Eine OECD-Studie von 2024 kommt hier zu einem klaren Ergebnis: Demnach sind Smartphones die Hauptursache für den Leistungsabfall der Schüler, ein Verbot in Schulen wird empfohlen. In einigen Ländern, wie etwa Frankreich, Italien und Großbritannien wurde dies bereits umgesetzt, Deutschland gehört nicht dazu. Dabei weisen die Studien klar in eine Richtung: je näher das Smartphone, desto geringer die Aufmerksamkeit, und desto geringer ist die Lernleistung.
3sat – NANO vom 28. Januar 2025
In internationalen Bildungsvergleichen schneidet Deutschland derzeit eher durchwachsen ab. Das Ergebnis der letzten OECD Pisa-Studie: Besonders bei der Leseleistung waren deutsche Schüler schlechter als noch in den Jahren zuvor. Bildungsforscher Olaf Köller wird konkret. Das heißt: „Wir haben heute die Situation, dass drei von zehn Schülerinnen und Schülern, die 15 sind, eigentlich nicht lesen und schreiben können, das heißt 30 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen 250.000.“ […] Andreas Schleicher, Leiter der Abteilung Bildung der OECD, dazu: „So sehr überraschend ist das ja nun auch wieder nicht“.
Mitschuld hat offenbar das Smartphone. Bei der Suche nach den Ursachen konnte die OECD einen klaren Zusammenhang zwischen Smartphonenutzung der Schüler und den sinkenden Lernleistungen aufzeigen. […]
Überraschend waren allerdings manche Presseberichte zu den Ergebnissen dieser Studie[1], so hieß es im SPIEGEL: „Schülerinnen und Schüler, die ständig aufs Handy starren, kommen nicht zum Lernen. Aber wenn Mobiltelefone gezielt im Unterricht eingesetzt werden, kann das sogar den Lernerfolg steigern.“[2]
Allerdings steht davon nichts in der Studie über die Ursachen der rapide gesunkenen Lernleistungen. Im Gegenteil. Die OECD spricht nur von „digitalen Geräten“ die nützlich für den Unterricht sein können. In der OECD-Studie heißt es sogar explizit:
„Eine Maßnahme die nachweisbar wirkt ist ein Verbot von Smartphones in Schulen (…) wobei allerdings viel von einer effektiven Durchsetzung des Verbots abhängt.“
Andreas Schleicher: „Was wir sehen ist, dass die Bildungssysteme die ein Handyverbot haben, weniger Schwierigkeiten haben. Da gibt es weniger Ablenkung, da gibt’s auch weniger soziale und emotionale Defizite. Das kann man schon klar sagen.“
Das Ablenkungspotential von Handys im Unterricht ist in der Wissenschaft unstrittig. 36,9 Stunden verbringen Jugendliche in Deutschland jede Woche am Smartphone. Umgerechnet fünf Sunden lang hängen die Befragten also täglich am Handy. Die Hälfte erhält mindesten 237 Benachrichtigungen pro Tag, 60 davon gehen während der Schulzeit ein.
In einer Reihe von Ländern wie Frankreich, Italien oder Großbritannien existiert bereits ein Smartphoneverbot in Schulen.[3]
Klaus Zierer und Tobias Böttcher von der Universität Augsburg haben Erfahrungen vieler Lehrkräfte mit Smartphoneverboten gesammelt. Sie kommen zum selben Urteil wie die OECD-Studie.
Tobias Böttcher: „Die Veränderungen die zu beobachten waren, die betreffen in erster Linie das soziale Klima, also den Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander. Wir gehen davon aus, dass das Sozialklima die Voraussetzung ist für die Lernleistung die die Schülerinnen und Schüler letztendlich erbringen können.“
Die Augsburger Erziehungswissenschaftler untersuchten die Auswirkungen solcher Smartphoneverbote anhand von fünf internationalen Studien[4].
Klaus Zierer: „Die zentrale Beobachtung infolge eines Smartphoneverbotes war, dass sich die Pausen komplett verändert haben. Die Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern waren ja andere, sie haben miteinander gespielt, sie haben miteinander gesprochen, sie haben miteinander intendiert und gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass das Phänomen Cybermobbing, das in den letzten Jahren immer mehr zunimmt, in den Schulen zurückgedrängt worden ist und damit die Schule wieder mehr zu einem Lebensraum für Kinder und Jugendliche geworden ist.“
Erstaunlicherweise beurteilte ein Großteil der Schülerinnen und Schüler ein Smartphoneverbot im Nachhinein als positiv. Den Ergebnissen der Augsburger Pädagogen zufolge ist aber ein alleiniges Verbot nicht ausreichend. Allein schon weil Smartphones fester Bestandteil der Alltagskultur sind. Ein solches Verbot muss pädagogisch begleitet werden, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technik zu fördern. Aber die Smartphones müssen raus aus der Schule!
Klaus Zierer: „Die Studien die wir auswerten weisen uns diesen Weg und sie sagen ganz klar, die Smartphones müssen weggesperrt werden, […] sie dürfen nicht im Klassenzimmer sein. Da wir auch wissen, je näher das Smartphone ist, desto geringer ist die Aufmerksamkeitsfähigkeit und desto geringer ist die Lernleistung.“
Sven Lindberg, Leiter der klinischen Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn, hat eine Studie zum Einfluss des Smartphones auf kognitive Fähigkeiten durchgeführt.[5] Die Ergebnisse zeigten das gleiche Problem das von den Pädagogen beobachtet wird. „In der Schule haben wir herausgefunden, dass tatsächlich das Smartphone, selbst wenn es ausgeschaltet ist, einen Einfluss auf unsere Konzentration hat. Also das heißt, ist das Smartphone da, dann werden wir langsamer, können uns schlechter konzentrieren, als wenn es z.B. im Nebenraum liegt.“
Lindbergs Team hat die Studie mit 42 Probanden im Alter zwischen 20 und 34 Jahren durchgeführt. Allein die Verfügbarkeit des Gerätes senkte die Aufmerksamkeit um 15 Prozent. Für Aufmerksamkeit stehen nur begrenzte kognitive Ressourcen zur Verfügung. Das Smartphone als Psychofalle. Bereits die Anwesenheit des Gerätes produziert die Erwartung von Reizen und aktiviert dabei Elemente des körpereigenen Belohnungssystems: Serotonin[6], Endorphine[7] oder Dopamin[8].
Sven Lindberg: „Das passiert mittlerweile so vollautomatisch, dass das Handy gar nicht mehr angeschaltet sein muss und diese Reize kommen – sondern ich mache mir Gedanken, welche Reize ich gerade verpasse.“
Alle bisher durchgeführten Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen, die eigentlich zu einem strikten Handyverbot in Schulen führen müssten. In Deutschland bleibt es nach wie vor den einzelnen Schulen überlassen.
Andreas Schleicher: „Wenn man das den Schulleitungen überlässt, da sehen wir kaum Effekte. Die Schüler finden immer Wege das zu umgehen. Wenn man das den Lehrkräften überlässt, auch das haben wir untersucht, auch das ist im Grunde weitgehend wirkungslos.“
Man tut sich hierzulande schwer Konsequenzen zu ziehen.[9] Da stellt sich die Frage: Warum fehlt für ein generelles Handyverbot bisher der politische Wille? […]
Aber es geht auch um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. In Australien hat man bereits rigoros reagiert und erlaubt den Zugang zu sozialen Medien erst ab dem Alter von 16 Jahren.
In der ganzen Geschichte der Menschheit gab es keine Entwicklung die unser Leben so rasant komplett umgekrempelt hätte wie die des Smartphones. Diese Ablenkungsmaschine ist ein Angriff auf unsere wichtigste menschliche Fähigkeit, nämlich sich auf eine Sache fokussieren zu können. Mit dieser Herausforderung können wir die Kinder nicht alleine lassen, das ist Sache der Eltern, aber auch eine staatliche Aufgabe.
Siehe: https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]
Zusatzinformationen durch Schulforum-Berlin:
[1] Medien verdrehen Warnung der OECD zu Smartphones, Norbert Häring, 11.6.2024, https://apolut.net/medien-verdrehen-warnung-der-oecd-zu-smartphones-von-norbert-haering/ [30.01.2025]
[2] Überschrift des SPIEGEL-Berichts: „OECD empfiehlt gezielten Einsatz von Handys im Unterricht“ https://www.spiegel.de/panorama/bildung/bildung-oecd-studie-empfiehlt-gezielten-einsatz-von-handys-im-unterricht-a-5e0d1bd5-99ae-4783-92a9-0ecb08d15c1a [30.01.2025]
[3] In Brasilien wurde die Verwendung von Smartphones an Schulen durch ein Gesetz generell verboten. Das Verbot betrifft öffentliche wie private Schulen auf Primarschul- und Sekundarschulebene und gilt für den Unterricht wie auch während der Pausen. Der brasilianische Präsident Lula hat bei seiner Regierungsübernahme seinen Ministern verboten, mit ihren Smartphones an Sitzungen teilzunehmen, weil sie dadurch abgelenkt seien, so wie es in der Schule auch der Fall sei. https://www.pagina12.com.ar/796695-lula-promulgo-la-ley-que-prohibe-el-uso-de-celulares-en-las- [30.01.2025]
[4] Die Augsburger Forscher verglichen in ihrer Studie fünf große Studien aus Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden. https://www.mdpi.com/2227-7102/14/8/906 [30.01.2025]
[5] Handy aus, Gehirn an. Paderborner Wissenschaftler*innen veröffentlichen Studie zur Auswirkung von Smartphones auf die Aufmerksamkeit in Nature-Journal. https://www.gew-ansbach.de/data/2023/07/Uni-Paderborn_Handy_aus_Gehirn_an_2023-07-01.pdf [30.01.2025]
[6] Serotonin ist ein Botenstoff, der eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit spielt.
[7] Abkürzung für endogene Morphine, also für Morphine, die vom Körper selbst gebildet werden. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung und Linderung von Schmerzen. Auch an Euphorie (Hochgefühl) sind sie beteiligt.
[8] Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen.
[9] Klaus Zierer am 3.1.2025 in „campus schulmanagement“: „Ein Smartphone-Verbot braucht die volle Unterstützung und Überzeugung des gesamten Kollegiums, um wirklich zu greifen. Halbherzige Maßnahmen, die nicht konsequent umgesetzt werden, kann man sich sparen. Nur mit klaren Regeln und einer geschlossenen Haltung funktioniert ein Verbot, das bestätigen auch die Studien.“ https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/smartphone-verbote-an-schulen-was-bringen-sie-wirklich-klaus-zierer [30.01.2025]