Brandbrief warnt vor Quereinsteigern an Grundschulen

„Unabsehbare Folgen für den zukünftigen Bildungserfolg der Kinder“

Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), der rund 80 Professorinnen und Professoren und weitere wissenschaftliche Mitarbeiter angehören, warnt aufgrund des eklatanten Lehrkräftemangels und des verstärkten Quereinstiegs im Grundschulbereich vor den unabsehbaren Folgen für den zukünftigen Bildungserfolg der Kinder. Durch die massive Beeinträchtigung der Professionalität im System Grundschule können für die Kinder am Anfang ihrer Bildungslaufbahn, für ihre Bildung und Erziehung, erhebliche negative individuelle und gesellschaftliche Folgen resultieren.

In ihrer Funktion als Vertretung der wissenschaftlichen Grundschulforschung und der Grundschulpädagogik nimmt die Kommission mit großem Unverständnis die derzeitige Praxis zur Kenntnis, dass in vielen Bundesländern eine sehr große Anzahl von Personen OHNE entsprechende fachliche, fachdidaktische und vor allem pädagogisch-psychologische Qualifikation als sog. Seiten- und Quereinsteiger in den Schuldienst der Länder eingestellt und sogar dauerhaft übernommen wird. Gleiches gilt für Studierende, die ihr Studium noch nicht beendet haben, aber gleichwohl an Grundschulen bereits eigenverantwortlich unterrichten. Über diese Praxis sind zunehmend Personen im Schuldienst der Grundschule tätig, die kein wissenschaftliches Lehramtsstudium der entsprechenden Schulform und kein Referendariat abgeschlossen haben. […]

Die Kommission führt weiter aus: Professionelle Grundschullehrkräfte benötigen sowohl fundierte fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenzen in den grundschulrelevanten Unterrichtsfächern als auch eine bildungswissenschaftliche Ausbildung mit grundschulpädagogischen und grundschuldidaktischen Schwerpunkten.

Die spezifischen inhaltlichen Anforderungen an den Grundschullehrberuf ergeben sich aus der Tatsache, dass die Grundschule als erste Schule im Bildungssystem und als Schule für alle Kinder für die grundlegende Bildung verantwortlich ist. Grundlegende Bildungsprozesse anzuregen, zu begleiten und zu unterstützen, Kinder in die sog. Kulturtechniken einzuführen und dabei allen Kindern mit ihren je eigenen und höchst unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gerecht zu werden, stellt sehr hohe Anforderungen an den Grundschullehrberuf. Gerade die gestiegenen Herausforderungen an einen im umfassenden Sinne inklusiven Unterricht erfordern besondere professionelle Kompetenzen. [..]

Die durch das Studium des Lehramts für Grundschulen und dem anschließenden Referendariat erreichten Qualitätsstandards werden durch die Einstellung von nicht adäquat ausgebildeten Personen massiv konterkariert. Ein vergleichbares Vorgehen beispielsweise in der Medizin würde als vollkommen verantwortungslos bzw. als undenkbar bezeichnet.

Die Kommission betrachtet die Einstellung von Seiten- und Quereinsteigern deshalb mit großer Beunruhigung und sieht in dieser Entwicklung sowohl einen erheblichen Rückfall hinter die geltenden Standards für die Qualifikation von Grundschullehrkräften als auch eine massive Beeinträchtigung der Professionalität im System Grundschule. Für Kinder am Anfang ihrer Bildungslaufbahn, für ihre Bildung und Erziehung, können daraus erhebliche negative individuelle und gesellschaftliche Folgen resultieren. […]

Die Kommission fordert deshalb alle in der Bildungspolitik verantwortlichen Personen in den Bundesländern dazu auf, ihrem Auftrag gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass die scheinbar notwendige Einstellung von Seiten- und Quereinsteigern zwingend mit Maßnahmen verknüpft wird, die die Professionalität aller dauerhaft in Grundschulen als Lehrkraft tätigen Personen sicherstellt. Dies kann qualitativ nur durch eine professionsbezogene Nachqualifizierung und quantitativ durch entsprechend hochwertige Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen, in „Schnellkursen“ können keine wissenschaftlichen und universitären Standards des Grundschullehrberufs erreicht werden. Zusätzlich sind längerfristige Maßnahmen wie der Ausbau von Studienplätzen zu ergreifen, um zukünftig den Bedarf mit grundständig und vollständig ausgebildeten Lehrkräften decken zu können.

Die Reaktion auf den Brandbrief: Die Bildungsverwaltung in Berlin wiegelt ab. „Keine signifikanten Unterschiede“ zwischen gelernten Lehrern und Quereinsteigern festgestellt.

Der Gesamtpersonalrat Dieter Haase zum Thema Quereinsteiger in der Berliner Zeitung vom 10.11.17: „Mittlerweile dauert es oft zwei Jahre, bis Quereinsteiger in Berlin ihr Referendariat oder ein berufsbegleitendes Studium beginnen“. Begründung: „Die Plätze reichen einfach nicht mehr aus“.

Quereinsteiger werden auch aus dem Ausland in die Hauptstadt gelockt. Mit Sprüchen wie: „Revierwechsel gefällig? Kohle gibt´s auch bei uns“. Es reicht dennoch nicht. Dabei hat die Berliner Senatsschulverwaltung nichts unversucht gelassen, den Lehrerberuf attraktiver zu machen: Die Pflichtstundenanzahl wurde erhöht, die Verbeamtung abgeschafft und Präsenztage eingeführt. Willkommen in Berlin!

Pilot ohne Flugschein – unvorstellbar!

Der Berliner Pädagoge Robert Rauh, Lehrer des Jahres 2013, zur Entqualifizierung des Lehrerberufs im TSP vom 18.09.2016:

Stellen Sie sich vor, sie fliegen in den Urlaub und die Chef-Stewardess sagt vor dem Abflug durchs Bordmikrofon: Heute fliegt sie kein Pilot, sondern ein Quereinsteiger. Er besitzt Lebenserfahrung und eine wissenschaftliche Ausbildung als Programmierer für Flugsimulatoren. Zurzeit wird er im Cockpit nachqualifiziert. Beim Fliegen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Bord. Unvorstellbar!

In Sachen Quereinsteiger ohne pädagogische Qualifikation ist Berlin mal nicht Schlusslicht, sondern Vorreiter. Da muss man sich nicht über die Ergebnisse wundern: (Im IQB-Ländervergleich 2016 wird deutlich: Wieder blieb in Berlin ein Drittel der Viertklässler unter den Minimalanforderungen für Rechtschreibung, und fast 28 Prozent verfehlten sie im Fach Mathematik)

Berlin hat mit Sachsen bundesweit die höchste Quereinsteiger-Quote. In Berlin waren mehr als die Hälfte der neu eingestellten Grundschullehrer Quereinsteiger, nämlich 56 Prozent, berichtet die Berliner Zeitung vom 10.11.2017. Besonders hoch ist der Anteil der pädagogisch nicht ausgebildeten Seiteneinsteiger ausgerechnet an den Problemschulen – etwa in Wedding oder Neukölln.

Das Experiment auf Kosten unserer Schülerinnen und Schüler geht weiter!

siehe Artikel:  https://www.berliner-zeitung.de/berlin/brandbrief-zu-quereinsteigern-kinder-koennten-schaden-nehmen-28826132

siehe Artikel:  http://www.tagesspiegel.de/politik/lehrermangel-brandbrief-warnt-vor-quereinsteigern-an-grundschulen/20565902.html

siehe Artikel:  https://www.berliner-zeitung.de/berlin/neue-lehrer-in-berlin-tausende-unqualifizierte-quereinsteiger-duerfen-nun-unterrichten-28253276

siehe auch:  Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)