Statt Bildung – „Bulimielernen“

Datum:  22.04.2012
PISA ist der falsche Weg!
Für gute Bildung – gegen die Produktion von Testwissen!
GEW-Hessen, Pressemitteilung

Anlässlich des Startschusses von PISA 2012 – ab kommenden Montag werden an 250 Schulen in Deutschland wieder rund 6.250 15-Jährige getestet – kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissen-schaft (GEW) Hessen die Interessengeleitetheit und wissenschaftliche Unseriosität der PISA-Studien sowie den durch diese forcierten Um- und Abbau des öffentlichen Bildungssystems.
„Seit Jahren werden die Schulen immer mehr zu Produktionsstätten abfragbaren Wissens umgebaut. Statt um gute Bildung geht es zunehmend um eine aus der Betriebswirtschaft entlehnte Steuerung anhand vermeintlicher ‘‚Erfolgskriterien‘: Egal, wie und mittels welcher bspw. gesundheitlicher Kosten, wichtig ist, welche so genannte ‚Leistung‘ die Schülerinnen und Schüler erbringen. Das soll dann Indikator für gute Bildung sein.
Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus: Statt zu guter Bildung, die immer auch Zeit zum Verstehen und Hinterfragen sowie klare gesellschaftlich definierte Zielsetzungen benötigt, kommt es allerorten mehr und mehr zu etwas, das Schülervertretungen längst als ‚Bulimielernen‘ bezeichnen, und das mit der sukzessiven Abkehr von Bildungsinhalten einhergeht: Immer mehr geht es um den Dreischritt  ‚Lernen, Testbestehen, Vergessen’; immer weniger um Inhalte, Reflektieren, Hinterfragen und Verstehen. Was mittels der Verbetriebswirtschaftlichung von Schulen also tatsächlich forciert wird, muss inzwischen klar und eindeutig als Bildungsabbau bezeichnet werden“, so Jochen Nagel, Vorsitzender der GEW Hessen.
All dies ist dabei ursächlich auch auf die PISA-Studien, auf welche sich fast alle Politikerinnen und Politiker im Lande positiv beziehen, zurückzuführen. Um es mit den Worten der PISA-Macher selbst auszudrücken: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die PISA-Tests mit ihrem Verzicht auf transnationale curriculare Validität (…) und der Konzentration auf die Erfassung von Basiskompetenzen ein didaktisches und bildungstheoretisches Konzept mit sich führen, das normativ ist“[1].
Tatsächlich geht es bei PISA um die internationale Standardisierung von Bildung – bei gleichzeitiger Reduzierung derselben auf so genannte ‚Basiskompetenzen‘, die dann auch noch im Wesentlichen aus ökonomischen Verwertungsinteresssen abgeleitet werden. „Das mag Großunternehmen, besonders denen, die hinter PISA stehen[2] und schon darauf warten, eines Tages einen großen kommerziellen Assessment- und Testing-Markt in Deutschland zu bedienen, nur recht sein. Uns als BildungsGEWerkschaft und Teil des Bündnisses ‚Recht auf gute Bildung für alle’ ist es dies nicht!“, so Nagel weiter. „Insofern ist es an der Zeit, dass die politisch Verantwortlichen endlich beginnen, den von PISA forcierten und von ihnen selbst immer wieder unterstützten Prozess der Deformation des staatlichen Bildungssystems kritisch zu hinterfragen.“
Der renommierte PISA-Kritiker und Professor für Mathematikdidaktik Wolfram Meyerhöfer sekundiert: „Vor 10 Jahren galt man noch als Häretiker, wenn man zeigte, dass PISA nicht testet, was es testen will, wenn man zeigte, dass die Theorie hinter PISA theorielos war, und wenn man sah, dass das Testen als Instrument der Bevormundung der Lehrer und für die Heranzüchtung einer Testindustrie dient. Heute sehen wir, dass diese Industrie unser Denken bestimmt, dass Schule immer noch stärker stranguliert werden kann und dass das Einüben von Ankreuzritualen auch in Kulturnationen möglich ist, wenn die Testindustrie dabei nur mit genügend großer Marketingmacht vorgeht.“
„Dabei wissen wir längst, dass PISA eben nicht Bildsamkeit testet, sondern die Fähigkeit, das Denken der Tester zu erraten. Wir wissen, dass dieses Denken immer verengt ist, zum Mittelmaß tendiert und kreatives Denken bestraft, dass die Tester immer wieder auch unsinnig denken – und es nie bemerken. Wir wissen, dass die statistischen Konstrukte von PISA dazu führen, dass die am Ende präsentierten Länderrankings ebenso gut großflächig ausgewürfelt werden könnten. Wir wissen, dass Testresultate leicht manipulierbar sind. Und wir wissen, dass das Testen uns vom Denken abhält. Wir verlieren nichts, wenn wir PISA einfach einstellen“, so Meyerhöfer abschließend.

[1] Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001, S. 19.
[2] Zu den Interessen hinter PISA siehe bspw.: „Knatsch um Pisa – CDU fordert den Rauswurf des Pisa-Koordinators“; www.nachdenkseiten.de