Archiv des Monats: Januar 2016

Macht der Messung

Schule und Unterricht
„Bildung ist mehr als Kompetenztraining“

Neue Konzepte verändern unser Bildungswesen. Sie drohen, das Bildungsniveau zu senken, pädagogische Ziele zu unterlaufen und Schüler in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern zu behindern. Trotz wachsender Kritik werden sie bildungspolitisch durchgesetzt, werden Lehrpläne und Schulbücher entsprechend umgeschrieben und Lehrer daraufhin ausgebildet.
Interview mit Prof. Dr. Jochen Krautz

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Krautz, wohin steuert unser Bildungswesen?
Prof. Dr. Jochen Krautz: Besser wäre zu fragen, wohin es gesteuert wird. Die Schule der Zukunft soll nach den Vorstellungen machtvoller Akteure zu einer Art Dienstleistungsorganisation werden, die keine soziale Einrichtung mehr ist. Internationale Akteure, Lobbygruppen wie die Bertelsmann Stiftung treiben diesen Umbau nach ökonomistischen Prinzipien voran, die in der Bildung nichts verloren haben. Man schreibt Konzepte und konzipiert die Durchsetzungsstrategien, mit der vermeintliche „Lösungen“ an den Bürgern vorbei politisch umgesetzt werden.

Was sind das für Forderungen?
Aus dem ökonomischen Globalisierungsprozess wird abgeleitet, dass sich unser Bildungswesen auf die daraus vermeintlich resultierenden Anforderungen einzustellen habe. Bildung müsse befähigen, sich dieser Entwicklung anzupassen, also nicht kritisch zu hinterfragen, sondern „flexibel“ und „kreativ“ darauf zu reagieren. Die Reformmaßnahmen der letzten Jahre hängen damit zusammen, wenn dieser Zusammenhang auch oft nicht direkt einsichtig ist: Englisch schon im Kindergarten, individuelle Förderung, selbstgesteuertes Lernen, Lehrer als „Coaches“, Kompetenzorientierung, mehr Wettbewerb und Effizienz, Qualitätsmanagement und Evaluationen, zentrale Tests und Abschlüsse, PISA-Studien, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schulzeit, Notebook oder Tablet für jeden Schüler.

Was ist daran falsch?
All diese Maßnahmen führen faktisch zu einem schleichend veränderten Bildungsverständnis. Immer weniger wird darüber nachgedacht, worum es bei der Bildung eigentlich gehen sollte. Bildung ist mehr als „Kompetenztraining“, bedeutet Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen eines klaren Wertehorizonts. Dies ist auch in den meisten Landesverfassungen ausdrücklich so formuliert.  (…) [für Berlin siehe nachfolgend: Schulgesetz für das Land Berlin]

Wie sieht so eine ökonomisierte Bildung aus?
Ausgehend von der Annahme, dass wir uns in einem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft befinden, wird Wissen als die entscheidende Ressource für Wirtschaftswachstum angesehen und der Mensch gilt dabei als „Humankapital“, in das investiert werden muss. Die für die PISA-Tests verantwortliche OECD hat schon früh deutlich gemacht, dass Schulen und Universitäten eine Art Produktionsstätten für solches Humankapital sein sollten, die die Aufgabe haben, junge Menschen von Kultur und Traditionen abzukoppeln, also zu entwurzeln, um sie steuerbar zu machen, sie für den neoliberalen „Fortschritt“ zu öffnen. Der Bildungsprozess erschöpft sich deshalb in formulierten Ergebniserwartungen und deren Überprüfung. Relevant ist nur, was getestet werden kann. Qualität bedeutet dabei Effizienz: eine günstige Kosten-Nutzen-Relation. Da sich die Qualität wirklicher Bildung nicht so einfach messen lässt, rückt ein neuer Begriff in den Mittelpunkt: die Kompetenz. Kompetenz beschreibt laut OECD eben die Fähigkeit zur Anpassung. (…)

Wie kann sich so ein Konzept durchsetzen?
Indem man dezidierte Mechanismen der Propaganda anwendet. Eine Schlüsselrolle hat etwa die PISA-Studie der OECD gespielt. Sie inszeniert eine Scheinwirklichkeit: Auf ihre angeblich „objektiven“ Messdaten reagieren seitdem Medien, Politiker und Wissenschaftler. [siehe unten] Was PISA eigentlich misst, fragt niemand mehr. Und ob wir wollen, dass seitdem das Bildungswesen den Forderungen der OECD gemäß umgebaut wird, gerät auch aus dem Blick. Die OECD nimmt also eine normative Setzung vor und stülpt sie den nationalen Bildungswesen über: Sie definiert nun, was Bildung ist. Das ist ein klarer Fall von Kompetenzanmaßung. Und weil die OECD selbst sehr genau weiß, dass sie eigentlich keine legitimen Einflussmöglichkeiten auf nationale Bildungspolitik hat, arbeitet sie mit der „Naming-and-shaming-Technik“: Sie stellt „PISA-Verlierer“ an den medialen Pranger und lobt „PISA-Gewinner“. So übt sie starken Druck auf eigentlich souveräne Staaten aus. Und tatsächlich sorgte der „PISA-Schock“ für ein reflexives Vakuum, in dem man sich bereitwillig nach dem von der OECD propagierten Bildungskonzept richtete, um die „Schmach“ wettzumachen. So unterläuft die OECD nationale Verfassungen und nationale Lehrpläne. Sie setzt ein Menschenbild und einen Bildungsbegriff durch, der weit entfernt ist von dem, was demokratisch legitimierter Konsens ist. Die Politik und die Medien unterstützten die pseudowissenschaftliche Propaganda, indem sie eine wahre PISA-Hysterie schürten. (…)

zum Artikel:  ÖkologiePolitik, Nr. 168, 2015, Schule und Unterricht, „Bildung ist mehr als Kompetenztraining“


HopmannIn einem Sammelband „PISA zufolge PISA – Hält PISA, was es verspricht?“ von Dr. Stefan Thomas Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung an der Universität Wien, sind 18 Beiträge von Forscherinnen und Forschern aus 7 europäischen Ländern publiziert. Die Ergebnisse fasst er im Vorwort folgendermaßen zusammen:

„Das PISA-Projekt ist offenkundig mit so vielen Schwachstellen und Fehlerquellen belastet, dass sich zumindest die populärsten Endprodukte, die internationalen Vergleichstabellen sowie die meisten nationalen Zusatzanalysen zu Schulen und Schulstrukturen, Unterricht, Schulleistungen und Problemen wie Migration, sozialer Hintergrund, Geschlecht usw., in den bisher praktizierten Formen wissenschaftlich schlicht nicht aufrecht erhalten lassen.“

(…) „others tend to a conclusion that the PISA project is beyond repair (e.g. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) or so much embedded in a specific political purpose, that it rather should be considered as a type of research-based policy making, not as a scholarly undertaking (e.g. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

(…) „andere [Autoren] kommen zu dem Schluss, dass das PISA-Projekt nicht zu retten ist (z.B. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) oder so sehr einem spezifischen politischen Ziel untergeordnet ist, dass es sich eher um eine auf Forschungen basierende Form des Politikmachens handelt und nicht um ein wissenschaftliches Projekt (z.B. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

Insgesamt tendiert das Buch dazu, die Eingangsfrage „Hält PISA, was es verspricht?“ mit einem klaren NEIN zu beantworten. Das liegt auch daran, dass PISA MitarbeiterInnen sich schlicht geweigert haben, an der Diskussion teilzunehmen bzw. Beiträge zu schreiben.

Stefan Thomas Hopmann, Gertrude Brinek, Martin Retzl (Hg./Eds.)
PISA zufolge PISA – PISA According to PISA. Hält PISA, was es verspricht? –
Does PISA Keep What It Promises?, LIT VERLAG, Wien–Zürich, ISBN 978-3-8258-0946-1, 420 S.


Auszug:  Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG)
Vom 26. Januar 2004

§ 3 Bildungs- und Erziehungsziele
(1) Die Schule soll Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbständig zu treffen und selbständig weiterzulernen, um berufliche und persönliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen und die Zukunft der Gesellschaft mitzuformen.
(2) Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen,
1. für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen sowie ein aktives soziales Handeln zu entwickeln,
2. sich Informationen selbständig zu verschaffen und sich ihrer kritisch zu bedienen, eine eigenständige Meinung zu vertreten und sich mit den Meinungen anderer vorurteilsfrei auseinander zu setzen,
3. aufrichtig und selbstkritisch zu sein und das als richtig und notwendig Erkannte selbstbewusst zu tun,
4. die eigenen Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeiten sowie musisch-künstlerischen Fähigkeiten zu entfalten und mit Medien sachgerecht, kritisch und produktiv umzugehen,
5. logisches Denken, Kreativität und Eigeninitiative zu entwickeln,
6. Konflikte zu erkennen, vernünftig und gewaltfrei zu lösen, sie aber auch zu ertragen,
7. Freude an der Bewegung und am gemeinsamen Sporttreiben zu entwickeln.
(3) Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen,
1. die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
2. die Gleichstellung von Mann und Frau auch über die Anerkennung der Leistungen der Frauen in Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft zu erfahren,
3. die eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten,
4. ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in einem gemeinsamen Europa wahrzunehmen,
5. die Auswirkungen des eigenen und gesellschaftlichen Handelns auf die natürlichen lokalen und globalen Lebensgrundlagen zu erkennen, für ihren Schutz Mitverantwortung zu übernehmen und sie für die folgenden Generationen zu erhalten,
6. die Folgen technischer, rechtlicher, politischer und ökonomischer Entwicklungen abzuschätzen sowie die wachsenden Anforderungen des gesellschaftlichen Wandels und der internationalen Dimension aller Lebensbezüge zu bewältigen,
7. ihre körperliche, soziale und geistige Entwicklung durch kontinuierliches Sporttreiben und eine gesunde Lebensführung positiv zu gestalten sowie Fairness, Toleranz, Teamgeist und Leistungsbereitschaft zu entwickeln,
8. ihr zukünftiges privates, berufliches und öffentliches Leben in Verantwortung für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen auszugestalten, Freude am Leben und am Lernen zu entwickeln sowie die Freizeit sinnvoll zu nutzen.

Schulgesetz für das Land Berlin

Keine überprüfbaren Aussagen

Wie die Friedrich-Ebert-Stiftung eine umstrittene Schulreform schönredet

09.01.2016, von Rainer Werner

Als bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg im Jahre 2011 die grün-rote Regierung an die Macht kam, machte sie sich sofort ans Werk, das bis dahin sehr erfolgreiche Schulsystem gehörig «umzupflügen». Zentrum der «Schulreform» war die Gründung von Gemeinschaftsschulen, mit deren Hilfe das Kernanliegen von Grün-Rot, ein (sozial) «gerechtes Schulsystem» verwirklicht werden sollte. Da an dieser Schulform die Spreizung der Begabungen bei den Schülern sehr groß ist, kann der Unterricht nicht mehr im Klassenverband stattfinden, er wird deshalb individualisiert. Jeder Schüler arbeitet einen auf sein Leistungsvermögen abgestimmten Lernplan ab. Vier Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt. Weder die Wissenschaft noch die Eltern sind von dieser Schulform völlig überzeugt, weil sich nicht nur bei den Schülern Leistungsdefizite gezeigt haben, sondern weil im Unterricht Begleiterscheinungen zu beobachten waren, die man kaum als «sozial» bezeichnen kann. Einige Eltern sprechen sogar von einer perfiden Form der Selektion innerhalb der Schülerschaft, die die Individualisierung des Lernens mit sich gebracht habe. (…)

zum Artikel:  Für eine gute Schule, 09.01.2016, Rainer Werner, wie-die-friedrich-ebert-stiftung-eine-umstrittene-schulreform-schoenredet

siehe auch: Für eine gute Schule, Rainer Werner, Neue Schulformen oder eine bessere Pädagogik?

Es wird auf Kosten ganzer Schülerjahrgänge auf Anweisung der Kultusbehörde experimentiert

Arbeitskreis Schule und Bildung in Baden-Württemberg

06.01.2016,  Pressemitteilung
Bildungspolitischem Landtagswahlkampf droht bislang Oberflächlichkeit
Neuerscheinung aus der Schweiz gibt der Diskussion über Erziehung und Bildung wieder Gewicht und Niveau

Zwei Monate vor der Landtagswahl befürchtet der «Arbeitskreis Schule und Bildung in Baden-Württemberg», dass sich die bildungspolitischen Auseinandersetzungen im Rahmen des Wahlkampfes auf Oberflächliches beschränken werden.

Einen ersten Eindruck von dem, was zu erwarten ist, bot die im Dezember 2015 von der Friedrich Ebert Stiftung herausgegebene, knapp 50 Seiten umfassende Studie «Kontrovers, aber erfolgreich!? Eine Zwischenbilanz grün-roter Bildungsreformen in Baden-Württemberg».

Im Auftrag der SPD-nahen Stiftung hatten Marius R. Busemeyer und Susanne Haastert, Politikwissenschaftler an der Universität Konstanz, Gespräche mit 25 zu meist Verbands- und Parteifunktionären sowie mit Schulleitungen und ganz wenigen Lehrern, Eltern, Schülern und Vertretern der kommunalen Verwaltung von 4 Gemeinschaftsschulen geführt, um deren Meinung über die grün-rote Bildungspolitik, deren Ziele und deren Zielerreichungsgrad zu erfragen.

Die schriftlich vorliegenden Ergebnisse der Studie zeichnen sich durch eine erschreckende Oberflächlichkeit aus. Bildungspolitischer oder gar pädagogischer Tiefgang fehlt völlig.
Hier eine Kostprobe, der man viele weitere hinzufügen könnte:

«Die Erfahrungen mit der Gemeinschaftsschule bewerten die Schüler_innen trotz der anfänglichen Umstellung auf den ungewohnten Unterrichtsstil sehr positiv. Zwar verbringen die Schüler_innen durch den Ganztagsbetrieb mehr Zeit in der Schule, haben danach aber keine Schularbeiten mehr zu erledigen. Dadurch empfinden sie weniger Druck zu Hause – und wenn doch einmal Unterstützung beim Lernen gebraucht wird, sei die Hilfsbereitschaft der Eltern größer. Die Eltern bestätigen, dass den Familien durch den Wegfall der Verantwortung für Hausaufgaben und Lernen mehr freie Zeit für gemeinsame Aktivitäten bleibt.»

Nirgendwo ist zum Beispiel die Rede davon, wie und was genau die Schüler in den seit 3 Jahren bestehenden Gemeinschaftsschulen wirklich gelernt (oder aber nicht gelernt) haben und wie sie sich als junge Menschen in ihrer Persönlichkeit tatsächlich entwickelt haben. Geschweige denn, dass solche Ergebnisse mit denen von anderen Schulen verglichen wurden. Schon gar nicht gefragt wurde nach der Gemeinwohltauglichkeit grün-roter Bildungspolitik.

Das entspricht den bisherigen Versuchen der grün-roten Landesregierung, die Diskussion über ihre Schulreformen zu banalisieren, zu trivialisieren und allein oberflächlich zu gestalten (mit Parolen wie «Vielfalt macht schlauer»). Soll noch der denkende und mitfühlende Mensch, der mündige Bürger in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft angesprochen werden? Oder nur noch eine Karikatur des Menschen, die auf «Funktionen» wie Produktion und Konsum, Spaß und Bequemlichkeit reduziert wird – messbar, berechenbar und steuerbar, aber ohne wirkliche Individualität und ohne Gemeinschaftsgefühl? Was ist das verdeckte Ziel der Schulreformen?

In unserem Nachbarland Schweiz haben sich nun auch «Professoren, Lehrer, Wissenschaftler, Kulturschaffende und Eltern mit links-liberaler Gesinnung »mit deutlicher Kritik an den dortigen Schulreformen zu Wort gemeldet. Frappant sind die Parallelen zur Entwicklung in Baden-Württemberg.

Was in der Schweiz zum Beispiel als «Lehrplan 21» sehr umstritten ist und intensiv diskutiert wird, sind in Baden-Württemberg die für dieses Jahr geplanten neuen Bildungspläne. Alle Schlagwörter aus Baden-Württemberg geistern auch durch unser Nachbarland Schweiz. Die Stellungnahmen aus der Schweiz haben nicht nur Gewicht und Niveau, sie sind auch für unser Bundesland von großer Bedeutung.  (Die Broschüre hat den Titel «Einspruch. Kritische Gedanken zu Bologna, Harmos und Lehrplan21» und kann bei einem der Herausgeber, dem Schweizer Lehrer Alain Pichard, per E-Mail (arkadi@bluemail.ch) bestellt werden.)

c/o Ewald Wetekamp, Wassergasse 12, 78333 Stockach
mail@arbeitskreis-schule-und-bildung.de
www.arbeitskreis-schule-und-bildung.de


Weitere Auszüge aus der Auftragsstudie „Kontrovers, aber erfolgreich!? – Eine Zwischenbilanz grün-roter Bildungsreformen in Baden-Württemberg“:

(…) Die Oppositionsparteien, Realschul-, Gymnasial- und Berufsschullehrerverbände sowie der Volkshochschulverband kritisieren, dass die grün-rote Landesregierung keine Problemanalyse durchgeführt habe (Exp13, Exp23); stattdessen, so das Verständnis dieser Akteur_innen, dienten die Reformen primär der Umsetzung einer ideologischen Vorstellung mit dem Ziel der „Einheitsschule“ (Exp4, Exp13, Exp17, Exp20, Exp23, Exp25). (…) (Seite 18)

Bildungsgerechtigkeit und Qualitätsverbesserung werden von allen Akteur_innen als sehr hohe – oder sogar die höchsten – Ziele von Bildungspolitik eingeschätzt.
Jedoch sind die Auffassungen darüber sehr unterschiedlich, was Bildungsgerechtigkeit oder auch Qualität im Schulsystem konkret bedeuten. (…) (Seite 19)

Aus Sicht dieser Akteur_innen (Exp2, Exp4, Exp17, Exp20, Exp23, Exp25) waren die von der grün-roten Landesregierung durchgeführten Reformen nicht nur unnötig, sondern haben sogar einen gegenteiligen Effekt auf Bildungsgerechtigkeit, weil sie die Vielfalt der Schulformen angriffen, die leistungsstarken Schüler_innen nicht angemessen förderten und zu einem Anstieg der Schülerzahlen an Privatschulen geführt hätten (ebd.). Tendenziell sprechen sich diese Akteur_innen dafür aus, das gegliederte System beizubehalten. (…) (Seite 19)

(…) Befürworter_innen als auch Kritiker_innen der Landesregierung [sagen], dass noch abzuwarten bleibt, ob sich die Reformen tatsächlich auf die Bildungsgerechtigkeit auswirken werden. (Seite 20)

(…) Insgesamt sind Vertreter_innen aller Akteursgruppen der Meinung, dass die Entscheidung für eine weiterführende Schule teilweise nicht am Kindeswohl ausgerichtet werde und dann dem Kind eher psychisch schade (Exp2, Exp4, Exp5, Exp7, Exp8, Exp11, Exp12, Exp13, Exp14, Exp19, Exp20, Exp22). Dies resultiere aus einem Mangel an Beratung für die Eltern (Exp5, Exp6, Exp7, Exp8, Exp11, Exp14, Exp15, Exp16, Exp18, Exp20); zum einen hätten die Grundschullehrer_innen keine zusätzlichen Stunden für die erforderliche intensivere Beratung zugesprochen bekommen (Exp3, Exp19, Exp25), zum anderen wollten einige Eltern die Beratung nicht zur Kenntnis nehmen bzw. folgten auch nicht der unverbindlichen Empfehlung (Exp2, Exp22). (…) (Seite 26)


Zusammenfassend kann man mit dem Erziehungswissenschaftler Ulrich Steffens (Direktor am hessischen Landesschulamt in Wiesbaden) sagen:

“Pädagogische Fragen sind leider häufig eine Domäne parteipolitischer Interessen, wobei politische Parameter und manchmal auch ideologische Standpunkte Vorrang vor sachlogischen Gesichtspunkten haben”.
Aus dem Artikel: “Mit den Augen der Lernenden”, siehe unter der Seite „Lernen“

Die Unterrichtskonzepte ändern sich nicht deshalb, weil sie sich als untauglich erwiesen haben. Nach Belegen für ihre Wirksamkeit wird selten gefragt. Sie werden abgelöst, weil die Politik es will! Es wird auf Kosten ganzer Schülerjahrgänge auf Anweisung der Kultusbehörde experimentiert.

siehe auch: FAZ, 10.05.2013, Dr. Matthias Burchardt und Prof. Jochen Krautz, Neue „Lernkultur“ im Musterländle

siehe auch:  FAZ, 16.08.2015, Heike Schmoll, Studie zur Gemeinschaftsschule – Schwäbisches Himmelfahrtskommando
Ein Gutachten stellt dem Vorzeigeprojekt Gemeinschaftsschule ein vernichtendes Urteil aus. Vor allem das individuelle Lernen erweise sich als denkbar ineffektiv.