein. Jedoch eine entgegengesetzte, verschleiernde Vorgehensweise wurde z.B. bei der Trend-Studie „KI@Schule“ im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung praktiziert. Dort wurde die Auswahl der Experten und Teilnehmer mit dem Auftraggeber abgestimmt! [2] Auch ein Austausch in „gesamtgesellschaftlicher Verantwortung“ wäre zu begrüßen, doch die Akteure haben schon längst die Steuerung des „Reformprozesses“ im Bildungsbereich übernommen! Deutlich wird dies auch in einem Interview im „Tagesspiegel“. Beim geforderten Nationalen Bildungsgipfel setzt der Vorsitzende der Deutschen Telekom Stiftung Thomas de Maizière nur auf eine „öffentliche Begleitung“ und darauf, dass man sich „informell miteinander“ austauscht. [3]

Die Akteure schreiben auf der website des „Forum Bildung Digitalisierung“, einem Netzwerk, in dem die meisten Initiatoren des Appells vereint sind: „Auf politischer Ebene war insbesondere die Übernahme zahlreicher Positionen des Forums in der ergänzenden Empfehlung `Lehren und Lernen´ zur Strategie `Bildung in der digitalen Welt´ der Kultusministerkonferenz (KMK) ein großer Erfolg.“ [4] Um die Quellen zu verschleiern, macht die KMK in ihrem Bericht [5] keine Angaben zu den Autoren! So ist auch in dem oben genannten Interview nicht verwunderlich, dass der Vorsitzende der Deutschen Telekom Stiftung von Lob und Anerkennung gegenüber der KMK spricht, da sich die KMK durch „externe Beratung“ selbst auf den „Prüfstand“ stelle.

Der geforderte „grundlegende Reformprozess im Bildungswesen“ ist von den Stiftungen längst vorformuliert, ein „Neustart in der Bildung“ durch eine „digitale Transformation und systemische Veränderungen im Bildungsbereich“ längst beschlossene Sache. Die Frage stellt sich: Wem nutzt es?

Von der Bedeutung im Bildungsprozess von „sinnstiftendem Lernen in tragfähigen Beziehungen“, „wirklichen Lernzeiten in der Klassengemeinschaft“, der „Weltdeutung der Kinder und ihrer Familien“ [6] sowie über den Erwerb der Fähigkeiten wie Anstrengungsbereitschaft, Konzentration, Kreativität, Mitgefühl ist keine Rede. Dies sind aber die Grundlagen auf dem Weg hin zu einer wirklichen Bildung. Den positiv besetzten Begriff „Bildung“ nutzen die Akteure 32mal in dem zweiseitigen Appell. Das kann vordergründig beeindrucken, eine inhaltliche Auseinandersetzung wird jedoch vermieden! Die „Bildungs“-Stiftungen sind auch hier Meister im Verschleiern ihrer wirklichen Absichten – denn „Bildung“ ist ihr Geschäft.

Bei den bildungspolitisch Verantwortlichen in Bund und Ländern ist „keine Ernsthaftigkeit bei der Problemlösung“ in Schule und Bildung zu erkennen, bemerkt Sachsens Kultusminister Christian Piwarz. Einige verlieren sich in „persönlichen Profilierungsversuchen“, so die zum Bildungsgipfel noch amtierende KMK-Präsidentin, Astrid-Sabine Busse. Sie alle werden ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht gerecht! Das Wohl der Kinder, der Schülerinnen und Schüler, der Lehr- und Fachkräfte haben sie seit Jahren allesamt aus dem Auge verloren. Den Verheißungen und den ökonomischen Vorstellungen der „Bildungs“-Stiftungen oder deren Protagonisten jedoch jetzt blind zu folgen, ist nicht die Lösung! Es geht um die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen und nicht um die Umsetzung der Interessen der international agierenden Education Technology-Unternehmen.


[1] Annina Förschler (2018): „Das ‚Who is who?‘ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda – eine kritische Politiknetzwerk-Analyse“. In: Pädagogische Korrespondenz, 58/18: S. 31-52.

[2] Siehe dazu die Kurzfassung der Studie: Künstliche Intelligenz in der Schule? | Schulforum-Berlin

[3] TSP, 24.04.2023, Interview mit Thomas de Maizière: „Es ist höchste Zeit, das Bildungssystem zu ändern“ von Susanne Vieth-Entus und Tilmann Warnecke.

[4] Siehe dazu eine Kurzfassung: Kritische Anmerkungen zu den Vorstellungen der Kultusministerkonferenz zum „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“.

[5] https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf

[6] Siehe dazu: FAZ, 13.04.2023, „Messen macht noch keine Bildung“ oder „Offener Brief von Bildungswissenschaftler:innen und Fachdidaktiker:innen an die KMK gegen eine Verengung des Bildungsdiskurses“

Den ausführlichen Bericht „Bildungsgipfel – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ in der PDF-Datei

Überwachungstechnologie in der Schule als KMK-„Bildungskonzept“

Kritische Anmerkungen zu den Vorstellungen der Kultusministerkonferenz zum „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“.


Manfred Fischer, für Schulforum-Berlin, 18.04.2022

Analysiert wird der 34seitige Onlinebeitrag „Die ergänzende Empfehlung zur Strategie Bildung in der digitalen Welt[1], Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 09.12.2021. Dazu werden Aussagen aus den Hauptkapiteln „Einleitung“, „Lernen“, „Lehren“, „Weitere Arbeitsschwerpunkte“ zitiert, die die Vorgaben der KMK zum „digitalen Lehren und Lernen“ charakterisieren, um so die Zielrichtung der „Empfehlung“ zu verdeutlichen.

Es ist unverkennbar, dass durch die „Empfehlung“ administrativer Druck auf die Schulverwaltung, Schulen sowie Lehrerinnen und Lehrer ausgeübt werden soll, denn umgesetzt werden soll eine ganz neue Lehr- und Lern“kultur“. Diesen administrativen Druck[2] forderte schon Jacob Chammon, Vorstand des Netzwerks Forum Bildung Digitalisierung, einer Initiative von neun Bildungsstiftungen[3] – ebenso wie Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdirektor und Koordinator der internationalen Pisa-Studien. Das Forum sowie die unternehmensnahen Stiftungen geben entsprechende „Empfehlungen, erarbeiten praktische Lösungen und leisten Orientierungshilfe für schulische Veränderungsprozesse.“[4] Ihre „Empfehlungen“ sind passgenau ausgerichtet an den Medien- und IT-Produkten der jeweiligen Technologieunternehmen im Hintergrund.

Als erfolgversprechend für das Lernen und Lehren gilt, so die KMK-Autoren[5], wenn die Schulen auf eine mit „technologiebasierten Innovationen“ (S. 4) gestaltete „Bildungs“-Revolution setzen. Gefordert wird, dass „in jedem Unterricht an allen Schulen die Potenziale der digitalen Technologien durchgehend zu nutzen“ (S. 8) sind – ganz im Sinne der antreibenden Education Technology-Akteure.[6]

Einleitung

In ihrem Beschluss vom 9.12.2021 erweitert die KMK die 2016 gefasste Definition des Digitalisierungsprozesses. Sie suggeriert, dass „Die ergänzende Empfehlung zur Strategie Bildung in der digitalen Welt“ den Weg aufzeigt vom „Lehren und Lernen mit digitalen Medien und Werkzeugen” hin zum „Lernen und Lehren in einer sich stetig verändernden digitalen Realität, die als `Kultur der Digitalität´ insbesondere in kulturellen, sozialen und beruflichen Handlungsweisen deutlich wird und wiederum Digitalisierungsprozesse auslöst“ (S. 3).

Um die Herausforderungen für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt wie den „Umgang mit Heterogenität“, den „Abbau von Bildungsungleichheit“ oder die „Öffnung und Flexibilisierung von Bildungswegen“ bewältigen zu können, sieht die KMK „technologiebasierte Innovationen“ (S. 4) als Lösung. Auch wird gefordert, dass die Impulse zur Digitalisierung der Schulen – bedingt durch den mit der „Corona-Pandemie einhergegangenen Digitalisierungsschub“ – „aufzugreifen, weiterzuentwickeln und nachhaltig für eine `neue Normalität´ zu verankern“ (S. 4) sind.

Es erstaunt nicht, dass sich der Vorstand des Netzwerks Forum Bildung Digitalisierung, Jacob Chammon, ähnlich dazu äußert: „Es müsste eine klare Ansage der Schulverwaltung kommen, dass es [nach Corona] kein ‚back to normal‘ geben darf. Bei der nächsten Schulinspektion sollte überprüft werden, wie die Schulen das, was sie über das digitale Lernen gelernt haben, im normalen Schulalltag umsetzen.“[7]

Was unter einem „normalen Schulalltag“ mit den „technologiebasierten Innovationen“ zu verstehen ist, wird bereits in der am 1.7.2021 veröffentlichten Trendstudie „KI@Bildung“[8] der Telekom-Stiftung mit dem Titel „Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz“ deutlich. Gefordert werden dort „KI-gestützte, lernförderliche Technologien, d.h. Lösungen, die auf Technologien wie Machine Learning[9], Educational Data Mining[10] oder Learning Analytics[11] basieren.“ Es wird behauptet, dass diese „erhebliche Potenziale für alle Bereiche der schulischen Bildung“ bieten, so z.B. durch „intelligente Lernanwendungen“, indem individualisiertere Lernformen und Assistenzsysteme[12] sowie automatisierte Leistungsbewertungen, Lernempfehlungen und Prognosen realisiert würden. Weiter wird hervorgehoben, dass im Unterrichtsgeschehen neue Formen des Assessments[13], Gradings[14], Tutorings[15] und Classroom-Managements[16] möglich werden. Mit Hilfe von Data Mining und Analytics könnten auf der Schul-Organisations-Ebene z.B. Evaluations- und Planungsprozesse optimiert werden. Vor allen Dingen, so wird in der Studie „KI@Bildung“ gefordert, sollte „auch die praktische Erprobung und `Erdung´ [d.h., der dauerhafte Einsatz] dieser Technologien im Schulalltag ermöglicht und systematisch evaluiert werden.“[17]

Bei der Arbeit mit digitalen Medien und Werkzeugen fallen eine Unmenge von Daten an, die sich unterschiedlich auswerten und nutzen lassen. Dazu lautet die Forderung der KMK: Die „Bildungseinrichtungen müssen dieser wachsenden Bedeutung von Bildungsdaten und Bildungsdokumentation Rechnung tragen und die Vor- und Nachteile, u. a. welche Rolle Algorithmen[18] bei didaktischen und pädagogischen Entscheidungen spielen könnten, entsprechend abwägen“ (S. 5).

Wie eine „Abwägung“ der Nutzung personenbezogener Daten, hier verschleiernd als „Bildungs“daten und „Bildungs“dokumentation bezeichnet, vorzustellen ist, beschreibt der ehemalige Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner, heute aktiv in der Wübben Stiftung: „Datenschutz ist zum Kult geworden, der zum Selbstzweck mutiert“. Weiter führt er aus, dass „innovative Schulen mit ebensolchen Lehrkräften […] mit absurden bürokratischen und datenschutzrechtlichen Steinen, die ihnen in den Weg gelegt werden“, zu kämpfen hätten.[19] Deutlich wird, dass heute ein ehemaliger Bildungspolitiker als „Echokammer“ der Interessen von internationalen Education Technology-Unternehmen fungiert. Zur Erinnerung: Die Wübben Stiftung ist Mitglied im Netzwerk „Forum Bildung Digitalisierung“.[20]

Angesichts des Einsatzes „KI-gestützter technologiebasierter Innovationen“ in einer sich „stetig verändernden digitalen Realität“ (S. 3), muss bezweifelt werden, ob der Schutz der „Bildungsdaten“ unserer Schülerinnen und Schüler für die KMK-Autoren wirklich von Bedeutung ist, auch wenn sie schreiben: „Daten dürfen nur für Verwendungszwecke genutzt werden, die vor ihrer Erfassung festgelegt worden sind, und es ist auch zu definieren, wer mit welchem Ziel die Daten nutzen kann“ (S. 5 f.).

Lernen                         

Die KMK-Autoren schreiben, trotz der von ihnen hervorgehobenen Bedeutung der digitalen Technologien und der von ihnen vorgegebenen „Potenziale“ für das Lernen, dass Lernen ein „sozialer Prozess“ ist und fügen hinzu, dass in diesem Prozess „Beziehungen zu Lehrenden und weiteren Lernenden entscheidend sind“ (S. 7). Auch hier ist für das Vorgehen der KMK-Autoren festzuhalten, dass ein Kernelement „guten Unterrichts“, die Beziehung beim Lernen[21], deren Qualität zu den wirkmächtigsten Einflüssen auf die Lernleistung zählt, nur erwähnt, aber nicht deren wirkliche Bedeutung erfasst und beschrieben wird. Deutlich wird die Absicht und das verschleiernde Vorgehen, wenn sie fordern: „Zukünftig gilt es, in jedem Unterricht an allen Schulen die Potenziale der digitalen Technologien durchgehend zu nutzen“ (S. 8) […], beginnend mit „angepassten Lernsettings“ in der „Primarstufe“ und eingebunden in den „Alltag“ aller Schülerinnen und Schüler. Die KMK-Autoren führen weiter aus, dass dies „eine wichtige Grundvoraussetzung für Bildungsgerechtigkeit ist“ (S. 8), um auf diesen Kompetenzen an den weiterführenden Schulen aufbauen zu können. 

Auf den folgenden Seiten des Onlinebeitrages berichten die Autoren, oft im Konjunktiv, über die „möglichen Potenziale“[22] der digitalen Medien und Werkzeuge für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt – wohl wissend, dass die Wirksamkeit der entsprechenden Produkte auf dem „unübersichtlichen Markt […] allerdings kaum geprüft“[23] wurde. Dies stellte die „Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz“ selbst fest.

Trotz der vielen Erfolgsversprechen der „Wirkung der digitalen Tools“ ist festzuhalten: Es gibt keine kontrollierten Studien über die Wirksamkeit der digitalen Lernwerkzeuge. Auch fehlen Studien zur Belastbarkeit, d.h. zur Glaubwürdigkeit der Aussagen zu den Lehr- und Lernprodukten. Die Erfolgsversprechen basieren auf Aussagen einzelner Akteure und Lobbyisten oder entspringen der werbewirksamen Produktbeschreibung der Hersteller.[24] 

Obwohl diese Zusammenhänge bekannt sind, fahren die KMK-Autoren mit der Aufforderung fort: „Insgesamt sind aktuelle Entwicklungen und Ansätze wie z.B. adaptive und flexible Lernsysteme (intelligente tutorielle Systeme), Gamification[25], unterstützende Techniken wie z.B. Augmented-Reality[26] und Virtual-Reality[27] zu beachten, zu reflektieren und einzubeziehen“ (S. 12). Sie weisen darauf hin, dass bei dieser Technikunterstützung „dem Aspekt der Lernbegleitung und der (Selbst-)Reflexion eine besondere Bedeutung“ (S. 12) für die Lehrkräfte zukommt. Als Ausgangspunkt für weitere technologiebasierte Innovationen sollen „[g]ute Beispiele aus den [Bundes]Ländern sowie wissenschaftliche Erfahrungen und Erkenntnisse“ (S. 14) einbezogen werden. Dazu geben die Autoren keine Quellen an.            

Die KMK-Autoren bemerken: „Die Potenziale der Digitalität entfalten sich nicht automatisch, sondern vor dem Hintergrund der Qualitätsmerkmale guten Unterrichts“ (S. 12).

Auch hier, wie im folgenden Kapitel „Lehren“ umgehen die Autoren eine Auseinandersetzung mit den Inhalten der „Qualitätsmerkmale guten Unterrichts“[28] und deren Umsetzung.

Die Basisdimensionen für die „Qualitätsmerkmale guten Unterrichts“: „Gute Klassenführung“, „Konstruktive Unterstützung“ und „kognitive Aktivierung“ der Schülerinnen und Schüler, sind für die KMK-Autoren nur ein kurzer Hinweis, denn die angeblichen „Potenziale“ der „technologiebasierten Innovationen“ sollen auch hier Top-Down umgesetzt werden, wie im nächsten Kapitel deutlich wird.

Lehren

Die KMK-Autoren beginnen diesen Abschnitt mit der Feststellung, dass hinsichtlich der erfolgreichen Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen die Lehrkräfte und ihre professionellen Kompetenzen von zentraler Bedeutung sind. Das jedoch erfordere bei zunehmender Relevanz digitaler Medien und Werkzeuge im Unterricht eine kontinuierliche Professionalisierung, die sich durch die sich ständig verändernden technischen und pädagogischen Entwicklungen notwendig wird. Dieser Professionalisierungsprozess erstrecke sich über die „gesamte Berufsbiografie einer Lehrkraft“ (S. 17) und sei als „kontinuierlicher Schulentwicklungsprozess“ (S. 17) zu betrachten. Eine nachhaltige Wirkung könne sich einstellen, wenn dieser „langfristig angelegt ist, realistische Entwicklungsziele verfolgt, die gesamte Schulgemeinschaft einbindet, von der Mehrheit des Kollegiums getragen wird und mit Ressourcen [!] hinterlegt ist“ (S. 17). Hierbei sollen die Schulen durch die Schulaufsicht beim „digitalisierungsbezogenen Innovations- und Changemanagement“[29] (S. 19) unterstützt werden.

Da jedoch die Entscheidungen zum „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“ schon längst im Vorfeld gefallen sind, sollen diese durch „geschickte“ Steuerung im Kollegium um- und durchgesetzt werden. Durch das manipulative Vorgehen beim Changemanagement wird der Anschein erzeugt, das Kollegium selbst hätte sich auf den Weg gemacht, die Schule im Sinne des „kontinuierlichen Schulentwicklungsprozesses“ zu verändern.[30] Deutlich wird: „Lehrer sollen wollen, was sie sollen!“[31]

Auf den folgenden Seiten des KMK-Beitrags werden „weitere Empfehlungen zum Einsatz von digitalen Lernumgebungen in Lehr-Lern-Prozessen“ (S. 21) beschrieben. In den Empfehlungen und Beispielen geht es z.B. darum, eine Lehr-Lernkultur zu entwickeln, selbstgesteuertes Lernen zu fördern, Lernprozesse zu begleiten, Verhaltensregeln für Interaktions- und Kommunikationsprozesse zu erarbeiten und anzuwenden, Lern- und Videoplattformen für die Gestaltung und Realisierung von Lehr-Lern-Prozessen zu nutzen, Feedback regelmäßig einzuholen, Zusammenarbeit auch über die Schulgrenzen hinweg zu ermöglichen, den Kompetenzstand aller schulischen Akteure regelmäßig zu reflektieren und weiterzuentwickeln, digital unterstützte Verfahren zur formativen[32] und summativen Diagnostik zu entwickeln und zu implementieren, digitale Lernumgebungen in die Lernplattformen zielgerichtet anzubinden und die Potenziale des Marktes der Bildungsmedien aufzugreifen, ein länderübergreifendes Monitoringkonzept[33] der zentralen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte sollte diskutiert und möglichst verankert werden (vgl. S. 21-33).

Auch wenn die KMK-Autoren schreiben, dass „neben dem avisierten Potenzial und der technischen Realisierung – vor allem auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Lernenden und Lehrkräfte“ (S. 32) handlungsleitend sein sollen, bleibt unberücksichtigt, dass die durch die digitalen Medien und Tools vielfältig gesammelten Daten nicht nur bei Schulen, sondern – so gewollt – bei den Startups und EdTech-Unternehmen landen. Vorgegeben wird, damit den individuellen Lernprozess der zuvor lückenlos vermessenen Schülerinnen und Schüler zu optimieren. Für diesen wie auch die anderen genannten Prozesse bedarf es einer Unmenge personenbezogener Daten – dem „Schmierstoff“ dieses digitalen Bildungsmodells. Die KMK-Autoren beachten nicht, dass die Schaffung einer den gesamten Bildungsweg durchziehenden, personenbezogenen, unkontrollierbaren Datensammlung erhebliche pädagogische und ethische Konsequenzen mit sich bringt.[34] Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind die damit einhergehenden Risiken erkennbar. Nicht umsonst hat die EU-Kommission KI-Systeme in der Bildung als hochriskant eingestuft.[35] Denn wer die Technik bestimmt, hat die Kontrolle und macht die Regeln.

Abschließend ist festzuhalten, dass das von der KMK propagierte Modell „Bildung in der digitalen Welt“ gleichzusetzen ist mit den digitalen „Bildungs“bestrebungen der Education Technology-Unternehmen und deren Geschäftsmodell. Damit ist die KMK „Türöffner“ für die „Steuerung der Lehr-Lernprozesse mit Künstlicher Intelligenz“, „Überwachungstechnologie“, „Datenkumulation und Ranking“ im Klassenzimmer.

Ist etwa eine Realisierung dieses „Bildungs“modells im Sinne unserer Schülerinnen und Schüler?

Oder anders gefragt: Wem nutzt es?

Beitrag als PDF-Datei


[1] KMK Onlinebeitrag, 9.12.2021: Die ergänzende Empfehlung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“

[2] Tagesspiegel, 20.09.2021, Amory Burchard, Bildungsexperten warnen vor Rückkehr zum klassischen Frontalunterricht.

[3] Zum Forum gehören: Die Deutsche Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Siemens Stiftung, die Dieter Schwarz Stiftung, die Joachim Herz Stiftung, die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, die Stiftung Mercator und die Wübben Stiftung.

[4] Siehe auch: https://schulforum-berlin.de/die-bildungs-stiftungen-als-tueroeffner/

[5] Die Autoren des KMK-Beitrags werden nicht aufgeführt.

[6] Education Technology-Industry (EdTech-Industry) =  globaler Sektor digitaler Bildungstechnologien, der sich auf Unterrichtssoftware, Plattformen, Schulverwaltung und Steuerungsaufgaben bezieht.

[7] Tagesspiegel, 20.09.2021, Amory Burchard, Bildungsexperten warnen vor Rückkehr zum klassischen Frontalunterricht.

[8] KI Bildung Schlussbericht.pdf (telekom-stiftung.de) (S. 4). Siehe auch eine kritische Zusammenfassung: Künstliche Intelligenz in der Schule? | Schulforum-Berlin

[9] Die Fußnoten 9 bis 16 und 18 dienen der Begriffserklärung und sind im Original nicht enthalten:  Machine Learning ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz (KI), der Systeme in die Lage versetzt, automatisch aus Erfahrungen (Daten) zu lernen und sich zu verbessern, ohne explizit programmiert zu sein. Es werden beispielsweise Regel- und Gesetzmäßigkeiten in den Daten erkannt und Aktionen daraus abgeleitet.

[10] Educational Data Mining ermöglicht, die im Zuge des „technologiebasierten“ Lernens anfallenden Unmengen an Daten – sei es zum Lernverhalten einzelner Schüler, dem Lernfortschritt der gesamten Klasse oder der Akzeptanz des Unterrichtskonzepts – zu ordnen und in Zusammenhang zu bringen, um sie für weitere Analysen und Prognosen zu nutzen. M. Ebner und S. Schön (Hrsg.)(2013): Einführung – Das Themenfeld „Lernen und Lehren mit Technologien“ | Ebner | Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (tugraz.at)

[11] Learning Analytics hat die Interpretation der gesammelten Daten zum Ziel. Beim „technologiebasierten“ Lernen geht es darum, den individuellen Lernprozess zu optimieren. Dies geschieht nicht nur durch eine umfassende Abbildung des bisherigen Lernverhaltens, vielmehr sollen aus dem vorhandenen Datenbestand zugleich Erkenntnisse und Prognosen für die Zukunft abgeleitet werden.

[12] Assistenzsysteme umfassen alle Arten von Informationen, die einen Nutzer beim Gebrauch eines Produkts unterstützen.

[13] Assessment = Beurteilung, Bewertung der Fähigkeit, Einschätzung

[14] Grading = Bewertung, Benotung, Abstufung

[15] Tutoring = Methode der Lernunterstützung, bei welcher z.B. Peers als Co-Lehrende für Lernende tätig werden. Es soll Lernenden Selbstregulierung- und Kontrolle über ihr eigenes Lernen vermitteln.

[16] Classroom-Management, siehe nachfolgend im Text unter TALIS-Videostudie, „Gute Klassenführung“, S. 6.

[17] KI Bildung Schlussbericht.pdf (telekom-stiftung.de) (S. 37).

[18] Der Algorithmus umschreibt eine genau definierte Folge von Anweisungen (ersichtlich z.B. aus einem „Programmablaufplan“) mit denen ein bestimmtes Problem gelöst werden kann.

[19] Jürgen Zöllner, Impaktmagazin Spezial, 8/2021, Bildungspolitik in Zeiten der Pandemie …, S. 13-15

[20] Annina Förschler (2018): „Das ‚Who is who?‘ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda – eine kritische Politiknetzwerk-Analyse“. In: Pädagogische Korrespondenz, 58/18: S. 31-52. Siehe auch: Das „Who is who?“ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda | Schulforum-Berlin

[21] Krautz, Jochen, „Zur Erinnerung: Bildendes Lernen braucht Schule und Unterricht“

[22] Siehe dazu die Studie: Balslev, Jesper (2020): Evidence of a Potential. Eine Kernaussage: Das Hauptargument für die Digitalisierung ist das „geschätzte Potenzial“ das in der Digitalisierung steckt, die vermuteten, aber noch nicht wissenschaftlich belegten Vorteile.

[23] Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK), Stellungnahme zur Weiterentwicklung der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, Bonn/Berlin, 7.10.2021, S. 24

[24] Siehe dazu die Besprechung der Studien für Schulforum-Berlin: „Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden“ der Robert Bosch Stiftung (2018) sowie KI@Bildung – Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz – Schlussbericht – der Deutschen Telekom Stiftung (2021)

[25] Die Fußnoten 25 bis 27 dienen der Begriffserklärung und sind im Original nicht enthalten: Gamification ist die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Nutzern.

[26] Unter Augmented-Reality versteht man das Zusammenspiel von digitalem und analogem Leben. Das funktioniert manchmal über die Kamera des Smartphones aber zumeist über eine Brille. Über diese werden zusätzliche Informationen über das Umfeld des Nutzers eingeblendet.

[27] Virtual-Reality (VR) bezeichnet ein digitales, am Computer geschaffenes Abbild der Realität. VR-Brillen lassen den Nutzer in eine neue, künstlich erschaffene Welt eintauchen.

[28] Die TALIS-Videostudie Deutschland greift diese drei Basisdimensionen des Unterrichts auf, um Unterricht zu beschreiben und seine Wirkungen zu untersuchen. Sie ist die erste internationale Untersuchung, die einen Blick in Klassenzimmer auf drei Kontinenten wirft und zugleich Aussagen zu den Wirkungen des Unterrichts, zu Lernprozessen und Lernergebnissen der beteiligten Schüler*innen gestattet. Grünkorn, Juliane [Hrsg.]; Klieme, Eckhard [Hrsg.]; Praetorius, Anna-Katharina [Hrsg.]; Patrick Schreyer [Hrsg.]: Mathematikunterricht im internationalen Vergleich. Ergebnisse aus der TALIS-Videostudie Deutschland. Frankfurt am Main: DIPF, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, 2020, S. 6.

Siehe auch die Kurzfassung: Mathematikunterricht im internationalen Vergleich. | Schulforum-Berlin

[29] Unter Change Management versteht man die systematische Planung und Steuerung von Veränderungen z. B. von Organisationsstrukturen oder Prozessen. (…) Zur Erhöhung der Akzeptanz werden insbesondere psychologische Faktoren berücksichtigt. (…) Ein Change Manager muss die Auswirkungen des Wandels abschätzen und zu erwartende und auftretende Widerstände identifizieren und gegensteuern. (…) Damit Veränderungsprojekte ernst genommen werden, müssen sie vom Willen zur Durchsetzung der Veränderung getragen sein. (…) Die Führungskräfte sind es, die die Beschäftigten „ins Boot holen“ müssen. (…) Bei Veränderungsvorhaben, die politisch vorgegeben werden, hat die Notwendigkeit zur Veränderung den Charakter eines Auftrages, der erfüllt werden muss. (…) Aus: Verwaltung innovativ – Change Management (verwaltung-innovativ.de). Siehe auch: Das Phänomen und die Praktiken des change-managements | Schulforum-Berlin

[30] Vgl. Bernd Schoepe, Cancel Culture macht Schule!, S. 10

[31] Jochen Krautz, Matthias Burchardt (Hrsg.) (2018): Time for Change? – Schule zischen demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung, S. 22

[32] Formative Diagnostik oder auch Lernverlaufsdiagnostik wird während des Lernprozesses regelmäßig eingesetzt, um den Lehr- und Lernprozesse zu steuern, zu begleiten oder auch zu optimieren.

[33] Monitoring ist die Überwachung, Messung, Erfassung eines Vorgangs oder Prozesses mittels technischer Hilfsmittel oder anderer Beobachtungssysteme.

[34] Vgl. Siegrid Hartong u.a. (2021): Unblack the Box, Anregungen für eine (selbst)bewusste Auseinandersetzung mit digitaler Bildung. In: Lankau, Ralf (Hrsg.): Autonom und mündig am Touchscreen, Weinheim und Basel: Beltz, S. 201 – 212.

[35] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.3.2022, Lisa Becker, „Wenn die neue Lehrkraft eine KI ist“.

Die „Bildungs“-Stiftungen als Türöffner

Perfektes Zusammenspiel

Manfred Fischer für Schulforum-Berlin

Geht es um die „Digitale Schule“, dann hebt der ehemalige Schulleiter Jacob Chammon, der die Deutsch-Skandinavische Gemeinschaftsschule in Berlin geleitet hat, eifrig die Hand, um Gehör zu finden. [1] Seit 1. April 2020 ist er als geschäftsführender Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung tätig. Betrachtet man die Strategie der in diesem Forum zusammengefassten Stiftungen – darunter die Deutsche Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Wübben Stiftung [2] – und die mit ihnen verbundenen Konzerne sowie deren Aktivitäten untereinander genauer [3], entdeckt man ein „perfektes Zusammenspiel: Die Stiftungen wirken wie ein Türöffner“. [4] So gibt das Forum „Empfehlungen, erarbeitet praktische Lösungen und leistet Orientierungshilfe für schulische Veränderungsprozesse.“ [5] Zu jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit melden sich deren „Experten“ zu Wort, um ihre „revolutionierenden digitalen Bildungskonzepte“ voranzubringen. Ihre „Empfehlungen“ sind passgenau ausgerichtet an den Medien- und IT-Produkten der jeweiligen Technologieunternehmen im Hintergrund.

Administrativer Druck gefordert

Eine der „Orientierungshilfen“ zur Einführung „digitaler Tools“ führt sogar so weit, dass von den „Bildungsexperten“ gefordert wird, „mehr administrativen Druck auf die Schulen“ auszuüben. [6] Deutlich wird: Es geht darum, das „digitale Bildungskonzept“ der Stiftungen gewinnbringend für die Unternehmen an unseren Schulen umzusetzen – ganz ohne demokratische Kontrolle und öffentliche und fachwissenschaftliche Diskussion. Dazu äußert sich Josef Kraus, ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverbands, mit einem exemplarischen Beispiel für das Vorgehen der Bildungsstiftungen: „Die Bertelsmann-Stiftung ist eine Krake, die sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht.“ [7] Von den Akteuren wird vordergründig angegeben, sich für den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler, für Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit einzusetzen und den Lehrkräften wird versprochen, sie für wichtige pädagogische Aufgaben zu entlasten. Dies soll, so wird beschworen, mit Hilfe der verschiedensten „digitalen Tools“ möglich sein. [8]

Werbewirksame Produktbeschreibungen

Fakt zu den vielen Erfolgsversprechen der „segensreichen [!] Wirkung“ der „digitalen Tools“ ist: Es gibt keine kontrollierten Studien über die Lernwirksamkeit der digitalen Lernwerkzeuge. Auch fehlen Studien zu der Belastbarkeit, d.h. zur Glaubwürdigkeit der Aussagen zu den Lehr- und Lernprodukten. Die Erfolgsversprechen basieren auf Aussagen einzelner Akteure und Lobbyisten oder entspringen der werbewirksamen Produktbeschreibung der Hersteller. [9] Deutlich wird: Das Vorgehen der Akteure und die „Empfehlungen“ dienen der Verschleierung, z.B. von ideologischen oder ökonomischen Interessen.

Individuelle Bildung für alle im Tausch gegen Daten von jedem

Unberücksichtigt bleibt, dass die durch die „digitalen Tools“ vielfältig gesammelten Daten nicht nur bei Schulen, sondern – so gewollt – bei den Startups und Unternehmen landen. Vorgegeben wird, damit den individuellen Lernprozess der Schülerinnen und Schüler zu optimieren. Dazu bedarf es personenbezogener Daten, mehr Daten und noch mehr Daten – dem „Schmierstoff“ dieses digitalen Bildungsmodells. Das Geschäftsmodell lautet: „Individuelle Bildung für alle im Tausch gegen Daten von jedem“. [10]

Dieses „Geschäft“ mit unseren Schülerinnen und Schülern scheint dem ehemaligen Berliner Bildungssenator, Jürgen Zöllner, heute aktiv in der Wübben Stiftung, keine Kopfschmerzen zu bereiten, wenn er schreibt: „Datenschutz ist zum Kult geworden, der zum Selbstzweck mutiert“. Weiter führt er aus, dass „innovative Schulen mit ebensolchen Lehrkräften […] mit absurden bürokratischen und datenschutzrechtlichen Steinen, die ihnen in den Weg gelegt werden“ zu kämpfen hätten. [11] Heißt innovatives Vorgehen die Aussetzung eines Grundrechtes, der Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft?

Dazu die Beauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Maja Smoltczyk (Berlin) und Dieter Kugelmann (Rheinland-Pfalz): „[W]enn Datenschützer:innen fordern, dass die Digitalisierung der Schulen datenschutzgerecht erfolgen muss, dient dies nicht der Verhinderung von Digitalisierung, […] es geht darum, für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte einen geschützten Raum zu schaffen, in dem ihre Daten sicher sind, nicht missbraucht und irgendwann gegen sie verwendet werden“. [12] Auch ist einzubeziehen, dass die Schaffung einer den gesamten Bildungsweg durchziehenden, personenbezogenen, unkontrollierbaren Datensammlung erhebliche pädagogische und ethische Konsequenzen mit sich bringt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die damit einhergehenden Risiken kaum abschätzbar.

Design der Tools

Den Schulleitungen, Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern ist zu empfehlen, bei der Digitalisierungsstrategie ihrer Schule zu berücksichtigen, dass hinter jeder Lernsoftware, „hinter jeder digitalen Lernplattform, jeder App, jeder Schulverwaltungssoftware, eine bestimmte, zu einem programmierbaren Design verdichtete Idee von Schule, von Lernen oder Lernzuwachs, von SchülerInnen oder Lehrkräften“ steht. […] D.h. bei der „Nutzung eines Tools lassen sich die NutzerInnen automatisch auf eine bestimmte Sichtweise auf […] Bildung ein“ ohne zu wissen „wie Bildung und Lernen in der konkreten Software verstanden werden“ und ob diese mit den eigenen „Werten und Ideen von Lernen und Bildung zusammenpasst“. [13]

Ohne Kommentar

Als Fazit ist anzumerken, dass bei der Nutzung digitaler Lerntools durch die Schülerinnen und Schüler von den „Bildungsexperten“ die Vereinzelung beim Lernen, die Abschaffung des Unterrichts, die Auflösung der Klassengemeinschaft, der Verlust von Sozialkompetenzen, ja auch die Aussetzung eines Grundrechts kommentarlos hingenommen wird. Der Hype, der um die „Digitale Schule“ gemacht wird, ist gerade auch Schülerinnen und Schülern von sogenannten „Tabletklassen“ bewusst, die fordern:

Weniger bringt mehr!

[1] TSP, 22.09.2021, Amory Burchard, Digitale Schule „nach Corona“ – Bildungsexperten warnen vor Rückkehr zum klassischen Frontalunterricht (Titel in der Onlineausgabe)

[2] Es sind dies derzeit neun Stiftungen: Die Deutsche Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Siemens Stiftung, die Dieter Schwarz Stiftung, die Joachim Herz Stiftung, die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, die Stiftung Mercator und die Wübben Stiftung.

[3] Weitere Informationen:  Förschler, Annina (2018): Das „Who is Who?“ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda. In: Pädagogische Korrespondenz, Heft 58, 2018, S. 31-52. 

[4] Christian Füller (2016): Perfektes Zusammenspiel. In: GEW Landesverband Hamburg, Bildungspolitik, E&W 06/2016.   

[5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/in-vielfalt-besser-lernen/projektnachrichten/lehrkraefte-plus-1-1

[6] Tagesspiegel, 22.09.2021, Amory Burchard, Digitale Schule „nach Corona“ – Bildungsexperten warnen vor Rückkehr zum klassischen Frontalunterricht (Titel in der Onlineausgabe)

[7] Die Bertelsmann-Stiftung, so Josef Kraus, ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverbands, reduziere Bildung auf „Quantifizierbares“, um sie wirtschaftlich verwertbar zu machen – im Dienste des Bertelsmann-Konzerns: „Die Bertelsmann-Stiftung ist eine Krake, die sich jeder demokratischen Kontrolle entzieht.“

[8] Trendstudie „KI@Bildung“ (2021): „Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz“, S. 4. Die Studie war im Auftrag der Deutschen Telekom-Stiftung durchgeführt worden, veröffentlicht am 1.7.2021.

[9] Siehe dazu die Besprechung der Studien für Schulforum-Berlin: „Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden“ der Robert Bosch Stiftung (2018) sowie KI@Bildung – Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz – Schlussbericht – der Deutschen Telekom Stiftung (2021)

[10] Jörg Dräger, Ralph Müller-Eiselt (2018): Die digitale Bildungsrevolution, S. 24.

[11] Jürgen Zöllner, Impaktmagazin Spezial, Bildungspolitik in Zeiten der Pandemie ein Aufruf zum Aufbruch. Zöllner gehört dem Kuratorium der Wübben Stiftung an, formiert unter dem Dach des „Forum Bildung Digitalisierung“.

[12] Tagesspiegel, 5.2.2021, Dieter Kugelmann, Maja Smoltczyk, Datenschutz ist kein Supergrundrecht – Aber er ist ein Grundrecht. Onlineversion: Die billige Suche nach Sündenböcken löst keine Probleme„Schluss mit den Attacken auf den Datenschutz“

[13] Siegrid Hartong u.a. (2021): Unblack the Box, Anregungen für eine (selbst)bewusste Auseinandersetzung mit digitaler Bildung. In: Lankau, Ralf (Hrsg.): Autonom und mündig am Touchscreen, Weinheim und Basel: Beltz, S. 201 – 212.

Digitalpakt Bildung – eine Kritik

„Der gesteuerte Mensch? Digitalpakt Bildung – eine Kritik“ von Gottfried Böhme

Rezension von Inge Lütje für Schulforum-Berlin

Die wochenlangen Schulschließungen wegen der Pandemie kommen den Digitalisierungsbefürwortern entgegen. Ihre Forderungen nach flächendeckender Ausstattung aller Schüler mit technischen Geräten und der Einrichtung diverser Lernplattformen finden große Resonanz bei vielen Lehrern, Eltern und den Verantwortlichen in der Schulbürokratie. Einmal eingeführt, ist damit zu rechnen, dass auch in der Nachpandemiezeit die Digitalisierung weiter vorangetrieben wird.

Da ist es gut, noch einmal innezuhalten und sich der Probleme bewusst zu werden, die mit dieser jetzt so rasant von vielen Seiten unterstützten Entwicklung verbunden sind. Es lohnt sich, dazu das Buch „Der gesteuerte Mensch? Digitalpakt Bildung – eine Kritik“ von Gottfried Böhme, erschienen 2020, zu lesen. Böhme, Jahrgang 1951, war über 40 Jahre als Lehrer und auch in der Lehrerfortbildung tätig.

Nach einem Vorwort geht der Autor im ersten Kapitel „Die Digitalisierungswelle erreicht die Pforten der Schulen“ auf drei Texte ein, die Grundlage seiner Ausführungen sind. Er analysiert kritisch das Strategiepapier der Kultusministerkonferenz Bildung in der digitalen Welt  von 2016, das den Hintergrund für den Digitalpakt#D oder Digitalpakt Schule bildet, ebenso das Buch Die digitale Bildungsrevolution – Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können (2015) von Ralph Müller-Eiselt und Jörg Dräger. Der Letztgenannte sitzt im Vorstand der Bertelsmann Stiftung, was Böhme zum Anlass nimmt, gleich am Anfang auf die vielfältigen ökonomischen Interessen an der Digitalisierung hinzuweisen. Das dritte Buch, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus der Harvard-Professorin Shoshana Zuboff (2018), bezeichnet er als „eine aktualisierte Fassung des Kapitals von Karl Marx“, allerdings „ohne dessen Geschichtsoptimismus“ (S. 24). Die Wahl dieser Texte macht deutlich, dass Böhme im Folgenden einerseits sehr eng an den aktuellen schulischen Entwicklungen bleibt, aber auch den Blick weitet auf ökonomische Interessen und eine durch die Digitalisierung veränderte Gesellschaft. Zwei Zitate aus dem Vorwort machen das deutlich: „Zur Disposition stehen mit der Änderung der Rolle von Schüler, Lehrer und Klasse zentrale Elemente unserer Schulkultur“ (S. 9) und „Wer die Schule verändert, der verändert auch die Gesellschaft“ (S. 10). Im ausführlichen Literaturverzeichnis finden sich weitere Hinweise auf Fachbücher, allerdings fehlen die Autoren Jochen Krautz, Ralf Lankau und Matthias Burchhardt.

In den folgenden drei Kapiteln „Eine Schule ohne Klassen, eine Schule ohne Lehrer“, „Der Schüler wird zum User“ und „Hasso Plattners Schulcloud“ beschreibt Böhme detailliert und kenntnisreich die Veränderungen durch den Einsatz digitaler Medien. Er spricht sich nicht gegen deren altersgerechten und didaktisch wohl überlegten Einsatz im Unterricht aus, sondern stellt in den Mittelpunkt seiner Kritik die  Onlineangebote großer Unternehmen, deren Programme die Schüler auf der Grundlage von Algorithmen ganz individuell durch den Lernstoff führen wollen. Für Böhme liegt die große Bedeutung der Schule darin,  eine wichtige Sozialisationsinstanz zu sein, in der Lernen als ein personales Geschehen in der pädagogisch motivierten Begegnung zwischen Schüler und Lehrer und der Schüler untereinander geschieht. Diese Gemeinschaft soll dazu beitragen, dass der junge Mensch zum mündigen Bürger heranwachsen kann. Die Digitalisierung, so seine These, führe zur Individualisierung und damit zur Vereinzelung des Schülers, der Lehrer werde zum bloßen Lernbegleiter und seiner Verantwortung für die Stoff- und Materialauswahl enthoben (und damit billiger!) und die Unternehmen profitierten von den unzähligen Informationen und Daten, die über jeden einzelnen Schüler und sein Lernverhalten gesammelt werden können.

Seine Kritik am Digitalpakt Bildung vertieft Böhme in dem folgenden Kapitel „Wer die Schule ändert, ändert die Gesellschaft“. Nach einem kurzen Exkurs zum Thema „Identitätsbildung“ verweist er auf die große Bedeutung, die bisher Lehrer – und andere Erwachsene – für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hatten. Diese, so seine These, werde durch die Digitalisierung zunehmend von „Youtubern, Bloggern und Influencern“ ersetzt, das World Wide Web beerbe die Lehrerschaft (S. 138), der Heranwachsende werde der analogen Welt entfremdet. Böhme beklagt auch die fehlende Gewaltenteilung bei „Facebook, Google & Co.“ und warnt: „Riesige rechtsfreie Räume drohen zu entstehen“ (S. 140). Es folgt eine ausführliche, detaillierte Kritik am Strategiepapier der KMK, an den dort formulierten 60 zu erwerbenden „Kompetenzen“ im Umgang mit der Digitalisierung (S. 145). Böhme kommt zu dem Schluss: „Das Diktat der Kompetenzpädagogik behindert eine systematische Erfassung zukunftsrelevanter Wissensbereiche bzw. der Weltzusammenhänge, die ein junger Mensch kennenlernen sollte“ (S. 149). Und er konstatiert: „Das Ziel der kultusministeriellen Kompetenzpädagogik ist der Privatmensch, der […] vor allem gut auf das Berufsleben vorbereitet ist. Zu kurz kommt das Wissen um solche Zusammenhänge, die beruflich weitgehend belanglos sind. Dieses braucht man aber, um politisch aktiv zu werden, um gemeinsam Zukunft zu gestalten“ (S. 158/159). Er plädiert dafür, den Heranwachsenden die Überzeugung zu vermitteln, „dass wir alle Glieder einer Menschengemeinschaft sind, die im Idealfall füreinander einstehen und nicht ausschließlich im privaten Interesse handelt“ (S. 159). 

Im Kapitel „Der heimliche Lehrplan: ein neues Menschenbild?“ beantwortet Böhme ausführlich und kenntnisreich die im Titel seines Buches formulierte Frage „Der gesteuerte Mensch?“ Er verweist darauf, dass „Datenkapitalisten“ alles, was über den Einzelnen gesammelt worden ist, nutzen, „um ihn immer stärker in seinem Verhalten zu beeinflussen und damit gerade seiner Individualität zu berauben“ (S. 184). Er warnt vor der zunehmenden Macht der großen Konzerne, die, weitestgehend an der staatlichen Autorität ihrer Länder vorbei, immer mehr auch politischen Einfluss gewinnen mit gravierenden Folgen: „Wahlen werden manipuliert, Rassisten gelangen an die Macht, Populisten bekommen Zulauf, Filterblasen blähen sich auf, Hass ist ein großes Thema geworden, Teenager vereinsamen und und und …“ (S. 190). Den in seinen Augen geringen Widerstand gegen diesen „nihilistische[n] Durchmarsch“ erklärt er unter anderem damit, „dass in unseren westlichen Gesellschaften die Gleichgültigkeit Idealen bzw. Werten gegenüber rapide zugenommen hat“ (S. 181). Und erneut übt Böhme Kritik am Digitalpapier der KMK: „Etwa 60 Kompetenzen werden dort definiert, […], aber die weltanschaulichen Aspekte des digitalen Wandels mit Schülern zu erörtern ist nicht vorgesehen“ (S. 193). Damit ist unter anderem die Frage gemeint, ob der Unterschied zwischen Mensch und Maschine verschwinde, eine Diskussion, die, nach Böhme, „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ sei (S. 186). Dafür bringt er zahlreiche Beispiele, die z.T. bis ins Jahr 2006 zurückgehen, vor allem, aber nicht nur, aus dem angelsächsischen Raum. Böhme fordert die Schule auf, es bei dieser Diskussion nicht bei gefühlsmäßigen Antworten zu belassen, sondern: „Klarheit schaffen nicht Gefühle, Klarheit schafft der Verstand“ (S. 193).

Auf den letzten Seiten seines Buches widmet Böhme sich den folgenden Fragen: Was muss der Lehrer beim Einsatz digitaler Medien – nach heutigem Stand – beachten? Wie steht es mit dem Datenschutz und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen? Welche kritischen Studien werden bei den positiven Ergebnissen der Evaluierung vernachlässigt? Diese stellt er dann auf zwölf Seiten kurz, aber gut nachvollziehbar vor. Außerdem nennt er, als Forderungen, dreizehn Aspekte zum Thema Digitalisierung der Schulen, „die von einem humanen pädagogischen Konzept, das sich guten europäischen Bildungstraditionen verpflichtet weiß, berücksichtigt werden sollten“ (S. 236).

Das Buch von Gottfried Böhme wendet sich vor allem an Eltern, Lehrer und Erzieher. Es ist an keiner Stellen plakativ, sondern immer kenntnisreich, fundiert und mit Beispielen belegt. Aus ihm spricht sowohl die Sorge um die Entwicklung des einzelnen Menschen als auch um den Fortbestand einer humanen, demokratischen Gesellschaft.

Gottfried Böhme, Der gesteuerte Mensch? Digitalpakt Bildung – eine Kritik, Evangelische Verlagsanstalt GmbH Leipzig 2020, ISBN 978-3-374-06341-3

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