Archiv der Kategorie: Schule und Lobbyismus

Kinder sind keine Objekt-Roboter

Ein Berliner Lehrer klagt: In Diskussionen über den Schulunterricht kommt der Aspekt des Sozialen Lernens zu kurz

Berliner Zeitung, 7.11.2025, Markus Vollack, Open Source Beitrag.

Seit einigen Jahren wird die digitale Schule beschworen, gefordert und gefördert. Schulklassen sollen mit Laptops, Tablets, Smartphones und interaktiven Smartboards ausgestattet werden. Ferner sollen digitale Plattformen, Webkommunikationswege sowie Videoplattformen den Weg zur digitalen Schule (auch via Homeschooling) ebnen. Die Kritik lautet stets, dass es einen großen Mangel an der Umsetzung und Ausstattung geben würde.[1] Ob und inwiefern digitale Lernmaterialien überhaupt pädagogisch sinnvoll sind oder ob sie nicht auch schädlich für die kindliche Entwicklung sein können, interessiert dagegen kaum.

Ein Aspekt kommt hierbei regelmäßig zu kurz und wird quasi nie thematisiert: das Soziale Lernen. Davon auszugehen, dass Kinder Objekt-Roboter seien, die man via digitaler Schul-Lernfabrik nur mit Daten[2] füttern müsse, ignoriert alle pädagogischen, psychologischen, lerntheoretischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen 30 Jahre. Denn Kinder lernen fast ausschließlich in der sozialen und primär analogen Interaktion mit ihren Mitmenschen.

Probleme im Alltag

Ich kann aus meinem Schulalltag berichten, dass es immer mehr Kinder gibt, die weniger kognitive als viel mehr sozial-emotionale Schwierigkeiten im Alltag haben. Hier hilft den Kindern auch kein Laptop oder ein Tablet weiter. Sie benötigen zwingend die Interaktion mit anderen Kindern und die empathische Begleitung von pädagogischem Fachpersonal.

Kinder, die beispielsweise häufig in Konflikte involviert sind, eine geringe Frustrationstoleranz haben, bei denen die Selbst- und Fremdwahrnehmung schwach ausgeprägt ist, die Schwierigkeiten haben, sozial anzuknüpfen oder Freunde zu finden, sowie wenig selbständig-lösungsorientiert handeln können, brauchen unbedingt einen geschützten Freiraum, wo sie entsprechende Fähig- und Fertigkeiten mit anderen Kindern (er-)lernen können. Aber auch Kinder, die selbstbewusst und selbstwirksam sind, brauchen zwingend andere Kinder, um sich altersgerecht entwickeln zu können.

Werte und Normen wie Fairness, Rücksichtnahme, Verständnis, Empathie, Gerechtigkeit, gewaltfreie Kommunikation oder Gemeinschaftsgefühl lernen Kinder nicht durch eine Schulcloud oder eine Zoom-Videokonferenz.[3] Sie entdecken ihre körperlichen und emotionalen Grenzen und Fähigkeiten nur in der analogen Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen.

Wie bitte sollen Kinder und Jugendliche Konfliktlösungsstrategien mit digitalen Technologien erlernen? Wie sollen sie sich hier selbst sowie andere Kinder spüren? Mit all ihren Gerüchen, Berührungen, der Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme, die für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen so unglaublich wichtig sind? Wie lernen Kinder, ihre Ängste zu überwinden und selbstbewusster zu werden, wenn sie vor einem Smartphone oder einem Smartboard sitzen?

Digitalpakt. Bildungsstandort Deutschland. Digitaler Wandel. Homeschooling. Medienkompetenz. Bei all dem geht es – wie so oft – nicht um die Bedürfnisse und Interessen der Kinder.[4] Denn sie werden nicht gefragt. Stattdessen definieren die Kultusministerien die gewünschten Bildungsziele und die Digital-Firmen verdienen Millionen an der digitalen Aufrüstung der Schulen.[5]

Geld erbetteln

Fragt man nämlich die Kinder (oder die Eltern), wünschen sie sich meist saubere Toiletten, einen schöneren Garten oder einen besser ausgestatteten Schulhof. Dafür ist dann aber komischerweise selten Geld da. Stattdessen müssen Fördervereine gegründet und das Geld regelrecht eingebettelt werden, damit man sich wenigstens am Tag der offenen Tür nicht in Grund und Boden schämen muss.

Natürlich ist Lernen zunächst ein individueller Prozess. Soziales Lernen ist jedoch Training und Förderung der sozialen Kompetenz in der Gruppe.[6] Und gerade die Aushandlung eines Kompromisses zwischen eigenen Bedürfnissen und nicht eigenen Bedürfnissen ist beispielsweise für Grundschüler ein elementar wichtiger Bestandteil ihres kindlichen Entwicklungsprozesses.

Das Erleben und Erfahren der emotionalen Selbstwirksamkeit, die Teilhabe an der Gruppe, das Einfühlen in andere Kinder (Empathie), die Stärkung der eigenen Resilienz und Frustrationstoleranz, ein ausgeprägtes Regelverständnis, die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes sowie gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien – das alles sind weitere wichtige Lernprozesse des Sozialen Lernens. Das alles lernen Kinder nicht mit oder über digitale Technologien, sondern nur in der Interaktion mit anderen Menschen.

Berliner Zeitung (2.12.2025)

Markus Vollack ist Politologe und Pädagoge. Seit rund zehn Jahren arbeitet er an einer Berliner Grundschule.


Der Einsatz der Fußnoten und die darin enthaltenen Hinweise und Ergänzungen sind nicht vom Autor Markus Vollack! Sie wurden von Schulforum-Berlin als Hintergrundinformation eingefügt und sollen die Aussagen des Autors unterstützen.


[1] Der Schulleiter einer digitalen Vorreiterschule in Gütersloh, Martin Fugmann, der auch geschäftsführender Vorstand der Heraeus-Bildungsstiftung und diese Mitglied im „Forum Bildung Digitalisierung“ ist, führt in einem Interview aus: Die Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung „lernen, wie man Unterricht mit digitalen Werkzeugen gestaltet, wie man Kollaboration anbahnt, wie man Lernplattformen nutzt.“ Das klingt so, als „müssten Pädagogen ihre Pädagogik von den Geräten her denken“ und bitteschön, im Sinne der im Hintergrund des Stifterverbunds „Forum Bildung Digitalisierung“ agierenden IT-Industrie. Siehe: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/wir-haben-keine-zeit-mehr-digitalisierung-an-berliner-schulen-stagniert-li.2359299 (2.12.2025)

[3] Mittlerweile sehen auch Schüler, dass es bei der Digitalisierung der Schule nur vordergründig um Lernförderung geht. Die Auswirkungen der Vereinzelung beim individuellen Lernen, der Frontalunterricht vor dem Bildschirm, das Fehlen einer empathischen Resonanz, die Auflösung der Klassengemeinschaft und die unkontrollierbare Nutzung und weitere Verwertung ihrer gespeicherten Daten werden verschleiert. Zu diesem Vorgehen haben Schülerinnen und Schüler der Sophie-Scholl-Oberschule Berlin in einem Zeitungsbeitrag geschrieben: „Wir sind gegen die Digitalisierung von Schulen, weil wir nicht wollen, dass unsere Daten ausgekundschaftet und benutzt werden. […] Wir haben als Jugendliche das Recht, Fehler zu machen und daraus zu lernen, ohne dass sie uns im späteren Leben zum Verhängnis werden.“

[4] Die UNESCO kritisierte im „Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms?“, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen.

KERNAUSSAGEN aus dem Report:
„Es gibt wenige belastbare Belege für den Mehrwert von digitalen Medien in der Bildung. Die Technologie entwickelt sich schneller, als wir sie evaluieren können: Produkte aus dem Bereich der Bildungstechnologien ändern sich im Durchschnitt alle 36 Monate.“

„Ein Großteil der Studien stammt von den Anbietern, die die Produkte verkaufen wollen. Pearson [der weltweit größte Bildungskonzern und Buchverlag, zudem Marktführer für Bildungsmedien in Großbritannien, Indien, Australien und Neuseeland, zugleich die zweitgrößte Verlagsgruppe in den USA und Kanada] finanzierte eigene Studien und bestritt unabhängige Untersuchungsergebnisse, wonach die Produkte des Unternehmens keine Effekte zeigten.“ https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147_ge. Zusammenfassung:  https://schulforum-berlin.de/technologie-in-der-bildung-ein-werkzeug-zu-wessen-bedingungen/  (2.12.2025)

[5] Offensichtlich ist: Es geht nicht wirklich um den Lernerfolg unserer Schülerinnen und Schüler, es geht um ein Milliardengeschäft. So berichtet die BertelsmannStiftung bereits am 3.11.2017: „IT-Ausstattung an Schulen: Finanzierung ist eine milliardenschwere Daueraufgabe“. Sie fordert: „Rund 2,8 Milliarden Euro müssten jährlich investiert werden, um all unsere Grundschulen und weiterführenden Schulen mit entsprechender Infrastruktur auszurüsten.“ https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/november/it-ausstattung-an-schulen-finanzierung-ist-eine-milliardenschwere-daueraufgabe/ (2.12.2025)

Eindrucksvoll beschreibt dieses Vorgehen Christian Füller in der GEW-Zeitung am Beispiel von Bertelsmann. Perfektes Zusammenspiel. In: GEW Landesverband Hamburg, Bildungspolitik, E&W 06/2016. (2.12.2025)

[6] „Der Kern schulischen Lernens war schon immer Zusammenarbeit und soziales Lernen – das Lernen mit und von anderen.“ Bildungsforscher John Hattie warnt vor falsch verstandener Individualisierung des Lernens, John Hattie, 27. Oktober 2025, aus: https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/john-hattie-warnt-vor-falsch-verstandener-individualisierung-des-lernens/ (2.12.2025)

Beitrag als PDF-Datei

Die digitale Schule

Neues Lernen nach den Vorstellungen und mit den Werkzeugen des Technologiekonzerns Samsung [1]

Die Vision des Technologiekonzerns:

„Inspirieren Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zu neuen Hochleistungen.“ [2]

Und dies mit IT-Geräte- und Softwarevorschlägen von Samsung, die eine „mobile Lösung“ für den Unterricht ermöglichen und „leicht transportiert“ werden können „um die Schülerinnen und Schüler dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten.“ [3] Mit „zahlreichen Apps und Tools für den Unterricht“ lassen sich „Dank Samsung Classroom Management“ die Schulstunden „digital gestalten sowie effizient planen und strukturieren.“ [4]

Für Lehrerinnen und Lehrer stellt das Unternehmen auf ihrer Internetseite mit der Überschrift „Neues Lernen – Unterrichtswerkzeuge“ [5] nachfolgendes Beispiel für „eine perfekte Schulstunde“ vor.


Eine perfekte Schulstunde

8:30 Uhr
Sie starten die Schulstunde einfach per App.
Die Schüler:innen können automatisch dem Unterricht beitreten oder erst nach dem Scannen eines QR-Codes. Per Schüler Monitoring wird genau angezeigt, wer online oder offline ist.

Lassen Sie sich die Bildschirme der Schüler:innen anzeigen oder die Hausaufgaben auf Ihr Tablet senden, um die Ergebnisse zu beurteilen. Anschließend teilen Sie den heutigen „Unterrichtsstoff“ auf die Tablets der Schüler:innen. Für Wortmeldungen gibt es die Melden-Funktion.

9:15 Uhr
Dindong, Pause!
Überraschen Sie Ihre Schulklasse mit einem „echten“ Schulgong.

9:30 Uhr
Die Schüler:innen präsentieren ihre Referate im digitalen Klassenraum. Mit einer Geste machen Sie in der App den betreffenden Schüler zum Präsentator und sperren gleichzeitig alle Geräte der anderen Schüler:innen. Zu leise oder zu laut? Auch die Lautstärke können Sie einfach anpassen.

10:15 Uhr
Ende einer erfolgreichen Schulstunde. Bevor Sie die Schülergeräte sperren, lassen Sie sich die erarbeiteten Lösungen zusenden.

Anschließend können Sie gezielt alle Inhalte auf den Schüler-Tablets löschen, um die Datenschutzrichtlinien einzuhalten.

Kaffeepause
Planen Sie jetzt z.B. ganz entspannt Ihre nächsten Unterrichtseinheiten und hinterlegen Sie die Lehrmaterialien oder Apps, die Sie dafür verwenden möchten.


Um was geht es?

Samsung vermittelt den Lehrerinnen und Lehrern sowie den Bildungspolitikern, dass der weltweit agierende IT-Konzern das Lösungspaket für den „DigitalPakt Schule“ habe. So behaupten sie, dass „Samsung Neues Lernen“ „leistungsstarke und flexibel einsetzbare Produkte“ vereint, „die modernes Lernen und Lehren fördern und gleichzeitig für Begeisterung sorgen können.“ Und für den, der noch unsicher ist, behaupten sie: „Genau deshalb ist digitale Bildung bzw. die Digitalisierung an Schulen so wichtig.“ [6]

Die Implementierung digitaler Medien und Technologien prägt die bildungspolitische Agenda!

Deutlich wird, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Schülerinnen und Schülern, die Bedeutung der Kommunikation und Interaktion zwischen Lehr- und Lernpersonen nicht über einen überraschenden „Dingdong“ zur Pause hinausgehen. All dies verschwindet bei den Vorschlägen zur digitalen Unterrichtsgestaltung in der Bedeutungslosigkeit [9] und wird kommentarlos hingenommen. Das Vorgehen im Unterricht wird zu einem „modernen Lernen und Lehren“ hochstilisiert! [10] 

Zur Bedeutung der Lehrperson äußert sich die Physikerin und Nobelpreisträgerin Anne l´Huillier in einem Interview im Tagesspiegel vom 26.3.2024: „Man lehrt nicht was man weiß, sondern was man ist. Der Grundgedanke ist, dass nichts den Lehrer als Person ersetzen kann. Man kann nicht auf dieselbe Weise unterrichten, indem man auf einen Computer schaut, sondern man muss mit einer Person sprechen. Und diese Person lehrt viel mehr als nur das Fach, sondern auch ihre Persönlichkeit, die die Schüler beeinflusst.“ [11]

Manfred Fischer für Schulforum-Berlin, 26.10.2025

Beitrag als PDF-Datei


[1] Hier könnte auch jede große deutsche Bildungs-Stiftung mit Technologieunternehmen im Hintergrund stehen. Sie agieren in ähnlicher Weise. Siehe: https://schulforum-berlin.de/schulen-im-fadenkreuz-der-lobbyisten-2/ (25.10.2025)

[2] Engartner, Tim, Raus aus der Bildungsfalle. Westendverlag, 2024, S. 118. Der Technologiekonzern Samsung wirbt nicht nur mit seinen Produkten, sondern auch mit seiner Vision für das Lernen mittels digitaler Endgeräte.

[3] A.a.O., S. 119.

[4] Siehe: https://www.samsung.com/de/business/neues-lernen/apps-fuer-den-unterricht/ (25.10.2025)

[5] A.a.O.

[6] Siehe: Digitaler Unterricht mit Samsung Neues Lernen https://www.samsung.com/de/business/neues-lernen/ Fettdruck durch Samsung.

[E]s ist kritisch anzumerken, dass die Bezeichnung „digitale Bildung“ irreführend ist und eher als positiv konnotiertes, euphemistisches Synonym für die Einführung digitaler Lehr- und Lernmittel sowie das Forcieren digitaler Kompetenzen im Diskurs genutzt wird. […] (Fußnote S. 32). Siehe: Annina Förschler (2018): „Das ‚Who is who?‘ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda – eine kritische Politiknetzwerk-Analyse“. In: Pädagogische Korrespondenz, 58/18: S. 31-52. (25.10.2025)

[7] Siehe: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/november/it-ausstattung-an-schulen-finanzierung-ist-eine-milliardenschwere-daueraufgabe/ (25.10.2025)

[8] Das Agieren von Bertelsmann ist beispielhaft für das Arbeiten von Stiftungen im Bildungsbereich, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel (25.10.2025)

[9] Siehe auch: Bundeszentrale für politische Bildung, „Mit oder ohne Tablet lernen?! Über Argumente aus der Digitalisierungsdebatte in Schweden und Dänemark“, https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/549556/mit-oder-ohne-tablet-lernen/#footnote-reference-8 (25.10.2025)

[10] Siehe auch: https://schulforum-berlin.de/verschleierung-und-verwirrung-als-roter-faden/ (25.10.2025)

[11] Siehe: https://www.tagesspiegel.de/wissen/physik-nobelpreistragerin-anne-lhuillier-eine-frauenquote-erzeugt-nicht-automatisch-gerechtigkeit-11217106.html  (25.10.2025)

Schulen im Fadenkreuz der Lobbyisten

„Technology in education: A tool on whose terms?“

Fragestellung der UNESCO im Global Education Monitoring Report 2023.

Der Schulleiter, der auch geschäftsführender Vorstand der Heraeus-Bildungsstiftung und diese Mitglied im „Forum Bildung Digitalisierung“ ist, hält als Forderung für die Grundschulen fest: Nicht nur „Lesen, Schreiben und Rechnen“ gehören zur Allgemeinbildung sondern „unbedingt“ auch „digitale Grundkompetenzen“. Wie es um die Grundkompetenzen in „Lesen, Schreiben und Rechnen“ bei den Grundschülern bestellt ist, scheint für ihn kein Problem zu sein – hat er doch ganz anderes im Sinn.

Schaut man genauer hin entdeckt man ein „perfektes Zusammenspiel: Die Stiftungen wirken wie ein Türöffner“[2]. Zu jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit melden sich deren „Experten“ zu Wort, um ihre „digitalen Bildungskonzepte“ voranzubringen. Ihre „Empfehlungen“ sind passgenau ausgerichtet an den Medien- und IT-Produkten der jeweiligen Technologieunternehmen im Hintergrund.

Tatsächlich verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Ein Blick nach Schweden bringt Aufklärung.

Das Karolinska Institut, Medizinische Universität Stockholm[3], erklärte dazu in einer Stellungnahme:

„Die Annahme, dass die Digitalisierung die von der schwedischen Bildungsbehörde erwar­teten positiven Effekte haben wird, ist nicht evidenzbasiert, d.h., nicht auf wissen­schaftlichen Erkenntnissen beruhend.“

Weiter wird von der schwedischen Forschergruppe berichtet:

„Die Nationale Bildungsagentur scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass die Forschung gezeigt hat, dass die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler hat.“

In ihrer Stellungnahme führen sie weiter aus:

„Es gibt eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schüler eher beeinträchtigen als verbessern.“

Ungeachtet dieser Stellungnahmen der Wissenschaftler führt der Schulleiter jedoch im Interview weiter aus: Die Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung „lernen, wie man Unterricht mit digitalen Werkzeugen gestaltet, wie man Kollaboration anbahnt, wie man Lernplattformen nutzt.“ Das klingt so, als „müssten Pädagogen ihre Pädagogik von den Geräten her denken“ und bitteschön, im Sinne der im Hintergrund des Stifterverbunds „Forum Bildung Digitalisierung“ agierenden IT-Industrie.

Die Vereinzelung beim Lernen vor dem Bildschirm, die Abschaffung des Unterrichts, die Auflösung der Klassengemeinschaft, der Verlust von Sozialkompetenzen sowie der stete Leistungsabfall in den Grundkompetenzen, all das wird kommentarlos hingenommen.

Treffend und komprimiert führte Susanne Klein in der Süddeutschen Zeitung[4] unter der Überschrift: „Digitales Geräteturnen“, aus: „Es ist Zeit, dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen. Damit die Schulen nicht zur nächsten Reform verdonnert werden, die eine kurzsichtige Politik irgendwann zurücknehmen muss.“

Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg stellt dazu fest, „dass viele Probleme, die wir im Bildungsbereich haben, von einer unreflektierten Digitalisierung letztendlich befeuert werden.“[5]

Und auch die UNESCO kritisierte im „Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms?“[6], dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen.[7]

Diese wirtschaftlichen Interessen in der umfassenden „Digitalisierung der Bildung“ charakterisierte Christian Füller als „Trojanisches Pferd“[8] und schrieb in der Hamburger GEW-Lehrer-Zeitung dazu: „Mit der Digitalisierung aber haben vor allem die Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund[9] eine völlig neue Mission: Sie rollen unter den großen Überschriften `Teilhabe´ und `Kooperation´ ein großes Trojanisches Pferd in die Schulen – das digitalisierte Lernen samt Endgeräten.“

Worauf es ankommt

Auf die Frage: Worin sehen Sie die größten Herausforderungen des deutschen Bildungssystems? antwortet Dr. Heiner Barz, Professor für Erziehungswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Ein […] Problem ist die viel beschworene `digitale Bildungsrevolution´. Viele Pädagogen und Bildungsexperten sehen im zu frühen Einsatz von Bildschirmmedien in Kita und Schulen mehr das Problem als die Lösung. Sie verlangen vielleicht nicht nach einer neuen `Kreidezeit´ – aber doch nach einer Rückbesinnung auf die lebendige Lehrer-Schüler-Begegnung, auf das fruchtbare Unterrichtsgespräch und auf den pädagogisch gestalteten Rhythmus von Anstrengung und Entspannung in der Eroberung neuer Wissenswelten.“[10]

Beitrag als PDF-Datei

[1] Interview mit der Berliner Zeitung vom 30.9.2025, „Wir haben keine Zeit mehr“ – Digitalisierung an Berliner Schulen stagniert, Ronja Ackermann (20.10.2025)

[2] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel (20.10.2025)

[3] Karolinska-Institut (Schweden): Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung. Deutsche Übersetzung. (20.10.2025)

[4] Süddeutsche Zeitung, 15.9.2017, „Digitales Geräteturnen“, Susanne Klein (20.10.2025)

[5] Aus NANO, 3sat vom 6.12.2023, https://www.3sat.de/wissen/nano/231206-digitale-leseschwaeche-nano-100.html (20.10.2025)

[6] Technologie in der Bildung EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN? (20.10.2025)

[7] Siehe auch: https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/11/moratorium_pub_17nov23.pdf (20.10.2025)

[8] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel (20.10.2025)

[9] Unternehmensnahe Stiftungen im Bildungsbereich:

Im Forum Bildung Digitalisierung sind derzeit zehn große deutsche Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund Mitglied: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung. Berlin ist Netzwerk, Bühne und Treffpunkt für die wichtigsten Debatten über Bildung.

Siehe auch: Deutscher Bundestag, 2023, WD 8 – 3000 – 046/23, https://www.bundestag.de/resource/blob/968854/1bb8f689743f55cdb728acb36abcce91/WD-8-046-23-pdf-data.pdf (20.10.2025)

[10] Siehe: Tagesspiegel vom 8.12.2023, S. 16, „Fragwürdige Bildungsstudie“, https://www.tagesspiegel.de/wissen/was-sagt-uns-die-studie-wirklich-ein-ausstieg-aus-pisa-konnte-sinnvoll-sein-10889485.html (20.10.2025)

Raus aus der Bildungsfalle

Warum wir die Zukunft unserer Kinder gefährden – Digitalisierung ist nicht die Lösung, sondern das Problem

Raus aus der Bildungsfalle, Tim Engartner, Westend Verlag, 2024, siehe auch rechte Seitenleiste

Blick ins Buch

Textauswahl durch Schulforum-Berlin

Der Leitsatz „Wer fordert, fördert“ ist zunehmend verpönt. Getragen von der bei vielen Müttern und Vätern vorherrschenden Scheu, Leistung von ihren Kindern einzufordern, setzen auch immer weniger Lehrende auf Bildung durch Anstrengung. […] Die Vermittlung von Wissen tritt immer mehr in den Hintergrund. (S. 25)

Abkehr vom Leistungsprinzip

Disziplin, Fleiß und Zuverlässigkeit werden immer häufiger ausschließlich als Ausdruck autoritär angelegter Lehr- und Lernarrangements wahrgenommen. Als bürgerliche Tugenden sind diese übergeordneten Lern- und Erziehungsziele heutzutage mehrheitlich verpönt, sodass Eltern und Lehrkräfte immer seltener für die erfolgreiche Lernprozesse unverzichtbare Anstrengung einfordern. Vergessen scheint die Einsicht, dass Lernen nicht nur dem Vergnügen dient. (S. 45)

Obwohl diejenigen, die nicht wissen, wo sie hinwollen, leicht dorthin gelangen, wo sie nicht hinwollen, stehen jüngere Bildungskonzepte immer häufiger unter der Überschrift „Autonomes Lernen“ beziehungsweise „Offener Unterricht“. Kinder und Jugendliche sollen frei und unabhängig, das heißt, ohne eindeutigen Instruktionen folgen zu müssen, spielen und lernen können. Statt autoritärem Frontalunterricht mit der Lehrkraft im Zentrum sollen eindeutig die Lernenden im Mittelpunkt des Geschehens stehen und eigenständig, das heißt auch in ihrem Tempo, lernen. Doch an der Umsetzung hat es gehapert, denn jeder von uns, der eine Fremdsprache gelernt, für eine Mathearbeit geübt oder eine Englischklausur geschrieben hat, weiß, wie ungemein herausfordernd die eigenverantwortliche Gestaltung des Lernprozesses ist. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir im Zuge von Bildungsprozessen nicht Wissen erwerben, sondern auch lernen müssen zu lernen. Das aber ist komplexes Unterfangen, das Schritt für Schritt erschlossen werden muss. (S. 46)

Silicon Valley im Klassenzimmer

Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta sind neue Zentren der Macht, die sie in einem bisher unbekannten und kaum einzuhegenden Maße nun auch auf dem Bildungssystem ausüben. Doch nicht nur sie drängen auf den Bildungsmarkt, sondern auch Stiftungen, Non-Profit-Organisationen und Verbände. Beflügelt von der Idee, Bildung neu zu denken, engagieren sie sich mittels Projektfinanzierungen und Medienkampagnen für die Etablierung digitaler Markt- und Infrastrukturen an Schule und Hochschulen. Akteure wie das Bündnis für Bildung oder das Forum Bildung Digitalisierung werben mit ihrer vermeintlichen Neutralität, meinen damit aber häufig lediglich, dass sie produktneutral agieren. Sie werben also nicht für bestimmte Produkte, betonen aber bei jeder Gelegenheit, dass digitale Produkte in jedem Fall genutzt werden sollen. Um mögliche Kritik vorzubeugen, argumentieren sie mustergültig mit Partizipation, demokratischer Teilhabe oder Gemeinschaft und finden auch dadurch nicht nur Resonanz in der Öffentlichkeit, sondern auch Akzeptanz in der Politik. (S. 116)

Doch damit nicht genug. Mit dem DigitalPakt Schule wurde offenbart, dass die Digitalisierung des Bildungswesens bislang in erster Linie durch handfeste ökonomische Interessen und nicht durch pädagogische Konzepte geprägt war. (S. 117)

So wirbt der Tech-Gigant Apple für eine intensive Einbindung seiner Produkte in den Unterricht:

„Seit 40 Jahren unterstützt Apple Lehrerinnen und Lehrer dabei, das kreative Potenzial jedes einzelnen Schülers freizusetzen. Heute tun wir das auf mehr Arten als je zuvor. Und das nicht nur mit leistungsstarken Produkten. Sondern auch mit Werkzeugen, Inspirationen und Programmen, die Lehrkräften dabei helfen, geradezu magische Lernergebnisse zu schaffen.“ (S. 118)

Der Technologiekonzern Samsung wirbt nicht nur mit seinen Produkten, sondern auch mit seiner Vision für das Lernen mittels digitaler Endgeräte:

„Inspirieren Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zu neuen Hochleistungen. Das Samsung Literacy Lab ist eine umfassende mobile Lernlösung, die entwickelt wurde, um die Lesefähigkeit von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 3 bis 12 zu fördern. Das Literacy Lab kombiniert ein Samsung Chromebook 3 oder Galaxy Tab E mit dem branchenführenden Leseprogramm iLit von Pearson[1]. Es handelt sich um eine mobile Lösung, die leicht transportiert werden kann, um die Schülerinnen und Schüler dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten“. (S.118)

Auch Microsoft vermarktet seine Lobbyarbeit unter dem Bildungsauftrag der Chancengleichheit: „Grenzenlose Lernchancen eröffnen“ und „Engagement für Barrierefreiheit und Inklusion“ lauten die Slogans. Mit Hilfe der von Mikrosoft angebotenen Soft- und Hardware sollen Schülerinnen und Schüler jeweils individuell gefördert werden, wodurch „personalisierte Lernerfahrungen“ und die „Chance für jeden Schüler, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben“, in Aussicht gestellt werden. (S. 129)

Schulen im Fadenkreuz der Lobbyisten

Die Ausführungen zeigen, dass die Digitalisierung des Bildungswesens sowohl US-amerikanischen Technologieunternehmen als auch in Deutschland ansässigen Betrieben und ihren Interessenvertretungen [Beispiel „Forum Bildung Digitalisierung“[2] die Klassentüren weit aufgestoßen hat. Längst haben sie die Schule als Geschäftsfeld und Werbeplattform erschlossen. (S. 138)

Als bildungspolitisch besonders einflussreich erweisen sich hierzulande die über 21000 Stiftungen, von denen 37 Prozent im Bereich Bildung und Erziehung, 34 Prozent in Kunst und Kultur sowie 19 Prozent in Wissenschaft und Forschung tätig sind. Einer der wirkmächtigsten Player in der Bildungspolitischen Debatte ist die Bertelsmann Stiftung, deren operatives Wissen, funktionales Know-how und personelles Rückgrat sie zu einem – wenn nicht gar dem – zentralen privaten Akteur in der bundesdeutschen Bildungslandschaft hat werden lassen. (S. 142)

Bildungs- und Erziehungsarbeit stärken

In unserem derzeitigen Bildungssystem stehen sich der Wunsch nach mehr Individualisierung durch weitreichende Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten des oder der Einzelnen einerseits und die Forderungen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt andererseits vielfach unversöhnlich gegenüber. […] Als sozialer Ort müssen vor allem Kitas und Schulen dafür sorgen, dass Lernen sich durch weitaus mehr auszeichnet als durch das Erwerben von Kompetenzen, die über die inzwischen sehr zahlreichen international vergleichenden Leistungsstudien besonders prominent in den Blick genommen werden. Unabhängig davon, welche Bedeutung man den diversen Leistungsstudien beimisst, darf ein ehernes Prinzip nicht in Vergessenheit geraten: Zwischenmenschliche Beziehungen, die sich nicht nur zwischen Schülerinnen und Schülern, sondern auch aus der Interaktion zwischen Lehr- und Lernpersonen ergeben, dürfen nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Nahezu jeder von uns ist während seiner Schulzeit von ein oder zwei Lehrkräften in besonderer Weise geprägt worden. Diese Prägung erfolgt in der Regel nicht nur über die Dimension der Wissensvermittlung, sondern auch über die Persönlichkeit der Lehrkraft. Deren Prägekraft ist umso größer, je eindeutiger Kindern Bildungsaspirationen über das Elternhaus versagt bleiben. (S. 223-224)

Hervorhebungen durch Schulforum-Berlin


[1] Pearson ist eines der weltweit führenden und größten Bildungsunternehmen und Vorreiter im Bereich der digitalen Wissensvermittlung und Online-Bildung. https://www.pearson.de/ueber-uns?srsltid=AfmBOoqAuBd_MUvPhzrMJFyq3WVTsX7sZ75uU4K4ZmmY2Ur9KtI7aIL5 (18.10.2025)

„Pearson finanzierte beispielsweise Studien, mit denen unabhängige Analysen angefochten wurden, die ihrerseits gezeigt hatten, dass die Produkte von Pearson keine Wirkung hatten.“ Aus: Technologie in der Bildung EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN? https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147_ger  (S.11) (18.10.2025)

[2] Im Forum Bildung Digitalisierung sind derzeit zehn große deutsche Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund Mitglied: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung. Berlin ist Netzwerk, Bühne und Treffpunkt für die wichtigsten Debatten über Bildung.

Altersgrenzen für Social Media-Nutzung und Einschränkung suchterzeugender Funktionen

Leopoldina-Diskussionspapier empfiehlt besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen

Ausschnitt aus dem Titelbild der Studie der Leopoldina

In dem am 11.08.2025 veröffentlichten Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina [1] schlagen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Anwendung des Vorsorgeprinzips vor. Es besagt, dass vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden sollten, wenn es Hinweise auf mögliche schädliche Auswirkungen gibt, auch wenn wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt ist, wie groß das Risiko tatsächlich ist. In dem Papier „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ geben sie Handlungsempfehlungen, um Kinder und Jugendliche vor negativen Folgen sozialer Medien zu schützen. Nachfolgend ein Auszug:

Handlungsempfehlungen

Unter dem Abschnitt „Maßnahmen für Bildungseinrichtungen“ schreiben sie auf S. 40:

Wir empfehlen, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 zu untersagen.

Smartphones sind die bei Jugendlichen am häufigsten vorhandenen digitalen Endgeräte und daher zentral für die Nutzung sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche. Wie [bereits] dargestellt, zeigen Studien, dass ein solches Verbot positive Effekte auf Wohlbefinden, Sozialverhalten und schulische Leistungen haben kann. Auch wenn andere Untersuchungen kaum Vorteile solcher Maßnahmen feststellen konnten, halten wir ein Smartphoneverbot als Teil eines umfassenden Schutzkonzepts für sinnvoll. Entscheidend sind dabei die pädagogische Begleitung sowie eine regelmäßige Evaluation der Wirkung. (S. 40)

Im Kontext der digitalen Bildung ist es wichtig, ein Verständnis für die Geschäftsmodelle von Social-Media-Anbietern und deren Umsetzung in Form konkreter Nutzungsangebote zu entwickeln. Ebenso sollten Machtstrukturen im Internet und in sozialen Medien thematisiert sowie Medienkompetenzen vermittelt werden – etwa Methoden zur Identifizierung von Falschnachrichten und vertrauenswürdigen Quellen. (S. 41)

Die Nutzung sozialer Medien für schulische Zwecke (z. B. zur Organisation oder Kommunikation im Klassenverband) sollte hingegen kritisch hinterfragt und auf das Mindestmaß beschränkt werden. Wenn ein Einsatz erforderlich ist, sollten bevorzugt unproblematische Anwendungen – etwa datenschutzfreundliche Messengerdienste – zum Einsatz kommen. (S. 42)

Im Zentrum der Kampagne sollten die kurz- und langfristigen Folgen problematischer Mediennutzung stehen. Zudem sollte die Vorbildfunktion von Eltern deutlich benannt werden. Regeln im Umgang mit sozialen Medien sollten klar, alltagstauglich und altersgerecht sein und Eltern, Kindern sowie Jugendlichen gleichermaßen Orientierung bieten. (S. 43)

Zu erforschen sind unter anderem sensible Entwicklungsfenster, Wechselwirkungen mit der elterlichen Mediennutzung, die Rolle von Peers sowie die Auswirkungen kommender KI-gestützter Social-Media-Formate – etwa sogenannter virtueller Freunde oder sozialer Halluzinationen, bei denen Künstliche Intelligenz den falschen, aber subjektiv absolut überzeugenden Eindruck authentischer sozialer Interaktion erzeugt. (S. 44)

In Anbetracht der individuellen und gesellschaftlichen Risiken, die mit der Nutzung sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche somit einhergehen, besteht aus Sicht der Autorinnen und Autoren dieses Diskussionspapiers daher kurzfristiger Handlungsbedarf. Bund und Länder sollten wirksame Maßnahmen zum Schutz dieser besonders vulnerablen Altersgruppe ergreifen. Heranwachsende sollten vor den Risiken sozialer Medien geschützt werden. (S. 45)

Die altersdifferenzierte Schutzstrategie […] vereint regulatorische, technische und pädagogische Maßnahmen sowie gesellschaftliche Aufklärung zu einem abgestimmten Maßnahmenbündel:

Für Kinder unter 13 Jahren sollte unserem Vorschlag zufolge die Einrichtung eigener Social-Media-Accounts untersagt sein, da entsprechende Angebote für diese Altersgruppe grundsätzlich ungeeignet sind. (S. 45)

Für 13- bis 17-jährige Jugendliche sind hingegen altersgemäße Einschränkungen von Plattformfunktionen erforderlich – etwa der Ausschluss personalisierter Werbung und der Verzicht auf die Erstellung individueller Nutzungsprofile. (S. 45)

Für 13- bis 15-jährige Kinder und Jugendliche befürworten wir darüber hinaus eine elterliche Begleitung, die durch einfach zu handhabende Lösungen unterstützt wird. Die Einhaltung der Altersgrenzen erfordert eine verlässliche Infrastruktur zur Altersverifikation, deren Einführung wir empfehlen. (S. 45)

In Bildungseinrichtungen sollte darüber hinaus die Nutzung von Smartphones bis einschließlich Klasse 10 untersagt werden. (S. 46)

Kritisch zu sehen ist so etwa das Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie, das im Zentrum vieler digitaler Geschäftsmodelle steht; denn die Extraktion und Monetarisierung von Aufmerksamkeit fördert technologische Strategien zur Maximierung der Nutzerbindung und schafft gezielt suchtfördernde Strukturen im digitalen Raum. Die rasante technologische Entwicklung im Digitalsektor befeuert diese ökonomisch motivierte Tendenz noch, weshalb sich die sozialen Medien ebenso rasant weiterentwickeln: Immer leistungsfähigere Algorithmen und KI-Systeme werden eingesetzt, um Nutzerverhalten vorherzusagen und mittels emotionaler Bindung zunehmend zu steuern. (S. 46)

Der Schutz junger Menschen vor den Gefahren sozialer Medien erfordert nicht nur sektorale Maßnahmen, sondern muss eingebettet sein in eine umfassende deutsche und europäische Strategie für digitale Resilienz und digitale Souveränität. Es geht um den Erhalt politischer und persönlicher Handlungsfähigkeit im digitalen Zeitalter – durch klare Regeln, wirksame Kontrollen, internationale Kooperation und einen normativen Rahmen, der den Schutz des Kindeswohls ins Zentrum stellt. (S. 47)

In einem Video [2] stellt Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Mitautor des Diskussionspapiers, die Handlungsempfehlungen vor.


[1] https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Diskussionen/2025_Diskussionspapier_Soziale_Medien.pdf

[2] Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=2l5Qcu1_Fpc

Die Wirren der „Bildungs“-Stiftungen

Im Berliner „Tagesspiegel“ vom 17.07.2024[1] kommt der Geschäftsführer der „Wübben Stiftung Bildung“, Markus Warnke, in einem Interview zu maroden Schulen, fehlenden Plätzen, Schülern, die Mindeststandards nicht erfüllen, zu Wort. Im Interview bringt er das Gespräch auf die Einführung einer „Schüler-Identifikationsnummer“ sowie auf eine „datengestützte Unterrichtsentwicklung.“

Bei der Frage: Gibt es Bundesländer, in denen durch gute Bildungspolitik Erfolge erzielt werden? antwortet er: […] „In Hamburg wird [im Gegensatz zu Berlin] alles aus einer Hand gesteuert. Da ist die Schulbehörde nicht nur für die Lehrkräfte und den Unterricht verantwortlich, sondern auch für die Ausstattung, etwa mit digitalen Geräten.“

Damit ist er bei seinem eigentlichen Thema, was er voranbringen möchte, „Die Digitalisierung der Schule“. Um den Leser und zahlenden Bürger in seinen Ausführungen zu gewinnen, fährt er fort: „Das alles kostet nicht unbedingt viel Geld, die Ressourcen sind sowieso vorhanden, sie müssen nur effizienter genutzt werden“ – und zwar nach den Vorstellungen der „Stiftungen“. Die von Warnke als Geschäftsführer vertretene „Wübben Stiftung Bildung“ ist Mitglied im Stiftungsverbund „Forum Bildung Digitalisierung“, zusammen mit weiteren Stiftungen wie der „Bertelsmann Stiftung“, „Deutsche Telekom Stiftung“, „Vodafone Stiftung Deutschland“ u.a. Deutlich wird: Hinter diesen Stiftungen stehen mächtige Unternehmen.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Warnke in dem TSP-Interview vorschlägt, dass er von Kanada die „datengestützte Unterrichtsentwicklung“ sofort übernehmen würde, um anzuschließen: „Es kann doch nicht sein, dass der Schutz von Daten wichtiger ist als das gelingende Aufwachsen unserer Kinder.“ Wie zynisch!

Das „gelingende Aufwachsen“ mit einer Unzahl an gesammelten individuellen Schülerdaten sieht nicht nur der dänische Bildungsminister Mattias Tesfaye kontrovers. Für ihn hat die viele Zeit der Kinder und Jugendlichen am Bildschirm zur „Zerstörung der Bildung“ beigetragen. „Wir waren viel zu naiv und erstaunt darüber, was die größten Technologieunternehmen zu bieten haben“.[2]

Deutlich wird: Die hinter den Stiftungen stehenden Unternehmen wollen nicht nur den Verkauf der IT-Hard- und Software, sie wollen auch an die gespeicherten Schülerdaten – Big Brother is watching you!

Wiederholend und in aggressiver Form vertreten dies Mitglieder im Stiftungsverbund „Forum Bildung Digitalisierung“[3]. So forderte bereits Jörg Dräger, bis Ende 2021 Mitglied des Vorstands der Bertelsmann-Stiftung, eine „Pädagogische Revolution“, um die digitalen Medien der im Hintergrund der Stiftungen agierenden IT-Industrie in den Schulen unterzubringen – „Digitale“ Bildung ist ihr Geschäft, nicht Schüler-Lernhilfe!

Sørine Vesth Rasmussen von der Kinderschutzorganisation Børns Vilkår: Sie bekomme immer wieder mit, dass andere Länder sich am dänischen Modell der Digitalisierung in Schulen orientierten. „Tut das bloß nicht. Es ist eine Falle“, sagt sie. Es sei unglaublich schwer, einen Rückzieher zu machen, wenn man einmal Computer und Programme gekauft, Lehrer in deren Verwendung unterrichtet und ganze Schulsysteme in den Dienst kommerzieller Unternehmen gestellt habe.

Worum geht es? Dazu die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen: Es gehe darum, „für unsere Kinder einzustehen, bevor es zu spät ist.“

Manfred Fischer für Schulforum-Berlin


[1] Tagesspiegel, 17.07.2024, Susanne Vieth-Entus u. Saara von Alten: „Es kann doch nicht sein, dass Datenschutz wichtiger ist als unsere Kinder“.

[2] FAZ, 16.07.2024, Julian Staib: Die Kinder Retten, bevor es zu spät ist. Kaum ein Land ist so digital wie Dänemark. Doch nun ruft die Regierung zum Kampf gegen soziale Netzwerke auf und will an den Schulen zurück zu Büchern, Papier und Stift. Immer mehr Länder in Europa und Übersee ziehen die Notbremse bei der Anwendung digitaler Technik in Schulen.

[3] Zu den Aktivitäten der „Bildungs“-Stiftungen siehe auch: https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/bildungsgipfel-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit.html