Archiv für den Monat: Juli 2025

Gemeinsam ein Kinderbuch anschauen

Kinderbücher können die emotionale und sprachliche Kompetenz von Kindern wirksam fördern

Anna Mildenberger, ifak-kindermedien.de/theorie-und-praxis, 20. Mai 2025

Emotionen spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Kindern. Besonders in den ersten Lebensjahren lernen Kinder durch Beobachten, Erleben und Nachahmen von Gefühlen, wie sie ihre eigenen Emotionen erkennen, benennen und regulieren können. Kinderbücher sind ein wertvolles Werkzeug, um diesen Lernprozess zu unterstützen. Sie erzählen nicht nur spannende Geschichten, sondern bieten auch zahlreiche Gelegenheiten, um emotionale Kompetenzen zu entwickeln. In diesem Artikel betrachten wir, wie Kinderbücher Emotionen thematisieren und die emotionale Entwicklung von Kindern fördern können.

Entwicklung der emotionalen Fähigkeiten

Emotionen sind komplexe Reaktionen, die aus einem Gefühl, einem Auslöser, einer Bewertung, einer körperlichen Reaktion und einem Emotionsausdruck bestehen. Sie beeinflussen unser Verhalten, steuern Interaktionen und wirken sich auf unser Denken aus. 

Das emotionale Lernen beginnt bereits vor der Geburt und entwickelt sich während der gesamten Kindheit weiter. Die größten Fortschritte macht das Kind jedoch in den ersten sechs Lebensjahren, in denen es wichtige emotionale Fähigkeiten wie den Ausdruck, das Verständnis und die Regulation von Gefühlen erlernt.

Im ersten Jahr entwickelt das Kind erste Emotionen wie Freude, Angst und Ärger. Es lernt, diese durch Mimik und Lautäußerungen auszudrücken und zeigt erste Empathie, indem es auf die Emotionen anderer reagiert. Es zeigt erste Ansätze zur Selbstberuhigung, benötigt jedoch Unterstützung von vertrauten Bezugspersonen.

Im zweiten Lebensjahr wird der Emotionsausdruck mit der Entwicklung der Sprache facettenreicher. Das Kind verwendet erste Worte für Emotionen und versteht zunehmend, dass Gefühle von inneren Wünschen und Zielen abhängen. Es entwickelt erste Selbstberuhigungsstrategien und zeigt erste egozentrische Empathie.

Kinder im dritten Lebensjahr lernen, zwischen dem inneren Erleben von Gefühlen und ihrem sichtbaren Ausdruck zu unterscheiden. Sie erkennen zunehmend, dass Mimik nicht immer das wahre Empfinden zeigt. Sie lernen, Emotionen als subjektive Erfahrungen zu verstehen und beginnen, erste Perspektivenwechsel vorzunehmen.

Im Kindergartenalter erweitern Kinder ihr Emotionsvokabular und entwickeln ein besseres Verständnis für die Emotionen anderer. Sie lernen, soziale Regeln für den Emotionsausdruck zu befolgen und entwickeln zunehmend die Fähigkeit zur Empathie, indem sie zwischen den Gefühlen anderer und ihren eigenen differenzieren.

Vorschulkinder haben ein vielseitiges Verständnis für Emotionen und beginnen, ihren Emotionsausdruck bewusst zu kontrollieren. Sie können Emotionen strategisch vortäuschen oder verbergen, um unerwünschte Reaktionen bei anderen zu vermeiden. Ihre Empathiefähigkeit vertieft sich weiter, indem sie die Emotionen anderer besser in Kontext setzen können.

In jedem dieser Jahre macht das Kind wichtige Fortschritte in seiner emotionalen Entwicklung – eine wichtige Grundlage für den späteren Umgang mit sich selbst und anderen.

Wie Kinderbücher Emotionen vermitteln

Kinderbücher bieten eine breite Palette an Emotionen, von Freude, Traurigkeit und Angst bis hin zu Wut, Scham und Stolz. Sie stellen Situationen dar, in denen Charaktere mit verschiedenen Emotionen konfrontiert sind, und zeigen, wie sie mit diesen Gefühlen und den damit verbundenen Herausforderungen umgehen. Geschichten, in denen Charaktere diese Emotionen erleben, vermitteln den Leser*innen, dass all diese Gefühle normal und Teil des menschlichen Lebens sind. Besonders hilfreich sind Bücher, die den Übergang zwischen verschiedenen Gefühlszuständen verdeutlichen. Zum Beispiel kann ein Kind lernen, dass Traurigkeit oft in Glück umschlagen kann, wenn es eine Lösung für ein Problem findet oder eine positive Veränderung erlebt.

Bücher, die gut entwickelte Charaktere zeigen, die mit eigenen Ängsten oder Sorgen kämpfen, können Kindern helfen, Empathie zu entwickeln. Wenn ein Kind die inneren Konflikte einer Figur nachvollzieht, erweitert sich sein eigenes Verständnis für die Gefühle anderer. Dadurch wird das Kind in seiner Fähigkeit unterstützt, sich in andere hineinzuversetzen, und lernt, die Emotionen von Gleichaltrigen besser zu erkennen und darauf einfühlsam zu reagieren.

Die Rolle von Illustrationen

In vielen Kinderbüchern spielen nicht nur die Worte, sondern auch die Illustrationen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Emotionen zu vermitteln. Bilder können die intensiven Gefühle von Figuren verstärken und oft noch deutlicher ausdrücken als Worte. Ein trauriger Gesichtsausdruck, die Körperhaltung eines Charakters oder die Verwendung bestimmter Farben (wie Blau für Traurigkeit oder Rot für Wut) helfen Kindern, Emotionen visuell zu erkennen und zu verstehen.

Bücher für unterschiedliche Altersgruppen

Je nach Alter und Entwicklungsstand unterscheiden sich die Bedürfnisse der Kinder im Hinblick auf die Vermittlung von Emotionen. Bei jüngeren Kindern können Bilderbuchgeschichten, die einfache Emotionen wie Freude, Trauer und Wut thematisieren, hilfreich sein. Diese Bilderbücher konzentrieren sich oft auf konkrete Situationen, in denen sich Kinder selbst wiedererkennen können.

Im Vorschulalter sind Bücher, die soziale Interaktionen und Konflikte zwischen Kindern darstellen, besonders wertvoll. Sie bieten nicht nur Einsicht in die Gefühlswelt der Kinder, sondern auch in die Art und Weise, wie Gefühle in zwischenmenschlichen Beziehungen Ausdruck finden.

Im Grundschulalter können komplexere Geschichten mit tiefergehenden emotionalen Themen und verschiedenen Perspektiven dabei helfen, die Empathiefähigkeit und das Verständnis für differenzierte Gefühle weiter zu entwickeln.

Kinderliteratur zur Förderung der emotionalen Kompetenz?

Ein Forschungsteam an der Freien Universität Berlin entwickelte 2008 ein literaturbasiertes Interventionsprogramm zur Förderung emotionaler Kompetenz für Kinder der zweiten und dritten Klasse. Grundlage des Programms war das Kinderbuch “Ein Schaf fürs Leben”, das gezielt eingesetzt wurde, um das Emotionsvokabular, das Emotionswissen sowie die Fähigkeit zu stärken, gemischte und maskierte Gefühle zu erkennen. Nach 10 Wochen zeigte sich, dass die Kinder der Interventionsgruppe signifikant höhere Werte in diesen Bereichen erzielten, insbesondere bei der Wahrnehmung von verdeckten Gefühlen. Die Ergebnisse belegen: Kinderliteratur kann die emotionale Kompetenz von Kindern wirksam fördern, indem sie das Verständnis für Gefühle erweitert und differenziert.

Einsatz von Kinderbüchern zur Bewältigung von Trauer

Kinder haben oft Schwierigkeiten, ihre Gefühle auszudrücken – besonders in traurigen oder belastenden Stuationen wie dem Verlust eines Haustiers oder einer nahestehenden Person. In solchen Momenten erreichen die Worte von Erwachsenen sie oft nicht, oder die Kinder fühlen sich nicht verstanden, was es noch schwieriger macht, mit der Trauer oder Verwirrung umzugehen. Kinderbücher können daher in Zeiten der Trauer eine Unterstützung sein. [„Weil du mir so fehlst“ von Ayse Bosse und Andreas Klammt] Sie bieten einen geschützten Rahmen, in dem Kinder sich mit ihren eigenen Gefühlen auseinandersetzen können. Gleichzeitig helfen die Geschichten dabei, die oft überwältigenden Emotionen besser zu verstehen.

Durch Geschichten, die kindgerecht auf Trauer, Abschied und den Umgang mit Verlust eingehen, können Kinder lernen, dass ihre Gefühle normal und okay sind. Bilder und Erzählungen bieten Kindern somit die Möglichkeit, ihre Ängste, Fragen oder Unsicherheiten auszudrücken, ohne dass sie sich überfordert fühlen.

Fazit

Kinderbücher sind tolle Hilfsmittel zur Förderung der emotionalen Entwicklung von Kindern. Durch Geschichten können Kinder verschiedene Emotionen kennenlernen, verstehen und einen gesunden Umgang mit ihnen erlernen. Darüber hinaus fördern Kinderbücher die Empathiefähigkeit, indem sie Kindern die Möglichkeit bieten, sich in andere hineinzuversetzen und deren Perspektiven einzunehmen. So tragen Kinderbücher nicht nur dazu bei, das Emotionsverständnis zu erweitern, sondern fördern auch das Ausdrucksvermögen und die Fähigkeit, sich selbst und andere besser zu verstehen.

Siehe auch: Wenn die Kita schon zu spät ist, Ralf Pauli, taz, 30.7.2025. Eine Langzeitstudie zeigt, wie stark soziale Ungleichheiten bereits im Alter von zwei Jahren sichtbar werden.

Gemeinsam ein Kinderbuch anschauen: „Solche Interaktionen und das Verhalten der Eltern in diesen Interaktionen können die sprachliche und sozial-emotionale Entwicklung von Kindern maßgeblich beeinflussen“. Manja Attig vom Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi)

In der Geschichte verweilen im eigenen Tempo.

Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Er vergleicht Smartphones mit Drogen und manche Eltern mit Drogendealern.

30.06.2025, TSP

Der Philosoph Peter Sloterdijk hält ein Handyverbot für Kinder und Jugendliche an Schulen für sinnvoll. „Wir haben die Dinge zu sehr schleifen lassen“, sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur in Köln.

„In den Schulen sind Zustände herangereift, mit denen wir nicht glücklich sein können. Handys müssten unter das Drogenverbot fallen, dann erübrigt sich die Debatte.“

Dieses Verbot könne gar nicht früh genug einsetzen, denn ein Entzug sei bei jeder Form von Sucht immer außerordentlich schwierig. 

Es gehe letztlich um die Frage, ob man eine erzieherische oder nur eine ausbildende Schule wolle, sagte Sloterdijk.

„In dem Moment, in dem wir akzeptieren, dass Kinder auch ein Recht auf Erziehung haben, müssen wir Ernst machen mit ihrem Recht, vor der Kolonisierung durch anonyme Gewalten in Gestalt der neuen Medien geschützt zu werden. Alles andere ist so, als würden wir ständig einem Einbrecher die Tür öffnen. Man darf es den medialen Einbrechern, die in die Kinderstuben eindringen, nicht so einfach machen.“

Viele Eltern agieren laut Sloterdijk „wie Drogendealer“

Wenn man eine erziehende Schule wolle, müsse man Medienkontrolle ausüben, und zwar streng, sagte Sloterdijk. Und wenn man begriffen habe, dass man Haschisch und andere Rauschgifte aus der Schule ausschließen müsse, dann sollte dies auch für die Smartphones gelten, die ebenfalls Drogenqualität hätten.

„Sie schädigen das Hirn, evozieren Persönlichkeitsstörungen ohne Ende. Derzeit werden sie als Informationsmedien mystifiziert, aber kein Junge, kein Mädchen verwendet sie so. Es sind Partydrogen, um sich in der Fünf-Minuten-Pause schnell noch einen Kick zu verpassen.“

Sloterdijk, der in Köln beim Philosophiefestival Phil.Cologne auftrat, sieht hier auch die Eltern in der Pflicht.

„Es ist eine enorme Mitverantwortung der Eltern zu konstatieren – und ein enormes Versagen“, sagte er. „Denn sehr viele Eltern verhalten sich selber wie Drogendealer, die ihren Kindern dieses Ding in die Hand drücken. Wenn das Kind erst einmal Smartphone-süchtig geworden ist, ist das für die Eltern eine große Entlastung, weil sie weniger Zeit mit ihm verbringen müssen – das Kind hat ja nun einen digitalen Spielgefährten.“

TSP: Philosoph fordert Durchgreifen: Sloterdijk will Handyverbot für Kinder und Jugendliche