Archiv des Autors: fischerman

Wer schützt uns vor unseren Daten?

Arte, Xenius: Soziale Medien, Facebook, 08.01.2020

Facebook, Twitter, Instagram – für viele von uns sind die sozialen Netzwerke aus der alltäglichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Wir chatten mit unseren Freunden, teilen Fotos, Erlebnisse und sind immer up to date. Doch dadurch erhalten die Internetfirmen sehr viele Informationen über uns. Sie sammeln diese Daten und verdienen damit sogar Geld. Aber wie funktioniert das und wie gefährlich ist das? Wie viel wir online über uns preisgeben, testen Dörthe Eickelberg und Pierre Girard an sich selbst. Die „Xenius“-Moderatoren laden alle Informationen herunter, die Facebook in den letzten fünf Jahren über sie gespeichert hat, und drucken sie aus.

Dörthe schnappt sich die über 2.500 Seiten und pflastert die Berliner City mit Pierres und ihrer Datenspur. Sie stößt dabei auf einige Überraschungen.

Gespeicherte Daten bei Facebook, alle Screenshots aus: Arte, Xenius, Soziale Medien

Währenddessen trifft Pierre einen Experten für Datenschutz, Alexander Fanta, netzpolitik.org, der ihm erklärt, was Facebook und Co. noch alles über uns wissen und wie wir unsere persönlichen Daten besser schützen können. Er sagt:

„Facebook weiß so gut wie alles von deinem Leben“.

Täglich tauchen 1,4 Milliarden Menschen in die Welt von Facebook ein. Sie vergeben Likes, schauen Videos und teilen. Durch diese Datenflut weiß Facebook so gut wie alles über seine Nutzer und kann sie so gezielt mit Botschaften erreichen. Ein „Schatz“ für alle Werbetreibenden. Wer an diesen Datenschatz heran will, muss bezahlen. Davon lebt Facebook. (Sprechertext zum Video)

Der Fall Cambridge Analytica ist ein Beispiel dafür, wie heute mit unseren Datenspuren im Netz gearbeitet wird. Die Analyse-Firma hatte sich unerlaubt Zugang zu Informationen von Millionen Facebook-Profilen verschafft, um damit die Wählermeinung bei der US-Wahl zugunsten Trumps zu manipulieren.

Beim Trump-Wahlkampf läuft das etwa so: Ein potentieller Clinton-Wähler wird identifiziert und bekommt gezielt Anti-Clinton-Artikel zu lesen. So arbeitet übrigens nicht nur Cambridge Analytica. So funktioniert heute generell politische Meinungsmache in „Sozialen Medien“. Auch andere Parteien versuchen dort auf diese Art Wähler zu erreichen. Nur tun sie es auf einem offiziellen Weg, also innerhalb der Facebook-Welt – soweit man weiß. Zum ersten Mal wird von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, wofür persönliche Daten missbraucht werden können. (Sprechertext zum Video)

Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung soll uns in Zukunft vor dieser Art Datenmissbrauch schützen. Das Gesetz wurde im Europaparlament gegen großen Widerstand [!] durchgesetzt. Wie kam es dazu und was bringt die neue Regelung?

zum Video, verfügbar bis 06.04.2020: Arte, Xenius: Soziale Medien, Facebook, 08.01.2020, 27 min.

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin. Alle Screenshots aus: Arte, Xenius, Soziale Medien


Weitere Kommentare zum Thema Datenschutz

[Der ehemalige] Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen [2012 – 2018] hat Internet-Giganten wie Facebook und Twitter scharf attackiert und ihnen Verantwortungslosigkeit vorgeworfen.
Die Internet-Giganten gäben sich zwar transparent und altruistisch [durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise], versteckten hinter dieser Fassade aber ihre Macht- und Profitinteressen. Ihre Algorithmen lenkten und beeinflussten nach emotionalen oder intransparenten Kriterien nicht nur Datenströme, sondern auch die politische Willensbildung. In der Demokratie dürften Meinungen und Fakten jedoch nicht als gleichwertige Datenpakete gehandelt werden, sie seien nicht einfach Bits und Bytes. […] „Genau das geschieht jedoch, zumal wenn hinter den Posts und Tweets gesteuerte Botnetzwerke stecken, die millionenfach seelenlose Zombie-Meinungen streuen und politische Debatten lediglich simulieren“, kritisierte Maaßen. „Wenn es auf Fakten nicht mehr ankommt und die Realität auf Meinungen reduziert wird, verliert der demokratische Pluralismus sein Fundament“, warnte der Verfassungsschutz-Präsident. „Eine offene pluralistische Gesellschaft verträgt viele Meinungen, aber nicht viele Wahrheiten.“ Aus: TSP, 27.11.2017, Facebook, Twitter & Co. – Maaßen attackiert Internet-Giganten als verantwortungslos

Die Auswertung von Nutzerprofilen, die Verwertung von Userdaten für Werbezwecke, der Verkauf von Apps oder gebührenbasierte Streamingportale, damit verdienen die Anbieter von Internetdiensten am meisten Geld. 9,32 Milliarden US-Dollar nahm allein Facebook im zweiten Quartal 2017 ein. Der User als „Datenschaf“ bekommt seine „Monetarisierung“ meist nur dort mit, wo er direkt zahlt. „Wir freuen uns zwar alle, dass das Internet kostenlos ist, aber am Ende ist es deshalb kostenlos, weil wir das Produkt sind, weil wir alle unsere Daten den Konzernen preisgeben“. Aus: TSP, 9.12.2017, Die Unabhängigkeit vom System, Digitales Berlin

Sie wollen auf Standort, Kontakte und Kamera zugreifen: Apps fürs Smartphone fordern immer mehr Berechtigungen an. Meist nickt der Nutzer alles ab. Das kann unangenehm werden. Apps erscheinen praktisch oder bestenfalls harmlos. Ihr Zweck besteht jedoch nicht unbedingt darin, als nützliche Helfer verkauft zu werden oder unentgeltlich Gutes zu tun. Sie werden vielmehr mit dem Ziel programmiert, Nutzerdaten abzugreifen, um diese vor allem an Werbenetzwerke zu verkaufen. Vor einigen Jahren luden Sicherheitsforscher des Unternehmens Eurecom 2000 Gratis-Apps für Android aus 25 verschiedenen Kategorien im Google Play Store auf Testgeräte. Der Netzwerkverkehr der Apps nach außen wurde abgefangen und analysiert. Demnach steuerten die Programme heimlich insgesamt 250 000 verschiedene Webadressen an und gaben Daten weiter. Aus:  FAZ, 30.11.2017, Michael Spehr, Apps auf dem Smartphone:  Gelinkt mit den Rechten

Aus: FAZ, 05.06.2018, Buchbesprechung von Uwe Ebbinghaus, Jaron Lanier: „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“.
„Die verdeckte Manipulation in sozialen Medien wie Facebook und Google ist ein perverses Geschäftsmodell“.
Laniers Analyse ist eindeutig: Unternehmen, die den Großteil ihres Gewinns damit erwirtschaften, „Kunden zu finden, die bereit sind, dafür zu zahlen, das Verhalten anderer Menschen zu verändern“, und zwar verdeckt, sind aus seiner Sicht würdelos und schaden nachhaltig der Gesellschaft. Denn dank der digitalen Werkzeugpalette von Facebook und Co. müssen sich Institutionen und Unternehmen längst nicht mehr mit analogen Glückstreffern begnügen, sondern können die Nutzer sozialer Medien durch individualisierte Ansprache an ihrem durch Algorithmen errechneten empfänglichsten Punkt treffen […].
Die Algorithmen der sozialen Netzwerke zielen darauf ab, Nutzer zu manipulieren, um sie an die Netzwerke zu binden. Sie sind nicht daran interessiert, den Wahrheitsgehalt von Botschaften zu gewährleisten oder gute Eigenschaften der Nutzer zu fördern, sondern daran, die Nutzer zu vermarkten. Das Geschäftsmodell der Medienplattformen basiert darauf, „dass man die Verbindung zwischen zwei Menschen nur durch einen Dritten finanzieren kann, der dafür bezahlt, beide zu manipulieren.“ […]
Weitere Merkmale für Lanier sind neben einem „perversen Geschäftsmodell“ die „totale Überwachung“, „aufgezwungene Inhalte“, angestrebte „Verhaltensmodifikation“ und „Fake People“, welche die ohnehin schon „vergiftete“ Kommunikation in sozialen Netzwerken noch zusätzlich in eine bestimmte Richtung lenken.

„Is doch nicht so wich tich“

Hören kann der Siebenjährige, den wir gebeten haben, die Überschrift zu schreiben, gut. Nur mit dem Schreiben hapert es.

Welt am Sonntag, 16.02.2020, von Freia Peters

Rechtschreibung beherrschen? Nein, findet Winfried Kretschmann. Oh doch, sagen Bildungsforscher und kritisieren: Noch immer wird in vielen Grundschulen gelehrt, nach Gehör zu schreiben. Dabei ist bewiesen, dass das Murks ist.

Satzzeichen können Leben retten.

„Wir essen, Opa!“
klingt gleich viel freundlicher als
„Wir essen Opa!“.

Man muss eben wissen, dass ein Komma in den Satz gehört, und auch noch die richtige Stelle dafür finden.

Mehr als ein Viertel der neunjährigen Jungen und Mädchen wüssten das wahrscheinlich nicht und würden wohl auch die Wörter falsch schreiben. Denn mehr als jeder fünfte Viertklässler erfüllt bei der Rechtschreibung laut einer Studie des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin nicht die Mindeststandards. In den vergangenen Jahren hat sich die Rechtschreibfähigkeit der deutschen Kinder kontinuierlich verschlechtert – in 20 OECD- Staaten zeigen Grundschüler bessere Leistungen als in Deutschland. […]

Mit dem Ziel, es den Kindern leichter zu machen, hatte sich in den 90er-Jahren wie ein Lauffeuer das Konzept verbreitet, Erstklässlern zunächst die Laute der Buchstaben zu vermitteln und dann erst das Alphabet. Es war eine Gegenbewegung zum starren Unterricht der 70er-Jahre, in dem die Schüler hundert Mal dasselbe Wort schreiben mussten. Mit „Lesen durch Schreiben“ sollte sich jedes Kind die Schriftsprache seinem eigenen Tempo entsprechend erarbeiten, der Lehrer den Prozess nur wohlwollend begleiten. Mithilfe der Anlauttabelle (neben dem „A“ ist ein Apfel abgebildet, neben „G“ eine Gabel) sollten schon Erstklässler alle Worte nach Lauten schreiben können und nicht wie beim Fibellehrgang warten, bis sie die jeweiligen Buchstaben gelernt haben. Doch: So wird aus Mädchen „Metchen“, aus Fahrrad „Farat“, oder aus wichtig „wichtich“.

Dabei hat eine groß angelegte Studie der Uni Bonn bewiesen, dass Kinder, die mit der klassischen Fibel lernen, die Rechtschreibung besser beherrschen. Mit ihrem Doktoranden Tobias Kuhl und rund 30 weiteren Nachwuchswissenschaftlern hat Una Röhr-Sendlmeier, Professorin für Pädagogische Psychologie, Leistungen von mehr als 3000 Kindern aus Nordrhein-Westfalen untersucht, die mit einer von drei verschiedenen Methoden schreiben lernten: Mit dem systematischen Fibelansatz, nach dem Buchstaben und Wörter schrittweise nach festen Vorgaben eingeführt werden. Nach der sogenannten Rechtschreibwerkstatt, gemäß der die Kinder selbstständig in individueller Reihenfolge und ohne zeitliche Vorgaben ihre Materialien bearbeiten. Und nach der „Lesen durch Schreiben“-Methode.

Am Ende der vierten Klasse machten die Schüler der zuletzt genannten Gruppe 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler, Werkstattschüler sogar 105 Prozent mehr als Fibelkinder. „Ein klar strukturierter, systematischer Unterricht vom Einfachen zum Komplexen, vom Häufigen zum Seltenen hat sich als klar überlegen erwiesen“, sagt Röhr-Sendlmeier. Das Problem mit der Anlauttabelle sei, dass unterschiedlich gehörte Laute gleich geschrieben werden, etwa Esel und Ente. „Der Ansatz ,Schreib wie du sprichst‘ kann nicht klappen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das ist eine Irreführung der Kinder.“ Die Tabelle als Kernmittel beim Schreibenlernen zu verwenden, sei fahrlässig. „Durch das Prinzip Versuch und Irrtum wird ein Kind niemals in vier Jahren schreiben lernen.“

Doch dieses Kernprinzip ist noch immer verbreitet. Laut einer Auswertung des Germanistik-Professors Albert Bremerich-Vos [Universität Duisburg-Essen] benutzen 71 Prozent der Viertklässler die Anlauttabelle. 47,9 Prozent der Lehrer setzen sie in ihrem Unterricht sogar intensiv ein. […]

Vor einem Jahr hat die Bonner Psychologin Röhr-Sendlmeier ihre Ergebnisse dem Schulministerium des Landes NRW vorgestellt. Infolgedessen gab im Sommer Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine Handreichung an alle Grundschulen des Landes heraus: Der Rechtschreibunterricht benötige mehr Systematik. Schon Erstklässler bräuchten Hinweise auf das normgerechte Schreiben, und sie müssten kurz, aber regelmäßig üben. Die Anlauttabelle könne nicht dem Erwerb der Rechtschreibung dienen, sondern nur ein Hilfsmittel sein. […]

Anne Deimel, Leiterin einer Grundschule und Verbandsvize des Lehrerverbandes VBE in NRW: „Seit etwa zehn Jahren wird der Unterricht in der Grundschule immer schwieriger“. „Die Vorerfahrungen, mit denen die meisten Kinder in die Schulen kommen, haben sich deutlich verändert. Die Klassen werden immer heterogener. Die Lehrkräfte reichen nicht aus.“

Während in den Grundschulen Ressourcen fehlen, entstehen anderswo neue: In den letzten Jahren ist ein riesiger Nachhilfemarkt entstanden. Wer es sich leisten kann, bezahlt seinem Kind die Nachhilfe oder unterrichtet es zusätzlich zu Hause. Das Nachsehen haben Kinder aus bildungsfernen Familien. „Nur bildungsnahe Eltern sind in der Lage, den Schaden von ihrem Kind abzuwenden“, bestätigt die Bonner Forscherin Röhr-Sendlmeier.

„Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Skandal.“

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

siehe auch folgender Beitrag: „Die Regeln der deutschen Rechtschreibung können und müssen von der ersten Klasse an gelernt werden.“

Deutsch-Förderkurs „bei Herr Maier“

Wenn selbst Lehrer die Rechtschreibung nicht beherrschen

Genitiv, Dativ, Satzbau oder Kommasetzung: Viele Lehrer oder Lehramtsstudierende sind schlecht in Grammatik und Rechtschreibung.

F.A.Z., 16.02.2020, Rüdiger Soldt

Auf dem Aufgabenblatt einer Schule in Baden-Württemberg steht:

„Lese den Text und schreibe eine Zusammenfassung.“

Falscher Imperativ. Lies, müsste es heißen. Und weder Schülern noch Lehrern fällt es notwendigerweise auf, wenn ein

Deutsch-Förderkurs „bei Herr Maier“

angeboten wird. Wo es um Rechtschreibung und Grammatik geht, wird gern im kulturpessimistischen Ton über die heutige Schülergeneration geschimpft. Das ist aber eine recht oberflächliche Betrachtung. Denn Schwierigkeiten mit Genitiv, Dativ, Satzbau und Zeichensetzung haben heute nicht wenige Germanistikstudenten, die auf Lehramt studieren, und auch immer mehr Lehrer, die seit vielen Jahren unterrichten. […]

In der Germanistik wird über das Problem erodierender Orthographiekenntnisse seit Mitte der neunziger Jahre diskutiert. Erste Erhebungen über den tatsächlichen Kenntnisstand von Lehramtsstudenten gibt es seit etwa zehn Jahren. Der Linguist und Sprachdidaktiker Albert Bremerich-Vos [Professor i.R., Universität Duisburg-Essen] untersuchte 2016 die Sprachkompetenzen von Studenten, er analysierte 900 studentische Texte. Den Studenten hatte er die Aufgabe gestellt, aus einem feuilletonistischen Zeitungsartikel die zentrale These herauszuarbeiten. 30 Prozent der Texte enthielten mindestens sechs Orthographie- und mindestens fünf Kommafehler. Nur 20 Prozent der Texte wurden als gut eingestuft. Vielen Studenten war es übrigens auch nicht gelungen, die These herauszufiltern.

In dem Forschungsprojekt zur Untersuchung des studentischen Sprachvermögens, verfasst von Dirk Scholten-Akoun [Universität Duisburg-Essen, Zentrum für Lehrerbildung], heißt es: „Mehr als ein Viertel der Lehramtsstudierenden verfügt zu Beginn des Studiums nicht oder nicht in akzeptablem Umfang über die sprachlichen Mittel, die ihnen eine Weiterentwicklung ihrer Schreibkompetenz hin zur wissenschaftlichen Schreibkompetenz erlauben.“ Die Forscher untersuchten die Sprachkompetenzen an drei Universitäten in Nordrhein-Westfalen, die in der Studie anonymisiert wurden. Das Ergebnis zeigt besorgniserregende Defizite:

Elf bis 27 Prozent der Studenten haben erheblichen Förderbedarf in Rechtschreibung, von denen mit Migrationshintergrund sogar bis zu 49 Prozent. Nur ein Zehntel der Studenten beherrscht Grammatik und Rechtschreibung nahezu perfekt und fehlerfrei. Ein Drittel hat Probleme in der Textauslegung und Rechtschreibung. […]

Die Germanisten und Praktiker aus der Lehrerausbildung sind von den Äußerungen zur Rechtschreibung des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wenig überzeugt. Er sagte, es sei nicht mehr so wichtig, Rechtschreibung zu pauken, weil es ja „kluge Geräte“ gebe, die Grammatik und Fehler korrigierten. […]

Die Fachdidaktikerin Dr. Ulrike Behrens, Institut für Germanistik [an der Universität Duisburg-Essen]: „Wenn die Rechtschreibprobleme von Schülern und Lehrern auf die Digitalisierung oder Whatsapp geschoben werden, ist mir das viel zu simpel. […] Die Schule ist der Ort, wo die Rechtschreibnormen thematisiert werden müssen, darauf können wir nicht verzichten.“ […] Behrens weiter: „Ob die Künstliche Intelligenz das Lernen von Rechtschreibregeln irgendwann überflüssig machen wird, bezweifle ich.“

Es sei schon besser, wenn die Schüler weiterhin lernten, im Kopf zwischen Komma und Koma zu unterscheiden.

zum Artikel: F.A.Z., 16.02.2020, Rüdiger Soldt, Deutschstunde bei Herr Maier

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

Schule ohne Lehrer

Lehrer einsparen und mehr auf E-Learning-Kurse setzen? Die Schülerschaft ist nicht begeistert. Unter Lehrern sorgt das Vorhaben für Unmut.

FAZ, 01.02.2020, Jessica von Blazekovic, Wirtschaftsredakteurin bei FAZ.NET.

[…] Mitte Januar berichtete die Tageszeitung „Toronto Star“ über Pläne der Provinzregierung, das Budget der Schulen in Ontario bis zum Jahr 2023 deutlich zu beschneiden – indem Lehrer durch Computer ersetzt werden. Das Bildungsministerium orientiert sich dabei nach eigenen Angaben an einem Modell, wie es schon in den republikanisch regierten amerikanischen Bundesstaaten Alabama und Arkansas praktiziert wird.

Karikatur von Heiko Sakurai, Veröffentlichung auf Schulforum-Berlin mit freundlicher Genehmigung

Die Schulen in Ontario sollen demnach den Anteil der Schüler in E-Learning-Kursen in den kommenden Jahren „stufenweise hochfahren“, um Kosten zu sparen. In den internen Dokumenten werde sogar mit der Idee gespielt, ab September 2024 reine Online-Schulabschlüsse anzubieten. Mit dieser Maßnahme soll ab Herbst 2020 jedes Jahr ein wachsender zweistelliger Millionenbetrag an Fördergeldern eingespart werden, von rund 35 Millionen Dollar in diesem Jahr bis auf mehr als 57 Millionen Dollar ab dem Schuljahr 2023/24. Und nicht nur das: Wie die Zeitung weiter berichtet, will die Regierung von Ontarios Premierminister Doug Ford das Online-Curriculum sogar an Schüler aus anderen Provinzen vermarkten und prüfen, ob Lizenzen verkauft werden können. Das Bildungsministerium der Provinz bestätigte die Existenz der Dokumente, dementierte aber, dass es Pläne zur Privatisierung der Online-Kurse gebe.

Unter Lehrern sorgt das Vorhaben für Unmut

„Für mich sieht es ganz danach aus, als ob jemand nach Wegen suchen würde, Geld zu sparen, anstatt den Kindern das zu geben, was sie wirklich brauchen“, schrieb Harvey Bischof, Präsident eines Lehrerverbands in Ontario, in dem Kurznachrichtendienst Twitter. Premier Fords Regierung hatte immer wieder beteuert, die Pläne, E-Learning an Schulen verpflichtend zu machen, dienten allein den Schülern [!] und nicht dem Zweck, Geld einzusparen. Bischof fügte hinzu, die Idee, einen Schulabschluss komplett online zu erwerben, sei besonders „bizarr“.

Positive Lerneffekte sind nicht möglich.
Das hat nicht zuletzt die weltweite Hattie-Studie bewiesen: Nicht Technik entscheidet über den Lernerfolg, sondern in erster Linie die Persönlichkeit des Lehrers. […] Zentral bei jeder Lernerfahrung sind die zwischenmenschliche Interaktion, die spontanen Diskussionen im Unterricht sowie das gemeinsame Lernen in Gruppen. Face-to-Face bleibt unschlagbar, wenn ein begeisternder Lehrer mit seinen Schülern arbeitet. Da kann kein MOOC [Massive Open Online Course] aus Harvard mithalten! (Prof. Dr. Gerald Lembke, Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim)

Schüler gegen den Plan

Wie eine Umfrage der studentischen Interessengruppe OSTA-AECO aus Ontario nun zeigt, halten auch die Schüler nichts von dem Vorstoß. 94,5 Prozent missbilligen demnach die Regierungspläne. Befragt wurden 6000 Schüler der Klassen 8 bis 12 an 60 staatlichen und katholischen Einrichtungen. Die Mehrheit (60 Prozent) der Schüler gab an, die bestehenden Online-Lernangebote würden ihr Lernverhalten nicht hinreichend unterstützen. Jeder Vierte hat demnach Schwierigkeiten, seine E-Learning-Lehrer bei Fragen zu kontaktieren, 35 Prozent sagten, sie hätten Probleme bei der Nutzung der Lernsoftware. OSTA-AECO zufolge würden schätzungsweise 90.000 Schüler in Ontario ihren High-School-Abschluss nicht schaffen, wären sie dazu verpflichtet, Online-Kurse zu belegen.

zum Artikel: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/klassenzimmer/schule-ohne-lehrer-eine-provinz-in-kanada-macht-ernst-16609474.html
Eingefügte Karikatur mit freundlicher Genehmigung von Heiko Sakurai.
Textauswahl in grau unterlegtem Einschub und Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

Ist die Gemeinschaftsschule am Ende? – „Notenfreier Scheinerfolg bis Klasse 8“

„Ich bin als Sozialarbeiter geendet“

Gymnasiallehrer an Gemeinschaftsschulen (GMS) in Baden-Württemberg laufen Sturm.

FAZ, 13.02.2020, Heike Schmoll, Berlin

„Wenn ich Leistungsnachweise schreiben lasse oder gar Tests, dann werfen Schüler mir die Arbeit entgegen und meinen, dass ihnen ohnehin nichts passiere, wenn sie nicht mitschrieben.“ Das ist kein Bericht aus einer Berliner Brennpunktschule, sondern die Stimme eines Gymnasiallehrers an einer Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg. Der Wegfall der Noten und der Versetzungsordnung bewirkten, dass Schüler eine große Gleichgültigkeit entwickelten, „sie lernen nicht und besitzen auch keine Arbeitsdisziplin“.

Praktisch durchgängig werden von den Lehrkräften massive Disziplinprobleme in den Lerngruppen und während der selbstorganisierten Arbeitszeit beklagt, die ein effektives Lernen teilweise unmöglich machen.
[Textauswahl in grau unterlegten Einschüben aus der Pressemitteilung des Philologenverbandes Baden-Württembergs.]

Schüler könnten „Klassenarbeiten nach einem Nichtbestehen identisch wiederholen, so dass dann die Ergebnisse stimmen“, so ein weiterer Lehrer, nach dessen Aussage auch die Vergleichsarbeiten des VERA-Tests für die achte Jahrgangsstufe hochkorrigiert wurden.

Einige Lehrer schildern bezüglich der Anmeldenoten zur Abschlussprüfung bzw. für die VERA-Tests die klare Aufforderung ihrer Schulleitung, die Noten zu schönen. Die Ergebnisse der Mittlere-Reife-Prüfungen der GMS bestätigen diesen schweren Vorwurf: So liegt die durchschnittliche Anmeldenote in Mathematik landesweit bei 3,2, während die in der schriftlichen Prüfung erzielte Note im Durchschnitt nur 3,9 beträgt. Rund ein Viertel der GMS-Schüler erreicht in der schriftlichen Mathematik-Abschluss-Prüfung nicht die Note „ausreichend“.

Statt Zensuren und Zeugnissen gibt es sogenannte Lernentwicklungsberichte, die nicht „aussagekräftig“ seien und von den Eltern und den Schülern nicht verstanden würden.

Die Verbalbeurteilungen der Schülerinnen und Schüler werden von vielen Kindern und Eltern nicht verstanden, da sie in der Regel sehr wohlwollend und ermutigend formuliert werden. Noten gibt es an den meisten GMS erst ab Klasse 9. Kinder, die auf Basisniveau lernen und ihre Eltern erliegen so teilweise bis zur 8. Klasse der Illusion, sie würden auf die Oberstufe und das Abitur vorbereitet.

Sehr viele Hauptfächer müssten fachfremd unterrichtet werden, so die einhellige Beobachtung der Gemeinschaftsschullehrer mit gymnasialer Ausbildung, die aus Angst vor Konsequenzen anonym an den Philologenverband Baden-Württemberg berichtet haben. „Ich bin bewusst Gymnasiallehrer geworden und endete nun als Sozialarbeiter.“ Viele der Kinder seien „Schulverweigerer, die beim geringsten Anlass aus der Schule wegrennen, sich komplett verweigern, schreien, weinen, Mitschüler und Lehrer treten“. Es gehe nicht mehr um Wissens- und Kompetenzvermittlung, sondern nur noch darum, die Klasse zu bändigen, so ein weiterer Lehrer, der die Gemeinschaftsschule als Schulart für gescheitert erklärt. […]

Für die größtenteils stark verhaltensauffälligen Kinder mit großen Lernschwierigkeiten seien die individuellen Lernzeiten als offene Lernform völlig ungeeignet. „Die Schüler nehmen sich nur das Thema, auf das sie ,Bock haben‘, und so geschieht es, dass Themen der Grammatik und Rechtschreibung nie bearbeitet werden“, berichtet ein Lehrer, denn manche Schüler bearbeiteten im gesamten Schuljahr nur zwei Themen. „Einfachheitshalber kann man den Schülern Lösungsblätter geben, damit sie sich selbständig kontrollieren, was in der Praxis meist darauf hinausläuft, dass sie einfach fehlende Stellen abschreiben.“

In Baden-Württemberg wurde 2012 mit den ersten 41 GMS [inzwischen sind es 306 öffentliche und 123 private] ein pädagogisches Konzept eingeführt . Ein Konzept, in dem Lehrer zu „Lernbegleitern“ degradiert werden und Schüler sich nach kurzen inhaltlichen Inputs den gesamten Stoff selbst erarbeiten sollen. Dieses Konzept ist insbesondere für schwächere Schüler – die an der GMS die Mehrheit stellen – völlig ungeeignet. Die schwächsten Schüler benötigen gerade die engste und intensivste Führung und Betreuung. Dies wurde auch in der WissGem-Studie, der Begleitstudie zur Evaluation der Gemeinschaftsschulen, genauso festgestellt. Im Übrigen sparte die Studie dieses neuen Konzepts in ihren Untersuchungen die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler praktisch vollständig aus.

Wenn die Gemeinschaftsschule so weitergeführt werde, „erziehen wir unsere Schüler zu überforderten Frustrierten“, heißt es in einem der Berichte. Das selbstorganisierte Lernen sei für schwache Schüler fatal. Das deckt sich mit Erkenntnissen der Lernforschung, die den lehrergeleiteten Unterricht für schwache Schüler als effektivste Form der Lehre identifiziert hat.

„Die Lernstandserhebung in Klasse fünf zeigt regelmäßig, dass sich die meisten Schüler deutlich unterhalb des Hauptschulniveaus bewegen“, heißt es. Zu 80 bis 90 Prozent bestehe die Schülerschaft aus Förder- und Hauptschülern. Doch an Sonderpädagogen fehlt es, berichten alle an Gemeinschaftsschulen unterrichtenden Gymnasiallehrer. […]

Der Wegfall von Noten und Versetzung, Lernentwicklungsberichte, keine äußere Differenzierung, Mobbing von Gymnasiallehrern durch Hauptschulkollegen, eine überforderte Schulleitung sowie die Beschönigung von Anmeldenoten seien Alltag, so das Fazit der Betroffenen. […]

Der PhV-Vorsitzende Ralf Scholl erklärt dazu: „Hier wird aus ideologischen Gründen („Eine Schule für alle“) ein ungedeckter Scheck auf Kosten einer ganzen Schülergeneration ausgestellt. Die GMS sind bislang jeden Erfolgsbeweis schuldig geblieben, dass sie — trotz wesentlich höherer Kosten — auch nur einen Deut besser sind als die klassischen Schulformen. (Die GMS erhalten einen Sachkostenzuschuss von über 1.300 € pro Schüler und Jahr im Vergleich zu rund 800 € für Schüler an Gymnasien und Realschulen).

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben aus der Pressemitteilung des Philologenverbandes Baden-Württembergs. Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

zum Artikel: FAZ, 13.02.2020, Heike Schmoll, Berlin, „Ich bin als Sozialarbeiter geendet“.
zur Pressemitteilung: Philologenverband BW, 12.02.2020
siehe auch: Die Berliner Gemeinschaftsschule – Des Kaisers neue Kleider? Zum Abschlussbericht Pilotphase der Berliner Gemeinschaftsschulen. Eine Auftragsstudie soll das pädagogische und schulorganisatorische Rahmenkonzept der Berliner Gemeinschaftsschulen legitimieren.

siehe auch: 2020.02.18_Pressemitteilung_3xMEHR_Gemeinschaftsschulkritik

Für manche Eltern in Berlin ist die Schulsuche ein Alptraum

Der Platzmangel schränkt die Wahlmöglichkeiten der künftigen Siebtklässler erheblich ein.

„Drei Wünsche frei“ – so heißt es jetzt wieder für alle Familien, die nach der sechsten Klasse eine weiterführende Schule suchen. Je größer der Schulplatzmangel, desto schwieriger wird es allerdings, eine Entscheidung zu treffen: Die Furcht ist groß, am Ende einer abgelegenen oder leistungsschwachen Schule zugewiesen zu werden. [Tagesspiegel, 04.02.2020]

Als die Schulen noch nicht so voll waren, landeten über 95 Prozent der Kinder auf einer ihrer drei Wunschschulen. [TSP, 20.05.2014] Wer an keiner Wunschschule unterkam, musste sich nach einer Alternative umsehen. Die Zahl dieser Schüler stieg von rund 1000 im Jahr 2014 auf über 2600 im Jahr 2019.

In Berlin besuchen Kinder die Grundschule in der Regel sechs Jahre lang. Manche Kinder wechseln schon nach der Jahrgangsstufe 4 an eine weiterführende Schule, hier gelten aber spezielle Regeln. Für alle anderen startet kurz vor Abschluss des sechsten Schuljahres ein jedes Jahr ähnlich ablaufender Prozess zum Schulwechsel.

Bei der Wahl der weiterführenden Schule werden Eltern und Kinder zunächst von den Grundschulen beraten. Die weiterführenden Schulen bieten zudem Tage der offenen Tür, wo sie beispielsweise auch besondere Fächer, Sprachangebote oder AGs vorstellen, aber auch bestimmte Auswahlkriterien.

In einem festen Anmeldezeitraum, meist im Februar, können Eltern dann ihr Kind in einer Erstwunschschule anmelden (in diesem Jahr: 17.02.2020 – 26.02.2020). Sie können auch einen Zweit- und Drittwunsch angeben. Bei der Anmeldung müssen sie einen Anmeldebogen und die Förderprognose vorgelegen.

Die Förderprognose wird von der Grundschule ausgestellt. Sie beinhaltet eine Durchschnittsnote, die aus den Zeugnisnoten des 2. Halbjahres der 5. Klasse und des 1. Halbjahres der 6. Klasse gebildet wird. Bei Noten über 2,2 wird ein Gymnasium oder eine Integrierte Sekundarschule (ISS) empfohlen, unter 2,8 eine ISS. Dazwischen wird je nach Situation entschieden. Die Schulwahl ist dennoch frei von der Empfehlung.

siehe: https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungswege/uebergang-weiterfuehrende-schule/

Weitere Informationen:

Die Schulen entscheiden dann nach einem festgelegten Schema, welche Kinder aufgenommen werden: 10 Prozent der Plätze ist für Härtefälle und Geschwisterkinder reserviert, 60 Prozent nach Note oder bestimmten Anforderungen im Schulprofil (z.B. Musik-Test an einer Schule mit Musik-Profil) – und 30 Prozent im Losverfahren.

Im Mai (in diesem Jahr: 29.05.2020) gehen Informationsbriefe an die Kinder raus, in denen sie über ihren neuen Schulplatz informiert werden. Hat ein Kind weder an der Erst-, Zweit- oder Drittwunschschule einen Platz bekommen, wird ihm ein Platz zugewiesen (in diesem Jahr: 19.06.2020). Diese Schule kann auch in einem anderen Bezirk liegen.

Mutter zu Schulwechsel in Berlin: „Das wären täglich zwei Stunden Fahrtweg für meinen Sohn“
rbb|24,21.05.19, Interview von Sabine Prieß
Was könnte Berlin ändern, damit sich die Situation für künftige Bewerber an weiterführenden Schulen verbessert?
Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie man mit Geburtenraten und Schulplätzen – also als mein Kind eingeschult wurde, wurden noch Schulen geschlossen – so schlecht rechnen kann. Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt und wie es sein kann, dass es einfach nicht genug Schulplätze gibt. Es sollen ja sogar Kinder gar keinen Schulplatz bekommen haben [Schulplatzversorgung im Südosten durch Untätigkeit des Senats gefährdet, Pressemitteilung vom 15.05.2019]. Und selbst für uns, wo wir einen haben, kann ich mich nicht mit so einem weiten Schulweg anfreunden.

Berliner Schulen: Dauerbaustelle

In Berlin fehlen rund 9500 Schulplätze bis 2021/22 und bis 2025/26 gibt es einen weiteren Bedarf an Schulplätzen in fünfstelliger Höhe. Bildungssenatorin Sandra Scheeres gab zu, dass „weitere Bemühungen zur Beschleunigung der Bau- und Planungsprozesse“ nötig seien [TSP, 03.02.2020, Dauerbaustelle].

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben, Diagramm sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.