«Eine gute Schule für unsere Kinder»

Baden-württembergische Eltern brachten folgende Anzeige in der „Stuttgarter Zeitung“ am 23.04.2016. Heute so aktuell wie damals!

Elternanzeige als PDF-Datei

Die Ungereimtheiten der Bildungspolitik der vergangenen Jahre hatten einige Eltern motiviert, mit anderen Eltern ins Gespräch zu kommen und aktiv zu werden. Das Ergebnis war eine Anzeige in der «Stuttgarter Zeitung» im April 2016, von über 100 Eltern unterschrieben. Sie ist auf ein enormes Echo gestoßen, woraufhin die Elterninitiative Schule Bildung Zukunft gegründet wurde. Für den 7. Oktober 2017 hatte die baden-württembergische Elterninitiative Schule Bildung Zukunft zu einer Vorstellung der Initiative und zu einem Vortrag mit Diskussion nach Böblingen geladen.

Gegen «Neue Lernkultur im Musterländle»

Der Erziehungswissenschaftler Matthias Burchardt von der Universität Köln erklärte in seinem Vortrag die Hintergründe der von den Eltern geschilderten Entwicklung. Der Referent kennt die Situation in Baden-Württemberg. 2012 und 2013 war er Lehrstuhlvertreter an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Aus nächster Nähe war er mit dem Umbau des baden-württembergischen Schulsystems in den Jahren 2011 bis 2016 konfrontiert. Mit seinem Artikel in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom Mai 2013, «Neue Lernkultur im Musterländle», trug er maßgeblich dazu bei, dass der geistige Vater des baden-württembergischen Gemeinschaftsschulmodells – der Schweizer Bildungsunternehmer Peter Fratton mit seinen 4 pädagogischen Urbitten, «Erziehe mich nicht, bringe mir nichts bei, erkläre mir nicht, motiviere mich nicht»1 – den Hut nehmen musste. Aber die Bildungspolitik blieb vorerst die gleiche.

Täuschung mit schönen Worten …

Burchardt stellte einleitend fest, dass an vielen Schulen – auch in Baden-Württemberg – nicht mehr das unterrichtet wird, was an Bildung notwendig ist, damit unsere Gesellschaft und Demokratie funktionieren kann. Er sprach von einer Täuschung mit schönen Worten und verdeutlichte dies mit verschiedenen Beispielen aus dem Wortkasten der «Schulreformer». So spreche man von einem «individualisierenden Unterricht», trage aber nichts zur Ausbildung von Individualität und Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen bei. Man spreche vom «selbstgesteuerten Lernen», lasse Kinder und Jugendlich aber eher vereinzeln und auf ihrem Weg in eine durch zwischenmenschliche Bindung gefestigte Selbstständigkeit im Stich. Man spreche von einer «Orientierung an der Arbeitswelt», bereite die jungen Menschen aber in keiner Weise auf die tatsächlichen Anforderungen im Berufsleben vor.

… und «Zahlenzauber»

Hinzu komme ein «Zahlenzauber». So rühme sich die Bildungspolitik, die Abiturientenzahlen enorm erhöht zu haben, verschweige dabei aber, dass diese Vermehrung auf Kosten der Qualität erreicht wurde. Er verwies auf das Beispiel des kompetenzorientierten Unterrichts, der dazu geführt hat, dass Neuntklässler schriftliche Abituraufgaben im Fach Biologie lösen können – weil es ausreichend viel Punkte gibt, wenn man die Texte in den Aufgabenmaterialien lesen und verstehen kann.

Akteure ohne demokratische Legitimation

Am Werk seien bildungspolitische Akteure ohne politisches Mandat. Burchardt nannte die OECD und eine Reihe privater Stiftungen wie Bertelsmann, Bosch oder Breuninger. Sie bestimmen die schulpolitische Agenda, nicht mehr die demokratisch gewählten Volksvertreter und schon gar nicht die Bürger selbst. Völlig unbegründet werde behauptet, die Schulreformen seien wie die Folgen eines Naturgesetzes, «alternativlos» und nur von «Experten» in die Wege zu leiten.

PISA – Schockstrategie … und grün-rote Schulpolitik

Die PISA-Tests seien Teil einer Schock-Strategie gewesen, um das deutsche Schulsystem komplett umzukrempeln. PISA sei ein Instrument, um das angelsächsische Verständnis von Schule und Bildung weltweit durchzusetzen. Dieses Verständnis ist aber sehr mechanisch. Es sieht den Schüler nicht mehr in der pädagogischen, am Lerngegenstand orientierten Beziehung zum Lehrer. Es vernachlässige die große Bedeutung einer guten Klassengemeinschaft für das Lernen und übergehe die Bedeutung des Klassenunterrichts.

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg habe ganz bewusst dafür gesorgt, dass das Leistungsvermögen in den Schulklassen immer unterschiedlicher wurde – nicht zuletzt, um Klassenunterricht in einer Klassengemeinschaft enorm zu erschweren und das vereinzelnde «selbstgesteuerte Lernen» mit Arbeitsblättern und am Computer durchzusetzten. Dem dienten die Aufhebung der verbindlichen Grundschulempfehlung und das pädagogische Konzept der Gemeinschaftsschulen, das auch in allen anderen Schularten eingeführt werden sollte.

Durchsetzen mit «Change Management»

Burchardt ging auch auf die Frage ein, mit welchen Methoden solche Pläne durchgesetzt wurden und werden. Als wichtigste Methode nannte er das Change-Management. Burchardt wies nach, dass dies auch für Baden-Württemberg gilt, zumindest unter der grün-roten Landesregierung. Widerstand sollte mit Psychotechniken ausgeschaltet, Diskussionen in der Sache verhindert werden.

Kein Versprechen wurde gehalten

Heute müsse man feststellen, dass kein Versprechen, das mit der Einführung der «Neuen Lernkultur» («selbstgesteuertes Lernen» mit Arbeitsblättern und Computer, Wochenpläne usw.) verbunden war, gehalten werden konnte und der Scherbenhaufen offensichtlich ist – auch wenn die grün-rote Landesregierung jeden tatsächlichen Leistungstest ihres pädagogischen Konzeptes verweigert hat. Allzu offensichtlich ist, dass die Kinder nicht das Lernen lernen, sondern Lernblockaden bekommen. Für Eltern ein unerträglicher Zustand.

Die Signale der neuen Kultusministerin, die Entwicklung zu korrigieren, begrüßte Burchardt. Er sieht darin eine Chance und einen Motivationsschub für Zusammenschlüsse wie die baden-württembergische Elterninitiative. Da passte es gut, dass die Ministerin der Veranstaltung in Böblingen ein Grußwort hatte zukommen lassen, in dem für das Gespräch der Schulen und der Politik mit den Eltern warb und der Elterninitiative für ihr Engagement dankte.

Diskussionsteilnehmer wünschen weitere Veranstaltungen

In der abschließenden Diskussion meldeten sich Eltern und Elternvertreter, Kinderärzte, Lehrer und Arbeitgeber zu Wort. Die meisten Wortmeldungen berichteten von gleichen Erfahrungen wie die der Vertreter der Elterninitiative und bedankten sich sehr für den Vortrag. So ein Gedankenaustausch mache Mut und gebe Kraft, um sich vor Ort für die Belange der Kinder einzusetzen. Zwei Kinderärztinnen berichteten, sie hätten vermehrt damit zu tun, dass Kinder, die Mühe mit den Schulreformen haben, für «krank» erklärt werden. Dabei gehörten die Schulreformen selbst ins Krankenzimmer. Der Vertreter eines großen Verbandes mittelständischer Unternehmen beklagte die inflationäre Vermehrung der Abiturientenzahlen. Gleichzeitig fehlten Fachkräften mit einem soliden mittleren Bildungsabschluss. Er warb sehr dafür, diesen mittleren Bildungsabschluss, wie ihn bis vor ein paar Jahren noch die Realschulen des Landes garantiert hatten, aufzuwerten und wieder möglich zu machen. Eine Frau im Saal berichtete, sie habe mit anderen zusammen ein Projekt «Das erfolgreiche Klassenzimmer» gestartet. Dort können Kinder ohne viel Beiwerk im klassischen Klassenunterrichtet lernen – und das Angebot komme sehr gut an. Am Schluss stand die Bemerkung eines Handwerksmeisters und Mitglieds des Landeselternbeirates, noch würden die Eltern zu wenig miteinander reden. Der heutige Tag habe ihn deshalb besonders gefreut, und er hoffe auf viele weitere solche Tage.

Mit freundlicher Genehmigung der Elterninitiative Schule Bildung Zukunft, c/o Dr. med. Friederike Kramer, Riedheimer Str. 7, 78247 Hilzingen
E-Mail: info@elterninitiative-schule-bildung-zukunft.de
Internet: www.elterninitiative-schule-bildung-zukunft.de