Noch mehr Zehntklässler in Berlin ohne Abschluss

Bildungsziel verfehlt  

Tagesspiegel, 12.01.2019, Susanne Vieth-Entus, Sylvia Vogt

Der Senat verfehlt das Hauptziel seiner Bildungspolitik – die Reduzierung der Jugendlichen ohne Schulabschluss [siehe „Rückblick“ weiter unten]. Im vergangenen Schuljahr hat diese Gruppe sogar deutlich zugenommen: bei den rund 13.000 Abgängern der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen um rund ein Drittel von zehn auf 13 Prozent.

Jugendliche ohne Schulabschluss [Tabellen und Text kursiv siehe ISQ-Bericht]

Die Verteilung der Schulabschlüsse nach Geschlecht (Tabelle 2.3) ist im Vergleich von 2018 zu 2017 an den Gymnasien relativ stabil geblieben.
An den Integrierten Sekundarschulen (ISS) ist der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss von 8 auf 11 Prozent bei den Schülerinnen (Anstieg 3 Prozent) und von 10 auf 15 Prozent bei den Schülern gestiegen (Anstieg 5 Prozent). An den Gemeinschaftsschulen ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: Von 2017 zu 2018 ist der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss von 11 auf 14 Prozent bei den Schülerinnen und von 13 auf 16 Prozent bei den Schülern gestiegen. Dies entspricht einem Anstieg von jeweils 3 Prozent.

Die Verteilung der Schulabschlüsse nach Herkunftssprache (Tabelle 2.4) verdeutlicht, dass in allen Schularten/Bildungsgängen die Schülerinnen und Schüler deutscher Herkunftssprache den größten Anteil an den Schulabschlüssen MSA und MSA+ aufweisen.

An den Integrierten Sekundarschulen (ISS) erreichen 69 Prozent der Jugendlichen mit Deutsch als Herkunftssprache den MSA bzw. den MSA+. Für die anderen beiden Sprachgruppen sind es mit 47 Prozent (türkische Herkunftssprache) bzw. 51 Prozent (andere Herkunftssprache als Deutsch oder Türkisch) deutlich weniger.

Vor allem die Jugendlichen mit Türkisch als Herkunftssprache gehen mit 19 Prozent häufiger ohne einen Schulabschluss von der Schule ab als noch im Vorjahr (11 Prozent ). Anstieg um 8 Prozent. Dasselbe trifft auf die Jugendlichen mit einer anderen Herkunftssprache als Deutsch oder Türkisch zu (21 Prozent ohne Schulabschluss im Jahr 2018 und 15 Prozent im Jahr 2017). Dies entspricht einem Anstieg um 6 Prozent.

Vergleich der MSA-Ergebnisse der Berliner Bezirke

Bei den Bezirken liegt Tempelhof-Schöneberg an der Spitze: Hier erhielten 79 Prozent der Schüler an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen den MSA. Es dürfte dabei eine große Rolle spielen, dass es im Bezirk drei traditionell starke Sekundarschulen gibt: die Sophie-Scholl-, die Gustav-Heinemann- und die Carl-Zeiss-Schule. Dahinter folgen Pankow (77 Prozent) und Lichtenberg (76 Prozent).

Am schlechtesten schneidet Neukölln ab, hier haben nur 58 Prozent der Sekundarschüler den MSA bestanden. Im Bezirk liegt auch die Schule mit der höchsten Abbrecherquote von rund 40 Prozent, wie ein Vergleich der Schulportäts zeigt, die die Bildungsverwaltung ins Netz stellt. In Mitte sieht es nicht viel besser aus: Hier schafften nur 59 Prozent den MSA, was aber immerhin eine Verbesserung von sieben Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.

Die übrigen Bezirke: Friedrichshain-Kreuzberg (61 Prozent), Charlottenburg-Wilmersdorf (74 Prozent), Spandau (67 Prozent), Steglitz-Zehlendorf (74 Prozent), Treptow-Köpenick (74 Prozent), Marzahn-Hellersdorf (62 Prozent), Reinickendorf (68 Prozent).

MSA-Bestehensquote bei den Gymnasiasten

Bei den Gymnasiasten liegen die MSA-Bestehensquoten durchweg über 90 Prozent. Den höchsten Wert erzielt Treptow-Köpenick mit 99 Prozent, vor Pankow (98 Prozent), Marzahn-Hellersdorf (98 Prozent) und Lichtenberg (98 Prozent). Am schlechtesten schneidet auch hier Neukölln ab, wo 91 Prozent der Gymnasiasten den MSA bestehen. Zudem hat sich der Bezirk im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent verschlechtert. In Mitte sind es 92 Prozent. Die übrigen Bezirke: Friedrichshain-Kreuzberg (97 Prozent), Charlottenburg-Wilmersdorf (95 Prozent), Spandau (94 Prozent), Steglitz-Zehlendorf (97 Prozent), Tempelhof-Schöneberg (96 Prozent), Reinickendorf (97 Prozent).

Mathematik fällt den Schülern bei den MSA-Prüfungen am schwersten

Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Mathematik-Ergebnisse der Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen zwar leicht verbessert, allerdings sind sie deutlich schlechter als 2016: Damals waren die Klausuren allerdings auch als besonders einfach eingeschätzt worden – „pillepalle“, wie es von Lehrerseite hieß.

Während Bestehensquoten nur darüber Auskunft geben können, wie hoch der Anteil der Schülerinnen und Schüler ist, die bestanden bzw. nicht bestanden haben, enthalten Lösungsanteile (Anteil der durchschnittlich erreichten Punktzahl an der Maximalpunktzahl) mit ihrem Spektrum von 0% bis 100% mehr Informationen. Dadurch können die Leistungen der Schülerinnen und Schüler genauer abgebildet werden. (Abbildung 3.1.11)

„Gymnasien retten Scheeres die Statistik“

Der Tagesspiegel berichtet weiter: Die Bildungsverwaltung verkündete, dass „93 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien und Sekundarschulen einen Schulabschluss haben“[!]

Wie die Senatsverwaltung aufgrund der vorliegenden Ergebnisse zu dieser Feststellung auch für die Sekundarschulen kommt, bleibt ihr Geheimnis (Schulforum-Berlin).

Da die Ergebnisse erst nach 15 Uhr publiziert wurden, blieb nur wenig Zeit, den Angaben auf den Grund zu gehen – „ein Schelm, der Böses dabei denkt“, meinte ein Schulleiter. Erschwerend kommt hinzu, dass das vom Senat mit der Auswertung beauftragte „Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg“ in seiner Zusammenfassung etliche negative Daten nicht erwähnt, geschweige denn erläutert. So bleibt unklar, warum der Anteil der türkischsprachigen Sekundarschüler ohne Abschluss von 11 auf 19 Prozent stieg.

Kommentar der Bildungssenatorin zum ISQ-Bericht

„Wir können uns mit den Ergebnissen nicht zufrieden geben. Sie zeigen, dass unsere Anstrengungen im Bereich der Unterrichtsqualität liegen müssen“, kommentierte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den ISQ-Bericht. Dazu habe sie „Maßnahmen“ erarbeiten lassen, die sie in Kürze vorstellen werde.

Rückblick: Im Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie ist der bereits zehn Jahre vorliegende Beschluss aus dem Jahre 2009 des Berliner Abgeordnetenhauses zur Schulstrukturreform nachzulesen: – Alle Kinder und Jugendlichen sollen zu höchstmöglichen schulischen Erfolgen und die übergroße Mehrheit zum mittleren Schulabschluss [MSA] am Ende der 10. Jahrgangsstufe geführt werden. – Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, sollen sich deutlich verringern (BERLIN-Studie, S. 470)

Die Verfasser der BERLIN-Studie konstatieren: „Kompetenzarmut ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen des Berliner Schulsystems“ (S. 483). Die Bildungsverwaltung bestreitet jedoch einen Niveauverlust und kommt zu der euphemistischen Feststellung: „Die Berliner Schule ist für kommende Herausforderungen gewappnet“. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich.

Da kann man gespannt sein, wie die Berliner Bildungsverwaltung gesamtstädtisch die Bildungserfolge und Übergänge in die Arbeitswelt bestmöglich für jeden einzelnen jungen Menschen gestalten möchte (Schulforum-Berlin).

Siehe auch: F.A.Z. – Bildungswelten, 24.01.2019, Heike Schmoll, Schluss mit der Berliner Anarchie

Zum vollständigen Artikel: https://www.tagesspiegel.de/berlin/bildungsziel-verfehlt-noch-mehr-zehntklaessler-in-berlin-ohne-abschluss/23856886.html

Zum ISQ-Bericht:  Zusammenfassung – Schulabschlüsse im Jahrgang 10, Zentrale Ergebnisse zur BBR, eBBR und zum MSA in Berlin im Schuljahr 2017/18