Herausfordernde Klassen führen – Classroom-Management

„Ohne eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung ist guter Unterricht nicht möglich“

Der Schulpsychologe Christoph Eichhorn ist ein gefragter Experte im Bereich Classroom-Management. Im Interview mit Stefanie Rietzler (Akademie für Lerncoaching) steht der renommierte Autor Rede und Antwort zur Frage:

„Wie können herausfordernde Klassen so geführt werden, dass guter Unterricht überhaupt möglich wird?“ 

Stefanie Rietzler: Herr Eichhorn, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema , haben dazu unzählige Beiträge veröffentlich und viele hundert Fachpersonen weitergebildet. Warum ist Classroom-Management so wichtig?

Christoph Eichhorn: Eigentlich ist es Prävention im Unterricht. Das Ziel besteht darin, den Unterricht so zu organisieren und zu strukturieren, dass sich die Schüler/innen wohl fühlen und gut lernen können. Dadurch soll es seltener zu Störungen kommen, die das Klima belasten. Angenommen, Sie übernehmen eine neue Klasse als Lehrperson. Gleich am ersten Tag stolpern Sie beim Betreten des Klassenzimmers über einen Schüler, der weinend auf dem Boden sitzt. So hatten Sie sich Ihren ersten Tag natürlich nicht vorgestellt.  Aber jetzt sind Sie von einer Sekunde auf die andere voll beschäftigt. Erstmal versuchen Sie vielleicht, das Kind zu trösten, was sich als gar nicht so einfach herausstellt. Dann fragen Sie, was geschehen sei. „Julian hat mir auf den Rücken geschlagen“, bringt der Schüler weinend hervor. „Aber Marius hat mir die Zunge rausgestreckt!“ entgegnet der andere. Was soll man mit diesem Wissen tun? Die Klasse wird in der Zwischenzeit immer unruhiger. Der Unterricht ist noch keine drei Minuten alt und schon ziemlich verfahren. Ein typischer Fall für Classroom-Management!

Dieses unterstützt das Handeln von Lehrpersonen im Unterricht, in dem es ihnen Anhaltspunkte dafür liefert, was gerade wichtig ist und was weniger. Vor allem in schwierigen Klassen. Darüberhinaus bietet es ein breites Repertoire an Anregungen, was Lehrpersonen tun können, damit es in ihrem Unterricht rund läuft. Auf unser Fallbeispiel bezogen bedeutet das: Am wichtigsten ist jetzt, dass sich die Lehrkraft um einen geordneten Start in den Unterricht bemüht. Um dieses Ziel zu erreichen kann sie beispielweise eine Routine einführen, die die Schüler und Schülerinnen dabei unterstützt, das Klassenzimmer angemessen zu betreten. Die Regie führt dabei die Lehrperson.

Stefanie Rietzler: Wie kann das konkret aussehen?

Christoph Eichhorn: Nehmen wir dazu das Beispiel von Herrn Wirz. Er hat von seinem Vorgänger erfahren, dass es sich bei seiner neuen Klasse um eine „schwierige Klasse“ handelt. Also bespricht er mit den Schüler/innen gleich in den ersten Schultagen das Ritual „Klassenzimmer betreten“. Bereits während der Sommerferien hat er für sich geklärt, was er von seinen Schüler/innen erwartet. Dann hat er seine Erwartungen aus Schülersicht formuliert. Diese zeigt er seiner Klasse auf einer Folie:

  • Ich betrete ruhig das Klassenzimmer
  • Ich gehe zügig und direkt an meinen Platz
  • Ich nehme dort gleich mein Lieblingsbuch hervor und beginne zu lesen.

Stefanie Rietzler: In diesem Beispiel bestimmt der Lehrer, welche Regeln gelten. Wäre es nicht sinnvoll die Schüler/innen mit einzubeziehen?

Christoph Eichhorn: Prinzipiell gilt: Je schwieriger die Klasse – desto eher gibt die Lehrperson die Regeln selbst vor.

In der Literatur lesen wir ja immer wieder, dass die Lehrkraft ihre Schüler/innen beim Aufstellen von Regeln und Routinen einbeziehen soll. Ich finde das eine gute Idee. Aber sie hat ihre Grenzen. Und das sind vor allem schwierige Klassen.

Bei schwierigen Klassen ist es oft sinnvoll, dass die Lehrkraft erst einmal bestimmte Vorgaben macht, die darauf abzielen, aktuell besonders problematische Unterrichtssituationen präventiv abzufedern. Wie in unserem Fallbeispiel, die Art und Weise, wie die Schüler/innen ihr Klassenzimmer betreten. Wenn es Herrn Wirz gelingt, seine Schüler/innen bei diesem wichtigen Schritt zu unterstützen, dann hat er einen bedeutenden Beitrag zu einem ruhigeren Klassenzimmer geleistet. Und davon profitieren alle: Lehrer und Schüler/innen. Vor allem fördert er damit die Beziehung zu den Kindern, weil er dann weniger eingreifen und ermahnen muss. Und ohne eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung ist guter Unterricht nicht möglich.

Klar, bei einer Klasse mit kooperativen Schüler/innen und solchen mit hohen Kompetenzen in der Selbstregulation und im Sozialverhalten kann man die Kinder stärker einbeziehen.

Stefanie Rietzler: Viele Lehrpersonen machen die Erfahrung, dass sie die Klassenregeln zwar einführen, aber die Kinder sich nicht daran halten. Woran liegt das?

Christoph Eichhorn: Wenn eine Lehrperson „nur“ mit ihren Schüler/innen über eine Routine spricht, dann haben es einige spätestens am nächsten Tag schon wieder vergessen. Selbst wenn die Lehrkraft exakt erklärt hat, was sie von ihren Schüler/innen erwartet. Natürlich können sie dann den Erwartungen nicht nachkommen – selbst wenn sie es wollten. Es reicht nicht aus, Regeln einfach zu kommunizieren. Sie müssen trainiert werden! Herr Wirz könnte dazu gleich einen Schüler darum bitten, allen nochmal zu erklären, wie das Klassenzimmer betreten wird. Er kann sich bedanken und dann sagen, „wir üben es gleich mal“. Dadurch signalisiert die Lehrkraft den Schüler/innen, dass es ihr wichtig ist, dass das Klassenzimmer angemessen betreten wird. Beim Üben gibt es außerdem die Möglichkeit, den Schüler/innen genau zu zeigen, was man von ihnen erwartet. Und man kann sie entsprechend korrigieren. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Schüler/innen den Ablauf schneller lernen.

Stefanie Rietzler: Üben wird von den Kindern ja oft als öde erlebt. Wie bewegt man die Klasse zur Mitarbeit?

Christoph Eichhorn: Eine wichtige Frage. Wenn wir die Kooperation unserer Schüler/innen erreichen wollen, dann spielt Kommunikation eine Schlüsselrolle. Und diese muss positiv angelegt sein. Unser Ziel ist, diese Routine zu etwas Attraktivem zu machen. Herr Wirz fragt zum Beispiel, „wer will denn zeigen, dass er es schon kann?“ Das ist eine attraktive Formulierung. Klar hätte er auch sagen können, „Dario, du musst es als erster vormachen.“ – kein so günstiger Einstieg. Jetzt aber melden sich einige Schüler/innen. Herr Wirz bedankt sich bei diesen und wählt dann vier aus, die es vormachen dürfen. Auf sein Zeichen hin verlassen sie das Klassenzimmer, kommen wieder rein und setzen sich auf ihren Platz – genau wie besprochen. Herr Wirz lobt diese Schüler/innen. So macht die Lehrperson die Routinen attraktiver. Dann dürfen die Jungen zeigen, dass sie es schon können und dann die Mädchen – oder umgekehrt.

Stefanie Rietzler: Was kann man tun, wenn die Klasse trotz allem Probleme hat, sich an die Regel zu halten oder sich dem Üben entzieht?

Christoph Eichhorn: Manchmal wird sehr ungünstig reagiert. Es fallen Sätze von der Lehrkraft wie: „lernt ihr das nie?“ Oder, „was seid ihr bloss für eine Klasse?“ Damit feuert man aber den Widerstand seiner Schüler/innen an. Ungünstig wäre es auch, wenn man einfach weiter üben würde, obwohl in der Klasse deutliche Zeichen von Unlust offen zu Tage treten. Auch das würde nur den Widerstand einiger Schüler/innen entfachen.

Herr Wirz aus unserem Beispiel achtet stattdessen auf kleine Schritte in die richtige Richtung. Deshalb sagt er, „die meisten von euch haben es sehr gut geschafft. Ihr seid direkt und zügig an euren Platz gegangen, habt euch hingesetzt, euer Buch hervor genommen und zu lesen begonnen“. Sein Tonfall drückt Begeisterung aus. Er agiert also wie eine Art Coach, der ein Team von einer Idee begeistern möchte. Damit lobt er nicht nur die Schüler/innen, die es gut gemacht haben, sondern er formuliert noch einmal detailliert seine Erwartungen. Aber, und das ist entscheidend, in einem Kontext von Wertschätzung und Anerkennung. Durch seine positive Kommunikation gelingt es ihm, die Attraktivität der Routine zu steigern, was die Chancen erhöht, dass seine Schüler/innen sie einhalten. Allerdings reicht das allein bei schwierigen Klassen nicht aus. Daher tut er noch mehr.

Wenn seine Schüler/innen deutliche Zeichen von Widerstand zeigen, lässt er es auf keinen Machtkampf ankommen. Deshalb bricht er das Üben an dieser Stelle ab. Aber, und das ist ganz entscheidend, er fügt hinzu, „wir üben es morgen noch einmal und ich bin sicher, dass ihr es dann noch besser könnt.“ Damit signalisiert er seiner Klasse, dass sie seine Erwartungen noch nicht wirklich erfüllt hat – ohne zu kritisieren. Gleichzeitig vermittelt er damit, dass er den Kindern mehr zutraut.

Stefanie Rietzler: Wovon hängt es ab, ob man eine kritische Unterrichtssituation langfristig in den Griff bekommt? Was sind die häufigsten Stolpersteine?

Christoph Eichhorn: Es kann sehr anspruchsvoll sein, in schwierigen Klassen eine Routine einzuüben. Denn wir haben ja nicht nur das Ziel, dass die Schüler/innen die Routine genau ausführen, sondern das Üben soll in einem positiven und wertschätzenden Kontext geschehen. Es lohnt sich deshalb, sich vorher detailliert Gedanken zu machen. Man kann seine Erwartungen stärker anpassen und sich beispielsweise bereits im Vorfeld darauf einstellen, dass es am nächsten Tag nicht alle korrekt machen werden. Gleichzeitig lohnt es sich, sich Handlungsoptionen für schwierige Situationen zurechtzulegen. Günstig ist es auch, in einer kritischen Situation von Anfang an eine hohe Präsenz zu zeigen. Herr Wirz kann seine Schüler/innen beispielsweise schon an der Tür erwarten, sie dort freundlich begrüßen und dann beobachten, wie gut sie es schaffen, sich direkt an ihren Platz zu begeben. Und hin und wieder kann er einem Schüler zuflüstern: „Das hast du gut gemacht.“ Je präsenter eine Lehrkraft ist, desto weniger stören die Schüler/innen.

Bei wenig motivierten und schwierigen Klassen ist es zudem besonders wichtig, dass die Lehrperson angemessenes Verhalten ihrer Schüler/innen laut beschreibt. In der Fachliteratur wird dies als „narrating positive behavior“ bezeichnet. Im Fall von Herrn Wirz könnte das so aussehen: Während der Lehrer seine Schüler/innen dabei beobachtet, wie sie das Klassenzimmer betreten und zu ihren Plätzen gehen, sagt er: „Anäis, Larissa, Seyma und Dario gehen direkt an ihren Platz, Rahman sitzt ruhig an seinem Tisch und liest schon in seinem Buch“. Er erwähnt natürlich vor allem Schüler/innen, die entweder eher Schwierigkeiten haben, das Ritual einzuhalten oder solche, die weniger motiviert sind.

Als alle an ihren Plätzen sitzen, sagt er: „heute seid ihr schon v-i-e-l besser ins Klassenzimmer gekommen, als gestern  –  prima.“ Er schaut dabei seine Schüler/innen freundlich an und seine Stimme drückt Wertschätzung und Motivierung aus.

Stefanie Rietzler: Was ist, wenn einzelne dennoch aus der Reihe tanzen?

Christoph Eichhorn: Entspannt und gelassen bleiben und üben, üben, üben. Herr Wirz könnte sagen: „wir machen es gleich nochmal.“, wenn die Schüler/innen bestimmte Regeln und Vereinbarungen nicht einhalten, oder sich unangemessen verhalten. Dabei gilt: nicht zu früh aufgeben.

Angenommen, nur vier Schüler/innen brauchen etwas länger, bis sie an ihrem Tisch sitzen. Drei von ihnen holen ihr Buch nicht hervor. Einer der drei schaut aus dem Fenster. Der andere flüstert einem Mitschüler etwas zu. Der dritte sucht etwas in seinem Mäppchen. Alles keine großen Störungen. Nur, die Anforderung von Herrn Wirz lautete, „wenn ich am Platz sitze, nehme ich gleich mein Lieblingsbuch hervor und beginne zu lesen.“ Und das haben diese drei Schüler nicht gemacht. Was jetzt? Soll Herr Wirz darauf bestehen, dass sie die Routine korrekt ausführen? Wenn „ja“, könnte das nicht in offenen Widerstand von Seiten der Klasse umschlagen? Oder soll er es durchgehen lassen – seine Schüler/innen halten ja die Routine schon deutlich besser ein? Je nachdem, für welches Vorgehen er sich entscheidet, wird er in Zukunft mit dieser Klasse deutlich mehr Schwierigkeiten haben oder klar weniger. Classroom-Management empfiehlt Lehrpersonen, auf exakter Regeleinhaltung zu bestehen. Je schwieriger eine Klasse, desto exakter sollte eine Lehrkraft darauf bestehen, dass ihre Schüler/innen ihre Vorgaben einhalten. Warum? Weil sie sonst lernen, „der nimmt es nicht so genau.“ Einige denken sich dann: „Warum sollen wir dann in Zukunft die Anweisungen einhalten?“ Klar, dass sie in der Folge mehr stören. Auf diesen bedeutsamen Aspekt wiesen Wahl, Weinert und Huber schon 1984 hin. Sie erklärten fortbestehende Unruhe im Klassenzimmer damit, dass sich die Lehrperson mit halbem Erfolg zufrieden gibt und den Unterricht bereits wieder fortsetzt, sobald die Unruhe zwar zurückgegangen, aber noch nicht beendet ist. Die Lehrkraft achtet nicht genug darauf, ob wirklich auch sämtliche Schüler der Klasse die Regel einhalten. Vielmehr versucht sie, oft mit lauter Stimme, die verbleibende Unruhe zu übertönen. Ungewollt wird damit das störende Verhalten der Schüler/innen verstärkt.

Stefanie Rietzler: Inwiefern schalten die Schüler/innen auf Widerstand, wenn die Lehrkraft penibel auf die Regeleinhaltung pocht?

Christoph Eichhorn: Das ist eine wichtige Frage, weil wir das ja auf jeden Fall vermeiden wollen. Ob eine Klasse mit ihrem Lehrer kooperiert oder nicht, hängt weniger davon ab, ob die Lehrperson von ihren Schüler/innen einfordert, gegebene Anweisungen genau einzuhalten, sondern vielmehr davon, wie sie kommuniziert. Wenn eine Lehrkraft viel kritisiert und ermahnt, steigt das Risiko an, dass ihre Schüler/innen immer weniger kooperieren. Positive Kommunikation ist also gerade in schwierigen Klassen besonders wichtig. Und auch gegenüber Schüler/innen mit herausforderndem Verhalten.

In Herrn Wirzs Fall handelt es sich um drei Schüler. Er entscheidet sich jetzt dafür, noch einmal üben zu lassen. Zunächst bittet er den Schüler, der es am wenigsten gut geschafft hat, den Ablauf noch einmal kurz zu erklären. Aber der kann den Ablauf der Routine nicht exakt wiedergeben. Was jetzt? Klar könnte Herr Wirz empört reagieren und seinen Schüler zurechtweisen. Er wählt aber einen anderen Weg. Er hilft ihm einfach. Dann lächelt er ihm freundlich zu.

Beim Üben zeigt er wieder hohe Präsenz – vor allem bei den Schüler/innen, bei denen es noch nicht so ganz geklappt hat. Konkret heißt das, dass er Blickkontakt zu ihnen sucht, und sich überwiegend in deren Nähe aufhält. Und er setzt gerade bei diesen Schüler/innen auf narrating positive behavior. Und wenn es einmal gar nicht klappt, flüstert er auch schon mal einer Schülerin zu, „Anäis, bitte gehe direkt an deinen Platz“. Er handelt diskret und höflich, was die Kooperationsbereitschaft seiner Schüler/innen fördert. Auch von denjenigen mit Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung.

Stefanie Rietzler: Wie kann man reagieren, wenn Schüler/innen absichtlich provozieren?

Christoph Eichhorn: Für Classroom-Management Experten ist klar: Sofort reagieren, aber unaufgeregt. Ich empfehle eine Private Practice Session. Bei dieser Methode geht die Lehrperson bei Fehlverhalten eines Schülers einfach davon aus, dass er es noch nicht besser kann – und deshalb mehr Training braucht. Auch dann, wenn ein Schüler offensichtlich provozierendes Verhalten zeigt – wenn Herr Wirz beispielsweise bemerkt, dass zwei Schüler es nicht ganz so genau nehmen und die Routine absichtlich nicht korrekt ausführen obwohl sie es eigentlich könnten. Da wäre es günstig, sich im Klassenzimmer auf keine Diskussionen mit den beiden einzulassen. Auch Ermahnen und Zurechtweisen wäre während des Übens klar kontraproduktiv. Besser ist die folgende Variante: Der Lehrer sagt zu den beiden, „ich möchte euch später treffen.“ Bei diesem Treffen, das im Klassenzimmer nach Schulschluss stattfindet, sagt er freundlich, „schön, dass ihr da seid. Jetzt lasst uns so tun, als wären wir in der Klasse beim Üben. Ihr dürft rausgehen und dann reinkommen und zeigen ob ihr es könnt.“ Tatsächlich klappt es gut. Dann sagt er, „das habt ihr prima gemacht. Wir können gerne noch 15 Minuten weiter üben. Glaubt ihr, dass es wichtig ist, dass wir noch weiter üben, oder könnt ihr es schon?“ In der Regel sagen die Schüler/innen dann, „ich kann es schon“. Herr Wirz schließt ab mit, „prima, dann sehen wir uns morgen. Was ich noch sagen möchte: Wenn ihr es morgen vergessen habt, dann liegt das an mir. Das heißt, dass ich zu wenig mit euch trainiert habe. Ihr müsst euch dann keine Gedanken machen. Ich bin dann gerne wieder bereit, mit euch so zu üben wie heute.“

Dieses Vorgehen bietet sich vor allem bei provokativem Verhalten von Schüler/innen an, die eher noch weniger kooperieren, wenn sie kritisiert oder ermahnt werden. Es handelt sich eigentlich um eine aversive Massnahme. Die Lehrperson kommuniziert aber so, dass der Schüler kaum Ärger oder Aggression gegenüber seinem Lehrer aufbaut.

Manchmal sind auch Spezialaufträge sinnvoll. Herr Wirz könnte zu einer Schülerin sagen, die Mühe mit der Regeleinhaltung hat:, „ich habe einen Spezialauftrag für dich. Willst du wissen, was es ist?“ Und wenn sie „nein“ sagt, dann bleibt es dabei. Wenn sie „ja“ antwortet, dann fährt Herr Wirz weiter, „ich brauche morgen jemand, auf den ich mich richtig gut verlassen kann. Ich brauche nämlich jemand, der beobachtet, was die anderen gut machen – also…“ Er erklärt Anäis genau ihre Aufgabe. Also: nicht darauf achten, was die Mitschüler falsch machen, sondern was sie gut machen. Klar reicht es dann am nächsten Tag aus, wenn Anäis am Schluss sagt, „alle haben es gut gemacht“. Damit stärkt Herr Wirz seine Beziehung zu Anäis und baut ihren Widerstand gegenüber dem Ritual ab. Oft es ist sinnvoll auch diese Gespräche nach Schulschluss zu führen. Dann müssen wir natürlich vorher die Eltern informieren.

Stefanie Rietzler: Vor kurzem hat mir eine Lehrperson berichtet, dass sie sicher sei, dass eine Schülerin sich weigern wird, beim Üben der Routine mitzumachen. Was dann?

Christoph Eichhorn: Eine Lehrperson hat in einem ähnlichen Fall folgendes getan: Sie hat sich am Tag bevor sie die Routine mit ihren Schüler/innen besprochen hat, mit dem Schüler getroffen und etwa folgendes gesagt: „Du weisst doch Adrian, dass es wichtig ist, dass das Betreten des Klassenzimmers gut klappt, damit nicht gleich Unruhe und Durcheinander entsteht. Morgen üben wir das zum ersten Mal. Ich erkläre es erst allen. Und jetzt pass auf. Ich erkläre es dir jetzt schon mal heute. Denn ich hab eine Spezialaufgabe für dich. Wenn du möchtest, darfst du es nämlich deinen Mitschülern vormachen.“

Am nächsten Tag hat sich die Lehrerin vor dem Üben noch einmal kurz mit Adrian abgesprochen. Adrian hat es dann tatsächlich gut vorgemacht. Natürlich hat ihm seine Lehrerin gleich ein Kompliment gemacht. Und am nächsten Tag noch einmal. Da sagte sie zu ihm unter vier Augen: „Schön wie du gestern das Betreten das Klassenzimmers vorgemacht hast – das ist dir richtig gut gelungen“. Sie knüpft also noch ein paarmal an das positive Verhalten ihres Schülers an. Insgesamt ist es ihr gelungen, eine potentiell sehr kritische Situation zu entschärfen und gleichzeitig ihre Beziehung zu Adrian zu vertiefen. Und wenn eine Lehrperson mit einem Schüler wie Adrian vor der ganzen Klasse wertschätzend spricht, dann fördert sie damit auch dessen Ansehen in der Klasse. Das ist deshalb sehr wichtig, weil diese Schüler oft eher am Rande stehen. Sie leiden dann unter fehlender Anerkennung ihrer Mitschüler – und stören mehr.

Diese Lehrperson hat dann noch, nach Rücksprache mit Adrian, dessen Eltern angerufen, und ihnen vom positiven Verhalten ihres Sohnes berichtet. Für diese Eltern war es das erste Mal, dass sie positive Nachrichten über ihren Sohn aus der Schule erfuhren. Der Lehrerin ist also auch gelungen, ihre Beziehung zu Adrians Eltern ein bisschen zu vertiefen. Ein wichtiger Schritt für die weitere Kooperation mit ihnen.

Classroom-Management empfiehlt vorausschauend zu handeln. Unser kurzes Fallbeispiel zeigt das Potential dieses Ansatzes.

Stefanie Rietzler: Das alles klingt nach viel Arbeit – wie kann sich die Lehrkraft entlasten?

Christoph Eichhorn: Gerade in schwierigen Klassen oder bei Schüler/innen mit Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung muss die Lehrperson immer damit rechnen, dass wieder Probleme auftreten. Das zeigt wie anspruchsvoll der Beruf der Lehrkraft ist. Selbst wenn eine Routine oder eine Klassenregel einige Tage oder Wochen tadellos geklappt hat, bedeutet das nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind. Wir müssen in der Schule langfristig denken und vorausschauend handeln. Und damit rechnen, dass selbst bei bestem Classroom-Management immer wieder Probleme auftreten werden. Oft heißt das: akzeptieren, dass das so ist und sich klar machen, dass es dafür viele Gründe geben kann. Die müssen auch gar nicht immer etwas mit der Lehrperson zu tun haben. Vielleicht kommt eine Schülerin aus belasteten familiären Verhältnissen, z.B. wenn ein Elternteil von einer psychischen Krankheit oder Suchtproblemen betroffen ist. Wenn dann aktuell massive familiäre Probleme aufbrechen, dann reduzieren dies die Selbstregulationskompetenz der betroffenen Schülerin. Es fällt ihr dann schwerer, sich angemessen zu verhalten. Hilfreich ist dann, der Schülerin entsprechende Freiräume zu gewähren und die Anforderungen an sie anzupassen.

Auch Patensysteme haben sich im Umgang mit schwierigem Verhalten bewährt. Dabei dürfen Schüler/innen, denen es besonders schwer fällt eine Routine einzuhalten, für eine bestimmte Zeit, z.B. fünf Tage, mit einem Mitschüler, der als Pate fungiert, zusammenarbeiten, der sie punktuell unterstützt.

Besonders wichtig fände ich es, gerade in belastenden Situationen weiter auf Schritte in die richtige Richtung zu achten. In schwierigen Klassensituationen verrutscht unser Aufmerksamkeitsfokus ganz allmählich und oft ohne dass wir uns dessen bewusst werden, auf das was alles nicht klappt. Das kann dazu führen, dass man langsam und ohne es selbst zu merken, in ein negatives Kommunikationsmuster rutscht – also immer mehr über das spricht, was die Schüler/innen falsch machen. Schnell fühlen sich einige Schüler/innen genervt und kooperieren noch weniger. Wenn die Lehrkraft dann noch mehr zurechtweist, entsteht schnell eine negative Spirale. Stattdessen ist es wichtig, weiterhin  positiv zu kommunizieren, z. B. durch bewusstes Benennen dessen, was man an positivem Verhalten bei einzelnen sieht.

Schließlich lohnt es sich, sich aktiv um eine positive Beziehung zu den Schüler/innen zu bemühen. Denn Lehrpersonen mit guten Beziehungen zu ihren Schüler/innen haben bedeutend weniger disziplinäre Probleme in ihrem Klassenzimmer – und ihre Schüler/innen kooperieren besser mit ihnen. Man kann sich beispielsweise aktiv um ein positives Klassenklima bemühen, indem man gezielt kleine Unterrichtseinheiten durchführt, die die Schüler/innen positiv ansprechen.

Stefanie Rietzler: Herr Eichhorn, würden Sie die Kernpunkte für uns zum Abschluss zusammenfassen?

Christoph Eichhorn: Beim Classroom-Management geht es um wirksame Möglichkeiten, die Dynamik und die Entwicklung einer Klasse proaktiv positiv zu gestalten. Die wichtigsten Aspekte sind:

  • Eine gute Beziehungen zu den Schüler/innen und gutes Klassenklima
  • Routinen und Klassenregeln einüben
  • die innere Balance der Lehrperson: Also ruhig und freundlich handeln
  • positive Kommunikation
  • Präsenz zeigen
  • eine gute Beziehung zu den Eltern der Schüler/innen aufbauen
  • interessanter Unterricht, der am Lebenserfahrungshintergrund der Schüler/innen ankoppelt und bewältigbare Herausforderungen bietet.

Abdruck des Interviews mit freundlicher Genehmigung von Christoph Eichhorn.

zu weiteren ausgewählten Artikeln, Vorträgen und Büchern zum Thema „Classroom-Management“ von Christoph Eichhorn

Christoph Eichhorn ist Schulpsychologe und Lehrbeauftragter für Classroom-Management:
– Universität Zürich, Masterstudiengang Schulpsychologie
– Universität Konstanz
– PH Weingarten
– Freiburg Advanced Center of Education: Ein Kooperationsnetzwerk der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Pädagogischen Hochschule Freiburg