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Individuelles Lernen

Ein Kulturbruch zu Lasten der Schüler

CICERO-online, 03.05.2021, ein Gastbeitrag von Rainer Werner

Rainer Werner unterrichtete an einem Berliner Gymnasium Deutsch und Geschichte. Er verfasste das Buch „Fluch des Erfolgs. Wie das Gymnasium zur ,Gesamtschule light‘ mutiert“.

Die Grünen favorisieren die Methode des individuellen Lernens. Was gut ist für die Kinder des Bildungsbürgertums, erweist sich für Kinder aus sozial benachteiligten Familien als schädlich.  

Wer als Lehrer schon einmal in einer heterogen zusammengesetzten Klasse – etwa in einer Gesamtschule – unterrichtet hat, dem wird folgende Situation vertraut vorkommen: Die Lehrkraft erläutert im Geschichtsunterricht der 8. Klasse die Gewaltenteilung, die in der Französischen Revolution das absolute Herrschaftssystem der Könige zerbrochen hat. Schnell wird deutlich werden, dass die leistungsstarken Schüler das Prinzip der Trennung der staatlichen Gewalten im Nu verstehen, während es den leistungsschwachen Schülern schwerfällt, den Sinn dieser demokratischen Herrschaftsform zu begreifen.

Die Lehrkraft wird den Umweg über ein lebensnahes Beispiel – etwa aus dem schulischen Leben – nehmen müssen, um Gewaltenteilung auch für die Schüler mit geringem Abstraktionsvermögen sinnlich erfahrbar und dadurch begreiflich zu machen. Mit den guten Schülern hätte sie schon längst im Stoff voranschreiten und noch weit schwierigere Sachverhalte diskutieren können. Die meisten Lehrkräfte werden jedoch, dem sozialen Anspruch der Gesellschaft und ihrem pädagogischen Gewissen gehorchend, so lange auf die Verständnisprobleme der leistungsschwachen Schüler eingehen, bis sie das Gefühl haben, dass sie das Geforderte annähernd verstanden haben.

In der Regel bleiben während dieser „Förderphase“ die guten Schüler ohne Aufgabe, im besten Fall wird ihnen die Lehrkraft raten, im Geschichtsbuch schon einmal das nächste Kapitel zu lesen. Eine nachhaltige Förderung der leistungsstarken Schüler kann man das nicht nennen.

Ausweg individualisiertes Lernen

Die Grünen sind an elf Landesregierungen beteiligt, stellen aber in keinem der Länder den Kultusminister. Dennoch haben sie es geschafft, der Schulpolitik der Länder eine grüne Handschrift zu verpassen. Sie konnten ihre Lieblingsschulform, die Gemeinschaftsschule, in den jeweiligen Schulgesetzen verankern. In dieser Schule werden Schüler unterschiedlicher Begabung, sozialer und ethnischer Herkunft gemeinsam unterrichtet. Die Heterogenität im Klassenzimmer ist gewollt, weil sie nach Meinung der Grünen die gesellschaftliche Wirklichkeit ideal abbildet.

Um mit den großen Unterschieden bei Begabung, Vorwissen und Lernmotivation umgehen zu können, muss das Lernen individualisiert werden. Jeder Schüler erhält einen auf ihn abgestimmten persönlichen Lernplan und das dazugehörige Unterrichtsmaterial, das er eigenständig abarbeitet. Die Kunst der Lehrkräfte besteht darin, die Lernpläne passgenau nach Intelligenz und Auffassungsgabe der Schüler zu erstellen.

Wie die praktischen Erfahrungen zeigen, geht die Lernentwicklung innerhalb einer Klasse schon nach wenigen Tagen stark auseinander. Die Begabungsvielfalt schlägt sich in unterschiedlichen Lerntempi nieder. Die Situation ist vergleichbar mit einem 5000-Meter-Lauf, bei dem professionelle Läufer gemeinsam mit Hobby-Läufern antreten. Schon nach wenigen Runden werden die ersten Amateure von den Profis überrundet.

Das individuelle Lernen trägt den unterschiedlichen Lerntempi dadurch Rechnung, dass die Lernerfolgskontrollen zu unterschiedlichen Zeiten angesetzt werden. Die lernstarken Schüler schreiben sie zuerst, die langsameren Lerner folgen im zeitlichen Abstand zur Spitzengruppe. Die Lehrer fungieren beim individuellen Lernen als „Lernbegleiter“. Ihre Aufgabe ist es, die Schüler fachlich zu unterstützen und mental zu ermuntern. Dabei gilt die Prämisse, dass die Schüler die Lösung der im Lernmaterial gestellten Aufgaben zuerst selbst finden sollen, bevor sie die Hilfe des Lehrers in Anspruch nehmen.

Selektion durch die Hintertür?

Da diese Lernform recht jung ist, gibt es noch keine belastbaren wissenschaftlichen Studien über ihre Effektivität. Es gibt allerdings Erfahrungsberichte von Eltern. Darin wird vor allem die Besorgnis ausgedrückt, dass die langsamen Lerner sich gegenüber den schnellen zurückgesetzt fühlen. Von einem „Rattenrennen“ und einer neuen Form von Stigmatisierung ist die Rede, die die alte, durch „Selektion“ nach Begabungen erzeugte, abgelöst habe. 

Wissenschaftliche Kritiker bemängeln vor allem, dass die starke Spreizung der Begabungen und das unterschiedliche Lerntempo kein Unterrichtsgespräch mehr zulasse. Die Klasse kommt nämlich, wenn das „Rennen“ erst einmal begonnen hat, nie mehr an einen gemeinsamen Punkt, wo sich eine Zusammenfassung der Lernergebnisse oder eine Problematisierung der Gegenstände anbieten würde.

Die Befürworter des individuellen Lernens betonen, dass diese Lernform die einzige Methode sei, die ein gemeinsames Lernen von Kindern völlig unterschiedlicher Begabung zulasse. Sie sei der Differenzierung nach Fachleistungskursen, wie sie die Gesamtschule praktiziert, vorzuziehen, weil die individuellen Lernpläne noch zielgenauer als die Fachleistungskurse auf das Persönlichkeitsbild der Schüler abgestimmt werden könnten. 

Einzelkämpfer erwünscht

Dass die Schüler nach einer kurzen Einführung durch die Lehrkraft mit dem Lernstoff allein gelassen werden, wie es das Dogma vom individualisierten Lernen verlangt, ist die große Schwäche dieser Methode. Jeder, der anderen schon einmal etwas vermittelt hat – ob Kindern oder Erwachsenen –, weiß:  Auch das Denken will angeleitet sein. Das ist ja gerade der große Vorzug des vom Lehrer gelenkten Unterrichtsgesprächs, dass er in jeder Phase des gemeinsamen Lernprozesses die Impulse so setzen kann, dass die Schüler auf die richtige Fährte gelenkt werden.

Die schöne Metapher, dass „jemandem ein Licht aufgeht“, veranschaulicht diesen Erkenntnisprozess. Wie sollen solche Gedankenblitze entstehen, wenn ein Kind allein vor sich hinbrütet und immer gesagt bekommt, es dürfe die Lehrkraft nur zu Hilfe rufen, wenn es unbedingt nötig sei?  Eltern berichten, dass die Kinder den Lehrer in seiner traditionellen Rolle vermissen: als Erklärer, Ratgeber, Helfer, Inspirator, Vorbild.

Im herkömmlichen Unterricht haben diejenigen Lehrer den größten Erfolg, die für ihren Lernstoff „brennen“, die ihn mit Leidenschaft vermitteln und durch ihr „Feuer“ die Kinder dafür begeistern. Wie aber soll das Feuer zünden, wenn die Lehrkraft zum „Lernbegleiter“ degradiert wird, der nur noch für unvermeidbare Nachfragen der Schüler zur Verfügung steht?

Das individualisierte Lernen beschädigt eine wichtige Kulturform: das Gespräch. Erfahrene Lehrer wissen, dass die effektivste Sozialform des Unterrichts – aller moderner Unterrichtsmethoden zum Trotz – immer noch das Gespräch darstellt. Es ist nicht nur eine ideale Methode, individuelle Einsichten, die jeder einzelne Schüler auf seine spezielle Art gewonnen hat, mit anderen Schülern auszutauschen. Es hat auch eine erzieherische Funktion, weil es eine wichtige Grundlage unserer Demokratie stärkt: den vernunftgeleiteten Diskurs.

Eltern an die Front

Umfragen unter Eltern haben ergeben, dass die Kinder an Gemeinschaftsschulen sehr stark auf die Hilfestellung ihrer Eltern angewiesen sind. Sie müssen zu Hause das erklären, was die Lehrkraft im Unterricht nicht geleistet hat. Die Eltern fühlen sich in eine Rolle gedrängt, die nicht die ihre ist. Schlechtes Gewissen bei Misserfolgen des Kindes in der Schule und Konflikte zwischen Eltern und Kind sind die unvermeidliche Folge.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass eine Bildungspolitik, die den Lernerfolg der Kinder „vom Geldbeutel der Eltern“ entkoppeln will, durch eine problematische Lernmethode genau diese Abhängigkeit wieder verfestigt. Den Kindern aus dem Bildungsbürgertum wird nämlich zu Hause die Hilfe zuteilwerden, auf die viele Kinder aus der Unterschicht oder aus dem Migrantenmilieu verzichten müssen. 

Das Homeschooling während der Corona-Lockdowns war ein Großversuch in individualisiertem Lernen. Er hat gezeigt, dass Kinder aus bildungsaffinen Elternhäusern gut damit zurechtkommen, während viele Kinder aus sozial unterprivilegierten Milieus abgehängt werden. Schuld daran ist weniger das unterschiedliche digitale Equipment als der Grad an Unterstützung durch die Eltern. 

Lernmethode für die guten Schüler 

Ein Aspekt wird von den Befürwortern des individualisierten Lernens gerne übersehen. Von dieser Lernform profitieren in erster Linie die leistungsstarken Schüler, weil sie sich selbst gut organisieren und disziplinieren können. Der Nestor der (west-)deutschen Didaktik Hermann Giesecke warnte schon vor Jahren vor der Illusion, lernschwache Kinder könnten von heterogenen Lerngruppen profitieren, wenn man nur das Lernen differenzierte: „Nahezu alles, was die moderne Schulpädagogik für fortschrittlich hält, benachteiligt die Kinder aus bildungsfernem Milieu. Gerade das sozial benachteiligte Kind bedarf, um sich aus diesem Status zu befreien, eines geradezu altmodischen, direkt angeleiteten, aber auch geduldigen und ermutigenden Unterrichts.“

Und dieser „direkt angeleitete“ Unterricht, das vom Lehrer gelenkte Gespräch, ist nur in relativ homogenen Lerngruppen zu leisten. Wer das eine – „gemeinsames  Lernen“ – will, muss das andere – das gegliederte Schulsystem mit seinen homogenen Klassen – verteidigen.

Die Klasse als Heimat

Das individualisierte Lernen macht Kinder zu Einzelkämpfern. Es geht vor allem das verloren, was ein Klassenverband für die Schüler immer auch bedeutet: Ort der Gemeinschaft, des Schutzes und der Kameradschaft zu sein.

Bis heute hat die Klasse die Funktion, dass sich die Kinder aneinander messen können, dass sie sich gegenseitig anspornen, einander aber auch solidarisch helfen, wenn es nötig ist. Warum eine Politik, die Bildung gerne durch die „soziale Brille“ betrachtet, ausgerechnet die soziale Funktion einer Schulklasse geringachtet, gehört zu den vielen Ungereimtheiten, mit denen diese Lernmethode behaftet ist.

Das individualisierte Lernen erweist sich letztlich als isoliertes, im Wortsinn unsoziales Lernen: „Irgendwie paradox: Auf Unterrichtsebene wird Vereinzelung propagiert, während man auf Schulstrukturebene, länger gemeinsam lernen‘ skandiert“, so der Lehrer und Autor Michael Felten. 

Die Schwächung, ja Auflösung des Klassenverbandes kommt einem sozialen Kulturbruch gleich. Die Schulromane „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner, „Die Feuerzangenbowle“ von Heinrich Spoerl und die Schulgeschichten aus den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann wären ohne die Schulklasse als Organisationsform nicht geschrieben worden.

Die Klasse ist für die Schüler nicht nur Lernort, sie ist auch Ort der sozialen Auseinandersetzung, der Selbstbehauptung und Rollenerprobung. Und sie ist Schutzraum vor den Zumutungen rabiater Lehrer, schulischer Dramen oder persönlicher Krisen. Welchem Erwachsenen hat sich „seine“ Schulklasse nicht ins Gedächtnis eingegraben? Wem ist „seine“ Klasse nicht als der Ort vor Augen, in dem man Jahre seines jungen Lebens an der Seite von Freunden und Kameraden zugebracht hat?

Diesen Ort preiszugeben, ist eine pädagogische Ursünde, weil sie den Kindern einen wichtigen Schonraum raubt und sie als Einzelwesen auf sich selbst zurückwirft.

Ermutigung

Allen Lehrern dieser Republik lege ich die „gedruckte Erlaubnis“ des Pädagogen Jochen Grell ans Herz: „Du darfst direkt unterrichten, auch die ganze Klasse auf einmal. Du brauchst dich nicht dafür zu schämen, dass du Schüler belehren willst. Die Schule ist ja erfunden worden, damit man nicht jedes Kind einzeln unterrichten muss.“

zum Artikel: Ein Kulturbruch zu Lasten der Schüler

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors auf Schulforum-Berlin.

Digitalisierung und Individualisierung: Eine unheilige Allianz, die Bildung verhindert

Schon vor der Corona-Krise machte sich in den Schulen der Trend breit, dem Problem der Heterogenität der Schülerschaft durch sog. „Individualisierung“ begegnen zu wollen. Man löst die Klassengemeinschaft faktisch auf und versorgt jede Schülerin, jeden Schüler mit differenzierten Arbeitsaufträgen, die sie „selbstgesteuert“ bearbeiten sollen.

Jochen Krautz

Prof. Dr. Jochen Krautz, Bergische Universität Wuppertal, ist Präsident der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.

Die durch die Corona-Krise beschleunigte Digitalisierung scheint das nun noch einfacher zu machen: Nun kann jeder „individuell“ und „selbstgesteuert“ an seinem Gerät arbeiten, ob zuhause oder in der Schule. Beides untergräbt aber die Aufgabe der Schule und gefährdet den verfassungsgemäßen Bildungsauftrag. Warum ist das so?

Dazu 7 knappe Thesen:

1. Stärkung der Lehrperson statt „Lernbegleitung“.

Heterogenität ist nichts Neues, sondern selbstverständlich. Sie wird nicht durch Auflösen der Lerngruppen und Absenken der Ansprüche gelöst, sondern durch Stärken der Klassengemeinschaft und indem man Schwächere an höhere Levels heranführt. Das aber braucht eine Lehrperson, die die Klasse erzieherisch und fachlich führt. Also das genaue Gegenteil des Trends zum „Lernbegleiter“ (vgl. beispielhaft und konkret Rudolph/Leinemann 2021).

2. „Selbststeuerung“ ist nicht Selbstständigkeit.

Wer nur Arbeitsaufträge von Lernsoftware oder Arbeitsblättern ausführt, entwickelt nicht Selbstständigkeit. Vielmehr steuert er sich nur selbst gemäß den Vorgaben von außen. Er lernt sich anzupassen, nicht aber selbstständig zu denken und zu argumentieren. Dazu braucht es ein lebendiges und interessiertes menschliches Gegenüber – also Lehrpersonen und Mitschülerinnen und -schüler. Anpassung aber widerspricht dem Bildungsauftrag der Verfassungen, der auf Mündigkeit zielt.

3. „Individualisierung“ ergibt nicht Individualität.

Daher bildet äußere „Individualisierung“ gerade nicht Individualität, sondern fördert Konformität. Um ein individuelles Selbst zu werden, brauchen junge Menschen sozialen Kontakt, Austausch, Widerspruch und gemeinsam zu bewältigende Herausforderungen. Doch: Die Bildung von Individualität ist pädagogisch herausfordernd, weil Lehrpersonen den Kindern und Jugendlichen als ganze Menschen gegenübertreten müssen, nicht nur als Verwalter von Lernprozessen.

4. Digitalisierung ist Frontalunterricht der üblen Sorte.

Gerne grenzen sich Befürworter von „digitalem“ und „selbstgesteuertem Lernen“ vom „Frontalunterricht“ ab. Tatsächlich ist digitales oder analoges „selbstgesteuertes Lernen“ Frontalunterricht in übler Reinform, wie er sonst kaum noch vorkommt. Das Arbeitsblatt und der Algorithmus antworten mir nicht, diskutieren nicht, nehmen mich nicht wahr, haben kein Sachverständnis, wissen nicht, was Bildung ist, kennen keine Didaktik und haben keine pädagogische Empathie. Sie regieren über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler hinweg – oder besser: in sie hinein.

5. Digitalisierung beruht auf Lobbyarbeit.

Die angeblich „alternativlose“ Digitalisierung der Schulen hat keine pädagogischen Gründe, sondern banale ökonomische. Sie beruht auf massiver Lobbyarbeit von IT-Industrie und deren Adepten. In der Krisenlage rund um Corona haben Politik, Medien, Eltern und viele Pädagoginnen und Pädagogen die inszenierte Hysterie noch verstärkt. Doch wird Digitalisierung keine pädagogischen Probleme lösen, Unterricht wird dadurch nicht automatisch besser. Vielmehr braucht die sinnvolle Integration der Digitalisierung in die Aufgaben der Schule sehr genaues und klares pädagogisches, didaktisches und fachdidaktisches Denken (vgl. Krautz 2020).

6. Neoliberalismus und Reformpädagogik feiern Hochzeit.

Warum aber ist das dann alles so beliebt und scheint so modern? Hier verbinden sich zwei ältere Diskurslinien: Reformpädagogischem Denken entstammt die Meinung oder auch nur das unbewusste Gefühl, dass die Kinder sich doch lieber „frei entfalten“ sollen. Lehren sei irgendwie freiheitswidrig, die Gehalte und Anforderungen unserer Kultur würden die kindliche „Natürlichkeit“ negativ beeinflussen. Neoliberalem Denken entstammt die Idee, Lernende seien „Unternehmer ihrer selbst“ und würden in den „Lernlandschaften“, die aussehen wie Großraumbüros, die „Skills“ und „Kompetenzen“ erwerben, die sie als flexible und anpassungsfähige Arbeitskräfte bräuchten. Beides ist sachlich falsch und antipädagogisch gedacht. Beides lässt die Heranwachsenden faktisch im Stich: Einmal werden sie sich selbst überlassen, einmal den Anpassungsimperativen der neoliberalen Ökonomie (vgl. Krautz 2017).

7. Pädagogische Verantwortung ernst nehmen.

Was ist der Ausblick? Pädagogische Verantwortung wahrzunehmen und wieder zu lehren, zu lernen, zu erziehen und zu bilden. Das ist anstrengend, gewiss. Aber wenn wir uns diesen Fragen wieder mit gemeinsamer Kraft zuwenden würden, statt mit haltlosen Konzepten an Kindern und Jugendlichen zu experimentieren, könnten wir diesen und uns selbst das absehbare und bittere Scheitern ersparen.

Zur Vertiefung

Burchardt, Matthias: Zwischen Arbeitsblatt und Bildschirm. Neue Lernkultur oder Kaspar-Hauser-Pädagogik? In: Das Gymnasium in Rheinland-Pfalz, H. 1/2018, S.6-12, https://www.philologenverband.de/fileadmin/user_upload/Das_Gymnasium/Gymnasium_in_Rh-Pf_1-2018__JR__Endgueltig.pdf.

Gruschka, Andreas: Der Bildungs-Rat der Gesellschaft für Bildung und Wissen. Opladen2015, www.bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2015/06/gruschka_bildundgs_rat.pdf.

Krautz, Jochen: Neoliberaler Ökologismus. „Markt“ und „Natur“ als Steuerungsparadigmen der „Neuen Lernkultur“. In: Burchardt, Matthias/Molzberger, Rita (Hrsg.): Bildung im Widerstand. Festschrift für Ursula Frost. Würzburg 2017, S. 121-146.

Krautz, Jochen: Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht. Keine digitale Transformation von Schule. GBW-Flugschriften Nr. 1. Köln 2020, https://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2020/10/krautz_flugschrift_digitalisierung.pdf.

Lankau, Ralf: Alternative IT-Infrastruktur für Schule und Unterricht. Wie man digitale Medientechnik zur Emanzipation und Förderung der Autonomie des Menschen einsetzt, statt sich von IT-Systemen und Algorithmen steuern zu lassen. GBW-Flugschriften Nr. 2. Köln2020, https://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2020/09/lankau_flugschrift_web.pdf.

Türcke, Christoph: Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet. München 2016.

Rudolph, Michael/Leinemann, Susanne: Wahnsinn Schule. Was sich dringend ändern muss. Berlin 2021.

Winterhoff, Michael: Deutschland verdummt. Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut. Gütersloh 2019.

Der Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors auf Schulforum-Berlin. Texthervorhebung in den grau unterlegten Einschüben durch Schulforum-Berlin.

Beitrag als PDF-Datei: https://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2021/03/Krautz-Digitalisierung-und-Individualisierung.pdf