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Schule im Dienst der Konzerne?

Fortbildung und Ausstattung in privater Hand


René Scheppler

René Scheppler ist Lehrer an einer Wiesbadener Gesamtschule. Mit den studierten Fächern Geschichte und Deutsch.

Sie sind ein wahrer Innovator, vertrauensvoller Berater, leidenschaftlicher Fürsprecher, authentischer Autor und weltweit tätiger Botschafter? Sie wollen Ihren Kolleginnen und Kollegen den Weg zu effektiver Technologienutzung ebnen?

Sie wollen dem Konzern Microsoft helfen, im Bereich Innovationen führend zu sein? Sie wollen Ihre Ideen für die effektive Nutzung der Technologie im Bildungsbereich verfechten und mit Kolleginnen und Kollegen und politischen Entscheidungsträgern teilen?

Sie wollen Einblicke in neue Produkte und Tools zur Verfügung stellen und für Innovationen werben?

Dann können Sie sich bei den Firmen Apple und Microsoft für die Teilnahme an konzernexklusiven Fortbildungsprogrammen für Lehrerinnen und Lehrer bewerben und – nach Auswahl durch den Konzern und erfolgreicher Teilnahme – zum Microsoft Innovative Educator Expert, Apple Distin guished Educator oder – wenn Sie sich besonders „bewähren“ – zum Apple Certified Trainer avancieren (1). Auf Apple Distinguished Educators trifft man vereinzelt auch in den regionalenMedienzentren, die Schulen im Auftrag der Kultusministerienund Schulträger im Bereich Digitalisierung beraten.

Bild: HLZ 1-2/2019, S. 15, Rene‘ Scheppler

Mit diesen Zertifikaten dürfen Sie dann – als Nebentätigkeit – im Dienst der Konzerne Vorträge halten, Fortbildungen anbieten und Schulen beraten – auch wenn „das Führen eines solchen Titels“ nach einer Auskunft des Hessischen Kultusministeriums nach Vorschriften „in § 58 Abs. 2 HBG sowie in § 3 Abs. 15 HSchG nicht gestattet“ ist (2). Dass sich allerdings eine ganze hessische Schule mit dem Titel einer Samsung Lighthouse School schmücken darf, verwundert dann doch. Aber dazu später mehr…

Microsoft Showcase School…

Auch eine andere Entwicklung ist aus den USA inzwischen in Deutschland angekommen, wie die folgende Erfolgsbilanz von Microsoft zur „Übernahme“ ganzer Schulen dokumentiert:

„Für das Schuljahr 2016/2017 hat Microsoft weltweit 4.800 Lehrende und 851 Schulen aus über 100 Ländern nominiert, darunter sind 175 Lehrerinnen und Lehrer sowie 26 Schulen aus Deutschland. Das Gesamtbudget von Microsoft für die weltweite Bildungsinitiative beläuft sich auf 750 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von 15 Jahren (2003 bis 2018).“ (2)

Als Microsoft Showcase School können sich jedoch nur die Schulen bewerben, „die bereits Microsoft Lösungen wie Surface-Tablets, Office 365 Education, Office Mix, OneNote, Skype oder Minecraft“ nutzen. In Hannover gibt es inzwischen die erste staatliche Schule, die sich als Apple Distinguished School bezeichnen kann. Aber auch diese Auszeichnung erfolgt nicht, ohne dass die folgenden von Apple festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind:

„Ein One-to-One Programm mit iPad oder Mac für Schüler und Lehrer ist seit mehr als zwei akademischen Jahren eingerichtet. Alle Schüler an Ihrer Schule nutzen Apple Geräte als primäres Lerngerät. Alle Lehrer an der Schule nutzen Apple Geräte als primäres Unterrichtsgerät. Lehrkräfte integrieren Apple Apps zur Erstellung von Inhalten (Fotos, iMovie, GarageBand, Pages, Keynote, Numbers und iBooks Author), Lernapps aus dem App Store, Bücher aus dem iBooks Store und Lernmaterialien aus iTunes U intensiv in den Lehrplan. Lehrer verfügen über eine hohe Kompetenz beim Verwenden von Apple Produkten. Für Schulen der Primar- und Sekundarstufe in Deutschland müssen vor Ablauf der Bewerbungsfrist 75 Prozent der Lehrer an der Schule als Apple Teacher anerkannt sein.“ (2)

… und die Samsung Lighthouse School

Im südhessischen Rüsselsheim gibt es die erste und bisher einzige deutsche Samsung Lighthouse School, auf die der Kreis Groß-Gerau als Schulträger des Neuen Gymnasiums und Landrat Thomas Will (SPD) besonders stolz sind. „Wir haben viele Leuchttürme im Kreis Groß-Gerau, aber dieser leuchtet besonders hell“, erklärte Will bei der Überreichung der Urkunde durch die Vertreter von Samsung im September 2015.

Deutlich weniger begeistert zeigte sich Landrat Will von einer Anfrage des Autors dieses Artikels, ob er denn bereit sei, den Inhalt und das konkrete Ausmaß der „Kooperation“ transparent zu machen. Der Vertrag sei schließlich nicht vom Schulträger unterzeichnet worden und er sei als Landrat nur bei der Unterzeichnung anwesend gewesen. Auch das Hessische Kultusministerium erklärte sich für nicht zuständig:

„Da die erbetenen Informationen dem Hessischen Kultusministerium nicht vorliegen, kann Ihrem Antrag nicht entsprochen werden.“ (2)

Die Schulleitung des Neuen Gymnasiums verwies auf „ein schutzwürdiges Interesse (…) der Firma Samsung“, die „die entsprechende Information bereits verweigert hat“. Hierzu muss man wissen, dass auch das Land Hessen seit Mai 2018 ein „Informationsfreiheitsgesetz“ hat. Nach § 80 hat jede Bürgerin und jeder Bürger gegenüber Behörden und öffentlichen Dienststellen einen „Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen“, womit „alle amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung“ gemeint sind.

Nach den zugänglichen Zeitungsberichten und Informationen auf der Homepage der Schule finanziert Samsung als Sponsor der Schule die Einrichtung einer „Tablet-Oberstufe“, wobei die Samsung-Tablets „zu einem reduzierten Preis“ in das Eigentum der Schülerinnen und Schüler übergehen.

Auch andere Elemente der Kooperation sind prototypisch:
• Eine wissenschaftliche Begleitung – in diesem Fall durch den Medienpädagogen Professor Dr. Stefan Aufenanger – sorgt für die nötige Seriosität.

• Als Ausdruck der „Gemeinnützigkeit“ dient die Einbettung entsprechender Kooperationen in Wettbewerbe oder gemeinnützige Stiftungen. In diesem Fall fand die Verleihung der Urkunde an das Neue Gymnasium „im Rahmen der Prämierung des Wettbewerbs IDEEN BEWEGEN der von der Samsung Electronics GmbH geförderten Initiative DIGITALE BILDUNG NEU DENKEN“ statt (3).

„In ihrer Offenheit schon fast putzig…“

In anderen Bundesländern sieht man entsprechende Kooperationen offensichtlich distanzierter. Wolf-Jürgen Karle vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft des Landes Rheinland-Pfalz, der das Ansinnen der IT-Konzerne in einem Artikel der WELT 2013 „in ihrer Offenherzigkeit“ als „schon fast putzig“ (4) bezeichnete, verwies auf die Dienstpflichten der Lehrkräfte:

„Für Lehrkräfte im Beamten- wie im Beschäftigtenverhältnis gilt das Neutralitätsgebot. Jede einseitige Unterrichtung und Information ist unzulässig.“

Lehrkräfte, die sich für den bevorzugten oder ausschließlichen Einsatz von Apple-Geräten im Klassenzimmer einsetzten, verstießen „gegen geltendes Recht in Rheinland-Pfalz“.

Das niedersächsische Kultusministerium erklärte auf dieselbe Anfrage der WELT, dass die von Apple angebotenen „Fortbildungsreisen“ gegen die Antikorruptionsrichtlinien verstoßen, „die für alle beim Land beschäftigten Lehrkräfte gelten“.

Und was soll daran schlimm sein?

„Das ist doch weltfremd.“ Mit diesen Worten und dem Hinweis auf das Auslaufen der Kooperationsvereinbarung im Sommer 2018 kommentierte der stellvertretende Schulleiter des Neuen Gymnasiums eine Anfrage der FAZ zur Pressemitteilung der GEW (5). Den „Mehrwert“ aus der Kooperation „möchte man nicht mehr missen“. Und so sehen das mit Sicherheit auch viele Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Eltern der Schule. Also: Wo ist hier die Gefahr?

In dem Maße, in dem der Staat seine Aufgaben im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung vernachlässigt und sogar an Konzerne mit erkennbaren und formulierten Eigeninteressen zu Gunsten der eigenen Produkte abgibt, verliert er die eigene Expertise in diesem Bereich.

In zahlreichen Bundesländern kann man dies bereits an der erschreckend geringen Zahl von Fortbildungsangeboten staatlicherseits ablesen. So werden beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern wichtige Zukunftsthemen in der digitalen Welt in produktexklusive Fortbildungen ausgelagert.

Werbung in Schulen ist in Hessen ausdrücklich verboten, doch der (neue) § 3 Abs.15 des Hessischen Schulgesetzes zeigt, wo es langgehen kann:

„Schulen dürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zuwendungen von Dritten entgegennehmen und auf deren Leistungen in geeigneter Weise hinweisen (Sponsoring), wenn die damit verbundene Werbewirkung begrenzt und überschaubar ist, deutlich hinter den schulischen Nutzen zurücktritt und das Sponsoring mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule vereinbar ist. Die Entscheidung trifft die Schulleiterin oder der Schulleiter.“

Der Staat vernachlässigt seine Aufgaben

Offensichtlich – und eine andere Lesart ist kaum möglich – ist der Staat nicht mehr in der Lage, den ihm hoheitlich aufgetragenen Verpflichtungen zur vollumfänglichen Finanzierung von Schulen nachzukommen. Auch im Bereich der Lehreraus- und -fortbildung ist man offenbar nicht mehr in der Lage, der Versuchung zu widerstehen, Dritten Zugänge zu gewähren, so dass der Eindruck der Abhängigkeit immer deutlicher wird.

Das Argument, dass sich „die Konzerne nun mal am besten mit der Technik und den eigenen Produkten auskennen“, ist zugleich ein Affront gegenüber den Medienzentren, die trotz viel zu geringer Ausstattung gute Arbeit leisten. Wer sich an derartige Strukturen gewöhnt hat, wird mittelfristig nicht mehr in der Lage sein, sich daraus aus eigener Kraft zu befreien und unabhängig seinen ursprünglichen Aufgaben nachzukommen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns die Frage stellen müssen, wie wir uns aus dieser „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ wieder befreien können. Um eine Generation zu erziehen, die den Mut hat, „sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen“, scheint die Etablierung von Apple Distinguished Schools, Microsoft Showcase Schools und Samsung Lighthouse Schools nicht der vielversprechendste Ansatz zu sein.

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors auf Schulforum-Berlin.

Artikel in PDF-Format und Website des Autors „BildungsRadar“

Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung

Perfektes Zusammenspiel

von Christian Füller

Die Bertelsmann Stiftung wirbt intensiv für die Digitalisierung in Schulen und Hochschulen. Das passt perfekt in die Strategie des gleichnamigen Konzerns: Das Bildungsgeschäft ist seine neue „Cash-Kuh“.

Paul ist 15 Jahre alt und wundert sich. „Wieso steht unsere Schule plötzlich auf einer Homepage der Bertelsmann Stiftung?“, fragt sich der Elftklässler der Evangelischen Schule in Berlin. „Wir machen jetzt ja praktisch Werbung für die.“

So schnell geht das. Im November veranstaltete die Schule mit der Gütersloher Stiftung ein Lern- Lab über „digitales Lernen an der Schule“. Die Schule hatte kaum etwas davon – aber die Stiftung vermarktet es groß im Netz. „Wir sehen in der Digitalisierung das Potenzial“, sagt ein Stiftungsmitarbeiter im Werbevideo, „das große Versprechen des Bildungssystems einzulösen: für Chancengerechtigkeit zu sorgen.“

Kleiner geht´s beim Thema Digitalisierung in der Bildung wohl nicht. Mit digitalen Medien, so heißt es oft, könne endlich Wilhelm von Humboldts Idee – die „vollkommene Persönlichkeit“ – Wirklichkeit werden. Bei Bertelsmann aber schwingt noch etwas anderes mit: Geld. In der Tat verwandelt die Digitalisierung Bildungseinrichtungen in einen gigantischen Markt.

Von diesem Markt will ein Unternehmen profitieren, das ebenfalls den Namen Bertelsmann trägt. Die Bertelsmann S.E., der milliardenschwere Medienkonzern aus Gütersloh. „Bildung ist eine neue Säule für Bertelsmann“, betont Vorstandschef Thomas Rabe seit drei Jahren bei jeder Bilanzpressekonferenz. Bildung soll das dritte Standbein des 20-Milliarden-Umsatz- Konzerns neben Medien und Dienstleistungen werden. Daher ist Rabe weltweit auf Einkaufstour, damit digitale Lernangebote bald Profit liefern können. Bertelsmann hat „Relias“ gekauft, ein großes Portal für Online-Weiterbildungen im Gesundheitswesen. Der Konzern besitzt zudem mit „HotChalk“ ein Unternehmen, das Universitäten hilft, Vorlesungen als Weiterbildungsangebot online zur Verfügung zu stellen – und zu kommerzialisieren. Der größte Coup aber ist dem Konzern mit der Beteiligung an „Udacity“ gelungen. Udacity ist die wahrscheinlich vielversprechendste Online-Universität, die es derzeit gibt. Ihr Gründer, der deutsche Super-Professor Sebastian Thrun aus Stanford, will mit der virtuellen Hochschule sage und schreibe eine Milliarde Menschen erreichen. Und Bertelsmann möchte an diesem Geschäft mitverdienen.

Schöne neue Uni-Welt

Udacity aber ist nicht nur ein aufregender Anbieter auf dem universitären Weltmarkt. Die Online-Uni ist zugleich das Unternehmen, das Jörg Dräger stets in höchsten Tönen lobt. Für ihn ist Udacity der Prototyp der schönen neuen Universitätswelt. Interessant ist, welche Funktion Dräger ausübt: Er ist Vorstandsmitglied und Sprecher der gemeinnützigen Bertelsmann Stiftung.

Wenn er spricht, weiß man freilich nie genau, für wen er das eigentlich tut. Der Stiftungsvorstand hat ein Buch über „Die digitale Bildungsrevolution“ veröffentlicht – in einem Verlag des Bertelsmann- Konzerns. In dem Buch bedankt sich Dräger wiederum – bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung, weil die das Buch ermöglicht hätten. Für die PR hat die Stiftung sogar einen eigenen Vorstandsbereich samt Blog eingerichtet, damit die „Digitalisierung der Bildung“ vorankommt.

Sieht man sich die Strategie von Stiftung und Konzern genauer an, entdeckt man ein perfektes Zusammenspiel: Die Stiftung wirkt wie ein Türöffner. Sie war immer die erste Adresse bei der Beratung von Schulen und Hochschulen. Mit der digitalen Bildung haben die bislang ungleichen Schwestern aus Gütersloh jetzt ein gemeinsames Betätigungsfeld: Die eine bewirbt und verbreitet die Idee digitalen Lernens; die andere ist in der Lage, ein Geschäft daraus zu machen. Bertelsmann besitzt die komplette Verwertungskette für digitale Lern-Produkte. Mit der Stiftung hat der Konzern nun eine Organisation im Vorfeld, die zielgerichtet inmitten seines neuen Marktes steht – der Bildung.

Beispiel Hochschule: Stiftungsvorstand Dräger referiert in seinen Vorträgen unermüdlich, dass bisherige Vorlesungen über neue Distributionskanäle an Hörerinnen und Hörer weltweit geliefert würden. „Massification“ nennt Dräger das. Die Hälfte der Universitäten gehe bei diesem Prozess Bankrott, schätzt er. Konzernvorstand Rabe stellt fest: An Hochschulen werde noch wie vor 100 Jahren unterrichtet. „Das ist nicht mehr nötig.“ Daher habe der Konzern neue Geschäftsideen entwickelt, so Rabe, „zum Beispiel das Bildungsgeschäft“. Noch in diesem Jahr wird Udacity in Deutschland starten.

Beispiel Schule: Das größte Geschäft winkt auch hier mit Lehrvideos. In Hongkong bieten Bildungsunternehmen bereits Filme von Lehrkräften an, die Schülerinnen und Schüler zuhause angucken können. Einige Pädagogen sind dabei Stars geworden, die bis zu vier Millionen Euro verdienen – pro Jahr. Klar ist: Wenn ein Konzern Erfahrung mit der Vermarktung von Videos hat, dann ist es Bertelsmann. 2015 hatte seine RTL-Group sagenhafte 105 Milliarden Videoabrufe. Das sind, noch, keine Lehrfilme. Aber Bertelsmann hat mit RTL das „Trash-TV“ erfunden. Warum sollte es nicht in der Lage sein, sein Know-how in die Produktion von Billig-Lehrfilmchen zu stecken? Eigentlich müssten Konzern und Stiftung streng getrennt agieren. Die Reden der Repräsentanten des Gemeinwohls – Dräger – und des Profits – Rabe – sind aber in puncto Bildung kaum auseinanderzuhalten. Es gibt lediglich einen Unterschied: Dräger flicht in seine „Wir-müssen-die- Bildung-digitalisieren“-Rede stets ein paar kritische Bemerkungen ein. Am liebsten über Datenschutz und „Big Data“.

Freilich enden selbst die kritischsten Sätze des Stiftungssprechers im Unverbindlichen. In einem seiner jüngsten Beiträge etwa warnt er vor „dem gläsernen Lerner“. Aber wie lauten seine Konsequenzen? „Ein digitalisiertes Bildungssystem lebt von der Bereitschaft, persönliche Daten preiszugeben“, schreibt er und stellt fest: „Wir brauchen mehr Datensouveränität, nicht mehr Datenschutz.“

Wir wissen heute, dass sich die Digitalisierung der Schulen nicht vermeiden lässt. Inzwischen sind aber auch eine ganze Reihe von Risiken und Nebenwirkungen bekannt – vom Suchtpotenzial bis zum veränderten Leseverhalten der Schülerinnen und Schüler, von „Hate Speech“ gegen Lehrkräfte bis hin zum Online-Grooming, dem Anbahnen pädosexueller Übergriffe auf Kinder im virtuellen Raum. Von dieser hässlichen Seite der Digitalisierung findet sich bei Dräger und seiner Stiftung so gut wie nichts. Zufall? Oder würde echte Digital-Kritik womöglich dem Geschäft schaden?

Neue Mission

Bertelsmann ist aber nur das markanteste Beispiel für die Arbeit von Stiftungen im Bildungsbereich. Deren Rolle verändert sich gerade. Früher engagierten sich viele von ihnen gegen Bildungsarmut. Mit der Digitalisierung aber haben vor allem die Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund eine völlig neue Mission: Sie rollen unter den großen Überschriften „Teilhabe“ und „Kooperation“ ein großes Trojanisches Pferd in die Schulen – das digitalisierte Lernen samt Endgeräten. Das wird den öffentlichen und nicht-profitablen Charakter von Schulen verändern. Noch nie in der Geschichte stand so viel privates Kapital bereit, den Bildungsbereich zu überschwemmen. Um es mit einem Werbefilm des neuen Konzernarms „Bertelsmann Education“ zu sagen: „Der weltweite Bildungsmarkt hat ein Volumen von über fünf Billionen US-Dollar.“

Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

zum Artikel:  https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel

„Digitale Bildung“: Big Brother is teaching you!

Trojanisches Pferd „Digitale Bildung“. Auf dem Weg zur Konditionierungsanstalt in einer Schule ohne Lehrer?

Ein Vortrag bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Kreisverband Böblingen, zu den Bestrebungen von Google, Apple, Microsoft, Bertelsmann und der Telekom, die Bildung in die Hand zu bekommen. Und warum fast keiner diese Unterwanderung bemerkt.

Peter Hensinger, Pädagoge

Wir hatten schon viele Schulreformen, und nun wird von der Kultusministerkonferenz eine weitere angekündigt, die „Digitale Bildung“: Unterricht mit digitalen Medien wie Smartphone und Tablet-PC über WLAN.1 […]

Die Hauptinitiative der Digitalisierung der Bildung kommt von der IT-Branche. Im Zwischenbericht der Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ steht, wer das Bundeswissenschaftsministerium berät – nämlich Akteure der IT-Wirtschaft: Vom Bitkom, der Gesellschaft für Informatik (GI) über Microsoft, SAP bis zur Telekom sind alle vertreten (BUNDESMINISTERIUM 2016:23). Nicht vertreten dagegen sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen oder Neurowissenschaftler, die sich mit den Folgen der Nutzung von Bildschirmmedien bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Die New York Times schlägt in einer Analyse Alarm: „How Google Took Over the Classroom“  (13.05.2017).2 Mit ausgeklügelten Methoden, den Hype um digitale Medien nutzend, greift Google nach der Kontrolle des US-Bildungswesens, auch der Kontrolle über die Inhalte.
[siehe auch: SZ, 16.06.2017, Google drängt in die Klassenzimmer]

Wer bei der Analyse und Bewertung dieser Entwicklung nur fragt „Nützen digitale Medien im Unterricht?“, verengt den Blick, reduziert auf Methodik und Didaktik und schließt Gesamtzusammenhänge aus. Denn die digitalen Medien sind mehr als nur Unterrichts-Hilfsmittel. Diesen Tunnelblick weitet die IT-Unternehmerin Yvonne Hofstetter. Sie schreibt in ihrem Buch „Das Ende der Demokratie“: „Mit der Digitalisierung verwandeln wir unser Leben, privat wie beruflich, in einen Riesencomputer. Alles wird gemessen, gespeichert, analysiert und prognostiziert, um es anschließend zu steuern und zu optimieren“ (HOFSTETTER 2016:37). […]

Geplant ist, das Schulbuch durch Smartphones oder TabletPCs zu ersetzen. Damit geben wir jedem Schüler eine Superwanze: „Smartphones sind Messgeräte, mit denen man auch telefonieren kann … Dabei entstehen riesige Datenmengen, die dem, der sie analysiert, nicht nur Rückschlüsse auf jedes Individuum erlauben, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes“ (HOFSTETTER 2016:26). Diese Geräte heben die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre auf, sie ist aber ein Garant für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung.3 […]

Die persönlichen Daten aus Facebook, Google und Twitter sind das Gold des 21. Jahrhunderts, v.a. für die Weckung von Konsumbedürfnissen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert deshalb die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Daten, er schreibt, das Ziel von BigData sei es, über den „direkten Kundenzugang … die Kontrolle über die Kundenschnittstelle (zu) gewinnen”. „Ein derartiges Agentenmodell [!!!] gewinnt an Bedeutung, da empirisches Wissen über den Kunden und seine Bedürfnisse von enormem Wert ist” (RB & BDI 2015: 8). Das ist ein wesentlicher Grund, warum die Industrie Smartphones und TabletPCs in KiTas und Schulen etablieren will. Sie ermöglichen die Datenerfassung bereits dort, wo die Kunden der Gegenwart und Zukunft sozialisiert werden: „Die Schulen werden faktisch zu Keimzellen eines Big-Data Ökosystems“, heißt es in einem BigData Befürworter-Buch (MAYER-SCHÖNBERGER 2014:52). Heute schon ist die Überwachung der Verhaltens-, Kommunikations-, Lern- und Entwicklungsdaten und der Handel mit den digitalen Zwillingen ein Milliardengeschäft.5 […]

Führt der Einsatz von digitalen Medien zu besserem Lernen?

Konnte inzwischen mit Vergleichsstudien belegt werden, dass digitale Medien zu besseren Lernerfolgen führen als die bisherige „analoge“ Erziehung? Nein, im Gegenteil. Dazu verweise ich auf die Beiträge auf der Anhörung im hessischen Landtag am 14. Oktober 2016 zum Thema „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“. Die dort vortragenden Experten Burchardt, Lankau und Spitzer weisen nach, dass alle bisherigen Untersuchungen ergaben, dass der Einsatz der digitalen Medien nicht zu besserem Lernen führt. (BURCHARDT 2016, LANKAU 2016, SPITZER 2016). Dazu vier Beispiele: […]

Fußnoten und Literaturhinweise sowie weitere Artikel des Referenten siehe Vortragsskript.

Zum Vortrag:  Peter Hensinger, Trojanisches Pferd „Digitale Bildung“. Auf dem Weg zur Konditionierungsanstalt in einer Schule ohne Lehrer? Diskussionsveranstaltung beim Kreisverband der GEW, Kreisverband Böblingen, am 21.06.2017.


Der Leiter der Telekom-Studie „Schule digital. Der Länderindikator 2015“, Wilfried Bos (Institut f. Schulentwicklung IFS, TU Dortmund), weist auf den fehlenden Nutzen von Digitaltechnik für bessere Unterrichtsergebnisse hin:

„Die Sonderauswertung hat auch gezeigt, dass Staaten, die in den letzten Jahren verstärkt in die Ausstattung der Schulen investiert haben, in den vergangenen zehn Jahren keine nennenswerten Verbesserungen der Schülerleistungen in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik oder Naturwissenschaften erzielen konnten. Die verstärkte Nutzung digitaler Medien führt offensichtlich nicht per se zu besseren Schülerleistungen. Vielmehr kommt es auf die Lehrperson an.“ (S. 8)

Zitiert wird die PISA-Sonderauswertung über „Students, Computers and Learning“. Die laut Bos daraus folgende Konsequenz – noch mehr Digitaltechnik für die Schulen, noch mehr Schulungen der Lehrerinnen und Lehrer durch IT-Anbieter und verpflichtende Direktiven der Rektorate an die Lehrerkollegien, dass Digitaltechnik im Unterricht verpflichtend eingesetzt werden müsse – dürfte eher dem Auftraggeber der Studie (die Telekom ist ein Anbieter technischer Infrastruktur und digitaler Dienstleistungen) denn pädagogischer Notwendigkeit geschuldet sein. Auffällig ist, dass weder nach Altersstufen noch nach Fachinhalten, nicht nach Schulformen oder Unterrichtsmethoden unterschieden wird. Digitaltechnik und die Beschulung durch Software scheint selbst dann Allheilmittel zu sein, wenn OECD-Studien das Gegenteil belegen.

aus:  Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Digitalisierung und schulische Bildung, Anhörung durch die Enquetekommission „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“, Thema „Digitalisierung“, S. 4f (14. Oktober 2016)

weitere Publikationen zu „Digitalisierung und schulische Bildung“ unter: http://lankau.de/category/publikationen/vortraege/

siehe auch:  Bündnis für HUMANE BILDUNG, DigitalPakt Schule der Kultusminister: Irrweg der Bildungspolitik


[…] Die Diskussion um die „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ oder die „digitale Bildungsrevolution“ entbehrt eines wesentlichen Fundaments, nämlich eines rational gebildeten Begriffs von Bildung, ohne den man der sich abzeichnenden Entwicklung und auch dahinter stehenden Interessen in vielfacher Hinsicht hilflos ausgeliefert ist. Die vollmundigen Versprechungen stehen auf tönernen Füßen, es gibt keine empirischen Belege für die in Aussicht gestellten positiven Effekte im Bildungswesen. Die zunehmende Technisierung unterrichtlicher Prozesse droht auf fundamentale und genuine Aufgaben von Schule und Unterricht gegenläufig zu den Verheißungen destruktive Wirkungen zu entfalten, indem sie deren konstitutive Elemente zurückdrängt und beschneidet: Schule und Unterricht als Orte des Miteinanders, der vielfältigen sozialen Interaktion, einer gelebten Solidarität, unterschiedlichster Lehr-Lern- und Sozialformen, des Ausfechtens von Konflikten und Sich-Abarbeitens am Gegenüber, der Freude am (besseren) Argument und der Sache und des gemeinsamen Fortschreitens im Erkennen. Insofern erweist sich der digitale Wandel als dialektischer Transformationsprozess. Es drohen umzuschlagen: selbstbestimmtes Lernen in Fremdsteuerung, Transparenz in Überwachung, Emanzipation durch Zugang zu Informationen in Abhängigkeit von intransparenten, technokratischen Strukturen mit autoritären Zügen, Bildungsgerechtigkeit in kontingenten Zugang zu „analogen“ Bildungsgütern, Fortschritt in Rückwärtsgewandtheit, Wissenschaft in Fixierung des Intellekts auf das Bestehende. […]

aus: Bildung im digitalen Wandel – zur Dialektik eines Transformationsprozesses, Dr. Burkard Chwalek, erschienen in: Beruflicher Bildungsweg – bbw, 7 + 8/2017, S. 6-10

Kritik an der „Kompetenzorientierung“ von Unterricht

Datum:  25.06.2015
Kompetenzen machen unmündig
von Prof. Jochen Krautz
in: Streitschriften zur Bildung, Heft 1, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), BerlinKompetenzen machen unmündig_Krautz

Mit den Streitschriften zur Bildung stellt die GEW Berlin eine Reihe kritischer Texte vor, die jenseits von Parteipolitik und kurzfristigen bildungspolitischen Moden entstanden sind. Die Beiträge der Reihe behandeln Konzepte und Schlagwörter wie z.B. „Kompetenzorientierung“ in ihren strukturellen politischen und ideologischen Zusammenhängen und ermöglichen damit den Blick über den Tellerrand der tagesaktuellen Diskussion hinaus. Auf diese Weise sind sie geeignet, den Horizont der bildungspolitischen Debatte zu erweitern – und sie wieder stärker auf die erlebten Realitäten in den Bildungsinstitutionen zurückzuorientieren.

Vorwort von Sibylle Recke, Fachgruppe Grundschulen, GEW Berlin
Überall werden Stimmen der Unzufriedenheit laut – in den Bildungsinstitutionen bundesweit ebenso wie in Berlin. Das Gefühl, dass in den letzten Jahren etwas ganz gründlich schief läuft, teilen viele miteinander. Am augenfälligsten ist zunächst der Eindruck, dass sich zwischen politischen Absichtserklärungen und dem Berufsalltag von Lehrerinnen und Erzieherinnen ein breiter Graben auftut. Das Feld wird beherrscht von Reformen und Absichten, die häufig mit heißer Nadel gestrickt und dann zum Teil wieder zurückgenommen werden. Die professionelle Neugierde und der Tatendrang werden so überstrapaziert und sinnlos verbraucht. (…)

In den letzten Jahren findet auf allen Ebenen der Gesellschaft eine beliebige Ansammlung von Innovationen statt, die auch vor den staatlichen Bildungseinrichtungen nicht halt macht. (…)

Das durch die Bertelsmannstiftung formulierte Motto „Regieren durch Reformieren“ scheint sich vielfach durchgesetzt zu haben. Pädagogische Stellungnahmen und Expertisen werden medienwirksam von Bertelsmann produziert. Das pädagogische Feld wird damit tendenziell der demokratischen Kontrolle durch die Bürger entzogen und stattdessen werden neue Heilsversprechen durch Stiftungen, Bildungsgurus und Public-Private-Partnership ausgerufen. Leider ist zu befürchten, dass es sich lediglich um die Eröffnung neuer Märkte handelt entsprechend dem neoliberalen Modell, wie es etwa von McKinsey propagiert wird. (…)

Jochen Krautz
Kompetenzen machen unmündig.
Eine zusammenfassende Kritik zuhanden der demokratischen Öffentlichkeit

Der Beitrag fasst die wesentlichen Argumente zur Kritik der„Kompetenzorientierung“ von Unterricht zusammen. Das Kompetenzkonzept wurde durch die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mittels ihrer PISA-Studien als neues Leitziel von Schule durchgesetzt. Dies geschah ohne demokratische Legitimation und am Souverän, den Bürgern, vorbei. Dabei kann das Kompetenzkonzept als wissenschaftlich ungeklärt gelten, es senkt empirisch nachweisbar das Bildungsniveau, widerspricht den Leitzielen eines demokratischen Bildungswesens, zersetzt didaktisches und pädagogisches Denken und Handeln und behindert Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern.

Dennoch wird das Konzept weiterhin bildungspolitisch durchgesetzt. Lehrpläne werden dementsprechend umgeschrieben, Schulbücher danach umgestaltet, Lehrer daraufhin ausgebildet. Millionen von Steuergeldern fließen zudem in entsprechende Forschung.

Daher muss die in der Wissenschaft und von vielen Lehrern geleistete Kritik am Kompetenzkonzept der Öffentlichkeit bekannt werden. Denn das anscheinend rein innerpädagogische Problem ist tatsächlich ein gesellschaftspolitisches, das alle angeht: Eltern, Vertreter von Kultur und Wirtschaft sowie alle anderen Bürger müssen diskutieren, ob sie die Entwicklung einer ungebildeten und unmündigen Jugend hinnehmen wollen. Denn deren Bildungsanspruch wird missachtet, Demokratie, Kultur und Wirtschaft werden gefährdet. (…)

Zum Artikel:   2015_Krautz – Kompetenzen machen unmündig (GEW Berlin)

Statt Bildung – „Bulimielernen“

Datum:  22.04.2012
PISA ist der falsche Weg!
Für gute Bildung – gegen die Produktion von Testwissen!
GEW-Hessen, Pressemitteilung

Anlässlich des Startschusses von PISA 2012 – ab kommenden Montag werden an 250 Schulen in Deutschland wieder rund 6.250 15-Jährige getestet – kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissen-schaft (GEW) Hessen die Interessengeleitetheit und wissenschaftliche Unseriosität der PISA-Studien sowie den durch diese forcierten Um- und Abbau des öffentlichen Bildungssystems.
„Seit Jahren werden die Schulen immer mehr zu Produktionsstätten abfragbaren Wissens umgebaut. Statt um gute Bildung geht es zunehmend um eine aus der Betriebswirtschaft entlehnte Steuerung anhand vermeintlicher ‘‚Erfolgskriterien‘: Egal, wie und mittels welcher bspw. gesundheitlicher Kosten, wichtig ist, welche so genannte ‚Leistung‘ die Schülerinnen und Schüler erbringen. Das soll dann Indikator für gute Bildung sein.
Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus: Statt zu guter Bildung, die immer auch Zeit zum Verstehen und Hinterfragen sowie klare gesellschaftlich definierte Zielsetzungen benötigt, kommt es allerorten mehr und mehr zu etwas, das Schülervertretungen längst als ‚Bulimielernen‘ bezeichnen, und das mit der sukzessiven Abkehr von Bildungsinhalten einhergeht: Immer mehr geht es um den Dreischritt  ‚Lernen, Testbestehen, Vergessen’; immer weniger um Inhalte, Reflektieren, Hinterfragen und Verstehen. Was mittels der Verbetriebswirtschaftlichung von Schulen also tatsächlich forciert wird, muss inzwischen klar und eindeutig als Bildungsabbau bezeichnet werden“, so Jochen Nagel, Vorsitzender der GEW Hessen.
All dies ist dabei ursächlich auch auf die PISA-Studien, auf welche sich fast alle Politikerinnen und Politiker im Lande positiv beziehen, zurückzuführen. Um es mit den Worten der PISA-Macher selbst auszudrücken: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die PISA-Tests mit ihrem Verzicht auf transnationale curriculare Validität (…) und der Konzentration auf die Erfassung von Basiskompetenzen ein didaktisches und bildungstheoretisches Konzept mit sich führen, das normativ ist“[1].
Tatsächlich geht es bei PISA um die internationale Standardisierung von Bildung – bei gleichzeitiger Reduzierung derselben auf so genannte ‚Basiskompetenzen‘, die dann auch noch im Wesentlichen aus ökonomischen Verwertungsinteresssen abgeleitet werden. „Das mag Großunternehmen, besonders denen, die hinter PISA stehen[2] und schon darauf warten, eines Tages einen großen kommerziellen Assessment- und Testing-Markt in Deutschland zu bedienen, nur recht sein. Uns als BildungsGEWerkschaft und Teil des Bündnisses ‚Recht auf gute Bildung für alle’ ist es dies nicht!“, so Nagel weiter. „Insofern ist es an der Zeit, dass die politisch Verantwortlichen endlich beginnen, den von PISA forcierten und von ihnen selbst immer wieder unterstützten Prozess der Deformation des staatlichen Bildungssystems kritisch zu hinterfragen.“
Der renommierte PISA-Kritiker und Professor für Mathematikdidaktik Wolfram Meyerhöfer sekundiert: „Vor 10 Jahren galt man noch als Häretiker, wenn man zeigte, dass PISA nicht testet, was es testen will, wenn man zeigte, dass die Theorie hinter PISA theorielos war, und wenn man sah, dass das Testen als Instrument der Bevormundung der Lehrer und für die Heranzüchtung einer Testindustrie dient. Heute sehen wir, dass diese Industrie unser Denken bestimmt, dass Schule immer noch stärker stranguliert werden kann und dass das Einüben von Ankreuzritualen auch in Kulturnationen möglich ist, wenn die Testindustrie dabei nur mit genügend großer Marketingmacht vorgeht.“
„Dabei wissen wir längst, dass PISA eben nicht Bildsamkeit testet, sondern die Fähigkeit, das Denken der Tester zu erraten. Wir wissen, dass dieses Denken immer verengt ist, zum Mittelmaß tendiert und kreatives Denken bestraft, dass die Tester immer wieder auch unsinnig denken – und es nie bemerken. Wir wissen, dass die statistischen Konstrukte von PISA dazu führen, dass die am Ende präsentierten Länderrankings ebenso gut großflächig ausgewürfelt werden könnten. Wir wissen, dass Testresultate leicht manipulierbar sind. Und wir wissen, dass das Testen uns vom Denken abhält. Wir verlieren nichts, wenn wir PISA einfach einstellen“, so Meyerhöfer abschließend.

[1] Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001, S. 19.
[2] Zu den Interessen hinter PISA siehe bspw.: „Knatsch um Pisa – CDU fordert den Rauswurf des Pisa-Koordinators“; www.nachdenkseiten.de