Archiv der Kategorie: Schule und Unterricht

Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Er vergleicht Smartphones mit Drogen und manche Eltern mit Drogendealern.

30.06.2025, TSP

Der Philosoph Peter Sloterdijk hält ein Handyverbot für Kinder und Jugendliche an Schulen für sinnvoll. „Wir haben die Dinge zu sehr schleifen lassen“, sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur in Köln.

„In den Schulen sind Zustände herangereift, mit denen wir nicht glücklich sein können. Handys müssten unter das Drogenverbot fallen, dann erübrigt sich die Debatte.“

Dieses Verbot könne gar nicht früh genug einsetzen, denn ein Entzug sei bei jeder Form von Sucht immer außerordentlich schwierig. 

Es gehe letztlich um die Frage, ob man eine erzieherische oder nur eine ausbildende Schule wolle, sagte Sloterdijk.

„In dem Moment, in dem wir akzeptieren, dass Kinder auch ein Recht auf Erziehung haben, müssen wir Ernst machen mit ihrem Recht, vor der Kolonisierung durch anonyme Gewalten in Gestalt der neuen Medien geschützt zu werden. Alles andere ist so, als würden wir ständig einem Einbrecher die Tür öffnen. Man darf es den medialen Einbrechern, die in die Kinderstuben eindringen, nicht so einfach machen.“

Viele Eltern agieren laut Sloterdijk „wie Drogendealer“

Wenn man eine erziehende Schule wolle, müsse man Medienkontrolle ausüben, und zwar streng, sagte Sloterdijk. Und wenn man begriffen habe, dass man Haschisch und andere Rauschgifte aus der Schule ausschließen müsse, dann sollte dies auch für die Smartphones gelten, die ebenfalls Drogenqualität hätten.

„Sie schädigen das Hirn, evozieren Persönlichkeitsstörungen ohne Ende. Derzeit werden sie als Informationsmedien mystifiziert, aber kein Junge, kein Mädchen verwendet sie so. Es sind Partydrogen, um sich in der Fünf-Minuten-Pause schnell noch einen Kick zu verpassen.“

Sloterdijk, der in Köln beim Philosophiefestival Phil.Cologne auftrat, sieht hier auch die Eltern in der Pflicht.

„Es ist eine enorme Mitverantwortung der Eltern zu konstatieren – und ein enormes Versagen“, sagte er. „Denn sehr viele Eltern verhalten sich selber wie Drogendealer, die ihren Kindern dieses Ding in die Hand drücken. Wenn das Kind erst einmal Smartphone-süchtig geworden ist, ist das für die Eltern eine große Entlastung, weil sie weniger Zeit mit ihm verbringen müssen – das Kind hat ja nun einen digitalen Spielgefährten.“

TSP: Philosoph fordert Durchgreifen: Sloterdijk will Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Wie TikTok & Co. das Lernen erschweren

Studien der TU Braunschweig zu Kurzvideos und Wissenserwerb zeigen gravierenden Einfluss

10. Juni 2025, aus der Pressemitteilung der TU Braunschweig

Ob und wie sich Kurzvideos auf Social Media-Plattformen auf unsere Denkweise und unser Lernen auswirken – das hat die Technische Universität Braunschweig in zwei Studien untersucht, die in der Fachzeitschrift „Computers & Education“ veröffentlicht wurden.

Die bunten Schnipsel zwischen zehn und 60 Sekunden Länge sind unterhaltsam, schnell und einfach konsumierbar sowie visuell ansprechend.

Kurzvideos fördern offenbar ein oberflächliches Verarbeiten von Informationen, können rationales Denken verdrängen und eignen sich für die Wissensvermittlung weniger gut als textbasiertes Lernmaterial.

Das sind zentrale Ergebnisse zweier Untersuchungen, in denen das Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig die Auswirkungen von Kurzvideokonsum analysiert hat.

Schnelle Clips, seichtes Lernen

Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmenden, die den Lernstoff in Form von Kurzvideos vermittelt bekamen, schnitten im anschließenden Wissensquiz schlechter ab als diejenigen, die mit Texten gelernt hatten. Darüber hinaus zeigte sich, dass bereits das dreiminütige Anschauen einer Sammlung von Kurzvideos zu einer Präferenz für einen oberflächlichen Lernansatz und somit für oberflächliches Lernen führte. Bei diesem Ansatz, der auf möglichst geringem Aufwand beruht, werden Inhalte auswendig gelernt, ohne sie wirklich durchdringen oder verstehen zu wollen. Forschungen zeigen: Wer so lernt, erzielt oft schlechtere Leistungen.

Kurzvideos im Unterricht stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar.

Was bedeutet das nun konkret für Lernende, aber auch für Eltern, Lehrer*innen und Dozent*innen? Kurzvideos sind zwar ein wirksames Mittel, um Aufmerksamkeit zu gewinnen – doch sie reichen offenbar nicht aus, um Wissen nachhaltig zu verankern. Aufgrund ihrer begrenzten Länge bieten sie meist nur einen sehr oberflächlichen Einstieg in ein Thema. Zudem beinhalten sie häufig eine Vielzahl gleichzeitig ablaufender Reize (wie schnelle Bildwechsel, gesprochene Sprache, Untertitel, Effekte und/oder Musik). Diese sind nicht alle für den eigentlichen Wissensgewinn notwendig, können aber zu kognitiver Überlastung führen und eine tiefergehende Verarbeitung erschweren.

Handys im Unterricht – ein klares NEIN!

Eine OECD-Studie von 2024 kommt in dieser Frage zu einem klaren Ergebnis: Smartphones senken nicht nur die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler, sondern stören auch das Sozialklima. Ein Verbot von Smartphones in Schulen wird empfohlen. In einigen Ländern, wie etwa Frankreich, Italien, Großbritannien und Brasilien, wurde dies bereits umgesetzt. Deutschland gehört nicht dazu. Die Entscheidung wird den einzelnen Schulen überlassen. Dabei weisen die Studien klar in eine Richtung: Je näher das Smartphone, desto geringer die Aufmerksamkeit und desto geringer ist die Lernleistung.

Die deutschen Schülerinnen und Schüler schneiden in internationalen Bildungsvergleichen derzeit eher mäßig ab. Das Ergebnis der letzten OECD Pisa-Studie: Besonders bei der Leseleistung waren deutsche Schüler schlechter als noch in den Jahren zuvor. Bildungsforscher Olaf Köller wird im NANO-Beitrag konkret: „Wir haben heute die Situation, dass drei von zehn Schülerinnen und Schülern, die 15 Jahre sind, eigentlich nicht lesen, schreiben und rechnen können, das heißt 30 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen 250.000.“[3] Das bedeutet: Jährlich entlässt die Schule 250.000 Jugendliche mit „geringer Literalität“ („Funktionale Analphabeten“)[4]!

In der OECD-Studie heißt es explizit:

„Eine Maßnahme, die nachweislich Wirkung zeigt, ist ein Verbot von Smartphones in der Schule. PISA-Daten deuten darauf hin, dass solche Verbote wirksam sein können, wenn auch viel von der Durchsetzung abhängt.“[5]

Überraschend waren allerdings manche Presseberichte zu den Ergebnissen dieser Studie. Norbert Häring berichtete auf apolut.net am 11.6.2024: „Medien verdrehen Warnung der OECD zu Smartphones“[6].

Der SPIEGEL, so Häring, schaffte auf Basis der Meldung der Deutschen Presse-Agentur dpa das Kunststück, den Tenor der Studie in der Überschrift komplett umzudrehen. Das Magazin titelte: „OECD empfiehlt gezielten Einsatz von Handys im Unterricht“[7] und textete im Vorspann: „Schülerinnen und Schüler, die ständig aufs Handy starren, kommen nicht zum Lernen. Aber wenn Mobiltelefone gezielt im Unterricht eingesetzt werden, kann das sogar den Lernerfolg steigern. Das zeigt eine OECD-Studie.“

Anzumerken ist, dass die OECD nicht von „Mobiltelefonen“, sondern von „digitalen Geräten“ spricht, die nützlich für den Unterricht sein können. Die von dpa inspirierten Medienberichte machen daraus, dass die Nutzung von Smartphones im Unterricht den Lernerfolg steigere. Dabei macht die OECD-Studie auf Seite 6 unter der Überschrift „Der Kampf gegen die Ablenkung“[8] ganz ausdrücklich klar, dass (private) Smartphones am wenigsten als Unterrichtsinstrumente geeignet sind, weil die Schüler mit diesen multifunktionalen Geräten sehr viel anderes tun als lernen und dadurch vom Unterricht abgelenkt werden.

Andreas Schleicher, Leiter der Abteilung Bildung der OECD dazu in NANO: „Was wir sehen ist, dass die Bildungssysteme, die ein Handyverbot haben, weniger Schwierigkeiten haben. Da gibt es weniger Ablenkung, da gibt’s auch weniger soziale und emotionale Defizite. Das kann man schon klar sagen.“[9]

NANO berichtet weiter: Das Ablenkungspotential von Handys im Unterricht ist in der Wissenschaft unstrittig. 36,9 Stunden verbringen Jugendliche in Deutschland jede Woche am Smartphone. Umgerechnet fünf Sunden lang hängen die Befragten also täglich am Handy. Die Hälfte erhält mindesten 237 Benachrichtigungen pro Tag, 60 davon gehen während der Schulzeit ein.

Klaus Zierer und Tobias Böttcher von der Universität Augsburg haben die Erfahrungen vieler Lehrkräfte mit Smartphoneverboten gesammelt. Sie kommen im Beitrag von NANO zum selben Urteil wie die OECD-Studie.

Tobias Böttcher: „Die Veränderungen, die zu beobachten waren, die betreffen in erster Linie das soziale Klima, also den Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander. Wir gehen davon aus, dass das Sozialklima die Voraussetzung ist für die Lernleistung, die die Schülerinnen und Schüler letztendlich erbringen können.“[10]

Die Augsburger Erziehungswissenschaftler untersuchten die Auswirkungen solcher Smartphoneverbote anhand von fünf internationalen Studien aus Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden.

Klaus Zierer: „Die zentrale Beobachtung infolge eines Smartphoneverbotes war, dass sich die Pausen komplett verändert haben. Die Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern waren ja andere, sie haben miteinander gespielt, sie haben miteinander gesprochen und gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass das Phänomen Cybermobbing, das in den letzten Jahren immer mehr zunimmt, in den Schulen zurückgedrängt worden ist und damit die Schule wieder mehr zu einem Lebensraum für Kinder und Jugendliche geworden ist.“[11]

NANO berichtet weiter: Erstaunlicherweise beurteilte ein Großteil der Schülerinnen und Schüler ein Smartphoneverbot im Nachhinein als positiv. Den Ergebnissen der Augsburger Pädagogen zufolge ist aber ein alleiniges Verbot nicht ausreichend. Allein schon, weil Smartphones fester Bestandteil der Alltagskultur sind. Ein solches Verbot muss pädagogisch begleitet werden, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technik zu fördern. Aber die Smartphones müssen raus aus der Schule!

Klaus Zierer: „Die Studien die wir auswerten weisen uns diesen Weg und sie sagen ganz klar, die Smartphones müssen weggesperrt werden, […] sie dürfen nicht im Klassenzimmer sein. Da wir auch wissen, je näher das eigene Smartphone ist, desto geringer ist die Aufmerksamkeitsfähigkeit und desto geringer ist die Lernleistung.“[12]

Lindbergs Team hat die Studie mit 42 Probanden im Alter zwischen 20 und 34 Jahren durchgeführt. Allein die Verfügbarkeit des Gerätes senkte die Aufmerksamkeit um 15 Prozent. Für Aufmerksamkeit stehen nur begrenzte kognitive Ressourcen zur Verfügung. Das Smartphone als Psychofalle. Bereits die Anwesenheit des Gerätes produziert die Erwartung von Reizen und aktiviert dabei Elemente des körpereigenen Belohnungssystems.

Sven Lindberg: „Das passiert mittlerweile so vollautomatisch, dass das Handy gar nicht mehr angeschaltet sein muss und diese Reize kommen – sondern ich mache mir Gedanken, welche Reize ich gerade verpasse.“[15]

Alle bisher durchgeführten Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen, die eigentlich zu einem strikten Handyverbot in Schulen führen müssten. In Deutschland bleibt es nach wie vor den einzelnen Schulen überlassen.

Andreas Schleicher in NANO: „Wenn man das den Schulleitungen überlässt, da sehen wir kaum Effekte. Die Schüler finden immer Wege das zu umgehen. Wenn man das den Lehrkräften überlässt, auch das haben wir untersucht, auch das ist im Grunde weitgehend wirkungslos.“[16]

Man tut sich hierzulande schwer, Konsequenzen zu ziehen.

In der OECD-Studie „Students, digital devices and success“ heißt es dazu auf Seite 8:

„Viele Bildungseinrichtungen haben Regeln eingeführt, um das Problem der Ablenkung anzugehen, aber ihre Wirksamkeit ist minimal. Wenn die schriftlichen Erklärungen oder Regeln einer Schule zu allgemein gehalten, ungenau oder nachsichtig sind, ist es unwahrscheinlich, dass sie ein effektives Lehren und Lernen mit digitalen Geräten unterstützen. Lehrer müssen auch in der Lage sein, die Regeln durchzusetzen, werden aber wahrscheinlich oft Schwierigkeiten haben, die Schüler effektiv zu überwachen, selbst wenn sie digitale Geräte in den Unterricht integrieren. Eine Maßnahme, die nachweislich Wirkung zeigt, ist ein Verbot von Smartphones in der Schule. PISA-Daten deuten darauf hin, dass solche Verbote wirksam sein können, wenn auch viel von der Durchsetzung abhängt. […] Die Daten deuten darauf hin, dass selbst in Schulen mit Verboten die Schüler Schwierigkeiten haben können, ein verantwortungsvolles Verhalten in Bezug auf die Smartphonenutzung an den Tag zu legen.“[17]  

Klaus Zierer fasst die bisherigen Erkenntnisse in „campus schulmanagement“ am 3.1.2025 zusammen: „Ein Smartphone-Verbot braucht die volle Unterstützung und Überzeugung des gesamten Kollegiums, um wirklich zu greifen. Halbherzige Maßnahmen, die nicht konsequent umgesetzt werden, kann man sich sparen. Nur mit klaren Regeln und einer geschlossenen Haltung funktioniert ein Verbot, das bestätigen auch die Studien.“[18]

Da stellt sich die Frage: Warum fehlt für ein generelles Smartphoneverbot in der Schule bisher der politische Wille?

Ein nachahmenswertes Beispiel:

Die brasilianische Zeitung „pagina12“ berichtete, dass in Brasilien die Verwendung von Smartphones an Schulen durch ein Gesetz generell verboten wurde[19]. Das Verbot betrifft öffentliche wie private Schulen auf Primarschul- und Sekundarschulebene und gilt für den Unterricht wie auch während der Pausen.

Interessant dabei ist: Es gilt auch ein Verbot für die Minister des brasilianischen Präsidenten Lula, mit ihren Smartphones an Sitzungen teilzunehmen, weil sie dadurch abgelenkt seien, so wie es in der Schule auch der Fall sei.

Abspann bei NANO: In der ganzen Geschichte der Menschheit gab es keine Entwicklung die unser Leben so rasant komplett umgekrempelt hätte wie die des Smartphones. Diese Ablenkungsmaschine ist ein Angriff auf unsere wichtigste menschliche Fähigkeit, nämlich sich auf eine Sache fokussieren zu können. Mit dieser Herausforderung können wir die Kinder nicht alleine lassen, das ist Sache der Eltern, aber auch eine staatliche Aufgabe.

Anmerkungen und Quellen durch Schulforum-Berlin:


[1] https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[2] Students, digital devices and success. OECD 2024. https://www.oecd.org/en/publications/students-digital-devices-and-success_9e4c0624-en.html

[3] https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[4] Menschen, die nicht ausreichende Fähigkeiten im Lesen und Schreiben haben „sind aufgrund ihrer begrenzten schriftsprachlichen Kompetenzen nicht in der Lage, am gesellschaftlichen Leben in angemessener Form teilzuhaben.“ Dieses Problem wurde im TV-Beitrag nicht weiter thematisiert. https://www.fachstelle-grundbildung.de/funktionaler-analphabetismus.html

[5] Students, digital devices and success. OECD 2024. (S. 8): „One action that has demonstrable impact is a ban on smartphones at school. PISA data suggest that such bans can be effective, although with a lot depending on enforcement.“ https://www.oecd.org/en/publications/students-digital-devices-and-success_9e4c0624-en.html 

[6] apolut.net, Medien verdrehen Warnung der OECD zu Smartphones, Norbert Häring, 11.6.2024, https://apolut.net/medien-verdrehen-warnung-der-oecd-zu-smartphones-von-norbert-haering/

[7] Überschrift des SPIEGEL-Berichts: OECD empfiehlt gezielten Einsatz von Handys im Unterricht. https://www.spiegel.de/panorama/bildung/bildung-oecd-studie-empfiehlt-gezielten-einsatz-von-handys-im-unterricht-a-5e0d1bd5-99ae-4783-92a9-0ecb08d15c1a [30.01.2025]

[8] Students, digital devices and success. OECD 2024. (S. 6). https://www.oecd.org/en/publications/students-digital-devices-and-success_9e4c0624-en.html

[9] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[10] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[11] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[12] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[13] Handy aus, Gehirn an. Paderborner Wissenschaftler*innen veröffentlichen Studie zur Auswirkung von Smartphones auf die Aufmerksamkeit in Nature-Journal. https://www.gew-ansbach.de/data/2023/07/Uni-Paderborn_Handy_aus_Gehirn_an_2023-07-01.pdf [30.01.2025]

[14] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[15] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[16] 3sat – NANO vom 28. Januar 2025. https://www.3sat.de/wissen/nano/250128-sendung-smartphoneverbot-im-unterricht-pro-und-contra-nano-100.html [30.01.2025]

[17] Students, digital devices and success. OECD 2024. (S. 8). https://www.oecd.org/en/publications/students-digital-devices-and-success_9e4c0624-en.html 

[18] Klaus Zierer am 3.1.2025 in „campus schulmanagement. https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/smartphone-verbote-an-schulen-was-bringen-sie-wirklich-klaus-zierer [30.01.2025]

[19] Siehe dazu: https://www.pagina12.com.ar/796695-lula-promulgo-la-ley-que-prohibe-el-uso-de-celulares-en-las- [30.01.2025]

„So viel Potenzial geht verloren”

Im exklusiven Interview mit dem Online-Magazin schulmanagement erklärt Professor John Hattie, Bildungsforscher und Speaker beim 1. Schulleitungssymposium Baden-Württemberg in Heilbronn am 11. November 2024, auf was es wirklich ankommt bei erfolgreichem Unterricht – und warum das deutsche Schulsystem so viel Potenzial vergeudet.

Hattie hat Daten von 400 Millionen Schülern und Beobachtungen aus 20.000 Unterrichtsstunden analysiert. „Wie oft hat ein Lehrer einen Schüler aufgefordert, laut zu denken? Die Antwort war: nie.“ Leidenschaftlich erinnert er daran, dass es die Aufgabe der Schule ist, Schülerinnen und Schüler für das Lernen zu begeistern.

Redaktion: Herr Professor Hattie, in “Visible Learning: The Sequel” betonen Sie, dass die Qualität der Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen einen größeren Einfluss auf die Lernergebnisse hat als spezifische Lehrmethoden. Wie können Lehrkräfte, insbesondere angesichts von Lehrkräftemangel und der daraus resultierenden Überlastung, sicherstellen, dass sie qualitativ hochwertige Interaktionen aufrechterhalten, um das individuelle Lernen von Schüler:innen zu unterstützen?

Prof. Dr. John Hattie: Die Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen sowie zwischen den Schüler:innen untereinander sind von entscheidender Bedeutung, da sie ein Umfeld fördern, in dem Fehler und Unwissenheit willkommen sind. Ausschlaggebend ist es, qualitativ hochwertige Interaktionen zu pflegen, die die Botschaft vermitteln: Lernen ist nicht immer einfach. Es geht darum, Selbstvertrauen zu vermitteln, um Herausforderungen überwinden und das Unbekannte erforschen zu können. Dieser Ansatz ermutigt die Schülerinnen und Schüler, laut zu denken, Fragen über ihr Lernen zu stellen und motiviert zu bleiben, um die Erfolgskriterien der Unterrichtsstunde zu erfüllen. Der Schlüssel zur Vermeidung von Überlastung besteht darin, kontinuierlich zu beobachten, wie der Unterricht sich auswirkt. Indem man bewertet, welche Lehrkräfteinputs, welches Feedback und welche Interaktionen tatsächlich einen Unterschied machen – und diejenigen reduziert, die das nicht tun – konzentriert man sich auf die Wirkung und nicht auf die Quantität. 

Redaktion: Sie haben häufig betont, dass die Einstellung einer Lehrkraft – also, wie sie über Lehren und Lernen denkt – wichtiger ist als spezifische Lehrstrategien. Welche Schritte können Schulen und die Lehrkräftebildung unternehmen, um Lehrkräften zu helfen, diese wirkungsvollen Denkrahmen zu entwickeln?

Hattie: Es geht weniger darum, was Lehrkräfte tun, sondern vielmehr darum, wie sie über die Auswirkungen ihres Handelns denken. Wir haben mehrere wirkungsvolle Ansätze für den Unterricht identifiziert, darunter auch die Haltung: „Ich glaube, dass meine Rolle in dieser Klasse darin besteht, meine Wirkung zu bewerten.” Bei dieser Denkweise werden drei wichtige Fragen zum Einfluss der Lehrkräfte gestellt: Was habe ich gut unterrichtet, und was nicht? Wen habe ich gut unterrichtet und wen nicht? Und wie sehr hat sich das Lernen der Schüler:innen verbessert? Im Wesentlichen geht es also um das Was, das Wer und das Wieviel. Durch berufliche Weiterbildungen können wir diese Denkweisen umreißen, bestimmte Überzeugungen und Glaubenssätze neu formulieren und ihre Auswirkungen auf das Lernen der Schüler:innen aufzeigen. Zum Beispiel schaffen Lehrer:innen, die hohe Erwartungen haben, eine deutlich andere Unterrichtsatmosphäre und Lernergebnisse als diejenigen mit niedrigen Erwartungen. Es sind die Erwartungen, die diese Unterschiede bewirken.

Redaktion: In Deutschland wird viel über soziale Ungleichheit im Bildungssystem diskutiert, insbesondere hinsichtlich der frühen Selektion in unterschiedliche Schulzweige. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kinder aus privilegierten Verhältnissen eine signifikant höhere Chance haben, höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen. Wie bewerten Sie mit Ihrer langjährigen Expertise in der Bildungsforschung die Situation?

Hattie: Es gibt kaum Belege dafür, dass die Aufteilung von Schüler:innen in verschiedene Leistungsgruppen etwas anderes ist als ungerecht und von begrenztem Nutzen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit der deutschen Bundesbildungsministerin, in dem ich über das deutsche Auswahlsystem befragt wurde. Ich sagte, ich sei beeindruckt, wie sie die Zukunft eines 30 Jahre alten Menschen vorhersagen könne, wenn er oder sie gerade einmal 11 Jahre ist. Dieses System führt dazu, dass so viel Potenzial verloren geht, weil es den Schüler:innen  den Zugang zu einem reichhaltigen, anspruchsvollen Lehrplan verwehrt, sie daran hindert, mit Gleichaltrigen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu lernen – ein Skill, den sie ihr ganzes Erwachsenenleben lang brauchen werden! Und es erstickt die Fähigkeit, sich an Variabilität anzupassen, im Keim. Stattdessen brauchen wir Systeme, die auf Chancengleichheit ausgerichtet sind, in denen die Schüler:innen Unterschiede akzeptieren und aus verschiedenen Perspektiven lernen können, und in denen Spätzünder:innen nicht zurückgelassen werden. Da sich die Adoleszenz bis zum Alter von 27 Jahren hinzieht, werden viele Menschen mehrere Karrierewege und Chancen haben, mit anderen zusammenzuarbeiten. Aber diese Möglichkeiten sind begrenzt, wenn ihre Zukunft im Alter von 11 Jahren vorbestimmt ist.

Redaktion: In Ihrer Studie betonen Sie, wie wichtig es ist, ein Lernumfeld zu fördern, in dem Fehler als Chance für Wachstum gesehen werden. Wie können Schulen diese gesunde Fehlerkultur fördern?

Hattie: Zunächst ist es entscheidend, ein Umfeld mit hohem Vertrauen und Sicherheit zu schaffen, in dem Schülerinnen und Schüler sich ermutigt fühlen, zuzugeben, was sie nicht wissen, einschließlich ihrer Missverständnisse und Fehler. Schulen sollten Orte sein, an denen es in Ordnung ist, etwas nicht zu wissen, und an denen man sich traut, Herausforderungen anzugehen. Wie bereits eingangs erwähnt: Sowohl die Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern als auch zwischen Schülerinnen und Schülern untereinander sind von entscheidender Bedeutung, denn sie fördern ein Klima, in dem Nichtwissen willkommen ist. Lehrkräfte können dies vorleben, indem sie selbst offen Fehler zugeben und korrigieren. Wir können Schülerinnen und Schüler einladen, Fehler bereits vor dem Unterricht zu identifizieren. Wir können sie dazu auffordern, sich selbst einzuschätzen, um zu sehen, was sie bereits wissen und was nicht. Wir können Beispiele mit absichtlichen Fehlern präsentieren und die Schülerinnen und Schüler bitten, diese ausfindig zu machen und zu verstehen, oder Fehler gezielt durch zusätzliche Herausforderungen in Lernaufgaben provozieren. Dieser Fokus auf Fehler verbessert nicht nur die Problemlösungsfähigkeiten, sondern auch die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, Wissen zu transferieren.

Redaktion: Ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit ist die Rolle des Feedbacks im Unterricht. Wie würden Sie gutes Feedback definieren, und wie kann es effektiver gestaltet werden, um das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu maximieren?

Hattie: Wirksames Feedback ist solches, das gehört, verstanden und umgesetzt wird. Allzu oft konzentrieren wir uns auf das Feedback der Lehrkraft – Quantität, Qualität, Zeitpunkt –, während der eigentliche Schwerpunkt auf dem Feedback liegen sollte, das die Schülerinnen und Schüler erhalten. Schülerinnen und Schüler streben nach Feedback, durch das sie besser werden, daher müssen wir der Anleitung zum nächsten Schritt Vorrang einräumen. Es ist wichtig, darauf zu achten, wie die Schülerinnen und Schüler dieses Feedback aufnehmen, interpretieren und nutzen. Feedback ist auch dann am effektivsten, wenn es Fehler anspricht – weshalb eine vertrauensvolle, sichere Unterrichtsumgebung von essenzieller Bedeutung ist. Schülerinnen und Schüler müssen sich wohl fühlen, so dass sie ihre Missverständnisse, Fehler und Unsicherheiten zugeben können. Nur so kann Feedback tatsächlich seine Wirkung entfalten.

Redaktion: Herr Professor Hattie, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Siehe:  https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/deutsches-bildungssystem-john-hattie-schulleitungssymposium-baden-wuerttemberg-heilbronn

Siehe auch: FAZ, 30.11.2024, Fokus auf das Lernen statt auf das Lehren, von Heike Schmoll. https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/langeweile-im-unterricht-die-lust-am-lernen-wird-schuelern-schon-frueh-abgewoehnt-110123306.html

Siehe auch: Die Hattie-Studie und ihre Bedeutung für den Unterricht. Ein Blick auf ausgewählte Aspekte der Lehrer-Schüler-Interaktion, Miriam Lotz & Frank Lipowsky, https://www.frank-lipowsky.de/wp-content/uploads/Lotz-Lipowsky_Hattie-Unterricht.pdf

Zur Person

John Hattie ist emeritierter Professor an der Graduate School of Education der Universität von Melbourne, Australien. Der gebürtige Neuseeländer befasst sich vor allem mit Einflussfaktoren auf Lernerfolg und gilt als Verfechter evidenzbasierter Forschungsmethoden. Weltweit bekannt wurde John Hattie durch seine umfassende Metaanalyse vorliegender Forschungsarbeiten, aus denen er ableitete, welche Faktoren für den Lernerfolg in der Schule maßgeblich sind. Durch sein 2009 erstmals erschienenes Buch „Visible Learning“ fanden seine Thesen international Beachtung und Anerkennung.

Siehe auch weitere Beiträge von John Hattie auf Schulforum-Berlin

Ein Grundgesetz für Lehrer?

In der letzten Zeit haben wir einiges über unser Grundgesetz gehört. Seit 75 Jahren gibt es dem Zusammenleben der Menschen in Deutschland eine rechtliche Grundlage, nicht in den Details, aber in den grundlegenden Zügen. Es gilt für alle hier Lebenden, nicht zuletzt auch für Lehrer. Aber für diese müsste man es eigentlich noch ein wenig spezifizieren. Denn Lehrer haben ja in besonderer Weise mit unserem Gemeinwesen und unserer Zukunft zu tun – wir vertrauen ihnen immerhin unsere Jugend an.

Gastbeitrag von Michael Felten

Die Lehrerinnen und Lehrer unserer Kinder sind recht unterschiedliche Typen, das ist erstens nicht zu ändern und zweitens gar nicht so übel. Denn auf diese Weise lernen Heranwachsende, mit der Verschiedenheit von Menschen zurecht zu kommen. Zudem ist unser Bildungswesen föderal strukturiert, Lehrer in Bayern und Lehrer in Bremen handeln also nicht nach exakt gleichen Devisen. Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass es – neben den Richtlinien und Dienstordnungen der Länder – einige Basisregeln der pädagogischen Zunft geben sollte. Nur sind diese nirgendwo aufgeschrieben – wohlan, ein Versuch sei gewagt.

Artikel 1: Lehrkräfte sind pädagogische Führungsfiguren.

Lehrerinnen und Lehrer sind weder beste Freunde noch Offiziere. Sie müssen vielmehr die Kunst beherrschen, gleich und ungleich zugleich mit jungen Menschen umzugehen. Sie müssen sich einerseits in kindliches Denken und Empfinden sensibel einfühlen, andererseits aber auch unerschrocken die Richtung weisen und Beurteilungen aussprechen können.

Artikel 2: Skepsis ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Lehrkräften.

Denn sie arbeiten in einer Art Bermuda-Dreieck: Schüler wollen möglichst wenig Hausaufgaben machen, Eltern wollen für ihr Kind zumindest das Abitur, und das Bildungsministerium will vor der Wahl dieses und nachher jenes. Lehrkräfte sollten deshalb innerlich unabhängige und kritische Personen sein, denn sie müssen denjenigen Weg finden, den sie für ihre jeweilige Lerngruppe und ihre speziellen Schüler verantworten können.

Artikel 3: Es gibt viele Möglichkeiten, lernwirksam zu unterrichten.

Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Vielerorts galt lange Zeit die Parole, es gebe eine allein seligmachende Lehr-Lern-Methode, etwa das selbstorganisierte, eigenverantwortliche Lernen von Schülern. Die Forschung hat das widerlegt, einzelne Autoritäten haben dies auch eingestanden – aber die Lehrkräfte im Lande sollten auch davon wissen. Überhaupt sollten sie sich auf dem Laufenden darüber halten, was die Forschung darüber weiß, welche Wege eher nach Rom führen – und welche eher nicht. Entscheidend darf nicht sein, ob eine Methode einen wohlklingenden Namen hat oder gut aussieht. Sondern ob die Lernprozesse der Schüler nachhaltig, ob sie tiefenwirksam sind.

Artikel 4: Menschen sind wichtiger als Zahlen.

Neuerdings wird ja all unser Tun vermessen – und gewiss, auch im Bildungswesen liefert Evaluation interessante Daten. Aber Kennwerte sind in Schule lange nicht alles. Unterricht ist ganz wesentlich Beziehungssache, ein emotional grundierter Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden. Er funktioniert anders als die Abläufe in einer Brötchenbackstraße, lässt sich höchstens ansatzweise in der Sprache der Ökonomie beschreiben, wird durch Begriffe wie Output oder Income letztlich nicht erfasst.

Artikel 5: Bildung für morgen geschieht an Gegenständen im heute.

Allenthalben hört man, die Schule müsse völlig umgekrempelt werden – für das 21. Jahrhundert mit seiner Unsicherheit und Komplexität brauche es ganz neue Kompetenzen. Bildung könne deshalb nicht länger Wissenserwerb sein, vielmehr gehörten Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation auf die Agenda. Nun, das waren natürlich immer schon ungemein wichtige Fähigkeiten – nur lassen sich diese nicht im Trockendock erwerben, sondern gerade im Rahmen von fachlichem Lernen.

Ohnehin war die Zukunft auch für frühere Generationen vor allem eines: ungewiss. Ernsthafte und anspruchsvolle Bildung in einer historisch reflektierten Gegenwart, das war immer schon das Beste, was eine Gesellschaft ihrer Jugend mitgeben konnte.

Der Autor, Michael Felten, Jg. 1951, hat 35 Jahre Mathematik und Kunst unterrichtet, ist Autor von Sachbüchern und Unterrichtsmaterialien, arbeitet als freier Lehrerweiterbildner, Human Award 2014 der Uni Köln, www.eltern-lehrer-fragen.de

Der Beitrag erschien zuerst bei News4Teacher (5.6.2024), mit Lesermeinungen.

Hirnforschung an der Schule: Auf einer Wellenlänge

Soziale Interaktion ist von zentraler Bedeutung für das Lehren und Lernen.

Sören Maahs  

Schule ist mehr als ein Ort der Stoffvermittlung. Sie ist vor allem auch ein Raum des Miteinanders und des sozialen Lernens. „Zusammenarbeiten, sich begegnen, gemeinsam handeln“ so Michaela Sambanis, Professorin an der Freien Universität Berlin. Sie bildet Lehrkräfte für das Fach Englisch aus und verbindet in ihrer Arbeit Hirnforschung mit Didaktik.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die menschlichen Beziehungen in einem Klassenzimmer entscheidend dafür sind, dass Kinder und Jugendliche erfolgreich lernen. Gerade für das Sprachenlernen sei Interaktion von großer Relevanz, sagt Michaela Sambanis: „Was wirklich zählt und die Lernatmosphäre ausmacht, sind Interaktionen, die soziale Nähe ermöglichen.“ Doch das Phänomen der Interaktion ist schwer fassbar. Lässt sich ihre Dynamik objektiv erforschen?

Was im Kopf von Schulkindern vorgeht, während sie im Unterricht sitzen, ließ sich bisher kaum beantworten. Bis vor wenigen Jahren untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hirnforschung soziale Prozesse nur an einzelnen Probanden, die andere Personen beobachten. Inzwischen ist es aber möglich, mittels Elektronenzephalografie (EEG) die Gehirnwellen bei mehreren Lernenden gleichzeitig zu ermitteln und die Aktivitätsmuster zu vergleichen, während die Personen miteinander interagieren.

„Neuronale Kopplung“ im Klassenzimmer

Für solche Studien kommen tragbare, haubenartige EEG-Geräte im Klassenzimmer zum Einsatz, erklärt Sambanis. Das Ziel sei es, dem Gehirn bei möglichst natürlichen Kontakten „zuzuschauen“ und zu beobachten. Dabei entdeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sich bei bestimmten Aktivitäten die Hirnsignale der Lernenden synchronisierten. Diese „neuronale Kopplung“ zeige sich in Phasen produktiver Aktivierung der Gruppe, etwa bei anregenden Diskussionen im Unterricht.

Lässt sich bei mehreren interagierenden Schulkindern eine Angleichung der Hirnaktivierung erkennen, sei dies ein messbarer Hinweis für das Engagement im Unterricht. Das wiederum bilde eine gute Grundlage für die kognitive Auseinandersetzung mit dem vermittelten Stoff. „Je höher die Synchronisierung mit den Mitschülerinnen und Mitschülern ist, desto weniger lassen sie sich ablenken“, erläutert die Didaktikprofessorin.

Der Blick in die Köpfe einer Schulklasse zeige auch: Je wohler sich die Lernenden in ihrer Klasse und mit der Lehrkraft fühlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich auf den Stoff einlassen und ihm die nötige Aufmerksamkeit schenken. Das Zugehörigkeitsgefühl unter den Schülerinnen und Schülern, das berühmte „Klassenklima“, ist entscheidend daran beteiligt, ob der gehirnliche Gleichtakt mit anderen aus der Klasse zustande kommt, erklärt Michaela Sambanis. „Vor diesem Hintergrund beantwortet sich die Frage, ob gemeinschaftsstärkende Aktivitäten wertvolle Unterrichtszeit verschwenden oder ob sich eine kleine Zeitinvestition dafür lohnt, gewissermaßen von selbst.“ […]

Besser lernen durch positive Lernatmosphäre und soziale Nähe

Siehe: https://www.tagesspiegel.de/auf-einer-wellenlange-4311367.html