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Fragen zur Medienkompetenz unserer Jugend

Datum:  07.08.2015
Kinder stark für den Umgang mit Medien machen

Dr. Eliane Gautschi (Zeit-Fragen) interviewt Uwe Buermann aus Berlin. Er arbeitet als Lehrer und pädagogisch-therapeutischer Medienberater an der Freien Waldorfschule Mittelrhein, zum anderen ist er Mitbegründer und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IPSUM. IPSUM ist das Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie mit Hauptsitz in Stuttgart und einer Zweigstelle in Kiel. Seit 19 Jahren referiert er in Kindergärten, Schulen, Seminaren, Hochschulen und Universitäten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien über das Thema Medien.

Zeit-Fragen: Medien sind heute in unserem Lebensalltag überall präsent. Für viele Eltern stellt sich deshalb die Frage, wie ihre Kinder die nötige Medienkompetenz erwerben. Was braucht es dazu?
Uwe Buermann: Wir leben im Medienzeitalter. Das ist gut so, aber es ist eine Herausforderung. Um eins vorwegzunehmen: Wir müssen wegkommen von Debatten, die geführt werden zur Frage:«Ist das Internet gut oder schlecht, sind Smartphones gut oder schlecht?» So kommen wir nicht weiter. Es geht letztlich um die Frage: «Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten muss ich als Nutzer mitbringen, damit ich die verschiedenen Geräte und Angebote sinnhaft nutzen kann?» (…)

Was erachten Sie als Voraussetzungen für einen kompetenten Umgang mit Medien?
(…) Medienkompetenz erwerben die Kinder nicht am Computer, sondern in der Familie und in der Schule, wo sie an das Wissen und die gesellschaftlichen Werte herangeführt werden. Nur so kommen sie in die Lage, die Medien richtig zu verwenden.

Die Medien richtig verwenden, was muss ich da unter anderem wissen?
In diesem Zusammenhang pflege ich an meinen Veranstaltungen die Frage nach den Nutzungsbedingungen zu stellen. Es stellt sich immer wieder heraus, dass äusserst selten irgendein Benutzer eines Smartphones die Nutzungsbedingungen von Facebook, WhatsApp und Instagramm wenigstens auszugsweise gelesen und verstanden hat. (…)
Im Internet kommen die AGB ja erst, wenn ich schon lange im Anmeldeprozess bin. Das heisst, ich habe mich schon längst entschieden mitzumachen, und dann kommen da die Seiten mit Juristendeutsch. Da ist mir doch klar: Wenn ich auf Ablehnen drücke, mache ich nicht mit, wenn ich anfange zu lesen, dann bin ich eher verwirrt als informiert, also klicke ich auf «annehmen»! Ich kann das alles verstehen. (…)
Bei jeder App, die unsere Kinder und Jugendlichen herunterladen, akzeptieren sie die Nutzungsbedingungen, und sie unterschreiben einen Vertrag, ohne ein Wort davon zu lesen. Das lernen sie von uns, wir machen es ja auch so. Wenn wir nun an unsere Kinder denken, wenn die dann einmal den ersten Mietvertrag oder den ersten Arbeitsvertrag vorgelegt kriegen, woher soll dann bei denen der Impuls kommen, auch nur ein Wort von diesem Vertrag zu lesen? Das heisst, die werden das genau so unterschreiben, wie sie zurzeit eine App herunterladen und die Nutzungsbedingungen akzeptieren, ohne sie gelesen zu haben. Wir haben da eine Verantwortung.

Sie erwähnen die Verantwortung von uns Erwachsenen. Das betrifft vermutlich auch den Zeitpunkt, an dem wir unseren Kindern und Jugendlichen ein Smartphone übergeben?
Ja, auch hier haben wir, wie ich an Veranstaltungen merke, als Erwachsene und Kinder ebenfalls so gewisse kollektive Denkfehler. «Ab wann darf man eigentlich bei WhatsApp teilnehmen?» habe ich die Kinder gefragt. Ab 16 Jahren, es geht gar nicht vorher. Und ich habe gefragt, wer welche Geräte hat. Sehr viele haben Smartphones, dann habe ich die einzelnen gefragt: «Wem gehört das?» Da gucken sie einen befremdet an und sagen: «Mir!» Dann kommt von mir immer nur: «Versuch es nochmal, wir spulen zurück.» Nun kommen interessante Theorien: «Google?» Schliess­lich kommt so langsam das Näherrücken: «Meinen Eltern?» Schon besser, aber immer noch falsch. Das ist ja eben der Punkt. Ich kann überall problemlos eine SIM-Karte kaufen fürs Prepaid-Handy. Aber ich muss jede SIM-Karte freischalten übers Internet oder übers Telefon. Und da muss ich die Personendaten einer Person angeben, die mindestens 16 Jahre alt ist. Jede SIM-Karte ist auf eine Person registriert und bleibt es. Das sind nicht die Eltern, das sind konkret Vater oder Mutter, einer hat unterschrieben. Wenn ich einen Vertrag abschliessen will fürs Handy oder fürs Smartphone, muss ich 18 sein und einen Ausweis vorlegen. Das Gerät wird auf diese Person registriert. Der kollektive Denkfehler ist, dass Eltern bis heute meinen, sie könnten ihrem Kind so ein Gerät schenken. Es ist juristisch unmöglich, es geht gar nicht. Sie können es leihen, wem sie wollen, aber die SIM-Karte ist und bleibt auf sie registriert. Das ist ja eben der Punkt! Bei WhatsApp muss ich bei der Registrierung keinen Namen und kein Geburtsdatum angeben. Aber ich brauche eineTelefonnummer, und weil die erst ab 16 erworben werden kann, ist es auch juristisch gegeben, dass es keine Person unter 16 gibt, die bei WhatsApp mitmacht; denn es macht nicht Ihr Kind bei WhatsApp mit, sondern Ihr Kind macht in Ihrem Namen bei WhatsApp mit. Wenn dann etwas schiefläuft und es eine Anzeige wegen Beleidigung, Sexting oder sonst etwas gibt, dann kommt die Anzeige bei Vater oder Mutter an, bei der Person, auf welche die Rufnummer registriert ist. Das machen sich viele immer noch nicht klar. Wir sind als Erwachsene verantwortlich für das, was unsere Kinder und Jugendlichen auf den Geräten machen. Wir haben eine Fürsorgepflicht ihnen gegenüber. (…)

Das Problem ist ja auch die ganze Datenüberwachung!
Wir müssen natürlich diese ganze Datenüberwachung ernster nehmen. Es gibt Alternativen zu WhatsApp. Mir ist schon klar, ich kann nicht einfach sagen: Löscht WhatsApp! Wenn die Kinder schon dabei sind und diese Gruppendynamik und -struktur haben, dann kann ich nicht einfach sagen, sie sollen es lassen. Aber WhatsApp ist, vor allem seit es zu Facebook gehört, datenschutztechnisch ein Riesenproblem. Es ist faktisch die datenschutzmässig schlimmste App, die wir zurzeit haben. Viele wissen das nicht: Bei den letzten beiden Zwangs-Updates kam das Kamerarecht dazu. Das bedeutet, dass jedes Mal, wenn man WhatsApp startet und das Gerät eine Frontkamera hat, vom Nutzer ein Foto angefertigt wird. Dass Facebook alle Fotos biometrisch bearbeitet, ist hinlänglich bekannt. Das heisst, auch wenn ich kein Profilbild hinterlegt habe, kennt Facebook das Gesicht der Nutzer. Beim letzten Zwangs-Update im Januar dieses Jahres kam es dazu, dass WhatsApp jetzt Mikrofonzugriff hat. Es findet natürlich nicht permanent statt, keine falsche Panik, das würde auch das Datennetz nicht hergeben, es findet aber statt.

Gibt es Alternativen zu WhatsApp?
Die Alternative, die ich den Schülern genannt habe: Nach aktuellem Stand meiner Kenntnisse und nach bestem Wissen und Gewissen ist es Threema, ein Schweizer Qualitätsprodukt, die Programmierer sitzen in Zürich. Threema kann alles, was WhatsApp auch kann – inklusive Gruppen bilden, Sprachnachrichten, Fotos, Text. Der Vorteil ist, die Daten werden automatisch nach zwei Monaten auf dem Server gelöscht, also keiner kann später in seinem Berufsleben Probleme kriegen für das, was er als Jugendlicher gepostet hat. Bei Threema wird alles «peer to peer» verschlüsselt. Von daher ist Threema die aktuelle Alternative. Es gibt keine Werbung und die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Was will man mehr? Und «aktueller Stand» heisst natürlich: Sollten Sie jemals in den Medien hören, dass Threema gekauft worden ist, dann muss man natürlich wieder wechseln. Aber es wäre schön, wenn Sie als Eltern Ihre Kinder, wenn sie eben zurzeit WhatsApp nutzen, darin unterstützen, ihre Kollegen dazu zu bewegen, auf Threema zu wechseln. Das ist ein Problem, das weiss ich auch. Wenn ich einem Jugendlichen sage, wechsle zu Threema, und seine Kollegen nicht mitmachen, dann nützt es gar nichts. Deshalb habe ich die Jugendlichen animiert, heute ihre letzte WhatsApp-Nachricht ihres Lebens zu verschicken an alle ihre Kontakte mit etwa folgendem Inhalt: «Ich bin doch nicht blöd, ich mach hier nicht mehr mit, ihr trefft mich jetzt bei Threema.» (…)

Die Fürsorgepflicht der Erwachsenen gegenüber ihren Kindern steht also im Zentrum?
Ja, zum einen bezüglich der Daten, die über Kinder oder Jugendliche gesammelt werden. Die Spuren im Internet sind unauslöschlich. (…) Immer mehr Personalchefs aus Firmen nutzen die Daten der Internetnutzung bei der Entscheidung, wer eingestellt wird. Klar, bei Versicherungen spielt es mittlerweile eine Rolle. So kann in Deutschland theoretisch eine Gesellschaft im Falle eines Einbruchdiebstahls den Versicherungsnehmer einer Hausratsversicherung fragen, ob er bei Facebook oder WhatsApp ist. Wenn er nein sagt, und es stellt sich heraus, er ist es doch, dann hat er keinen Versicherungsanspruch. Und wenn er ja sagt, dann darf die Versicherung bei Facebook die Kommunikation der letzten drei Tage einkaufen. Alles, was dieser User bei Facebook oder WhatsApp geschrieben hat! Und wenn er denn da irgendwo geschrieben hat: «Wir sind am Wochenende für drei Tage weg», gilt das als grobfahrlässiges Verhalten und dann erlischt der Versicherungsschutz. (…)

Was wäre nun der Weg zur Medienkompetenz?
Was ich am Anfang gesagt habe, meine ich ganz ernst. Ich will nicht sagen, Smartphones sind schlecht. Ich will nicht sagen, das Internet ist schlecht. Dass das alles auch seine Vorteile in sich birgt, ist mir völlig klar. Denken Sie noch einmal an das, was ich eben sagte. Die Frage, die wir stellen müssen, ist die: «Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten muss ich als Nutzer mitbringen, um damit sinnvoll umzugehen?» Ich sage nicht, ich darf Facebook nicht benutzen. Aber ich muss mir doch sehr gut überlegen, was ich da hineinschreibe. Wenn wir das jetzt alles noch einmal zusammen nehmen, dann haben wir ein Dilemma. Und das bemängle ich beim Unterricht zur Medienkompetenz. Sie wird reduziert auf die Frage: Weiss ich, wie ich die Geräte bedienen kann? Das ist nicht Medienkompetenz, das können Dreijährige! Aber gerade in diesen Sachen, die ich versucht habe hier darzustellen, kann doch vielleicht deutlich werden, dass es um ganz andere Fragen geht, die viel wichtiger sind: «Habe ich eine Urteilsfähigkeit auch im Sinne einer Selbsteinschätzung?» «Kann ich mir klarmachen, nach welchen Themen ich im Internet recherchieren kann und wo ich besser in die Bibliothek gehe?» «Welche Themen kann ich mit meinen Kollegen im Internet diskutieren, was sollte ich lieber von Mund zu Ohr machen oder am Telefon oder per Post?» «Es gibt Dinge, die sollte ich auch im Jahre 2015 lieber in einem Brief als im Internet schreiben.» Nicht einmal uns Erwachsenen sind all diese Zusammenhänge bewusst, wie sollen dann 14jährige das durchschauen! Wir alle haben es doch auch erlebt, mit 14 ist das primäre Lebensziel 16 zu werden, und die Utopisten in der Klasse denken an 18, und alles danach ist Science-fiction. Natürlich kann ich mich vor den Jugendlichen stellen und sagen: «Denk an deine berufliche Karriere!» Das haben unsere Eltern und Lehrer auch gemacht. Das geht hinein und da raus. Und jetzt haben wir wieder ein historisches Dilemma. Wir konnten uns das erlauben. Wir alle haben doch auch viel Blödsinn gemacht. Und das Schöne ist, keiner hat eine Ahnung, was wir alles angestellt haben! Selbst unsere Partnerinnen und Partner wissen nicht, was wir für einen Mist erzählt haben. Das Problem der jungen Generation von heute ist: Wenn die so bedenkenlos das Internet und Smartphones nutzen, wie sie es zurzeit tun, sind die durch die Bank weg potentiell erpressbar. Das ist das Problem und das heisst, diese Regelung «Smartphone erst ab 16» ist nicht nur juristisch, sondern auch entwicklungspsychologisch korrekt. Und es mü­sste uns eigentlich klar sein, – und ich weiss, es ist völlig gegen den Trend – aber wenn ich einem 12jährigen ein Smartphone aushändige, dann ist die eine oder andere Katastrophe vorprogrammiert (ob jetzt Sexting, Mobbing oder Probleme im Berufsleben). Die Frage ist eigentlich nur, welche Katastrophe es sein wird. (…)

zum Artikel:   Zeit-Fragen, Nr. 15/16, 9. Juni 2015, Dr. Eliane Gautschi interviewt Uwe Buermann zum Thema:  Kinder stark für den Umgang mit Medien machen

Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin


 zur web-Seite von Uwe Buermann


In ihrem aktuellen Test 8/2015  hatte die Stiftung Warentest herausgefunden, dass viele beliebte Messenger-Apps einen fragwürdigen Umgang mit persönlichen Daten der Nutzer praktizieren. Siehe Artikel:  Datenschutzlücken bei WhatsApp und Co. 

Datenschutzlücken bei WhatsApp und Co.

Datum:  03.08.2015
Was neugierige Bäckersfrauen und WhatsApp gemeinsam haben

Eine Bäckerei am Morgen. Die Frau hinter dem Tresen bedient eine Kundin, sie reicht Brot und Brötchen an, nimmt Kleingeld entgegen. Eine ganz normale Szene – bis die Verkäuferin plötzlich persönliche Fragen stellt: „Wo waren Sie gestern um 20 Uhr? Wem haben Sie die letzte SMS geschrieben? Wie lautet Ihre Telefonnummer?“ Die Kundschaft ist völlig verdattert. Wer möchte der Bäckersfrau schon gerne erzählen, was er am Abend zuvor unternommen hat?

Mit einem Video, in dem eine neugierige Bäckersfrau die Hauptrolle spielt, macht die Stiftung Warentest bei Facebook auf den zu laschen Umgang vieler Smartphone-Benutzer mit ihren Daten aufmerksam. Denn natürlich möchte niemand der Verkäuferin im Laden an der Ecke die eigene Telefonnummer verraten. (…)

In ihrem aktuellen Test 8/2015 hatte die Stiftung Warentest herausgefunden, dass viele beliebte Messenger-Apps einen fragwürdigen Umgang mit persönlichen Daten der Nutzer praktizieren. WhatsApp und der Facebook-Messenger wurden in der Datenschutz-Kategorie am schlechtesten bewertet und erhielten hier nur ein „ausreichend“. Testsieger wurde die App Hoccer aus Deutschland, dicht gefolgt von Threema aus der Schweiz.

zum Artikel:  Handelsblatt, 03.08.2015, tha, Was neugierige Bäckersfrauen und WhatsApp gemeinsam haben


Die Tester untersuchten unter anderem, ob der jeweilige Messenger eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der verschickten Nachricht bietet, welche Daten beim Einrichten des Dienstes abgefragt werden und ob die Anwendung automatisch das Adressbuch des Smartphones ausliest. Kritisiert werden außerdem die Rechte, die sich das Programm bei der Installation geben lässt. Ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung kann der Anbieter alle Nachrichten mitlesen, kritisiert Stiftung Warentest.

Sozial Media Communities – Die persönliche Kommunikation zwischen Jugendlichen nimmt kontinuierlich ab

Foto: Oliver Berg/dpa

Foto: Oliver Berg/dpa

Datum:  30.07.2015
YouTube ist Leitmedium der Jugendlichen

YouTube, Instagram und WhatsApp sind die ständigen Begleiter von Jugendlichen. Social Media Communities und Apps bestimmen die Mediennutzung von Jugendlichen immer stärker (…).

YouTube ist heute das führende Unterhaltungsmedium für Jugendliche noch vor dem Fernseher: 61,5 Prozent von ihnen sehen Filme und Serien im Internet und 60,9 Prozent im TV. Streaming-Dienste wie Netflix werden stärker genutzt (23,6 Prozent) als die Mediatheken der Fernsehsender (14 Prozent). Wenn es um Nachrichten geht, steht für Jugendliche die Information über das Fernsehen an erster Stelle (59,1 Prozent). Aber auch hier werden soziale Netzwerke stark genutzt (48,4 Prozent) und haben bereits klassische Medien wie das Radio (38,5 Prozent) und die Zeitung (18,3 Prozent) abgehängt. Jugendliche geben Nachrichten-Apps (19,9 Prozent) den Vorzug gegenüber Printprodukten oder Nachrichtenwebsites (9,7 Prozent).

Instagram ist die am häufigsten regelmäßig genutzte Social Community unter Jugendlichen (58,7 Prozent). Sie konnte einen Zuwachs von 50 Prozent unter den Befragten seit letztem Jahr verzeichnen. Damit hat sie Facebook (43,6 Prozent) auf Platz zwei verwiesen. Twitter ist in der Gunst der Jugendlichen ebenfalls gestiegen (16,9 Prozent) und belegt nun Platz drei im Ranking. Verweigerer von Social Communities sind eine deutliche Minderheit: Knapp 90 Prozent der Jugendlichen sind hier regelmäßig unterwegs.

82,3 Prozent nutzen das Internet zum Videoschauen. Danach folgen Chatten (57,9 Prozent), Instagram (51,3 Prozent) und Musik herunterladen oder hören (46,6 Prozent). Über ein Fünftel der Befragten gibt an, das Internet für digitale Spiele (21,8 Prozent), für Musikstreaming bei Spotify (21 Prozent) oder für das Sehen von Spielfilmen zu nutzen. Blogs spielen für Jugendliche keine große Rolle – nur 9,1 Prozent nutzen sie. Das Schreiben von Emails wird immer unwichtiger. Haben 2014 noch knapp 30 Prozent das Internet hierfür genutzt, so sind es nun nur noch 23,4 Prozent. Freunde werden über WhatsApp kontaktiert (75,4 Prozent). Die Messenger-App baut ihre Spitzenposition aus. Foto-Messaging mit Snap-Chat ist im Kommen (5,8 Prozent) und bereits häufiger als Anrufe per Handy oder Telefon (4,7 Prozent). Facebook ist als Kontaktmedium auf Platz vier gerutscht. Die persönliche Kommunikation nimmt kontinuierlich ab (3,7 Prozent), ebenso wie die Nutzung von Skype (2,5 Prozent) oder SMS (1,9 Prozent).

An der Besucherbefragung auf der YOU 2015 haben über 1.000 Personen teilgenommen. Der überwiegende Teil von ihnen geht noch zur Schule (82,8 Prozent), aber auch Auszubildende (5,2 Prozent), Berufstätige (7,5 Prozent) und Studenten (2,3 Prozent) wurden befragt.

zum Artikel:  Pressemitteilung, YOU Studie 2015: YouTube ist Leitmedium der Jugendlichen

Man kann „von der Ausstellung ungedeckter Bildungsschecks sprechen“

Datum:  07.07.2015
„Das Abitur ist systematisch abgewertet worden“
Ein Interview von Susanne Vieth-Entus mit Harald Mier, seit 1996 Schulleiter am Berliner Schadow-Gymnasium in Zehlendorf, über Schüler und Schule im Wandel der Zeiten. Harald Mier geht zum Schuljahresende in den Ruhestand.

(…)  Susanne Vieth-Entus:  In ein paar Tagen stehen die Abiturergebnisse fest. Von Jahr zu Jahr werden die Noten besser, obwohl alle wissen, dass die Schüler nicht mehr wissen als früher. Ist das nicht Selbstbetrug?
Harald Mier: Beim Abitur sind viele Stellschrauben betätigt worden, die die Notendurchschnitte angehoben haben. Dazu gehören die zentralen Prüfungen, aber auch das Absenken des Bewertungsschlüssels: Heute ist es leichter als früher, eine Eins oder gerade noch eine Vier zu bekommen. Das ist politischer Wille. Wohlgemerkt, das ist keine Kritik an den Abiturienten, die können sich nicht mit anderen Zeiten vergleichen. Sie orientieren sich an dem derzeitigen System, sie wachsen auf mit der Hatz auf gute Notendurchschnitte. Allein die genannten Änderungen beim Bewertungsschlüssel ergeben eine Anhebung der Abiturdurchschnitte um etwa fünf Zehntel. Nicht die Leistungsfähigkeit unserer Abiturienten ist um fünf Zehntel besser geworden, das System hat sie ihnen in die Wiege gelegt. Vielleicht haben diejenigen recht, die von der Ausstellung ungedeckter Bildungsschecks sprechen.

(…) Die Politik möchte möglichst viele Abiturienten. Es ist die simple quantitative Botschaft, dass viele Abiturienten ein Indiz für ein gutes Bildungswesen seien. Wenn das so einfach wäre!

Gymnasien und Sekundarschulen gleichen sich formal zunehmend an. Ist Berlin auf dem Weg zu einer Schule für alle?
Vor der Einheitsschule möge Gott oder wer auch immer uns bewahren. Der Gedanke der Einheitsschule dient der Egalisierung des Niveaus und damit seiner Absenkung. Kinder sind und entwickeln sich ganz unterschiedlich, dem muss ein Bildungssystem durch vielfältige Angebote Rechnung tragen. (…)

zum Artikel:  Der Tagesspiegel, Schule, 07.07.2015, Susanne Vieth-Entus, „Das Abitur ist systematisch abgewertet worden“


Heike Schmoll schreibt in der FAZ vom 04.07.2015, Abitur ohne Wert:

(…) „Die Kultusminister müssen sich auch eingestehen, dass eine Abiturientenquote von 50 bis 70 Prozent bei einem anspruchsvollen Niveau nicht zu halten ist. Wenn am Ende alle das Abitur haben, ist es eben nichts mehr wert. Das lässt sich in Frankreich mit seinem Abiturientenanteil von 80 Prozent eines Altersjahrgangs studieren.“ (…)

zum Artikel:  FAZ, Kommentar, 04.07.2015, Heike Schmoll, Abitur ohne Wert


Interview mit Lehrerverbandspräsident Josef Kraus
Inflation von Top-Abiturnoten: „Das sind ungedeckte Schecks“

(…) HNA:  Aber viele Bürger finden einen Bildungszentralismus wie in Frankreich gerechter. Dort spitzen auf Kommando aus Paris die Abiturienten die Bleistifte für zentral gestellte Klausuren. 
Kraus: Das ist nur die halbe Wahrheit. Man darf nicht übersehen, dass die Abschlusszeugnisse in Frankreich einen relativ geringen Wert haben. Wer dort zur Hochschule will, muss eine Aufnahmeprüfung machen. Außerdem kann man bei einer 80-prozentigen Abiturientenquote sagen: Wenn jeder Abitur hat, hat keiner mehr Abitur. Ungerecht ist, wenn man Unterschiedliches gleich behandelt und über einen Kamm schert. (…)

Wir haben in den letzten Jahren einen sprunghaften Anstieg von Einser-Abiturienten verzeichnet. Sind die Schüler alle besser geworden?
Nein. Die Politik hat konzeptionslos die Verkürzung der Gymnasialzeit durchgezogen. Zugleich wollte sie mit sehr liberalen prüfungsrechtlichen Vorgaben beweisen, dass das achtjährige Gymnasium etwas Sinnvolles ist und auch noch bessere Abiturnoten zur Folge hat. Dann haben wir parteiübergreifend eine Politik, die auf Gefälligkeit setzt nach dem Motto: Wenn die Eltern das wünschen, befriedigen wir es. Die Hochschule oder der Markt wird es schon richten. Aber unterm Strich ist es Betrug an den Schülern. Wenn alle eine Eins vor dem Abitur-Komma haben, dann hat keiner mehr eine Eins vor dem Komma. Weil dann entweder der Markt oder die Hochschule sagen: Das sind ungedeckte Schecks. Wir machen unsere eigenen Auswahlverfahren.

zum Artikel:  Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 14.06.2015, Interview mit Lehrerverbandspräsident Josef Kraus, Inflation von Top-Abiturnoten: „Das sind ungedeckte Schecks“

Erfolgreicher Unterricht: „Leidenschaft“ und „hoher Einfluss“ nötig

Datum:  04.07.2015
Was guten Unterricht ausmacht
Im Interview mit FreieWelt.net erläutert Prof. John Hattie, was guten Unterricht ausmacht.

FreieWelt.net:  (…)  Was also macht einen erfolgreichen Unterricht aus?
John Hattie:  (…) Dazu gehört etwa, dass eine Gruppe von Lehrern von einer Person geleitet wird, die ein Klima des Vertrauens erzeugt, damit die Lehrer debattieren, kritisieren und Unterrichtsreihen planen können, die a) herausfordernd sind, b) auf dem Vorwissen der Schüler aufbauen, c) die Balance zwischen allgemeiner und tiefgründiger Stoffbehandlung halten und am wichtigsten, d) dass sich alle einig sind, wie der Erfolg sich am Ende darstellen wird und die Erfolgskriterien klar benennen können, BEVOR sie mit dem Unterrichten beginnen.
Die Aussicht auf Erfolg erhöht sich, wenn der Lehrkörper sehr frühzeitig die Zielsetzung des Unterrichtes kommuniziert und sich ständig um Feedback in Bezug auf den Fortschritt der einzelnen Schüler bemüht sowie die Lehrmethoden im Lichte dieser Rückmeldungen anpasst. Die Aussicht auf Erfolg erhöht sich, wenn Schüler, die mit den Herausforderungen des Lernens kämpfen, das Lernen selbst beigebracht bekommen (sich zu konzentrieren, mit Bewusstsein zu arbeiten, Fehler und Fehlschläge zu tolerieren, gemeinsam an Problemlösungen zu arbeiten und verschiedene Lernstrategien auszuprobieren) und mit regelmäßigem Feedback über die nächsten Schritte versorgt werden.
Angemessene Herausforderungen, Klärung des Erfolgsbegriffes und Lehrer, die sich und ihren Unterricht immer weiter entwickeln – das sind Schlüsselkategorien für Unterrichtserfolg. Lehrer müssen darin unterstützt werden, ihren eigenen Einfluss auf den Lernerfolg in einem vertrauensvollen Umfeld ständig zu überprüfen und die Anforderungen der Lehrpläne gemeinsam festzulegen. Lehrer müssen eine Leidenschaft dafür entwickeln, alle Schüler zum Erfolg zu führen.

Was ist Ihre Vorstellung von einem „guten Lehrer“?
John Hattie:  Hervorragendes Unterrichten lässt sich – nach all meinen Schriften, meinen Beobachtungen in Schulen und meiner Beschäftigung mit Bildung allgemein – auf zwei Hauptnenner bringen – der eine davon ist Leidenschaft. Dabei meine ich eine bestimmte Form von Leidenschaft – die Leidenschaft, wirksamen Einfluss auf den Lernerfolg zu haben. Ich rede nicht über eine bloße „Liebe zum Lehren“, sondern über eine Leidenschaft für wertvolles und bewertbares Unterrichten, eine Leidenschaft dafür, seine Zeit und Energie dem Unterrichten zu widmen und dies zu einem zentralen Aspekt der eigenen Identität und des eigenen Lebens zu machen.
Kinder gehen nicht immer nur zur Schule, um nachzudenken. Unser Kopf ist gar nicht fürs Denken eingerichtet, wie wir in unserem neuen Buch argumentieren (Hattie & Yates, 2013). Denken und Lernen erfordern bewusstes Handeln, bewusste Praxis und bewusste Aufmerksamkeit dem gegenüber, was wir nicht wissen. Man muss Energie und Anstrengung aufbringen und dazu noch die Möglichkeit akzeptieren, daneben zu liegen, vor den anderen bloßgestellt zu werden, weil man es nicht kann! Manchmal erfordert es nachhaltige Bemühungen, bedroht das Selbstvertrauen, bringt ein hohes Maß von Unsicherheit mit sich. Es gibt keine Garantie für Erfolg. Und daher ist es riskant, weil wir es vielleicht nicht schaffen. Es könnte sehr peinlich sein, vor den Augen der Gleichaltrigen zu versagen. Es kostet viel, weil die gleiche Mühe in dem Moment nicht in andere, angenehmere Aktivitäten gesteckt werden kann, die nichts mit Nachdenken zu tun haben. Es ist einfacher, sich nicht mit dem Lernen zu beschäftigen, als es zu riskieren, trotz all der notwendigen Anstrengungen zu versagen. Das ist keine Faulheit. Wir Menschen (besonders die Kinder) verfügen eben nur über begrenzte Ressourcen, mit denen zu haushalten umsichtig, sogar weise ist. Lehrer mit einer ebenmäßigen (nicht obsessiven) Leidenschaft zum Unterrichten wissen das. Daher rührt auch ihr demonstratives Veranschaulichen der Freude, die man daraus ziehen kann, wenn man ihre Leidenschaft für das Lernen von Englisch, Mathematik, Physik und Sport teilt.
Diejenigen Lehrer, die diese Leidenschaft nicht haben, sehen die Quelle der Probleme vor allem in den Schülern. Sie sehen, dass manche klug sind und manche kämpfen müssen, dass manche es können und andere nicht. Sie sehen, dass einige sich bemühen und sagen, der Rest tut das nicht. Sie erklären einige für „leicht zu unterrichten“ und andere für „weniger leicht zu unterrichten“. (…)

Der zweite Hauptnenner, auf den man hervorragendes Unterrichten bringen kann, ist hoher Einfluss. Ich habe bei meiner Arbeit an „Visible Learning“ entdeckt, dass der Unterschied zwischen hervorragenden und nicht so großartigen Lehrern mehr als nur Leidenschaft ist. Die Antwort liegt nicht darin, wer der Lehrer ist – auch nicht notwendigerweise darin, was er genau tut. Es hängt vielmehr damit zusammen, welche Menge an Einfluss er auf die Schüler hat. Das hervorstechendste Ergebnis der Synthese von (derzeit) über 1000 Meta-Analysen (ca. 55.000 Einzelstudien, die ca. 250 Mio. Schüler umfassen) ist, dass fast „alles funktioniert“. Das erklärt nun, warum wir jeden Lehrer die Türe schließen und dann tun lassen, was er für das beste hält – solange es Beweise gibt, dass es das Lernen verbessert. Das erklärt auch, warum die allermeisten politischen Maßnahmen offenbar das Lernen fördern – weil beinahe alles das Lernen fördern kann. Aber wenn wir einmal von den durchschnittlichen Effekten absehen, ergibt sich eine ganz andere Geschichte. Ich bin fasziniert von den Merkmalen derjenigen Lehrer und Lehrarten, die zu überdurchschnittlichen Ergebnissen führen – und das sind die Botschaften in Visible Learning (2008) und Visible Teaching (2011). Ich möchte folgende normative These über hervorragende Lehrer aufstellen: Sie haben nicht nur einen gewaltigen und beständigen Einfluss, sondern sie können dafür auch qualitative Beweise anführen.
Ich habe mich in meiner Karriere auf das Studium von Erfolg konzentriert, und dieser ist in Schulen allgegenwärtig. Meine Schätzung gemäß meiner VL – Arbeit ist, dass um die 40 % der Lehrer stark einflussnehmende, leidenschaftliche Lehrer sind. Sie sind überall – wir müssen sie nur wertschätzen, verlässlich identifizieren, und dann alle anderen so fördern, dass sie zu dieser Gruppe von Lehrern aufschließen. (…)

zum Artikel:  ISSB – Institut für Strategische Studien Berlin, FreieWelt.net, 12.04.2013, Was guten Unterricht ausmacht

Was guten Unterricht ausmacht

Datum:  02.07.2015
„Schlechter Unterricht führt dazu, dass alle gleicher werden“
Es nutzt die schönste Schule nichts, wenn das Personal nichts von seinem Job versteht: Unterrichtsforscher Andreas Gold (Professor für Pädagogische Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt) über das, was erfolgreiche Pädagogen und guten Unterricht ausmacht. Interview: Jacqueline Vogt, FAZ

Jacqueline Vogt:  (…) Haben Sie Veränderungen (im Unterricht an deutschen Schulen) festgestellt, zum Schlechten womöglich?
Andreas Gold:   Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Unterricht in Deutschland schlechter geworden sei. Im Gegenteil, ich glaube, dass an deutschen Schulen, in deutschen Klassenzimmern, ziemlich guter Unterricht gemacht wird. In der Öffentlichkeit wird meist gesprochen über Strukturfragen: Ganztagsschule, Inklusion, Differenzierung nach der vierten Klasse oder später. Daran arbeiten sich die Bildungspolitiker seit 50 Jahren ab. Bei all diesen Strukturfragen gerät aus dem Blick, dass es letztlich auf die Unterrichtsqualität ankommt, also auf das, was Lehrerinnen und Lehrer im Klassenzimmer wirklich machen. (…)

Was bedeutet Unterrichten heute? Welche Herausforderungen muss ein Lehrer meistern?
Zuvorderst muss er (das Lehrpersonal) Wissen und Fertigkeiten vermitteln. Darüber hinaus aber werden zunehmend Erziehungsaufgaben allgemeiner Art auf die Lehrer übertragen, ob sie das wollen oder auch nicht, und sie müssen sie auch leisten. Auch dann, wenn gleichzeitig eine allgemein nachlassende Kooperationsbereitschaft von Eltern zu beobachten ist. Außerdem sind die Lernvoraussetzungen von Schülern zunehmend ungleicher als früher. Mit dieser Heterogenität umzugehen ist eine erhebliche Herausforderung. (…)

Ist der Beibehalt von Unterschieden also das Ziel von Schule?
Ich formuliere das mal provokant: Am Ende guten Unterrichts steht eine größer gewordene Heterogenität der Schülerschaft. Richtig guter Unterricht fördert jedes Kind, soweit das aufgrund des Potentials, das es mitbringt, möglich ist. Und wenn man jeden optimal fördert, sind, weil schon die Ausgangslagen unterschiedlich waren, am Ende auch die Ergebnisse unterschiedlich. Nur ganz schlechter Unterricht wird dazu führen, dass am Ende alle ein bisschen gleicher sind, auf niedrigem Niveau. (…)

Was ist gute Klassenführung?
Gute Klassenführung zeigt sich darin, dass es im Unterricht selten oder so gut wie gar nicht zu Störungen kommt. (…)

zum Artikel:  FAZ, 22.05.2015, Jacqueline Vogt, „Schlechter Unterricht führt dazu, dass alle gleicher werden“

Die Arbeitsgebiete von Professor Andreas Gold sind die Lehr-Lern-Forschung und die Erforschung der Wirksamkeit pädagogischer Interventionen. Von 2008 bis 2014 war Gold stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des Forschungszentrums „Idea“, das untersucht, wie Kinder lernen. Gold hat über Lernschwierigkeiten und frühe Bildung publiziert, sein jüngstes Buch heißt „Guter Unterricht“.