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»Medientheorie« in der Schule

Plädoyer für ein neues Unterrichtsfach[1]

von Nils B. Schulz

»Medientheorie« als eigenständiges Fach

Wenn man davon ausgeht, dass wir uns in einer der größten kulturellen Revolutionen seit dem Neolithikum befinden, in der sogenannten »digitalen« oder »informatischen Revolution« (über die superlativischen Begriffe mag man streiten), dann scheint es unabdingbar, dass zukünftige Lehrerinnen und Lehrer sich während des universitären Studiums mit dieser Zeitdiagnose auseinandersetzen: philosophisch, soziologisch, sozialpsychologisch, phänomenologisch (im Sinne einer Phänomenologie des Leibes). Vor allem das Referendariat müsste sich medienpädagogischen und medientheoretischen Fragen widmen; bisher geschieht dies aufgrund des Primats der Methoden- und Kompetenzorientierung nur in Ansätzen und oft zu unkritisch. Man könnte dies das Medientheoriedefizit der Lehrerausbildung nennen.

Was den Schulunterricht anbetrifft, verfolgt das KMK-Strategiepapier dezidiert eine integrative Strategie: Alle Fachcurricula müssen ihren »Beitrag« zur Vermittlung der »Kompetenzen in der digitalen Welt«[2] leisten. Eine andere bzw. zusätzliche Option wäre die Etablierung eines neuen Schulfachs »Medientheorie« oder – wie die Bremer Informatik-Professorin Heidi Schelhowe vorschlägt – »Digitale Medien«[3]. Entwicklungspsychologisch wäre es sinnvoll, dieses Fach ab dem 7. Schuljahr zu unterrichten; und überhaupt sollte der Unterricht der Grundschule weitestgehend bildschirmfrei sein.[4] Das Fach »Medientheorie« würde einen neuen Studiengang erfordern, der Lehrerinnen und Lehrer sowohl in Informatik als auch kulturwissenschaftlich und medienphilosophisch ausbildet. Der Vorteil wäre, dass medientheoretische Fragen in der Schule systematisch entwickelt werden könnten. Das jetzige integrative Konzept ist dazu prädestiniert, kognitive Dissonanzen zu produzieren; denn die unterschiedlichen digitalen Nutzungsstrategien der Lehrkräfte konfrontieren die Schülerinnen und Schüler zuweilen mit unkommentierten oder sich diametral widersprechenden Überzeugungen und Verhaltensweisen. Gäbe es das Fach »Medientheorie« als gemeinsam geteilten Bezugshorizont, so könnten Schülerinnen und Schüler ihr dort erworbenes Wissen nutzen, um Digital-Projekte in anderen Fächern und Kursen »medienmündig« (Paula Bleckmann) zu beurteilen. Wenn also der Englischlehrer unkritisch ein Instagram-Projekt durchführt oder die Geschichtslehrerin für die Internetrecherche am interaktiven Whiteboard »Google« als Suchmaschine benutzt, wären die Schülerinnen und Schüler in der Lage, sich dazu reflektiert zu verhalten und zum Beispiel über trackingsichere Alternativen zu diskutieren.

Ein etwas anders konzipiertes Fach, das auf die Kolonisierung der Lebenswelt mit digitalen Geräten reagiert, schlug der Mainzer Philosoph und Kognitionswissenschaftler Thomas Metzinger schon 2006 vor. Metzinger plädierte für eine neue »Bewusstseinskultur« und die Etablierung eines Unterrichtsfachs »Aufmerksamkeitsmanagement«[5], das auch Meditieren beinhalten sollte. Wenn auch der Management-Begriff sicherlich zu ökonomistisch ist, so versucht Metzingers Vorschlag den zunehmenden Aufmerksamkeitsdefiziten Jugendlicher entgegenzuwirken, ja überhaupt erst eine Sensibilität dafür zu schaffen, dass zum Beispiel der Social-Media-Konsum oder auch intensives Computerspielen junge Menschen manipuliert, reizüberflutet und permanent ihr limbisches Belohnungssystem aktiviert. Metzingers Überlegungen sprechen auch für eine Stärkung der Fächer »Kunst«, »Werken« und »Sport«. Der Phänomenologe Gernot Böhme nennt das »antizyklische Bildung«[6].

Den Forderungen nach einem neuen Fach wird jedoch schnell entgegengehalten, dass sich ein weiteres Fach nicht »organisieren« ließe. Die Stundentafel sei zu voll; und wahrscheinlich folgt die KMK-Strategie ja auch diesem organisationsökonomischen Argument. Man möchte an der alten Stundentafel nichts verändern, obwohl man ständig die Disruptions- und Revolutionsmetaphorik im Munde führt. Die zunehmende Ausdifferenzierung der Lebenswelt führt jedoch zwangsläufig zu neuen Fächern, Zeit- und Unterrichtskonzepten; und darüber müsste man nachdenken, ohne durch das gänzliche Auflösen bestimmter Zeitrhythmen und Raumstrukturen, wie es die sogenannte neue Lernkultur mit ihrer Idee der »Lernlandschaften« konzeptualisiert, der inneren Unruhe vieler Jugendlicher  weiter zuzuarbeiten.

»Medientheorie« als Zusatzkurs

In Berlin gibt es seit einigen Jahren immerhin die Möglichkeit, in der Oberstufe sogenannte Ergänzungs- bzw. Zusatzkurse einzurichten. Ein solcher Kurs kann ein »Medientheorie«-Kurs sein, wie ihn zum Beispiel das Robert-Havemann-Gymnasium in Pankow anbietet. Er erstreckt sich über zwei Halbjahre. Zunächst entwickeln die Schülerinnen und Schüler einen Medienbegriff, der im Laufe des Kurses konkretisiert wird, und zwar aufgrund von Lektüren grundlegender Texte der Medientheorie – meistens mit Blick auf das digitale Medium, das die Lebenswelt der Jugendlichen am intensivsten bestimmt: das Smartphone. Leitend ist Dietmar Kampers Formulierung, dass Technik immer janusköpfig ist. Für die Digitaltechnik heißt das, dass man sowohl Steuermann (gr. »kybernetes«) als auch Gesteuerter, »Anhängsel« (Theodor W. Adorno) der Kybernetik ist. Der Kurs thematisiert vor allem Gefahren eines digitalen Überwachungskapitalismus: das Gesteuert- und Kontrolliert-Werden. So kompensiert der »Medientheorie«-Kurs die zuweilen eindimensionalen Methoden anderer Unterrichtsfächer, die den Einsatz von Digitaltechnik weder fachdidaktisch noch datenschutzrechtlich reflektieren.

Die Schülerinnen und Schüler des »Medientheorie«-Kurses analysieren YouTube-Videos, erörtern sozialpsychologische Fragen der Social-Media-Kommunikation, vergleichen digitale und analoge Medien, setzen sich mit den Snowden-Veröffentlichungen und Fragen der Datensicherheit auseinander – auch praktisch. Einige Themen können als Projektarbeiten durchgeführt werden, die dann in eine kleine Ausstellung münden. So engagieren sich die Schülerinnen und Schüler selbst am »Projekt der Aufklärung«. Man vergisst schnell, dass die jetzigen Abiturienten 2013 erst neun Jahre alt waren. Sie hören den Namen »Snowden« in diesem Kurs oft das erste Mal.

Auch wurden in der Vergangenheit immer wieder Exkursionen unternommen: ins Filmmuseum oder ins Kino, um den Desktop-Film »Searching« zu sehen und ihn anschließend im Unterricht zu analysieren, oder zu dem alternativen E-Mail-Unternehmen „Posteo“ in Berlin-Kreuzberg, wo unter anderem die Vor- und Nachteile des Fairphones und ökologische Fragen des Digitalkonsums erörtert wurden, oder auch zu akademischen Vorträgen wie beispielsweise dem »Urania«-Vortrag Shoshana Zuboffs über »Surveillance Capitalism and Democracy«.

Da der Kurs ein sogenannter Zusatzkurs ist, bietet er die Möglichkeit, auf Schülerwünsche einzugehen. Meist sind sie an einer Auseinandersetzung mit dem Thema »Künstliche Intelligenz« interessiert, dem man sich über Spielfilme wie »Ex machina« oder »Matrix« annähern kann. So ist Filmanalyse eigentlich immer ein zentrales Thema des zweiten Halbjahrs. In gewisser Weise wohnt dem »Medientheorie«-Kurs so etwas wie eine kontingente Weiterbildungsstruktur inne, da Schülerinteressen zu einem gemeinsamen Erschließen neuer Themenfelder führen – wie im vergangenen Jahr »Clickbating« oder die medienkritische Aufarbeitung der »Drachenlord«-Berichterstattung, die zugleich das Phänomen des Cybermobbings in den Fokus rückte.

Was zuletzt nicht mehr funktioniert hat, ist eine gemeinsame Offline-Phase von drei (ursprünglich fünf) Tagen; zu abhängig sind die Jugendlichen von der Handynutzung – auch weil viele schulinternen Informationen digital abgerufen werden. Dabei war eine Auswertung dieser Phase in früheren Jahren sehr interessant. Manche Schülerinnen und Schüler beendeten das Offline-Dasein schon nach zwei Stunden: Sie hielten die Abstinenz nicht aus. Dann rückt das Suchtthema ganz konkret in den Fokus. Viele sprachen von unheimlicher Langeweile – ein philosophisch, vor allem phänomenologisch, sehr ergiebiges Thema. Mehr als drei Schüler oder Schülerinnen haben die Offline-Phase nie durchgehalten.

Schließlich bietet der »Medientheorie-Kurs« einen guten Rahmen für Fragen der ästhetischen Bildung. Mediengestützte Vorträge gehören zum Schul- und Prüfungsalltag von Schülerinnen und Schülern. Jedoch ist die gestalterisch-konzeptionelle Arbeit an digitalen Folien selten Gegenstand des Unterrichts; auch deshalb, weil sich  kaum eine Lehrkraft dafür verantwortlich fühlt oder entsprechend ausgebildet ist. So versucht der Kurs Schülerinnen und Schüler für kommunikations- und designtheoretische Fragen zu sensibilisieren, die das Gestalten digitaler Präsentationen betreffen. Dabei geht es weniger um eine Anleitung zur Foliengestaltung, sondern vielmehr um ein Konzept, das Schülerinnen und Schüler unterstützt, mithilfe von Gestaltungsprinzipien und textlinguistischen Überlegungen foliengestützte Vorträge bewusst vorzubereiten und reflektiert zu beurteilen. Es handelt sich um ein offenes Konzept – mit dem Ziel, die Entwicklung der gestalterischen Persönlichkeit zurdern.[7]

Resümee

Der »Medientheorie«-Kurs ist zum einen systematisch aufgebaut, indem er zunächst anhand von theoretischen Texten – von Günther Anders und Marshall McLuhan über Vilém Flusser bis Tilman Baumgärtel – ein Begriffsvokabular entwickelt, mit dem Schülerinnen und Schüler sowohl ihren eigenen Mediengebrauch als auch weitere medientheoretische Fragen reflektieren können; zum anderen ist der Kurs offen für Themen, die Schülerinnen und Schüler aus ihrer eigenen Alltagswelt einbringen.

Würde man ein Fach »Medientheorie« ab der Klasse 7 einführen, müsste man sicherlich induktiver vorgehen und die Themen altersgemäß entwickeln. Ein Desiderat ist überhaupt ein fehlendes Schulbuch, das aktuelle medientheoretische Texte vorstellt und didaktisch aufbereitet. Ein solches Buch würde sich allein schon für das Semesterthema »Kommunikation« des Oberstufen-Lehrplans »Deutsch« anbieten; denn dieses Semester – in Berlin ist es das erste Semester der Qualifikationsphase – konzentriert sich meist auf die Analyse des Kommunikationsverhaltens mittels digitaler Medien.


[1] Die folgenden Ausführungen sind eine überarbeitete und erweiterte Fassung des Kapitels »Oberstufenkurs Medientheorie – ein unterrichtspraktisches Beispiel« in: Nils B. Schulz, Erziehung zur Medienmündigkeit. Überlegungen zu einer moderaten Integration von Digitaltechnik in den Unterricht, in: Handbuch Schulleitung und Schulentwicklung, Dr. Josef Raabe Verlags-GmbH (2/2019), S.14ff.

[2] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018 Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf (S.15f.) (abgerufen am 06.06.2022)

[3] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/digitalisierung-bildung-bremen-schule-100.html (zuletzt abgerufen am 03.01.2019)

[4] Zum Medienkonsum von Jugendlichen und Kindern siehe grundsätzlich Paula Bleckmann, Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit Medien umgehen lernen, Stuttgart 2012 und Ralf Lankau, Was Hans nicht lernt … Kritische Statements zur Digitalisierung in der Grundschule, in: https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/was-haenschen-nicht-lernt-teil-ii.html (abgerufen am 10.06.2022)

[5] Zit. nach Ingo Leipner, Die Katastrophe der digitalen Bildung. Warum Tablets Schüler nicht klüger machen – und Menschen die besseren Lehrer sind, München 2020, S.127

[6] Siehe dazu Gernot Böhme, Analog versus digital, in: ders. (Hg.), Analoge Kompetenzen im digitalen Zeitalter, Darmstadt 2022, S. 9

[7] Siehe dazu Silke Ihden-Rothkirch/Nils B. Schulz, Digitale Folien im Unterricht. Gestaltung und Beurteilung von Präsentationen, in: »Bildungsmanagement. Starke Lehrer – Starke Schule«, Dr. Joseph Raabe-Verlags GmbH (3/2020)

Smartphone-Daten geben Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale

Was dein Smartphone über deinen Charakter verrät

MDR Wissen, 16. Juli 2020, 09:52 Uhr

Für zahlreiche Menschen ist das Smartphone zu einem ständigen Begleiter geworden. Ohne das Telefon in der Tasche, fühlt man sich direkt etwas nackt. Denn es kann ja auch so viel: Apps verraten den Weg, lenken ab oder wir kommunizieren mit unseren Liebsten. Doch das Smartphone erzeugt auch ständig Daten. Und die lassen teils besorgniserregende Rückschlüsse auf unsere Persönlichkeit zu, wie Forschende in einer aktuellen Analyse zeigen konnten.

Smartphones können so einiges – wie viel genau die hoch entwickelten Computer mit den zahlreichen Sensoren können, ist aber den wenigsten Menschen wirklich bewusst. Mit ihnen ist es zum Beispiel ein Leichtes, umfangreiche Aufzeichnungen unseres Verhaltens zu erfassen. Und das kann die Privatsphäre ernsthaft gefährden. Das jedenfalls ist eine Schlussfolgerung von Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München und der renommierten US-Universität Stanford. Das Team um den deutschen Erstautoren Dr. Clemens Stachl hat daher untersucht, inwieweit Smartphone-Daten Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zulassen. Die Analyse ist im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert worden.

Smartphones sammeln umfassend Daten über ihre Nutzerinnen und Nutzer und deren Verhalten – so zum Beispiel den Standort, die Kommunikation oder den Medienkonsum. Das Forschungsteam ist deshalb der Frage nachgegangen, inwiefern sich aus diesen Daten Rückschlüsse auf die sogenannten „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale [Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit, Verträglichkeit, emotionale Stabilität] ziehen lassen. Mit diesem Modell beschreiben Psychologen die verschiedenen Charaktere von Menschen. Frühere Studien haben gezeigt, dass die „Big Five“ ein breites Spektrum von Lebensergebnissen in den Bereichen Gesundheit, politische Partizipation, persönliche und romantische Beziehungen, Kaufverhalten sowie akademische und berufliche Leistung vorhersagen können.

Diese Big Five-Persönlichkeitsdimensionen wollten die Forschenden anhand von sechs verschiedenen Kategorien des Smartphone-Verhaltens bewerten, die über Sensor- und Protokolldaten erfasst worden sind. Die Nutzenden mussten dem Forschungsteam also nicht direkt Auskunft geben, das hat sozusagen allein ihr Smartphone übernommen. Diese Kategorien waren die Kommunikation und das soziale Verhalten, der Musikkonsum, die App-Nutzung, die Mobilität, die allgemeine Telefonaktivität und die Tag- und Nacht-Zeitaktivitäten, schreiben die Forschenden.

Mithilfe eines Ansatzes aus dem maschinellen Lernen haben die Forschenden die Smartphone-Daten von 624 Freiwilligen an 30 aufeinander folgenden Tagen Daten gesammelt und analysiert [mehr als 25 Millionen Datenaufzeichnungen ihrer Smartphones].

Das Ergebnis: Bestimmte Verhaltensmuster in den sechs untersuchten Kategorien haben tatsächlich Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale zugelassen, so das Forschungsteam.

Die Daten ermöglichten eine relativ gute Vorhersage der „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale der Freiwilligen. Diese Vorhersagen seien ähnlich genau wie die, die Social Media-Plattformen aus den digitalen Fußabdrücken ihrer Nutzerinnen und Nutzer – also beispielsweise den Likes auf Facebook – ableiten können. Nur, dass bei den Smartphone-Daten eben nicht extra ein Button angeklickt werden müsse, sondern sie passiv in erheblichen Mengen von den Geräten erfasst würden – zum Beispiel durch App-Nutzungsprotokolle, Medien- und Website-Verbrauch, Standort, Kommunikation oder Bildschirmaktivität.

Vor allem die Analyse der Kommunikation und des sozialen Verhaltens sowie die App-Nutzung lassen Vorhersagen über die Persönlichkeitsmerkmale besonders gut zu. Dabei hätten sich am besten Aussagen über Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion treffen lassen. Bei der emotionalen Stabilität dagegen sei das nur eingeschränkt möglich gewesen und für die Verträglichkeit überhaupt nicht. Und das alles, obwohl die Datenmenge, die sie genutzt hätten, recht konservativ gewesen sei, schreiben die Forschenden. Würde man noch mehr Sensoren und Protokolldaten verwenden, wäre eine präzisere Aussage über die Persönlichkeit mit ziemlicher Sicherheit möglich.

Die Forschenden warnen explizit vor dem Missbrauch dieser Daten für kommerzielle Zwecke oder beispielsweise die Manipulation von Menschen. Es gebe bereits viele kommerzielle Akteure, die schon Daten, wie sie in der Studie verwendet wurden, mithilfe öffentlich zugänglicher Anwendungen sammelten. […]

Hervorhebungen im Fettdruck und Textauswahl im Kasten durch Schulforum-Berlin.

Zum Artikel: MDR Wissen, Was Ihr Smartphone über Ihren Charakter verrät

Weitere Informationen und Fachbeiträge: https://schulforum-berlin.de/category/sozial-media-communities/

Gefahren von Youtube, Whatsapp, Facebook & Co.

„Tausende Programmierer zielen auf dein Hirn“

Tech-Experte Tristan Harris gibt Tipps zur Nutzung von Social-Media und Smartphones im Alltag und warnt vor den Gefahren für Minderjährige.

Tagesspiegel, 08.02.2020, Oliver Voß

Tristan Harris hat das Center für Humane Technology gegründet. Schon während des Studiums am Stanford Persuasive Technology Lab beschäftigte sich Harris mit den psychologischen Effekten von Softwaredesign. Zu seinen Kommilitonen gehörten die späteren Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger. Auch Harris gründete ein Start-up namens Apture, das 2011 von Google gekauft wurde. Er arbeitete dann für den Suchmaschinenkonzern und sorgte dort zwei Jahre später intern mit einer Präsentation für Wirbel. Darin skizzierte er seine Sorge, die Google-Entwickler würden dazu beitragen, dass immer mehr Menschen immer stärker durch Dinge wie die Benachrichtigungsfunktionen von Apps abgelenkt würden. 

Herr Harris, Sie beschäftigen sich mit negativen Folgen der Technologieplattformen. Wie sollten wir Smartphones und soziale Netzwerke nutzen?

Es geht mir nicht darum, wie wir selbst die Dinge nutzen, sondern wie die Technologie gestaltet ist und die Geschäftsmodelle funktionieren. Wir sind dadurch alle ständig abgelenkt, narzisstisch, ständig empört und desinformiert. Die Welt wird durch die Aufmerksamkeitsökonomie immer verrückter und neigt sich immer stärker zu den Extremen, zu Hassrede und Verschwörungstheorien. Das bringt uns in digitales Mittelalter, wo die Leute immer mehr Zweifel daran haben, was wahr ist, und zerstört das Vertrauen in den Gesellschaften.

Wie können wir lernen, die eigene Aufmerksamkeit besser zu steuern?

Es ist sehr schwer. Sobald man Facebook, Twitter oder Youtube öffnet, ist das meist der Anfang vom Ende. Denn auf der anderen Seite des Bildschirms sitzen Tausende Programmierer, zielen auf dein Hirn und kalkulieren, was die ideale Sache ist, die sie dir zeigen und vor deinem Hirn baumeln lassen können. Das ist eine unfaire, asymmetrische Interaktion. Das Beste wäre daher, soziale Medien gar nicht zu benutzen, wenn man es vermeiden kann. Aber für jemanden, der eigene Botschaften verbreiten und damit viele Menschen erreichen möchte, wie Journalisten, aber auch unsere Organisation, ist das sehr schwer. Wir alle sind daher die nützlichen Idioten, die unbezahlten Uber-Fahrer in der Aufmerksamkeitsökonomie.

Haben Sie trotzdem Tipps zum bewussteren Umgang?

Was man tun kann, ist, Social Media nicht auf dem Telefon, sondern nur am Computer zu nutzen. Oder sich danach auszuloggen, sodass man sich wieder anmelden muss – das erzwingt eine bewusstere Nutzung. Außerdem sollte man alle Benachrichtigungen abstellen.
Wenn es um Probleme von richtiger Abhängigkeit geht, ist es weniger eine Frage, was man mit seinem Telefon macht, sondern mit seinem Leben. Haben wir Dinge, die uns wirklich erfüllen? Dann sollten wir dazu greifen statt zum Telefon. Die eigentliche Lösung eines Suchtproblems ist nicht Nüchternheit, sondern wirkliche Verbindungen im Leben.

Was sollten Eltern ihren Kindern erlauben und was nicht?

Es gibt neue Forschungen von Jonathan Haidt, demnach ist es eine gute Praxis, Kindern bis 13 Jahren gar keine eigenen Smartphones zu geben. Das Problem ist aber, dass sich Eltern verpflichtet fühlen, ihre Kinder Telefone nutzen zu lassen. Denn wenn alle Freunde damit kommunizieren, müssen sie es auch, um nicht ausgeschlossen zu sein. Man muss daher die Eltern ermutigen, diese sozialen Normen zu verändern. Man muss in der Gruppe Schulprinzipien finden.

Warum finden Sie Smartphones bei Kindern so problematisch?

Die Gamification der Identität und des Selbstwertgefühls auf Basis von Likes und Followern im Alter zwischen etwa zehn und 14 Jahren ist so schädlich, dass wir sie nicht erlauben sollten. Das ist eine sehr verletzbare Phase des Lebens, in der die Kinder ihre Identität entwickeln. Doch die Lektion aus den Filtern der Smartphone-Apps lautet: Andere Leute mögen dich, aber nur wenn du einen Filter nutzt, der dich schöner erscheinen und anders aussehen lässt, als du eigentlich aussiehst. Das verankert unrealistische Erwartungen an Aussehen und Identität.

Is this the world we live in?

Ich will Technologie aber nicht grundsätzlich verteufeln, Computer sind übrigens großartig. Es geht um das Design von Smartphones und sozialen Netzwerken, die unsere Aufmerksamkeit manipulieren.

Was raten Sie in Bezug auf Videospiele?

Ich habe als Kind auch Computer gespielt. Bei Telefonen sind die Spiele jedoch direkt neben wichtigen Kommunikationswerkzeugen, viele gehen damit schlafen und stehen damit auf. Das ist eine zu große Nähe zum Alltag und eine gefährliche Vermischung. Es ist daher besser, ein spezielles Gerät nur zum Spielen zu haben, das man nur bei bestimmten Gelegenheiten nutzt. Man muss außerdem sehr vorsichtig sein und sich fragen, ob das Geschäftsmodell des Spieleherstellers mit dem Entwicklungsstand des Kindes zusammenpasst. Wer kümmert sich wirklich um die Kinder und wem geht es nur darum, sie an den Bildschirm zu fesseln? Man sollte übrigens auch wissen, dass sehr viele Menschen im Silicon Valley ihre Kinder keine Smartphones und keine Social Media nutzen lassen.

„Wir müssen uns nur den Aufstieg der digital entrümpelten Schulen [in USA] anschauen. Dort wird es Kindern nicht erlaubt, Smartphones oder Laptops zu nutzen. Die arbeiten dort mit Büchern, mit Papier und Stift. Sehr altmodisch. Aber diese Schulen sind sehr teuer und sehr exklusiv. In einigen Fällen schickt die Silicon-Valley-Elite ihre Kinder auf diese Schulen. Was natürlich unheimlich heuchlerisch ist.“ Aus: Welt, 26.11.2019, Interview von Martin Hahn mit dem amerikanischen Historiker und Suchtexperte David T. Courtwright

Einfügen der Bilder und Kasten in den Text durch Schulforum-Berlin.

Schüler unterschätzen ihre Bildschirmzeit

Für das Zeitungs- und Schulprojekt „Gesund und sicher“ untersuchten Jugendliche des Wald-Gymnasiums, Berlin-Westend, wie viel Zeit Schüler am Handy und mit Sport verbringen.

An diesem Text und dem Projekt haben mitgearbeitet: Thea Ossenberg, Leo Boberg, Annie List, Julian Draenkow, Gregor Radtke, Jannis Stöwer, Fiona Christmann, Vivien Meggyes, Elisabeth Fenniger, Hannah-Marla Stein, Jonas Vlachy, Linus Gentz.

Tagesspiegel, 10.03.2020

„Gesund und sicher“ ist ein medienpädagogisches Projekt, das von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung mit ihren Unfallkassen und Berufsgenossenschaften im Rahmen der Präventionskampagne „kommmitmensch“ initiiert wurde. Schülerinnen und Schüler recherchieren anhand konkreter Beispiele Sicherheits- und Gesundheitsthemen in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen. Bei dem Projekt machen zehn Tageszeitungen in ganz Deutschland mit. Im Tagesspiegel erscheinen auf der Lernenseite Artikel von drei Schülergruppen. In dieser Woche schreiben Jugendliche des Wald-Gymnasiums in Berlin-Westend. Sie haben untersucht, wie viel Zeit Schülerinnen und Schüler für digitale Medien im Vergleich zu sportlichen Aktivitäten aufwenden.

Bei unserem Projekt befassten wir uns ein halbes Jahr lang im Bereich „körperliche und geistige Gesundheit“ mit der Erfassung und Deutung der Zeit, die wir Schüler täglich am Handy verbringen, im Vergleich zum täglichen Sporttreiben. Da gerade diese Themen heutzutage in Familien oft zu Streitigkeiten führen und die ständige Handy-Nutzung unserer Generation bemängelt wird, interessierten wir uns vor allem für den Vergleich mit Sport, da dieser, gerade bei den Jugendlichen, in den letzten Jahren immer weiter in Vergessenheit geraten und vernachlässigt worden ist. Wir wollten wissen, welche Bedeutung Sport und digitale Medien an unserer Schule haben und ob es hierbei auch Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgängen gibt.

Dafür haben wir uns als Zeitungsprojekt AG des Wald-Gymnasiums Berlin unter der Leitung von unserer Lehrerin Frau Vivien Meggyes jeden Montag zusammengesetzt und zunächst Ideen für die Untersuchung und Messung dieser Bereiche gesammelt.

Schüler machen Selbstversuche [siehe nachfolgend die Berichte zweier Schülerinnen]

Gerade weil wir alle Jugendliche sind und die meisten aus unsere Generation schon mit einem Smartphone groß geworden sind, war es für einige ausgeschlossen sich vorzustellen, ein Leben ohne Handy zu führen. Das brachte uns dann relativ schnell auf unsere erste Idee zum Thema Smartphone-Nutzung. Diese betraf die Durchführung eines Selbstexperimentes. Jeder der zwölf Teilnehmer steckte sich hierbei eigene Ziele, damit wir eine große Vielfalt an Erkenntnissen sammeln konnten. Es wurde das Sporttreiben verdoppelt, die Handy-Nutzung reduziert und letztendlich auch ganz auf das elektronische Gerät verzichtet. Dies alles geschah in einem Zeitraum von zehn Tagen, in denen wir unsere Erfahrungen dokumentierten.

Nach den Herbstferien, beim gemeinsamen Besprechen unserer Experimente, stellten wir fest, dass nur acht von uns die Herausforderung angenommen hatten. Andere hatten das Experiment nur zum Teil durchgeführt oder meinten, dass sie eh schon wenig Zeit am Telefon verbringen würden. Und auch das Sporttreiben blieb bei einigen auf der Strecke. Eine von uns hatte das Experiment lustigerweise umgedreht und so viel Zeit sie aushielt am Handy verbracht.

Zum einen hat sich bei den Experimenten herausgestellt, dass man in seinen Tätigkeiten ohne Handy oftmals eingeschränkt ist. Alltäglich organisatorische Dinge, wie zum Beispiel Kommunikation, Wegfindung und Absprachen mit Familie und Freunden waren beschwerlich. Ständig hatte man Ängste, man könne etwas Wichtiges verpassen, weil man die „Reminder“ gewöhnt ist. Viele fühlten sich von der Welt abgeschnitten. Ohne ein Smartphone war man auf einmal ein Außenseiter, und für Außenstehende war dieses Verhalten nur schwer zu verstehen. Das größte Problem lag jedoch bei den meisten an der plötzlich auftretenden Langeweile, die viele von uns ohne Handy überkam. Freizeit ist ein Privileg, nachdem sich viele Menschen sehnen, doch ohne Handy hatte man auf einmal viel zu viel von ihr. Es fehlte uns an der Kunst der Selbstbeschäftigung, die wir, wie wir feststellen mussten, mit den Jahren an unsere Smartphones verloren hatten.

Doch auch bei dem Experiment, bei dem es um viel Handy-Benutzung ging, haben wir erschreckende Erfahrungen machen müssen. Hierzu zählte sowohl die entstehende Ungleichheit in der Kommunikation mit dem Umfeld, als auch das Auftreten gesundheitlicher Probleme. Auch hier führte die übertriebene Handy-Nutzung zur Vernachlässigung des Umfeldes. Durch die mitunter 15-stündige Handy-Nutzung am Tag wurde die Welt um einen herum ausgeblendet. Teil des eigenen Lebens, geschweige denn eines gemeinsamen Familienlebens, war man lange nicht mehr.

Jedes Experiment half dabei, uns besser mit unserem Thema identifizieren zu können. Es war eine Bereicherung für das Projekt, aber auch für uns persönlich, da wir merkten, dass auch ein Leben ohne Smartphone möglich ist und viel zu bieten hat.

Mit einem Fragebogen Sport und Medienkonsum vergleichen

Bei unserer zweiten Idee handelte es sich um eine Umfrage, mit Hilfe eines Fragebogens, der sich speziell auf den Vergleich Sport- und Medienkonsum bezog. Wir interessierten uns vor allem für den Vergleich zwischen den jeweiligen Klassenstufen, da wir davon ausgingen, dass es, trotz geringen Altersunterschieden, Unterschiede in der Handy-Benutzung und den Sporttätigkeiten geben würde. Hierfür befragten wir rund 430 Schüler unseres Gymnasiums, aus den Klassenstufen sieben bis zehn. Besonders fiel uns auf, dass wir viel Zuspruch von den Lehrern erhielten, die sich extra Zeit nahmen, damit unsere Umfragen beantwortet werden konnten. Daran konnten wir erkennen, dass unsere Lehrer dieses Thema auch als sehr wertvoll empfinden.

Ebenso wurden wir bei den Auswertungen überrascht. Je älter die Schüler waren, desto mehr Zeit verbrachten sie täglich am Handy. Nicht etwa um zu lernen oder zu kommunizieren, am meisten Zeit ging für die sozialen Medien drauf, die der Unterhaltung dienten. Es bestätigte sich unsere beim Selbstexperiment gemachte Erfahrung, dass das Handy fast nur genutzt wird, um die eigene Langeweile zu bekämpfen. Auch witzig anzusehen waren die Fehleinschätzungen der Schüler, die raten sollten, wie viel Zeit sie täglich am Handy verbringen. Danach durften sie – von den Lehrern erlaubt – ihre richtige Bildschirmzeit nachschauen und stellten alle voller Überraschung fest, dass es doch ein paar mehr Stunden am Handy waren als gedacht.

In Klasse sieben und acht treiben erstaunlich viele Schüler Sport

Trotz dieser Ergebnisse ließ sich im Hinblick auf sportliche Aktivitäten sagen, dass in den Klassenstufen sieben und acht erstaunlich viele Schüler regelmäßig Sport trieben. Mit dem Alter sanken natürliche auch diese Werte. Hierbei fiel auf, dass so gut wie kein Sport mehr in der Schule getrieben wurde. Bis auf den Schulsport und Schulwettkämpfe interessierten sich viele der Schüler nicht dafür, sich auch in den Pausen sportlich zu betätigen, ausgenommen die Fußballfanatiker unter uns. Interessant wäre es hier, mal Berlin weit zu schauen, ob es an anderen Schulen ähnlich zugeht.

Sowohl die Experimente als auch unsere Umfragen zeigten, dass das Handy in unserer Generation einen hohen Stellenwert hat und aus dem Leben der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken ist. Dass das doch so wichtige Sporttreiben immer weiter in den Hintergrund rutscht, wird von den meisten gekonnt ignoriert. Heutzutage gelten andere Prioritäten, wie zum Beispiel gute Kontakte oder eine hohe Follower-Zahl. Doch bedeutet das, dass wir uns in unserem Leben nach unserem Smartphone richten sollten? Können wir noch weiterhin frei entscheiden, was wir gerne tun wollen und was nicht?

Die Untersuchung: Infos und Ergebnisse

An der Untersuchung „Digitale Medien vs. Sporttreiben an der Schule“ haben sich 445 Schüler des Wald-Gymnasiums beteiligt aus den 7. bis 10. Jahrgängen mit jeweils vier Klassen pro Jahrgang. Wir haben die Umfrage mit Hilfe eines selbst erstellten Fragebogens durchgeführt und unsere eigenen Beobachtungen in unserer Zeitungsprojekt AG mit Frau Meggyes später ausgewertet und diskutiert. Die Fragen bezogen sich auf den Zeitpunkt vom Erhalt des ersten Handys und deren Gründe sowie deren Verwendungsart und die Freizeitgestaltung bevor die Schüler ihr erstes Telefon bekamen. Im Bezug auf Sport wurden Zeitrahmen und Sportarten sowie Pausenverhalten im Bezug auf Sporttreiben an unserer Schule erfragt.

Mitunter mussten sich unsere Gymnasiasten der Frage stellen, wie viel Zeit sie in der Woche mit „Digitalen Medien“ auf ihren Smartphones verbringen und wie lange sie im Gegenzug in ihrer Freizeit Sport treiben. Ersteres für die „Bildschirmzeit“ ist mit Hilfe einer App am Telefon erfassbar, manche Telefone haben diese Funktion integriert. Interessant war die Beobachtung, dass die meisten Schüler ihre Bildschirmzeit um circa 10 Prozent unterschätzten. Mit dem Alter steigt der Medienkonsum. Während der durchschnittliche Siebtklässler „nur“ 18,48 Stunden die Woche am Handy verbringt, benutzt der durchschnittliche Zehntklässler 29,35 Stunden Digitale Medien an unserer Schule. Der hohe Anstieg der Mediennutzung könnte mitunter daran liegen, dass viele Schüler mit dem Alter ihre Smartphones nicht nur zum Zeitvertreib, sondern auch für Recherchen benutzen. Beim genaueren Nachfragen haben wir mitbekommen, dass digitale Medien benutzt werden, um sich über Themen zu informieren, Referate vorzubereiten und auch Hausaufgaben zu erledigen. Dennoch wird das Sporttreiben bei den Schülern in allen Klassenstufen vernachlässigt. Dies kann man deutlich bei allen Klassenstufen insbesondere jedoch an dem 9. Jahrgang erkennen. In dieser Klassenstufe wird durchschnittlich nur 1,43 Stunden die Woche Sport getrieben abgesehen vom Schulsport. Das ist eindeutig zu wenig. Das regelmäßige Sporttreiben ist wichtig, denn Körper und Geist brauchen dieses, um uns junge Menschen gesund zu halten und einen Ausgleich für die Schule zu bieten. Des Weiteren haben wir mitunter in der Umfrage erfasst, wann die Schüler ihr erstes Smartphone bekommen haben. Während 8 Prozent der befragten Zehntklässler ihr Handy nach der sechsten Klasse bekommen hatten, hatten die befragten Achtklässler alle ihr Handy schon bis zur 6. Klasse erhalten. Immer wieder sieht man kleinere Kinder mit ihren Smartphones durch die Gegend laufen.

zum Artikel im Tagesspiegel über das Projekt „Gesund und sicher“ – Schüler unterschätzen ihre Bildschirmzeit


Für Teenager unvorstellbar: Eine Woche ohne Smartphone

Für das Zeitungs- und Schulprojekt „Gesund und sicher“ hat die Schülerin Annie List des Wald-Gymnasiums, Berlin-Charlottenburg, eine Woche auf ihr Handy verzichtet. Hier ihr Bericht:

Eine Woche ohne Smartphone – für viele Teenager ist das eine unvorstellbare Situation. Auch ich nutze mein Handy viele Stunden am Tag. Es ist fest in den Alltag eingebunden und gehört zum Leben. Man ist gewissermaßen abhängig von diesem Gerät. Ob man Freunde kontaktieren, das Wetter oder auch nur die Uhrzeit checken möchte, das Handy steht immer zur Verfügung. Doch was passiert, wenn das Smartphone mal nicht zur Stelle ist? In einem Experiment will ich herausfinden, wie sich mein Alltag ohne Smartphone-Nutzung verändert. Deshalb lege ich mein Handy eine Woche zur Seite. Um zu widerstehen, kommt das Handy in eine Box, die zugeklebt wird. Und dann geht es auch schon los.

Gleich am ersten Tag fällt mir auf, dass ich erst meine Schulaufgaben und Hausarbeiten erledige, bevor ich mich ausruhe. Normalerweise wäre ich nach Hause gekommen und hätte erst einmal ein bis zwei Stunden am Handy gesessen. Nun lasse ich mir für alles mehr Zeit und arbeite ordentlicher. Ich benutze meine Armbanduhr, und um Musik zu hören, schalte ich das Radio ein. Ich erledige Dinge, die ich sonst vor mir hergeschoben hätte. Bis zu dem Punkt, an dem ich nichts mehr zu tun habe.

Was fängt man mit der freien Zeit an?

Wahrscheinlich gibt es tausend Dinge, die man machen könnte, doch mir fehlen die Ideen. Ich weiß nicht, wie ich mich beschäftigen soll, und schnell wird mir langweilig. Ich war nie wirklich kreativ, aber man sollte doch wissen, was man mit seiner freien Zeit anfängt? Dieses Problem hat sonst immer mein Smartphone behoben. Ich frage mich, wann mein Handy angefangen hat, mein Leben zu gestalten.

In den nächsten Tagen bestätigt sich mein Eindruck. Man braucht kein Social Media, doch gerade in der Schulzeit fehlt das Handy, um auch mal etwas zu googeln. Ich schaue viel Netflix, um die Langeweile etwas zu bekämpfen, was im Endeffekt ja auch nicht viel besser als Youtube & Co ist. An den Abenden verbringe ich mehr Zeit mit meiner Familie und gehe eher schlafen.

In der Mitte der Woche ist Ferienbeginn, und ich packe den ganzen Tag meine Taschen, um zu verreisen. Meine eigene Musik fehlt mir dabei sehr. Als ich bei meinen Großeltern ankomme, fühle ich mich sehr wohl ohne Handy, da ich so der Familie mehr Zeit widmen kann. Auch hier merke ich, dass mein Experiment viel Aufsehen erregt. Ich denke nicht viel über mein Handy nach, bis ich ständig auf das Thema angesprochen werde. Heutzutage ist es außergewöhnlich, kein Handy zu besitzen, was ich schockierend finde, wenn ich länger darüber nachdenke.

Am letzten Tag ohne Smartphone bin ich mir sicher, dass ich noch weitermachen könnte, doch ich weiß genau, dass ich gleich am nächsten Morgen mein Handy wieder benutzen werde. Der Gedanke stört mich, doch die Neugier gewinnt. Ich will unbedingt wissen, was ich in der Zeit, als ich offline war, verpasst habe. Als es dann so weit ist, schaffe ich es genau bis zum Frühstück. Danach schalte ich mein Handy wieder ein, und wie zu erwarten habe ich nichts Wichtiges verpasst. Ich genieße es, spontan erreichbar zu sein und auf Musik zugreifen zu können, aber für den restlichen Tag nehme ich mein Handy nirgends mit hin.

Wie es nach dem Experiment weitergeht

Nach dem Experiment kann ich meine Handynutzung noch eine Weile stark einschränken. Es wird erst wieder mehr, als mir langweilig ist. Jetzt benutze ich mein Smartphone genauso häufig wie vor dem Experiment. Mir fällt auf, dass ich es fast nur dann benutze, wenn mir langweilig ist. Wenn ich lernen würde, meine Zeit produktiv zu nutzen, könnte ich mein Smartphone-Verhalten stark eingrenzen. Das Handy ist nicht notwendig, aber situationsbedingt vereinfacht es das Leben sehr. Ich werde in Zukunft probieren, es öfter mal zur Seite zu legen.


„Ich wollte schauen, was bei einem übertriebenen Handykonsum passiert“

Die Schülerin Hannah-Marla Stein, Wald-Gymnasium, Berlin-Charlottenburg, hat im Rahmen des Projekts „Gesund und sicher“ ein paar Tage lang so viel Zeit wie möglich am Handy verbracht. Ein Interview:

Welchen Herausforderungen hast du dich bei unserem Selbstexperiment gestellt?
Ich habe mir vorgenommen genau das Gegenteil von dem zu machen, was unsere Lehrerin, Frau Meggyes, ursprünglich vorgeschlagen hat. So kam mir die Idee, dass es viel spannender wäre zu sehen, was passieren wird, wenn ich extrem viel Zeit an meinem Handy verbringe.

Wie lange warst du insgesamt am Handy?
Ich habe während meines Selbstexperimentes in den Ferien ganze 15 Stunden am Handy verbracht.

Womit hast du dich an deinem Handy am meisten beschäftigt?
Am Anfang war ich zunächst in den sozialen Netzwerken unterwegs, wie zum Beispiel auf Instagram und habe geschaut, welche Fotos meine Freunde gepostet haben. Irgendwann jedoch habe ich alle neuen Beiträge gesehen. Die meiste Zeit habe ich dann mit Netflix verbracht. Dort habe ich einige Filme und Serien angeschaut.

Betrachtest du dein Experiment als gelungen?
Ich habe mein Vorhaben nur für einen kurzen Zeitraum von drei Tagen durchgehalten. Danach haben sich die ersten Probleme bemerkbar gemacht, und ich musste das Experiment abbrechen.

Inwiefern ist es dir schwer gefallen so viel Zeit am Handy zu sein?
Schwer fiel es mir am Anfang nicht, da ich auch ohne Experiment viel am Handy bin. Schnell habe ich jedoch bemerkt, dass es nach einer Weile ziemlich langweilig wird.

Hast du irgendwelche Beschwerden bemerkt, nachdem du so viel Zeit am Handy verbracht hast?
Nach den ersten acht Stunden machten sich die ersten Anzeichen bemerkbar: meine Augen fingen an weh zu tun. Nach etwa zehn Stunden bekam ich zunehmend Kopfschmerzen, aber ich wollte mein Vorhaben nicht aufgeben. 

Die Kopfschmerzen wurden dann immer schlimmer und schlimmer. Als ich schon am ersten Tag 15 Stunden an meinem Handy war, musste ich das Experiment in der Form abbrechen. An den folgenden Tagen war ich dann noch 3 bis 4 Stunden am Telefon. Ich hatte extrem starke Kopfschmerzen und meine Augen fühlten sich trocken und voller Druck an. Es machten sich aber nicht nur körperliche Erscheinungen bemerkbar; Meine Laune wurde immer schlechter und ich wurde immer gereizter, je länger ich das Experiment durchgeführt habe. Auch habe ich mich um nichts und niemanden mehr gekümmert um mich herum.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert, dass du so viel am Handy warst?
Zunächst fanden sie die Idee gut, da es sie auch interessierte, ob sich Beschwerden bemerkbar machten. Meine Eltern fing es jedoch schnell zu nerven an, weil ich sozusagen in meiner eigenen Welt und nicht wirklich ansprechbar war. Ich habe sogar Kopfhörer aufgesetzt, um nicht einmal ihre Stimme wahrzunehmen.

Was hast du aus deinem Experiment gelernt?
Auf jeden Fall werde ich meinen Handykonsum in Zukunft erheblich einschränken und ich finde das sollten wir alle tun, da ich erlebt habe, dass es tatsächlich körperliche Schäden verursacht. Auch wenn man es selbst nicht als gefährlich wahrnimmt, bin ich mir jetzt sicher, dass eine hohe Bildschirmzeitzeit zu Langzeitschäden führt. 

Das Interview führte Fiona Christmann.

„Kinder, die vor dem Smartphone oder Tablet hängen, werden immer jünger“

Wo beginnt die Schutzpflicht des Staates?

Gegen frühe Smartphonenutzung: Kein eigenes Smartphone unter zwölf

FAZ, 02.11.2019, Uwe Ebbinghaus

Kinder brauchen kein eigenes Smartphone. Kaufen Eltern ihnen trotzdem eines in jungen Jahren, können sie sie kaum noch schützen. Aus pragmatischen Gründen ist ein Verbot unumgänglich.

Ein Smartphone-Verbot für Kinder muss man schon deshalb vehement fordern, weil die Durchsetzung eines solchen wahrscheinlich in Kürze aussichtslos sein und festgefahrenen sozialen Konventionen widersprechen wird. Denn auf diesen gesellschaftlichen Zustand bewegen wir uns gerade mit großen Schritten zu: Mehrere Studien über das Nutzungsverhalten von Kindern bis vierzehn und Jugendlichen bis achtzehn Jahren stimmen im Kern mit einer aktuellen Erhebung des Digitalverbands Bitkom überein, derzufolge heute schon jedes zweite Kind zwischen sechs und sieben Jahren gelegentlich ein Smartphone nutzt – vor fünf Jahren war es noch jedes fünfte. Ab einem Alter von zehn Jahren ist das Smartphone dann schon „ein Muss“, wie es in der Untersuchung heißt, drei von vier Kindern besitzen eines und mehr als die Hälfte sagt: „Ein Leben ohne Handy kann ich mir nicht mehr vorstellen.“ 

Pressegrafik bitkom

Wobei dieser Befund niemanden, der mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, überraschen wird. Besorgniserregend aber ist es, sich empirische Erhebungen über die genaue Nutzungsart und -dauer bei jungen Menschen anzuschauen. So ist vor wenigen Tagen von der amerikanischen Kinderschutzorganisation Common Sense eine Studie veröffentlicht worden, die manchem die Augen öffnen dürfte. Ihr ist zunächst zu entnehmen, dass die Tweens, also Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, im Durchschnitt knapp fünf Stunden am Tag vor Bildschirmen, zu denen auch das Fernsehen oder die Leinwand zählen, verbringen. Bei den Teens, den Dreizehn- bis Achtzehnjährigen, sind es bereits mehr als sieben Stunden. Frustrierend, sich diese Leben vorzustellen.

Immerhin haben sich diese Gesamtzahlen in den vergangenen vier Jahren nur geringfügig verändert. Was zugenommen hat, ist, gerade bei den Tweens, die Aufrufzeit von Online-Videos, die sich seit 2015 von einer halben auf eine ganze Stunde täglich verdoppelt hat. Speziell auf dem Smartphone hat sich die Verweildauer sogar mehr als verfünffacht. Vor allem diese letzten Zahlen beunruhigen die amerikanischen Jugendschützer, zumal die meisten Eltern nicht wissen, was der Nachwuchs sich in dieser Zeit auf dem Smartphone anschaut. Es ist jedenfalls nicht die Kinderversion von Youtube, die der Google-Konzern als Alternative zum regulären Videoportal anpreist. Denn laut „Washington Post“ nutzen Kinder Youtube Kids kaum, und mit dem Erstellen kreativer Inhalte, dem Recherchieren oder dem Online-Lesen verbringen sie laut Common Sense weniger als zehn Prozent ihrer Bildschirmzeit.

Im höchsten Maße schädlich

Eigentlich müssten diese Ergebnisse alle Eltern und Jugendschützer alarmieren. Stattdessen wird von Serviceangeboten wie „Schau hin“, die vom deutschen Familienministerium gefördert werden, zwar einerseits festgestellt, dass die Reife für den verantwortlichen Umgang mit dem Smartphone erst im Alter von zwölf Jahren erreicht wird, zugleich heißt es aber an anderer Stelle, Smartphones für Kinder in einem früheren Alter seien „gut zu sichern“. [Diese Funktionen setzen voraus, dass man sein Nutzungsverhalten kritisch reflektiert und daran etwas ändern will.]

Damit wird den Eltern komplett die Verantwortung übertragen und nicht etwa, wie es beim Jugendschutz sonst üblich ist, auch dem „Anbieter“, der, denken wir an Whatsapp oder Youtube, seine Hände, abgesichert durch zynisch strenge Altersbegrenzungen, in Unschuld waschen kann.

Die Anbieter vertritt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM). Dies sind mehr als 2.700 Unternehmen der digitalen Wirtschaft, unter ihnen 1.000 Mittelständler, 500 Startups und nahezu alle Global Player. Argumentiert dieser Interessenverband im Sinne und zum Wohle der Kinder und Jugendlichen? Schulforum-Berlin

Es ist dem Bitkom-Präsidenten zuzustimmen, wenn er sagt, dass sich Smartphones aus unserer Zeit „nicht mehr wegdenken“ lassen und Kinder den Umgang unter Aufsicht der Eltern erlernen sollten. Besitzen Kinder jedoch ein – und das ist entscheidend – eigenes Smartphone, werden nicht nur die Eltern durch eine Dauerüberwachung überfordert, sondern, wie die Untersuchung von Common Sense ergibt, vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien benachteiligt, deren Nutzungszeiten deutlich über denen aus besserverdienenden Familien liegen. Man kann das Smartphone eines Kindes gegen allerlei absichern. Diese Sicherungen sind aber leicht zu umgehen. Und da die Inhalte, auf welche Kinder dann bereits zugreifen können, im Sinne des Jugendschutzgesetzes potentiell ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl gefährden, führt aus rein pragmatischen Gründen kein Weg an einem Verbot des Smartphones für Kinder unter zwölf, besser noch unter vierzehn Jahren vorbei.

Alles an Smartphones, darauf hat der Internetpionier Jaron Lanier immer wieder hingewiesen, ist hard- und softwareseitig von den klügsten Köpfen ihres Faches derart designt, dass sie eine möglichst lange Nutzungsdauer erzeugen sollen. Für Kinder ist das im höchsten Maße schädlich, von der Gefahr des Cybermobbings und Datenmissbrauchs einmal ganz abgesehen. […]

Grau unterlegte Einschübe, Texthervorhebungen im Fettdruck und Einfügung der Grafik durch Schulforum-Berlin.

zum Artikel: FAZ, 2.11.2019, Uwe Ebbinghaus, Gegen frühe Smartphonenutzung: Kein eigenes Smartphone unter zwölf
siehe auch: TSP, 31.10.2019, Sascha Karberg, Florian Schumann, Tilmann Warnecke, Marie Rövekamp, Kein Kinderspiel
siehe auch: Stellungnahme des Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach

„Körperlich anwesend und mehr nicht“

Abhängig vom Smartphone „Wem schreibst du denn? Wir sind doch alle hier“

Die Eltern regen sich auf, die Uni erfordert Konzentration – doch niemand kann es zur Seite legen. Ein Generationen-Gespräch über Tücken des Smartphones.

Tagesspiegel, 28.02.2019, Claudia Seiring, Kim Jüditz

Steckbrief Kim
Alter: 20 Jahre, Jahrgang 1998. Tätigkeit: Studentin an der Hochschule in Lingen im Fach Kommunikationsmanagement; momentan Praktikantin beim Tagesspiegel. Erstes Handy mit 10 Jahren; damals schon oft allein zur Schule gegangen, außerdem sollte das Handy mir die Möglichkeit geben, öfter mit meinem Vater zu telefonieren, von dem ich getrennt lebte. Mein erstes Smartphone hatte ich mit 13. Soziale Netzwerke: Auf Whatsapp und Instagram sehr aktiv, stetiger Begleiter; Facebook und Twitter nur passiv, um auf dem Laufenden zu bleiben; Snapchat gar nicht mehr, Pinterest gelegentlich als Inspiration. Motto: Ich versuche, mein Smartphone bewusster zu nutzen. Das persönliche Gespräch wird mir immer wichtiger.
Steckbrief Claudia
Alter: 56 Jahre, Jahrgang 1962. Tätigkeit: Redakteurin im Newsroom des Tagesspiegels. Erstes Handy im Jahr 2000, erstes Smartphone 2011. Soziale Netzwerke: Facebook, Twitter und Instagram vor allem passiv, WhatsApp intensiv, Messenger gelegentlich. Motto:  Der Griff zum Smartphone darf kein Automatismus sein (bleiben).

Am Anfang war das Gespräch: Redakteurin Claudia Seiring und Praktikantin Kim Jüditz unterhielten sich über ihre Smartphones – und darüber, wie sehr sie ihnen verfallen sind. Dabei stellte sich heraus, dass beide eine gewisse Abhängigkeit zu dem Gerät fühlen – auf unterschiedliche Art und Weise. Außerdem wurde klar, dass es in beiden Familien immer wieder – auch genervte – Diskussionen über die „angemessene“ Handynutzung gibt.

Kim ist 20, die beiden Söhne von Claudia sind 21 und 18 Jahre alt. Kims Mutter ist derselbe Jahrgang wie Claudia. Nach dieser Erkenntnis beschlossen beide, über das Thema „Smartphone“ ausführlicher zu diskutieren. Während des Dialogs wurde immer deutlicher, wie vielschichtig das Thema ist und wie vielfältig es sie betrifft. Das „Gespräch“ führten die beiden schriftlich. Also recht altmodisch.

Claudia: Liebe Kim, das freut mich, dass Du Lust hast, mit mir über das leidige Thema „Handy“ zu sprechen. Ich bin manchmal so genervt, wenn meine Kinder da rein starren. Und dann stelle ich fest, dass ich selber durch das Ding total abgelenkt bin. Wir haben in unserer Familie eigentlich die Regel: Kein Handy in der Küche. Und: Immer nur ein Medium im Raum … also nicht Fernseher und Handy gleichzeitig. Wie ist es bei Euch?

Kim: Liebe Claudia, ich freue mich auch darauf, die Möglichkeit zu haben, einmal meine Perspektive zu dem Thema schildern zu können. Meine Eltern sind seit meinem vierten Lebensjahr getrennt, beide sind seit einigen Jahren wieder glücklich verheiratet. Ich verstehe mich gut mit den neuen Partnern und kann mit allen offen sprechen, es kann über jegliche Themen diskutiert werden.

Wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch bin – egal welchen –, kommt das Thema „Handy“ ziemlich oft auf den Tisch. Sie merken, wie oft ich doch an dem Teil hänge und meine Aufmerksamkeit manchmal sogar davon unterbrochen wird, wenn wir uns unterhalten. Ich selbst verstehe den Ärger, mich nervt allerdings die ständige Konfrontation und die Einstellung, es sei alles „schlecht“. Auch bei uns haben wir die Regel: Kein Handy am Esstisch. Da sich meine Eltern aber teilweise selbst nicht dran halten, hat das wiederum Auswirkungen darauf, wie ernst ich es nehme. Klappt das mit dem Einhalten der Regeln bei euch besser? Was nervt dich besonders?

Die Eltern stellen die Regeln auf – und bilden die Ausnahmen

Claudia: Als ich las, dass Deine Eltern sich selbst nicht an die Regeln halten, wollte ich spontan (und selbstgefällig) antworten: Ich nutze das Handy in der Küche nie! Dann fiel mir ein: Doch. Zum Beispiel wenn ich „nur schnell“ etwas nachgucken will … Oder wenn ich den anderen einen lustigen Film/Text zeigen will … Und dann noch, wenn noch jemand anrufen wollte … Ich bin also genauso wie Deine Eltern.

Das wird übrigens von meinen Kindern auch total kritisiert: dass wir Eltern Regeln aufstellen und dann selber die Ausnahmen bilden. Mir war das gar nicht so klar, dass das sehr genau beobachtet wird. Dabei muss ich sagen: Ich bin für die Ablenkung durch das Smartphone viel anfälliger als mein Mann. Der ist in unserer Gegenwart kaum am Handy. Wenn er es länger nutzt, zieht er sich dafür in einen anderen Raum zurück. Das schaffe ich so nicht.

Logisch, dass Dich die Konfrontation mit Deinen Eltern nervt: Soll sie ja auch! Sage ich mal etwas provokant. Ich will ja auch, dass meine Kinder sich Gedanken darüber machen, wie sie rüberkommen: ignorant, abwesend, desinteressiert. Wir verbringen ja sowieso nicht mehr viel Zeit miteinander – meine Söhne sind 21 und 18 –, aber die Zeit, die wir gemeinsam haben, will ich dann auch pur.

Das gilt zum Beispiel bei unserem einzigen Fernseh-Ritual. Wenn sie beim „Tatort“ oder „Polizeiruf“ parallel ins Handy starren, bin ich total genervt. Natürlich frage ich mich, warum? Die Antwort: weil es kein gemeinsames Fernseh-Erlebnis mehr ist. Auch wenn wir nicht permanent plappern, während der Krimi läuft, wirft man sich doch mal einen Kommentar zu. Das ist dann vorbei, wenn einer sich ausklinkt. Körperlich anwesend und mehr nicht. Schaut ihr zusammen Fernsehen oder Filme? Wie ist es da?

Kim: Wenn ich mit meiner Familie einen Film schaue, ist das ähnlich. Ich kann total verstehen, dass dich das nervt, wenn deine Kinder mental einfach woanders sind. Mir würde es genauso gehen. Wenn ich mit Freunden einen Film schaue, finde ich es auch blöd, wenn sie sich nebenbei noch mit anderen Leuten über WhatsApp unterhalten oder durch ihren Instagram-Feed scrollen.

Und wenn mich meine Eltern dann mal dabei erwischen, wie ich während des Films nach neuen Nachrichten schaue, fragt mich mein Stiefvater immer allzu gerne: „Wem schreibst du denn? Wir sind doch alle hier“. Ich habe dann sofort ein schlechtes Gewissen und merke, dass ich mein Handy ganz unbewusst in die Hand genommen habe. Die Stelle im Film war gerade nicht so interessant – schon wird die Aufmerksamkeit dem Smartphone geschenkt.

Mutter und Smartphone im Kampf um Aufmerksamkeit

Claudia: Oh ja, das kenne ich genau. So, als dürfte bloß kein Moment der Langeweile aufkommen, als dürfte die Spannung nicht eine Minute abfallen. Manchmal macht mich das richtig wütend. Warum? Weil ich das Gefühl habe, gegen das Smartphone antreten zu müssen. Nach dem Motto: Wer ist unterhaltsamer? Wer ist aufregender? Wer ist interessanter? Dabei ergeben sich doch Gespräche nicht von jetzt auf gleich, sondern müssen sich entwickeln. Aber ich merke auch, dass mein älterer Sohn das teilweise unbewusst macht, der Griff nach dem Handy zum Automatismus geworden ist.

Kim: Und genau dieses Unbewusste macht mir sogar ein bisschen Angst. Ich muss einfach zugeben, dass ich und mit Sicherheit auch der Großteil meiner Generation, abhängig bin von dieser virtuellen Welt. Sobald ich gerade nichts zu tun habe, werfe ich einen Blick auf mein Handy. Wir sind ständig erreichbar und up-to-date, inszenieren uns täglich auf sozialen Plattformen und wollen immer überall mit dabei sein.

Das macht einerseits Spaß und ist einfach Bestandteil des Alltags, hat jedoch auch seine Schattenseiten. Ich merke immer wieder, dass eine Pause manchmal gar nicht so schlecht ist. Beim Lernen zum Beispiel: In der Klausurenphase sitze ich acht Stunden am Schreibtisch und lege das Handy bewusst weg. Wenn ich das nicht tun würde, wäre ich alle fünf Minuten abgelenkt.

Wie beobachtest du die Handynutzung bei deinen Kindern? Wie ist das bei dir? Ertappst du dich vielleicht auch manchmal dabei, unbewusst am Handy zu hängen?

Der kleine Bruder will nicht in der Instagram-Story auftauchen

Claudia: Ja, ich ertappe mich auch dabei. Und tatsächlich schalte ich morgens oft gleich das Handy an. Nach dem Motto: Hat jemand geschrieben? Ist was passiert? Am Besten ist es, wenn ich das Smartphone nicht im gleichen Raum habe, dann ist der Automatismus unterbrochen.

Wie sehr das Ding mittlerweile meinen Alltag bestimmt, merke ich vor allem im Urlaub. Früher, bis vor zwei, drei Jahren war klar: Handy aus. Ferien von allem, bloß keine Nachrichten, einfach mal abschalten. Heute nutze ich das Handy gerade im Urlaub oft: Um Fotos zu machen aber auch, um Routen zu planen, Verkehrsverbindungen zu checken oder den Flug online zu bestätigen.

Bei meinen Kindern scheint mir die Nutzung so unterschiedlich, wie die beiden sind. Der eine ist Instagramer, hat viele Follower und stellt oft Fotos ins Netz. Er ist viel in Interaktion, jemand, der bevor er im Restaurant den ersten Happen isst, das Essen postet … Der andere nutzt das Smartphone eher zur Kommunikation mit seinen Freunden, weniger für die unbekannte Öffentlichkeit. Und achtet genau darauf, dass er von seinem Bruder nicht in eine Story eingebunden wird, ohne davon zu wissen. Will also nach seiner Zustimmung gefragt werden – und gibt sie nicht immer.

Das, was Du mit der Klausurenvorbereitung beschreibst, habe ich übrigens auch von meinen Kindern gehört: Um sich wirklich aufs Lernen zu konzentrieren, machen sie das Handy aus. Weil es ihnen sonst zu schwerfällt, nicht zu reagieren wenn es piept, brummt oder ein Foto aufploppt. Glaubst Du eigentlich, dass das schon Suchtcharakter hat?

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