Archiv der Kategorie: Ökonomisierung der Bildung

Der Bildungsputsch

Seit Jahren löst eine Bildungsreform die nächste ab.

Trotz aller hiermit verbundenen Versprechungen ist bisher kaum etwas besser, sondern vieles schlechter geworden. Zeitgleich nehmen immer mehr private Investoren das öffentliche Bildungswesen ins Visier. Zufall? Sicher nicht, meinen einige Forscher in einer aktuellen Publikation, in der sie exemplarisch die Verkürzung der Abiturzeit mittels G8 unter die Lupe nehmen. (…)

Jens Wernicke im Interview mit Matthias Burchardt, Akademischer Rat am Institut für Bildungsphilosophie an der Universität Köln.

Herr Burchardt, Sie sind Autor des soeben erschienenen Buches „weniger ist weniger: G8 und die Kollateralschäden“. Ist das nicht ein wenig hoch gestapelt: „Kollateralschäden“ durch eine Bildungsreform?
Möglicherweise ist es sogar verharmlosend, denn ein Kollateralschaden ist ja eine Begleiterscheinung bei der Umsetzung eines höheren Zieles, das als gut gilt. Was aber wäre, wenn die versprochenen humanitären Ziele – ähnlich wie in der Kriegspropaganda der letzten Jahre – nur vorgeschoben wären und die Schäden beabsichtigt sind?

Uns wurde versprochen, dass mit westlichen Waffen Humanität und Demokratie herbeigebombt werden sollten und würden. Stattdessen haben wir nun in vielen der von uns „befreiten“ Länder zerstörte Infrastruktur, kulturelle Entwurzelung und zerfallende Staaten, während der Eindruck entsteht, dass dieses Vakuum geostrategischen Interessen und dem Ressourcenhunger der Großmächte durchaus in die Hände spielt.

Was wäre, wenn der Schaden auch bei den Schulreformen der letzten Jahre Teil einer globalen Agenda wäre, die sich einen verwertbaren und politisch unmündigen Menschen wünscht, der leichter zu steuern ist, weil er nicht mehr über die fachlichen Horizonte des Urteilens oder über ethische und emanzipatorische Perspektiven verfügt? Die Programme und Strategien der OECD beispielsweise arbeiten schon seit den 60er Jahren mit langem Atem an der Realisierung eines solchen Projektes.

In meinem Artikel schlage ich ausgehend von einer konkreten Reform – jener der Schulzeitverkürzung mittels G8 – den Bogen zu den Akteuren und Nutznießern im Hintergrund und ihren Modellen der ökonomistischen und antidemokratischen Globalisierung. (…)

Sie sprechen beim Thema G8 ja sogar von einem „Reformputsch gegen die humanistische Bildungskultur“. Inwiefern denn das?
Ein Putsch ist die Veränderung von politischer Wirklichkeit durch Organe, die vom Grundgesetz nicht vorgesehen sind. Auch nach genauer Lektüre habe ich bisher an keiner Stelle entdeckt, dass die OECD oder die Bertelsmann Stiftung einen verfassungsmäßigen Auftrag zum Umbau unseres Bildungswesens hätten.

Vielmehr greifen hier Formen der “Soft Governance“, also des weichen Regierens, die zwar die Kulissen der Demokratie intakt lassen, gleichwohl aber dem Souverän – und in Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es nicht umsonst: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – subtil die Macht entziehen.

Diese Akteure gebärden sich in der Rolle der hilfreichen Berater und verfolgen unter der Hand ihre eigenen Ziele. Die PISA-Studie gibt hier ein gutes Beispiel ab, da sie vor dem Hintergrund einer wissenschaftlich eher peinlichen Konzeption gleichwohl auf dem Wege öffentlicher Propaganda die Semantik und Pragmatik der Bildungsdiskurse umprogrammieren konnte. (…)

zum Artikel:  NachDenkSeiten – Die kritische Website, 14.03.2016, Der Bildungsputsch

zum Buch:  „weniger ist weniger: G8 und die Kollateralschäden, Analysen und Materialien“, siehe Bücherliste

siehe auch:   Wieder Streit über das Turbo-Abitur

Der Streit um das acht- oder neunjährige Gymnasium ist in Nordrhein-Westfalen neu

Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren, Die Welt, 22.10.2015

Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren, Die Welt, 22.10.2015

entbrannt. Doch auch in anderen Ländern wird wieder verstärkt über die Rückkehr zum G9 diskutiert.
zum Artikel:  FAZ, 13.05.2016, Reiner Burger, Wieder Streit über das Turbo-Abitur

siehe auch:  Fachthemen zu „Schule und PISA/OECD“

Trojanisches Pferd für die Lehrerbildung

Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes, Bezug zur Drucksache 16/9887 vom 30.09.2015, Anhörung im Landtag NRW am 17. Februar 2016

Stellungnahmen:

Prof. Dr. Ursula Forst, Universität zu Köln, Fachgruppe Erziehungs- und Sozialwissenschaften
Auszug:
Der Gesetzentwurf geht im wesentlichen auf Nachbesserungen und Anpassungen des Lehrerausbildungsgesetzes von 2009 aus. Die darin vorgenommene grundlegende Reform, die in der Umstellung auf BA-MA-Studiengänge [Bachelor- und Masterstudiengänge] und die Einführung von Kompetenzorientierung und entsprechenden Standards besteht, wird als alternativlos dargestellt. Dies muss um so mehr befremden, als inzwischen gemachte Erfahrungen und tief greifende Kritik auszuwerten wären. (…)

Bildungsreformen müssen diskutierbar und revidierbar bleiben, sonst wäre der Anspruch ständiger Reformen ad absurdum geführt. Alternativlos ist nur Humanität. Demokratie lebt von der diskursiven Auseinandersetzung mit Alternativen. Es gibt gute Gründe, die weitere Umsetzung des sog. „Bologna-Beschlusses“ zu überdenken. (…)

Der Bologna-Prozess hat sich als dysfunktional erwiesen, denn er hat seine eigenen Ziele nicht erreicht. Weder internationale Mobilität wurde erhöht noch die Studienabbrecherzahl verringert. Studiengänge wurden nicht klarer und vergleichbarer, die Studienzeit insgesamt verlängert. Diese Erfahrungstatsachen sind seit Jahren bekannt; wie ist es möglich, sie politisch zu ignorieren? Dass auch die Attraktivität der Bologna-Absolventen für berufliche Arbeitsfelder keineswegs erhöht wurde, wie jüngst eine McKinsey-Studie (vgl. Mourshed u.a. 2014) eindrucksvoll aufzeigte, macht das Leitbild der ‚employability’ zur Farce.

Der sog. „Bologna-Beschluss“ und der sich anschliessende Prozess sind nicht demokratisch eingeführt (vgl. Krautz 2013a). Bis heute entzieht er sich immer wieder einer demokratischen Auseinandersetzung in den betroffenen Ländern und Institutionen (man darf offenbar immer nur dafür stimmen). (…)

Es gibt keine genuin wissenschaftlichen oder pädagogischen Argumente für Bologna; erst recht nicht hinsichtlich der Lehrerausbildung. Die Kompetenzorientierung wurde durch die PISA-Kampagne der OECD angezettelt (…)

Das universitäre Studium wird seit Bologna unnötig verschult und zerstückelt, Bildung und Wissen erfolgreich verhindert. Die Bologna-Reform führt ein organisatorisches Hybridsystem aus Vorgaben, Regelungen, Tests, Dokumentationen, Evaluationen, Kontrollen usw. mit sich, das sachliche und humane Maßstäbe der Handlungsorientierung unmäßig erschwert.

Der Bologna-Prozess ist, gemessen an seinen eigenen Zielen ebenso wie nach politischen, rechtlichen und pädagogischen Maßstäben, gescheitert und bedarf daher seinerseits einer Reform, d.h. einer Kurskorrektur der Bildungspolitik, die sich auf das Wesentliche der Bildung konzentriert und dafür andere, bessere Wege findet. (…)

zur Stellungnahme von Prof. Dr. Ursula Forst, Universität zu Köln


 

Prof. Dr. Hans Peter Klein, Goethe Universität, Frankfurt am Main, Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften
Auszug:
(…) Mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes ist mit einer vorgeblichen Ausrichtung „an den pädagogischen Herausforderungen der Zukunft“ ein weiterer imperialer Durchgriff der Exekutive in die Freiheit von Forschung und Lehre der nordrheinwestfälischen Universitäten geplant.

Klares Ziel: Hineinregieren in die Hochschulen, Abschaffung der Freiheit von Forschung und Lehre. (S. 1)

Durch eine verpflichtende Übertragung weiterer Inklusionskonzepte in die Fachwissenschaften und insbesondere in die Fachdidaktik kommt es zu einer nicht hinnehmbaren weiteren Kürzung der fachlichen Ausbildung, die derzeit im gesamten Bundesgebiet einmalig ist.

Wir betrachten zum einen die Festlegung der 8 von 15 LP [Leistungspunkten] der Fachdidaktik als Eingriff der Landesregierung in die Lehre der Universitäten. Zum anderen steht die recht plötzliche Erhöhung und Festlegung von 5 LP für inklusionsorientierte Fragestellungen deutlich einer professionsbezogenen fachlichen Ausbildung für alle zukünftigen Lehrer/innen entgegen. Die Fachdidaktik leistete bisher mit den 12 frei zu gestaltenden Leistungspunkten einen wesentlichen Beitrag, um fachspezifische Arbeitsweisen, den Einsatz vielfältiger Unterrichtsmethoden, Konzepte zur Planung und Durchführung von Unterricht, die Bedeutung außerschulischer Lernorte sowie Diagnosefertigkeiten u.a. zu vermitteln. Eine Beschneidung dieser bisher wahrgenommenen Lehrinhalte um weitere 5 LP bedeutet den Verzicht auf grundlegende Teile fachdidaktischer Lehre. Was bitte soll wegfallen? (S. 2)

Der Gesetzentwurf fällt all denjenigen in den Rücken, die sich seit Jahren um eine professionsorientierte Vermittlung konzeptbezogener fachlicher Kompetenzen in den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken bemühen, auf denen erst prozessbezogene Kompetenzen entsprechend den Vorgaben der Bildungsstandards aufgebaut werden können.
Das vorliegende Gesetz verschärft hingegen die weitere Entfachlichung der Lehrerbildung und insbesondere der Fachdidaktiken zugunsten inklusiver Fragestellungen, die bisher ausschließlich in den Bildungswissenschaften verortet waren. Insbesondere der Fachdidaktik soll anscheinend die Rolle zugewiesen werden, als trojanisches Pferd die bildungspolitischen Konzepte aus den Parteibüchern der jeweiligen Landesregierungen in den Hochschulen umzusetzen.

Zudem soll der Fachdidaktik anscheinend vorgeschrieben werden, die völlig umstrittenen Konzepte der „Neuen Lernkultur“ mit Individualisierung von Unterricht, der Rolle des Lehrers als Lerncoach und konstruktivistischen Unterrichtskonzepten entsprechend den Vorstellungen der rot-grünen Landesregierung verbindlich umzusetzen. Konzepte, für deren Erfolgsaussichten es keinerlei empirische Belege gibt, die ganz im Gegenteil im gesamten anglo-amerikanischen Raum bereits seit langem als gescheitert gelten (Kirschner et al. 2008, Ravitch, 2008, Hattie 2009). „Gemeinsames Lernen? Nein danke. Heute gibt es mobiles Coaching und flexibles Kompetenzdesign“ (Türcke 2016). (S. 4)

Wenn bis zu 2/3 der dortigen Ausbildung mittlerweile von der Landesregierung vorgegeben wird, ist Einspruch vonnöten. Nach möglicher Inkraftsetzung des Gesetzes in dieser Form kann man den Fachdidaktiker/-innen in NRW nur raten, sich weiterhin auf die Freiheit von Forschung und Lehre zu berufen und entsprechend ihrer Expertise eine fachdidaktische Lehre anbieten, die sie auch professionell vertreten und verantworten können. Denn insbesondere die Schüler mit dringendem und unterschiedlichstem Förderbedarf und deren Eltern erwarten einen professionellen Umgang und eine entsprechende Betreuung in der Schule, dem durch derartige Vorhaben ein Bärendienst erwiesen wird. (…)

Eingerückt = eingefügte Erläuterungen aus der Stellungnahme von  Prof. Dr. Hans Peter Klein durch Schulforum-Berlin

zur Stellungnahme von Prof. Dr. Hans Peter Klein, Goethe Universität, Frankfurt am Main


 

Prof. Dr. Ulrich Heinen, Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Design und Kunst
Auszug:
(…) Mit der Kompetenzorientierung ist die studierte Sache ebenso in den Hintergrund getreten wie der Studiendialog mit den Lehrenden und den Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie die Erfahrung der eigenen Verantwortung für das Studieren. Stattdessen sind die Studierenden selbst zu Objekten eines Ausbildungsvorgangs umdefiniert worden, der sie auf eine extern definierte Clusterung vermeintlich berufsvorbereitender Kompetenzen ausrichtet. Der Umbruch hat leider System: Lehramtsstudierende dürfen im Studium einen Bildungsprozess erst gar nicht mehr erfahren, den sie – angesichts der parallel durchgesetzten Outputorientierung der schulischen Bildung – ihren Schülerinnen und Schülern offenbar auch gar nicht mehr erfahrbar machen sollen. Auf dem Weg über die rechtliche Neubestimmung von Lehrerbildung und Schule wurde eine tiefgreifende Gesellschaftsveränderung eingeleitet, die mit einer umfassend und kleinteilig umgesetzten Operation an der nächsten Generation die Wurzeln der demokratischen Gesellschaft kappt. Gerade für die Lehrerbildung in einer Gesellschaft, die der persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortung einen hohen Wert zuerkennt, ist dies nicht akzeptabel. Angehenden Lehrerinnen und Lehrern muss das Studium die Erfahrung eröffnen können, sich selbst als Subjekt der eigenen Bildung gerade in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen, Methoden, Prinzipen und Persönlichkeiten der Wissenschaften und Künste zu erfahren. Nur dann werden sie selbst bei ihren Schülerinnen und Schülern lebens- und existenzprägende Bildungsprozesse anstoßen können. Solche Bildungsprozesse, die Schülerinnen und Schüler über das bloße Funktionieren-Sollen hinausführen, stehen allen Menschen zu und sind zudem im Interesse aller und der Gesellschaft als Ganzer. Mit solchen Bildungsprozessen kann letztlich sogar der Erfolg berufsorientierter Ausbildungsprozesse verbessert werden, um die sich die bildungsökonomische Sicht auf das Bildungswesen derzeit so ausschließlich sorgen zu müssen meint. (…)

zur Stellungnahme von Prof. Dr. Ulrich Heinen, Bergische Universität Wuppertal

Hervorhebungen im Fettdruck bei allen Stellungnahmen durch Schulforum-Berlin

Die aktuellen Bildungsstandards verordnen von höchster Stelle Vereinfachungen

Das Abitur erledigt sich von selbst

Gemeinsam lernen? Nein danke. Heute gibt es mobiles Coaching und flexibles Kompetenzdesign.
Die Schule wird jetzt locker, kreativ und individuell. Klingt gut? In Wahrheit entsteht nur ein neues Zwangssystem.
Süddeutsche Zeitung, 10.02.2016, Gastbeitrag von Christoph Türcke

In frühkapitalistischer Zeit hatten die Beschäftigten Lebensmittel und Heizmaterial gefälligst selbst in die Fabrik mitzunehmen. Sie mussten auch selbst fürs Alter vorsorgen und Ärzte bezahlen. Erst lange gewerkschaftliche Kämpfe nahmen die Betriebe nach und nach in die Pflicht: für angemessene Ausstattung des Arbeitsplatzes, für Beteiligung an Alters- und Krankenversorgung, für Lohnfortzahlung bei Urlaub, Krankheit und bei Fortbildungen. All diese Verantwortlichkeiten stehen wieder zur Disposition, seit es jene kleinen Universalmaschinen gibt, die heute nahezu jeder in der Akten- oder Hosentasche mit sich führen kann.
Sie lassen sich in einem Firmengebäude genauso bedienen wie in der Privatwohnung. Wohn- und Arbeitsraum, Privat- und Berufssphäre, Freizeit und Arbeitszeit gehen wieder ineinander über. (…)

So läuft die flexibilisierte, deregulierte Arbeitswelt. Nur die Bildungswelt hinkt noch hinterher. Immer noch gibt es feste gemeinsame Unterrichtsräume und -zeiten, homogene Unterrichtsgruppen mit festem Fächerkanon und vorgegebenem Pensum. (…)

Schluss damit, fordert die neoliberale Bildungsideologie. Zeitgemäßer Unterricht orientiert sich an den persönlichen Interessen und am individuellen Tempo der Lernenden. Er braucht keine Lehrer, sondern Lernbegleiter, die überall zur Stelle sind, wo jemand mal nicht weiterkommt und spezielle Förderung nötig hat. Mobile Coaching-Teams, die den Umgang mit der neuen medialen Lernwelt einüben, in offenen Lernräumen, aber auch online beraten, sind das Gebot der Stunde. An die Stelle von Lehrplänen, die alle auf die Erlangung bestimmter Sach- und Fachkompetenzen verpflichten, tritt ein flexibles Kompetenzdesign. (…)

Bei den Kompetenzen stehen Soft Skills obenan. Sie sind schon in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für die Grundschule angelangt: „Anstelle von trägem Wissen, das die Schülerinnen und Schüler nur zur Beantwortung von eng begrenzten und bekannten Aufgabenstellungen nutzen können, soll vernetztes Wissen entwickelt werden.“ (…)

Im Obrigkeitsstaat beklagten sich die Schulbehörden regelmäßig über Schlendrian in den Schulen: Die Lehrer würden das vorgegebene Pensum nicht straff genug einpauken. Im neoliberalen Staat mobilisieren Lehrerverbände Proteste dagegen, dass die Schulpolitik mentale Elementartechniken aktiv herunterwirtschaftet; dass sie das drastische Sinken der Schreibfähigkeit durch Lückentexte kompensiert; dass sie den Notendurchschnitt durch die Begründungspflicht schlechter Noten in die Höhe treibt; dass sie die immer besser werdenden Noten als Beweis für ein ständig steigendes Bildungsniveau ausgibt und damit geradezu als Auftrag, die Abiturientenzahlen weiter zu erhöhen. Der Inhalt dieser Proteste prallt an den Schulbehörden und Ministern freilich ab. Sie nehmen darin kaum mehr als die Beschwerden von Standesvertretern wahr, die an veralteten Schulabschlüssen kleben, etwa dem Abitur. (…)
Aber inflationieren kann man das Abitur jetzt schon. Je höher eine Nation ihre Abiturientenzahlen treibt, desto besser steht sie im internationalen Bildungsranking da. (…)

Und so erledigt sich das Abitur mittelfristig von selbst. Alle spezifischen Schulformen lösen sich auf. An ihre Stelle wird über kurz oder lang eine neue Einheitsschule treten. Und in dieser neoliberalen Einheitsschule werden dann einfach alle, wie unterschiedlich auch ihre Bedürfnisse sein mögen, eingesperrt.

zum Artikel:  Süddeutsche Zeitung, Bildung, 10.02.2016, Gastbeitrag Christoph Türcke, Das Abitur erledigt sich von selbst


Der Philosoph Christoph Türcke wurde bekannt mit Veröffentlichtungen wie „Erregte Gesellschaft“ (2002), „Philosophie des Traums“ (2008) und „Mehr! Philosophie des Geldes“ (2015). Gerade erschienen ist sein neues Buch „Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet“ (siehe Bücherliste).

siehe auch zum Thema:
Pädagogik, Autoritärer Geist durch die Hintertür
Deutschlandradio Kultur, Beitrag vom 16.02.2016

Christoph Türcke im Gespräch mit Liane von Billerbeck

Macht der Messung

Schule und Unterricht
„Bildung ist mehr als Kompetenztraining“

Neue Konzepte verändern unser Bildungswesen. Sie drohen, das Bildungsniveau zu senken, pädagogische Ziele zu unterlaufen und Schüler in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern zu behindern. Trotz wachsender Kritik werden sie bildungspolitisch durchgesetzt, werden Lehrpläne und Schulbücher entsprechend umgeschrieben und Lehrer daraufhin ausgebildet.
Interview mit Prof. Dr. Jochen Krautz

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Krautz, wohin steuert unser Bildungswesen?
Prof. Dr. Jochen Krautz: Besser wäre zu fragen, wohin es gesteuert wird. Die Schule der Zukunft soll nach den Vorstellungen machtvoller Akteure zu einer Art Dienstleistungsorganisation werden, die keine soziale Einrichtung mehr ist. Internationale Akteure, Lobbygruppen wie die Bertelsmann Stiftung treiben diesen Umbau nach ökonomistischen Prinzipien voran, die in der Bildung nichts verloren haben. Man schreibt Konzepte und konzipiert die Durchsetzungsstrategien, mit der vermeintliche „Lösungen“ an den Bürgern vorbei politisch umgesetzt werden.

Was sind das für Forderungen?
Aus dem ökonomischen Globalisierungsprozess wird abgeleitet, dass sich unser Bildungswesen auf die daraus vermeintlich resultierenden Anforderungen einzustellen habe. Bildung müsse befähigen, sich dieser Entwicklung anzupassen, also nicht kritisch zu hinterfragen, sondern „flexibel“ und „kreativ“ darauf zu reagieren. Die Reformmaßnahmen der letzten Jahre hängen damit zusammen, wenn dieser Zusammenhang auch oft nicht direkt einsichtig ist: Englisch schon im Kindergarten, individuelle Förderung, selbstgesteuertes Lernen, Lehrer als „Coaches“, Kompetenzorientierung, mehr Wettbewerb und Effizienz, Qualitätsmanagement und Evaluationen, zentrale Tests und Abschlüsse, PISA-Studien, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schulzeit, Notebook oder Tablet für jeden Schüler.

Was ist daran falsch?
All diese Maßnahmen führen faktisch zu einem schleichend veränderten Bildungsverständnis. Immer weniger wird darüber nachgedacht, worum es bei der Bildung eigentlich gehen sollte. Bildung ist mehr als „Kompetenztraining“, bedeutet Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen eines klaren Wertehorizonts. Dies ist auch in den meisten Landesverfassungen ausdrücklich so formuliert.  (…) [für Berlin siehe nachfolgend: Schulgesetz für das Land Berlin]

Wie sieht so eine ökonomisierte Bildung aus?
Ausgehend von der Annahme, dass wir uns in einem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft befinden, wird Wissen als die entscheidende Ressource für Wirtschaftswachstum angesehen und der Mensch gilt dabei als „Humankapital“, in das investiert werden muss. Die für die PISA-Tests verantwortliche OECD hat schon früh deutlich gemacht, dass Schulen und Universitäten eine Art Produktionsstätten für solches Humankapital sein sollten, die die Aufgabe haben, junge Menschen von Kultur und Traditionen abzukoppeln, also zu entwurzeln, um sie steuerbar zu machen, sie für den neoliberalen „Fortschritt“ zu öffnen. Der Bildungsprozess erschöpft sich deshalb in formulierten Ergebniserwartungen und deren Überprüfung. Relevant ist nur, was getestet werden kann. Qualität bedeutet dabei Effizienz: eine günstige Kosten-Nutzen-Relation. Da sich die Qualität wirklicher Bildung nicht so einfach messen lässt, rückt ein neuer Begriff in den Mittelpunkt: die Kompetenz. Kompetenz beschreibt laut OECD eben die Fähigkeit zur Anpassung. (…)

Wie kann sich so ein Konzept durchsetzen?
Indem man dezidierte Mechanismen der Propaganda anwendet. Eine Schlüsselrolle hat etwa die PISA-Studie der OECD gespielt. Sie inszeniert eine Scheinwirklichkeit: Auf ihre angeblich „objektiven“ Messdaten reagieren seitdem Medien, Politiker und Wissenschaftler. [siehe unten] Was PISA eigentlich misst, fragt niemand mehr. Und ob wir wollen, dass seitdem das Bildungswesen den Forderungen der OECD gemäß umgebaut wird, gerät auch aus dem Blick. Die OECD nimmt also eine normative Setzung vor und stülpt sie den nationalen Bildungswesen über: Sie definiert nun, was Bildung ist. Das ist ein klarer Fall von Kompetenzanmaßung. Und weil die OECD selbst sehr genau weiß, dass sie eigentlich keine legitimen Einflussmöglichkeiten auf nationale Bildungspolitik hat, arbeitet sie mit der „Naming-and-shaming-Technik“: Sie stellt „PISA-Verlierer“ an den medialen Pranger und lobt „PISA-Gewinner“. So übt sie starken Druck auf eigentlich souveräne Staaten aus. Und tatsächlich sorgte der „PISA-Schock“ für ein reflexives Vakuum, in dem man sich bereitwillig nach dem von der OECD propagierten Bildungskonzept richtete, um die „Schmach“ wettzumachen. So unterläuft die OECD nationale Verfassungen und nationale Lehrpläne. Sie setzt ein Menschenbild und einen Bildungsbegriff durch, der weit entfernt ist von dem, was demokratisch legitimierter Konsens ist. Die Politik und die Medien unterstützten die pseudowissenschaftliche Propaganda, indem sie eine wahre PISA-Hysterie schürten. (…)

zum Artikel:  ÖkologiePolitik, Nr. 168, 2015, Schule und Unterricht, „Bildung ist mehr als Kompetenztraining“


HopmannIn einem Sammelband „PISA zufolge PISA – Hält PISA, was es verspricht?“ von Dr. Stefan Thomas Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung an der Universität Wien, sind 18 Beiträge von Forscherinnen und Forschern aus 7 europäischen Ländern publiziert. Die Ergebnisse fasst er im Vorwort folgendermaßen zusammen:

„Das PISA-Projekt ist offenkundig mit so vielen Schwachstellen und Fehlerquellen belastet, dass sich zumindest die populärsten Endprodukte, die internationalen Vergleichstabellen sowie die meisten nationalen Zusatzanalysen zu Schulen und Schulstrukturen, Unterricht, Schulleistungen und Problemen wie Migration, sozialer Hintergrund, Geschlecht usw., in den bisher praktizierten Formen wissenschaftlich schlicht nicht aufrecht erhalten lassen.“

(…) „others tend to a conclusion that the PISA project is beyond repair (e.g. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) or so much embedded in a specific political purpose, that it rather should be considered as a type of research-based policy making, not as a scholarly undertaking (e.g. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

(…) „andere [Autoren] kommen zu dem Schluss, dass das PISA-Projekt nicht zu retten ist (z.B. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) oder so sehr einem spezifischen politischen Ziel untergeordnet ist, dass es sich eher um eine auf Forschungen basierende Form des Politikmachens handelt und nicht um ein wissenschaftliches Projekt (z.B. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

Insgesamt tendiert das Buch dazu, die Eingangsfrage „Hält PISA, was es verspricht?“ mit einem klaren NEIN zu beantworten. Das liegt auch daran, dass PISA MitarbeiterInnen sich schlicht geweigert haben, an der Diskussion teilzunehmen bzw. Beiträge zu schreiben.

Stefan Thomas Hopmann, Gertrude Brinek, Martin Retzl (Hg./Eds.)
PISA zufolge PISA – PISA According to PISA. Hält PISA, was es verspricht? –
Does PISA Keep What It Promises?, LIT VERLAG, Wien–Zürich, ISBN 978-3-8258-0946-1, 420 S.


Auszug:  Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG)
Vom 26. Januar 2004

§ 3 Bildungs- und Erziehungsziele
(1) Die Schule soll Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbständig zu treffen und selbständig weiterzulernen, um berufliche und persönliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen und die Zukunft der Gesellschaft mitzuformen.
(2) Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen,
1. für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen sowie ein aktives soziales Handeln zu entwickeln,
2. sich Informationen selbständig zu verschaffen und sich ihrer kritisch zu bedienen, eine eigenständige Meinung zu vertreten und sich mit den Meinungen anderer vorurteilsfrei auseinander zu setzen,
3. aufrichtig und selbstkritisch zu sein und das als richtig und notwendig Erkannte selbstbewusst zu tun,
4. die eigenen Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeiten sowie musisch-künstlerischen Fähigkeiten zu entfalten und mit Medien sachgerecht, kritisch und produktiv umzugehen,
5. logisches Denken, Kreativität und Eigeninitiative zu entwickeln,
6. Konflikte zu erkennen, vernünftig und gewaltfrei zu lösen, sie aber auch zu ertragen,
7. Freude an der Bewegung und am gemeinsamen Sporttreiben zu entwickeln.
(3) Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen,
1. die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
2. die Gleichstellung von Mann und Frau auch über die Anerkennung der Leistungen der Frauen in Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft zu erfahren,
3. die eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten,
4. ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in einem gemeinsamen Europa wahrzunehmen,
5. die Auswirkungen des eigenen und gesellschaftlichen Handelns auf die natürlichen lokalen und globalen Lebensgrundlagen zu erkennen, für ihren Schutz Mitverantwortung zu übernehmen und sie für die folgenden Generationen zu erhalten,
6. die Folgen technischer, rechtlicher, politischer und ökonomischer Entwicklungen abzuschätzen sowie die wachsenden Anforderungen des gesellschaftlichen Wandels und der internationalen Dimension aller Lebensbezüge zu bewältigen,
7. ihre körperliche, soziale und geistige Entwicklung durch kontinuierliches Sporttreiben und eine gesunde Lebensführung positiv zu gestalten sowie Fairness, Toleranz, Teamgeist und Leistungsbereitschaft zu entwickeln,
8. ihr zukünftiges privates, berufliches und öffentliches Leben in Verantwortung für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen auszugestalten, Freude am Leben und am Lernen zu entwickeln sowie die Freizeit sinnvoll zu nutzen.

Schulgesetz für das Land Berlin

Hamlet stört im Unterricht – Zur Ökonomisierung der Schule

Das verlorene Subjekt

von Hinrich Lühmann, ehemaliger Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums in Berlin-Tegel. Unter dem Titel: „Zur Handhabbarkeit von Bildung – Output-Phantasien“ vorgetragen auf dem Kongress „Irrwege der Unterrichtsreform“, Frankfurt, Goethe Universität, 24. März 2012.

(…) Meine Damen und Herren: Hamlet stört. Wie sehr und auf welche Weise, das verrät uns in schöner Offenheit ein „Fachbrief“ der Berliner Senatsschulverwaltung; dabei geht es um neue Aufgabenformate für Grund- und Leistungskurse Englisch im schriftlichen Abitur. Ich zitiere:

„[…Wir haben] uns daran gewöhnt, dass unsere Schülerinnen und Schüler sehr gezielt auf die
Aufgabenstellungen im Abitur vorbereitet werden und diese daher auf einem vergleichsweise hohen Niveau bearbeiten. Doch diese Spezialisierung kostete ihren Preis: […] der Unterricht befähigte sie nicht dazu, Texte im Kontext ihres realen Lebensumfelds zu analysieren und zu erstellen. Das Verfassen eines Essays über ein literarisches Werk stellt beispielsweise eine außerhalb der Schule äußerst seltene Anforderung dar, wohingegen Briefe […] immer wieder verlangt werden.Vor allen Dingen kommt es bei den Anforderungen, mit denen unsere Schülerinnen und Schüler in Ausbildung und Beruf konfrontiert sein werden, darauf an, dass sie in der Lage sind, sich schnell zu orientieren und über aktuelle Zusammenhänge zu recherchieren. Diese Fähigkeit lässt sich nicht durch die Vermittlung eines Wissenskanons erzeugen, denn dieser hat in unserer Zeit bekanntlich nur kurz Bestand. Stattdessen benötigen sie Kompetenzen und Grundkenntnisse, die als eine Art Fundament für den Erwerb der jeweils benötigten Spezialkenntnisse in den unterschiedlichsten Bereichen dienen.
[…] Anspruchsvolle Klausuren [stellen] keine […] Vorbereitung dar auf eine Welt, in der Flexibilität und die Fähigkeit zum schnellen Erwerb von Wissen überlebensnotwendig sind. [Daher setzt sich] das [neue] Zentralabitur zum Ziel zu überprüfen, ob die Prüflinge […] Aufgabenstellungen gerecht werden, die sich an realen Anforderungen orientieren.“
„Es sei hier auch noch einmal darauf verwiesen, dass die wenigsten unserer Schülerinnen und Schüler, die am Englisch-Unterricht teilnehmen, ein Literaturstudium anstreben. Die meisten von ihnen werden voraussichtlich in ihrem weiteren Leben Englisch als Verkehrssprache […] nutzen.“

Das leuchtet ein: da sich kaum jemand sich auf Literatur „spezialisieren“ wird, braucht man auch keine zu lesen. „Hamlet“ stört solchen Unterricht. (…)

(…) dieses ministerielle Rundschreiben spiegelt ein funktionales Denken, ausgerichtet an angeblichen Anforderungen des Arbeitsmarktes, dem die Schule zuarbeiten müsse. Wer so denkt, fällt zweihundert Jahre zurück und gesellt sich zu jenen Philanthropen, die das „Gelehrtenwissen“ für „unnütz“ erklärt hatten. Insofern ist dieses Rundschreiben ein Sprung zurück hinter die einst exemplarisch vorgelebte und artikulierte Bildung der Brüder Humboldt, es ist nicht modern, sondern schlicht reaktionär. Diese Abwendung von den Inhalten, die Hinwendung zu nützlichem Alltagswissen, das der „Output“ unserer Schulen sein soll, verdanken wir, Sie wissen es, einer einseitigen Interpretation der PISA-Resultate. (…)

In dieser Situation: great expectations ohne Geld in den Kassen, haben Unternehmensberater den entscheidenden Tipp geliefert: ökonomisiert die Schule, leitet sie wie ein Unternehmen. Die Betriebskosten bleiben gleich, das Produkt wird besser: Effizienz endlich auch in der Bildung!
Gesagt, getan. Ein betriebswirtschaftlicher Begriffsnebel hat sich über uns gelegt.

Zur neuen Schule gehören seither:
Corporate identity, Output–Orientierung, Normierung, Controlling, Qualitätsmanagement. Ein Leitbild muss her und ein Schulprogramm. Eine Steuerungsgruppe formuliert nach Bestandsaufnahme und Stärken–Schwächen–Analyse Entwicklungsziele. Zielvereinbarungen binden Schulaufsicht, Schulleitung und Lehrer in ein Geflecht von Anforderungen, die sie gemeinsam unter Anwendung infantilisierender
Moderationsmethoden entwickelt haben. Wer nicht mitzieht, der wird in einem von gegenseitiger Wertschätzung getragenen Mitarbeitergespräch vom rechten Weg überzeugt. So werden Lehrer endlich professionell. Der Schulleiter, einst administrativ dilettierender Primus inter pares, übernimmt Ergebnisverantwortung; er wird Vorgesetzter und regiert top down: ist Manager, nur nebenher noch Pädagoge. Wo einst ein fahles Humboldtbild die Lehrerzimmer zierte, strahlen heute quietschbunte Zahlen und Figuren: Säulendiagramme illustrieren die datengestützte Bewertung der Qualität einer Schule. Denn die Schulinspektion war da, die alle paar Jahre für drei Tage einfällt, jeden Lehrer für ganze zwanzig Minuten besucht; ein hochkomplexes Zahlenwerk, sortiert in neunzig Kategorien, Lob und Tadel und gute Besserungswünsche hinterlässt – in dem Glauben, dass man Unterrichtsqualität ohne Ansehen der Individuen beurteilen könne, und nun der einzelne Lehrer aufgrund der akkumulierten Zahlen der ganzen Schule einen besseren Unterricht geben werde und dass es dem Management der Schule jetzt gelinge, alle zu neuen Ufern zu führen. (…)

zum Beitrag:  Irrwege der Unterrichtsreform, „Das verlorene Subjekt“, Hinrich Lühmann

siehe dort auch die weiteren Beiträge z.B. „Betrieb Schule. Eine Polemik“

Zitate aus: Fachbrief Englisch Nr. 11, 27. November 2006, S.11, Hg.: Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung / Landesinstitut für Schule und Medien.

Ökonomisierungspolitik im Bildungsbereich

Vortragsreihe vom 24.9.2015 bis zum 28.1.2016 in der Goethe Universität Frankfurt am Main, Campus Bockenheim

GEW Wirtschaftsbetrieb

Der wachsende Widerstand gegen Folgen der Ökonomisierungspolitik im Bildungsbereich zeigt, wie wichtig es ist, „die Programme, Schlagwörter, Aus- und Absichten, aber auch die maßgeblichen Akteure einer globalen Transformation des Bildungswesens auf den Prüfstand des kritischen Denkens zu stellen und über Alternativen zu einer Sichtweise nachzudenken, für die der allein in Geldsummen messbare ökonomische Nutzen zum alles bestimmenden Maßstab von Schule und Hochschule erklärt wird.“

 

 

mehr:  Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.

siehe auch:  10 Jahre Frankfurter Einsprüche gegen die Ökonomisierung des Bildungswesens. Bilanz und Fortsetzung