Archiv der Kategorie: Sozial Media Communities

Scrollen mit Folgen

Smartphones gefährden Eltern-Kind-Beziehung

Jörg Zittlau[1]

Kaum etwas prägt das Familienleben so beiläufig und so tiefgreifend wie das Smartphone. Eltern schieben den Buggy, füttern ihre Kinder, holen es von der Kita ab, schauen dem Kind in der Sandgrube beim Spielen zu – und scrollen dabei. Die Mutter oder der Vater sind zwar da, und doch woanders. Das merken die Kinder. Und für ihre Entwicklung kann es schwerwiegende Folgen haben, wenn sie häufig die Handy-Rückseite statt das Elterngesicht sehen, zeigt eine Studie in „JAMA Pediatrics“[2].

Die Forscher der University of Wollongong in Australien haben 21 Studien mit insgesamt rund 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewertet. Sie untersuchten, wie sich das Smartphone-Verhalten von Eltern in Anwesenheit ihrer Kinder auf deren motorische und kognitive Entwicklung, die psychosoziale Gesundheit und die eigene Bildschirmzeit auswirkt.

Die Wissenschaftler beobachteten, dass Kinder von Eltern, die häufig am Smartphone waren, in der kognitiven und sprachlichen Entwicklung hinterherhinkten. Auch emotionale und soziale Schwierigkeiten traten bei ihnen häufiger auf, vor allem zeigten sie eine ausgeprägte Bindungsschwäche zu Mutter und Vater. Stattdessen wuchs ihre Verbindung mit allem, was leuchtet und blinkt: Smartphones, Laptops und Tablets, die sie täglich für mehrere Stunden nutzten. […]

Laut einer Erhebung des Universitätsklinikums des Saarlandes konsumieren 18 Prozent der Kinder im ersten Lebensjahr digitale Medien. Im zweiten sind es 61, im dritten 92 Prozent. Der miniKIM-Studie zufolge beträgt die Bildschirmzeit – Handyspiele, YouTube-Clips, TV – der Zwei- bis Fünfjährigen in Deutschland 67 Minuten pro Tag. Und 28 Prozent der Kinder haben laut dieser Studie mit vier oder fünf Jahren ein eigenes Tablet. […] Den frühen Medienkonsum der Kinder nennt Frank W. Paulus, Jugendpsychologe am Universitätsklinikum des Saarlandes, „Einen Brandbeschleuniger der Bildungsungleichheit“.[3]

Für Sven Lindberg[4] von der Universität Paderborn ist der Befund keine Überraschung: „Er deckt sich mit vielen anderen Erkenntnissen, die wir in diesem Bereich haben.“ Erklärbar sei das zum einen durch das „Lernen am Modell“, also dadurch, dass Kinder Smartphone-Affinität der Eltern und die damit einhergehende Abgelenktheit beobachten und übernehmen. […]

Forschende um die Psycholinguistin Barbara Mertins von der TU Dortmund fanden heraus, dass Säuglinge handyaffiner Eltern insgesamt weniger Interesse an Interaktionen zeigten. In der Folge sprechen sie später nicht nur weniger, sondern suchen auch seltener Blickkontakt zu anderen Menschen. Das beeinträchtige, so Mertens, „die Entwicklung sozialer Fähigkeiten und die Ausbildung von Empathie“.

Zu spüren bekommen das später auch Lehrkräfte, die sich im Unterricht oft ziemlich anstrengen müssen, um die Aufmerksamkeit und den Blickkontakt ihrer Schülerinnen und Schüler zu halten.

„Auch wenn die Forschung noch nicht alle Fragen geklärt hat – wir wissen genug“, so Martin Spiewak. Er berichtet weiter, dass die „Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina[5], kürzlich in einem Gutachten darauf hingewiesen hat, dass bei Kindern das Vorsorgeprinzip gelten muss. Besteht der Verdacht einer Gesundheitsschädigung, braucht es Maßnahmen, um die Heranwachsenden zu schützen.

Ist das illusorisch? Das hat man vor wenigen Jahren auch über das Handyverbot an Schulen gesagt. Nun bekennen sich jeden Tag mehr Schulen zu strikten Regeln – und erweisen vielen Jugendlichen damit einen großen Dienst. Das sollte für deren kleine Geschwister ebenso gelingen.“[6]

Textauswahl und Hervorhebungen durch Schulforum-Berlin


[1] Tagesspiegel, 15.11.2025, „Scrollen mit Folgen“, von Jörg Zittlau https://www.tagesspiegel.de/wissen/grosswerden-im-toten-winkel-was-es-mit-einem-kind-macht-wenn-die-eltern-standig-am-handy-sind-14767697.html (26.11.2025)

[2] JAMA Pediatrics wurde 1911 gegründet und ist die älteste pädiatrische Zeitschrift der Welt. Sie veröffentlicht innovative, klinisch relevante Forschung über die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/pages/for-authors#fa-about (26.11.2025)

[3] Die ZEIT, 13.11.2025, “Tut ihnen das nicht an“, von Martin Spiewak, https://www.zeit.de/2025/48/bildschirmzeit-kinder-entwicklung-smartphone-babys-gxe (26.11.2025)

[4] Siehe auch: https://schulforum-berlin.de/handys-im-unterricht-ein-klares-nein/ (26.11.2025)

[5] Gutachten: https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Diskussionen/2025_Diskussionspapier_Soziale_Medien.pdf (26.11.2025)

[6] Die ZEIT, 13.11.2025, “Tut ihnen das nicht an“, von Martin Spiewak, https://www.zeit.de/2025/48/bildschirmzeit-kinder-entwicklung-smartphone-babys-gxe (26.11.2025)

Smartphone im Grundschulalter?

Mehrheit der Eltern fordert Handyverbot an Schulen

Weitgehende Einigkeit herrscht in einer zentralen Frage: 81 Prozent aller Eltern befürworten ein Handyverbot an Schulen. Fast die Hälfte der Befragten mit Nachwuchs glaubt, dass Handys im Klassenzimmer die Konzentration und den Unterricht stören. Knapp ein Drittel hält ein Handyverbot für sinnvoll, möchte aber für bestimmte Situationen Ausnahmen gestatten. Darüber hinaus fordern die Eltern klare Altersgrenzen für den Zugang zu sozialen Medien: Hier halten 60 Prozent eine Altersbeschränkung für notwendig, unabhängig davon, um welchen Dienst es sich handelt: „Viele Eltern sehen den Lernerfolg ihrer Kinder wegen fehlender Konzentrationsfähigkeit in Gefahr, deshalb wünschen sie sich auch offiziell klare Regeln und Schutzräume“, sagt der Digitalexperte Thomas Brosch.

„Die Nutzungszeit ist extrem – und all diese Lebenszeit steht uns nicht für andere Dinge zur Verfügung“, sagt der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Ralf Lankau[2]. 168 Stunden hat eine Woche, etwa 50 bis 60 davon schlafen wir. Sagenhafte 72 Stunden pro Woche bewegen sich die Bundesbürger inzwischen im Netz, mit keinem anderen Gerät mehr als mit dem Smartphone, wie die „Postbank Digitalstudie 2025“ ergab. Bei den 18- bis 39-Jährigen sind es sogar fast 86 Stunden.

Statistiken weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und Bildungserfolg hin. „Wir haben in den USA eine Studie durchgeführt, in der wir die Bildschirmzeit von den Smartphones in den Kontext der Noten der Studierenden gesetzt haben“, sagt Prof. Dr. Christian Montag, der derzeit an der Universität von Macau in China lehrt[3]. Tatsächlich habe es einen Zusammenhang zwischen längerer Nutzungszeit der sozialen Medien und schlechteren Noten. „Zudem gibt es durchaus Evidenz, dass Smartphone-Verbote in Bildungseinrichtungen zu verbesserten Noten führen können.“


[1] Postbank Digitalstudie 2025 (18.11.2025)

[2] https://www.schwaebische.de/panorama/scrollen-wir-uns-um-den-verstand-4051494 (18.11.2025)

[3] A.a.O.


Weitere Informationen zum Thema:

Gesundheitsstadträte fordern umfassendes Handyverbot an Berliner Schulen (18.11.2025)

Raus aus der Bildungsfalle

Warum wir die Zukunft unserer Kinder gefährden – Digitalisierung ist nicht die Lösung, sondern das Problem

Raus aus der Bildungsfalle, Tim Engartner, Westend Verlag, 2024, siehe auch rechte Seitenleiste

Blick ins Buch

Textauswahl durch Schulforum-Berlin

Der Leitsatz „Wer fordert, fördert“ ist zunehmend verpönt. Getragen von der bei vielen Müttern und Vätern vorherrschenden Scheu, Leistung von ihren Kindern einzufordern, setzen auch immer weniger Lehrende auf Bildung durch Anstrengung. […] Die Vermittlung von Wissen tritt immer mehr in den Hintergrund. (S. 25)

Abkehr vom Leistungsprinzip

Disziplin, Fleiß und Zuverlässigkeit werden immer häufiger ausschließlich als Ausdruck autoritär angelegter Lehr- und Lernarrangements wahrgenommen. Als bürgerliche Tugenden sind diese übergeordneten Lern- und Erziehungsziele heutzutage mehrheitlich verpönt, sodass Eltern und Lehrkräfte immer seltener für die erfolgreiche Lernprozesse unverzichtbare Anstrengung einfordern. Vergessen scheint die Einsicht, dass Lernen nicht nur dem Vergnügen dient. (S. 45)

Obwohl diejenigen, die nicht wissen, wo sie hinwollen, leicht dorthin gelangen, wo sie nicht hinwollen, stehen jüngere Bildungskonzepte immer häufiger unter der Überschrift „Autonomes Lernen“ beziehungsweise „Offener Unterricht“. Kinder und Jugendliche sollen frei und unabhängig, das heißt, ohne eindeutigen Instruktionen folgen zu müssen, spielen und lernen können. Statt autoritärem Frontalunterricht mit der Lehrkraft im Zentrum sollen eindeutig die Lernenden im Mittelpunkt des Geschehens stehen und eigenständig, das heißt auch in ihrem Tempo, lernen. Doch an der Umsetzung hat es gehapert, denn jeder von uns, der eine Fremdsprache gelernt, für eine Mathearbeit geübt oder eine Englischklausur geschrieben hat, weiß, wie ungemein herausfordernd die eigenverantwortliche Gestaltung des Lernprozesses ist. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir im Zuge von Bildungsprozessen nicht Wissen erwerben, sondern auch lernen müssen zu lernen. Das aber ist komplexes Unterfangen, das Schritt für Schritt erschlossen werden muss. (S. 46)

Silicon Valley im Klassenzimmer

Alphabet, Amazon, Microsoft und Meta sind neue Zentren der Macht, die sie in einem bisher unbekannten und kaum einzuhegenden Maße nun auch auf dem Bildungssystem ausüben. Doch nicht nur sie drängen auf den Bildungsmarkt, sondern auch Stiftungen, Non-Profit-Organisationen und Verbände. Beflügelt von der Idee, Bildung neu zu denken, engagieren sie sich mittels Projektfinanzierungen und Medienkampagnen für die Etablierung digitaler Markt- und Infrastrukturen an Schule und Hochschulen. Akteure wie das Bündnis für Bildung oder das Forum Bildung Digitalisierung werben mit ihrer vermeintlichen Neutralität, meinen damit aber häufig lediglich, dass sie produktneutral agieren. Sie werben also nicht für bestimmte Produkte, betonen aber bei jeder Gelegenheit, dass digitale Produkte in jedem Fall genutzt werden sollen. Um mögliche Kritik vorzubeugen, argumentieren sie mustergültig mit Partizipation, demokratischer Teilhabe oder Gemeinschaft und finden auch dadurch nicht nur Resonanz in der Öffentlichkeit, sondern auch Akzeptanz in der Politik. (S. 116)

Doch damit nicht genug. Mit dem DigitalPakt Schule wurde offenbart, dass die Digitalisierung des Bildungswesens bislang in erster Linie durch handfeste ökonomische Interessen und nicht durch pädagogische Konzepte geprägt war. (S. 117)

So wirbt der Tech-Gigant Apple für eine intensive Einbindung seiner Produkte in den Unterricht:

„Seit 40 Jahren unterstützt Apple Lehrerinnen und Lehrer dabei, das kreative Potenzial jedes einzelnen Schülers freizusetzen. Heute tun wir das auf mehr Arten als je zuvor. Und das nicht nur mit leistungsstarken Produkten. Sondern auch mit Werkzeugen, Inspirationen und Programmen, die Lehrkräften dabei helfen, geradezu magische Lernergebnisse zu schaffen.“ (S. 118)

Der Technologiekonzern Samsung wirbt nicht nur mit seinen Produkten, sondern auch mit seiner Vision für das Lernen mittels digitaler Endgeräte:

„Inspirieren Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zu neuen Hochleistungen. Das Samsung Literacy Lab ist eine umfassende mobile Lernlösung, die entwickelt wurde, um die Lesefähigkeit von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 3 bis 12 zu fördern. Das Literacy Lab kombiniert ein Samsung Chromebook 3 oder Galaxy Tab E mit dem branchenführenden Leseprogramm iLit von Pearson[1]. Es handelt sich um eine mobile Lösung, die leicht transportiert werden kann, um die Schülerinnen und Schüler dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten“. (S.118)

Auch Microsoft vermarktet seine Lobbyarbeit unter dem Bildungsauftrag der Chancengleichheit: „Grenzenlose Lernchancen eröffnen“ und „Engagement für Barrierefreiheit und Inklusion“ lauten die Slogans. Mit Hilfe der von Mikrosoft angebotenen Soft- und Hardware sollen Schülerinnen und Schüler jeweils individuell gefördert werden, wodurch „personalisierte Lernerfahrungen“ und die „Chance für jeden Schüler, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben“, in Aussicht gestellt werden. (S. 129)

Schulen im Fadenkreuz der Lobbyisten

Die Ausführungen zeigen, dass die Digitalisierung des Bildungswesens sowohl US-amerikanischen Technologieunternehmen als auch in Deutschland ansässigen Betrieben und ihren Interessenvertretungen [Beispiel „Forum Bildung Digitalisierung“[2] die Klassentüren weit aufgestoßen hat. Längst haben sie die Schule als Geschäftsfeld und Werbeplattform erschlossen. (S. 138)

Als bildungspolitisch besonders einflussreich erweisen sich hierzulande die über 21000 Stiftungen, von denen 37 Prozent im Bereich Bildung und Erziehung, 34 Prozent in Kunst und Kultur sowie 19 Prozent in Wissenschaft und Forschung tätig sind. Einer der wirkmächtigsten Player in der Bildungspolitischen Debatte ist die Bertelsmann Stiftung, deren operatives Wissen, funktionales Know-how und personelles Rückgrat sie zu einem – wenn nicht gar dem – zentralen privaten Akteur in der bundesdeutschen Bildungslandschaft hat werden lassen. (S. 142)

Bildungs- und Erziehungsarbeit stärken

In unserem derzeitigen Bildungssystem stehen sich der Wunsch nach mehr Individualisierung durch weitreichende Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten des oder der Einzelnen einerseits und die Forderungen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt andererseits vielfach unversöhnlich gegenüber. […] Als sozialer Ort müssen vor allem Kitas und Schulen dafür sorgen, dass Lernen sich durch weitaus mehr auszeichnet als durch das Erwerben von Kompetenzen, die über die inzwischen sehr zahlreichen international vergleichenden Leistungsstudien besonders prominent in den Blick genommen werden. Unabhängig davon, welche Bedeutung man den diversen Leistungsstudien beimisst, darf ein ehernes Prinzip nicht in Vergessenheit geraten: Zwischenmenschliche Beziehungen, die sich nicht nur zwischen Schülerinnen und Schülern, sondern auch aus der Interaktion zwischen Lehr- und Lernpersonen ergeben, dürfen nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Nahezu jeder von uns ist während seiner Schulzeit von ein oder zwei Lehrkräften in besonderer Weise geprägt worden. Diese Prägung erfolgt in der Regel nicht nur über die Dimension der Wissensvermittlung, sondern auch über die Persönlichkeit der Lehrkraft. Deren Prägekraft ist umso größer, je eindeutiger Kindern Bildungsaspirationen über das Elternhaus versagt bleiben. (S. 223-224)

Hervorhebungen durch Schulforum-Berlin


[1] Pearson ist eines der weltweit führenden und größten Bildungsunternehmen und Vorreiter im Bereich der digitalen Wissensvermittlung und Online-Bildung. https://www.pearson.de/ueber-uns?srsltid=AfmBOoqAuBd_MUvPhzrMJFyq3WVTsX7sZ75uU4K4ZmmY2Ur9KtI7aIL5 (18.10.2025)

„Pearson finanzierte beispielsweise Studien, mit denen unabhängige Analysen angefochten wurden, die ihrerseits gezeigt hatten, dass die Produkte von Pearson keine Wirkung hatten.“ Aus: Technologie in der Bildung EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN? https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147_ger  (S.11) (18.10.2025)

[2] Im Forum Bildung Digitalisierung sind derzeit zehn große deutsche Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund Mitglied: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung. Berlin ist Netzwerk, Bühne und Treffpunkt für die wichtigsten Debatten über Bildung.

Gesundheitsstadträte fordern umfassendes Handyverbot an Berliner Schulen

Mit einem offenen Brief [1] appellieren die Bezirksstadträtinnen und -räte für Gesundheit und Jugend von Marzahn-Hellersdorf (Gordon Lemm), Steglitz-Zehlendorf (Carolina Böhm) und Tempelhof-Schöneberg (Oliver Schworck) eindringlich an die Berliner Senatorin für Bildung, Katharina Günther-Wünsch, und die Senatorin für Gesundheit, Dr. Ina Czyborra, ein umfassendes Handyverbot an allgemeinbildenden Schulen zu erlassen.

Der Vorstoß zielt darauf ab, die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Schulen bei der Reglementierung von Smartphones während des Schulaufenthalts zu unterstützen. Zum Schutz einer gesunden und angstfreien Entwicklung aller Kinder und Jugendlichen an Schulen sowie zur Schaffung einer förderlichen Lernumgebung sei dieser Schritt aus Sicht der Stadträte unumgänglich. Die Nachteile einer unkontrollierten Smartphone-Nutzung überwiegen die möglichen Vorteile bei weitem.

Aktuelle Studien, darunter eine repräsentative Umfrage der Barmer Krankenkasse, zeigen alarmierende Zahlen: Fast 40 % der Schülerinnen und Schüler sind bereits Opfer von Mobbing und insbesondere Cybermobbing geworden, wobei die Schule häufig der zentrale Ort des Geschehens ist. Die psychischen Belastungen, die mit Cybermobbing und dem freien Zugang zu nicht altersgerechten, verstörenden Inhalten einhergehen, können zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen. Ein Viertel der Opfer von Cybermobbing gab an, unter Suizidgedanken zu leiden.

Trotz bestehender Möglichkeiten, Handys während der Schulzeit in einzelnen Schulgemeinschaften zu untersagen, sind diese Maßnahmen oft unzureichend. Der öffentliche Brandbrief der Friedenauer Friedrich-Bergius-Schule, an der ein solches Handyverbot wirkungslos blieb, verdeutlicht die Dringlichkeit einer allgemeinen gesetzlichen Regelung. Auch viele Schulen und Eltern wünschen sich zum Schutz ihrer Kinder verbindliche Regelungen.

Das Land Brandenburg hat gezeigt, dass ein solcher Schritt möglich ist. Ein grundsätzliches Verbot von Smartphones sollte jedoch auf die gesamte Schulaufenthaltsdauer und ebenso auf die Ober- und berufsbildenden Schulen ausgeweitet werden. Während digitale Medien eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, ist es entscheidend, die negativen Auswirkungen einer ungesteuerten Nutzung zu minimieren. Der Initiator der Initiative, Familien- und Gesundheitsstadtrat Gordon Lemm (SPD):

„Die inzwischen erkennbaren Auswirkungen eines unkontrollierten Smartphone-Gebrauchs durch Kinder und Jugendliche zwingen uns zum Handeln. Während die negativen Folgen völlig evident sind, schauen wir als Gesellschaft und Verantwortliche in der Politik weitestgehend tatenlos zu oder überlassen die Lösung der Probleme den Schulgemeinschaften. Sowohl Eltern als auch der Gesetzgeber tragen hier Verantwortung, um das gute, gesunde Aufwachsen unserer Kinder zu ermöglichen. Gerade in diesem Bereich ist der elterliche Einfluss aber überschaubar. Mehr als die Hälfte der in der Barmer-Studie befragten Eltern gaben an, ihren Kindern im Internet freie Hand zu lassen. Smartphones sind für uns alle wichtige Werkzeuge für Wissenserwerb, Kommunikation und Unterhaltung. Ein grundsätzliches Handyverbot an Schulen soll nicht im Widerspruch zum Erlernen von Medienkompetenz stehen, sondern diese ermöglichen. Über die negativen Folgen insbesondere für Heranwachsende wird aktuell nicht in ausreichendem Maße gesprochen oder gewarnt. Wenn es zutrifft, dass viele Kinder an Schulen verstörende und altersunangemessene Videos und Bilder sehen und teilen, die zunehmende Nutzung digitaler Medien zu Vereinsamung, Verrohung und Angstzuständen führen kann und Mobbing, Erpressung und Ausgrenzung inzwischen vornehmlich digital ausgetragen werden, ist es für mich völlig unverständlich, warum wir dies als Gesellschaft dulden sollten.

Es gibt kein Grundrecht auf Smartphone-Nutzung und -missbrauch während der Schulzeit.

Wir sollten hier ein klares Zeichen setzen und Kindern und Jugendlichen diesen einen Rückzugsort geben und damit zur psychosozialen Entlastung unserer Schülerinnen und Schüler beitragen. Ich glaube, dass ein Handyverbot an unseren Schulen nicht nur dem sozialen Klima und dem Lernerfolg helfen, sondern auch viele Eltern dazu animieren würde, sich ernsthafter mit den Gefahren und Risiken einer inhaltlich wie zeitlich unbeschränkten Nutzung von Smartphones auseinanderzusetzen.“

[1] Offener Brief zum Handyverbot an Schulen (mit weiteren Links)


Mehrheit der Jugendlichen für Handyverbot in Schulen

lautet die Überschrift einer Meldung in der Berliner Zeitung vom 24.9.2025. Aus der dort zitierten Jugendstudie „Zwischen Bildschirmzeit und Selbstregulation“ wird deutlich, dass eine Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland ein Handyverbot in Schulen befürwortet.

„60% der Befragten sprechen sich für ein Handyverbot im Unterricht oder Klassenzimmer aus.“

Hervorhebungen durch Schulforum-Berlin

Altersgrenzen für Social Media-Nutzung und Einschränkung suchterzeugender Funktionen

Leopoldina-Diskussionspapier empfiehlt besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen

Ausschnitt aus dem Titelbild der Studie der Leopoldina

In dem am 11.08.2025 veröffentlichten Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina [1] schlagen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Anwendung des Vorsorgeprinzips vor. Es besagt, dass vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden sollten, wenn es Hinweise auf mögliche schädliche Auswirkungen gibt, auch wenn wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt ist, wie groß das Risiko tatsächlich ist. In dem Papier „Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ geben sie Handlungsempfehlungen, um Kinder und Jugendliche vor negativen Folgen sozialer Medien zu schützen. Nachfolgend ein Auszug:

Handlungsempfehlungen

Unter dem Abschnitt „Maßnahmen für Bildungseinrichtungen“ schreiben sie auf S. 40:

Wir empfehlen, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 zu untersagen.

Smartphones sind die bei Jugendlichen am häufigsten vorhandenen digitalen Endgeräte und daher zentral für die Nutzung sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche. Wie [bereits] dargestellt, zeigen Studien, dass ein solches Verbot positive Effekte auf Wohlbefinden, Sozialverhalten und schulische Leistungen haben kann. Auch wenn andere Untersuchungen kaum Vorteile solcher Maßnahmen feststellen konnten, halten wir ein Smartphoneverbot als Teil eines umfassenden Schutzkonzepts für sinnvoll. Entscheidend sind dabei die pädagogische Begleitung sowie eine regelmäßige Evaluation der Wirkung. (S. 40)

Im Kontext der digitalen Bildung ist es wichtig, ein Verständnis für die Geschäftsmodelle von Social-Media-Anbietern und deren Umsetzung in Form konkreter Nutzungsangebote zu entwickeln. Ebenso sollten Machtstrukturen im Internet und in sozialen Medien thematisiert sowie Medienkompetenzen vermittelt werden – etwa Methoden zur Identifizierung von Falschnachrichten und vertrauenswürdigen Quellen. (S. 41)

Die Nutzung sozialer Medien für schulische Zwecke (z. B. zur Organisation oder Kommunikation im Klassenverband) sollte hingegen kritisch hinterfragt und auf das Mindestmaß beschränkt werden. Wenn ein Einsatz erforderlich ist, sollten bevorzugt unproblematische Anwendungen – etwa datenschutzfreundliche Messengerdienste – zum Einsatz kommen. (S. 42)

Im Zentrum der Kampagne sollten die kurz- und langfristigen Folgen problematischer Mediennutzung stehen. Zudem sollte die Vorbildfunktion von Eltern deutlich benannt werden. Regeln im Umgang mit sozialen Medien sollten klar, alltagstauglich und altersgerecht sein und Eltern, Kindern sowie Jugendlichen gleichermaßen Orientierung bieten. (S. 43)

Zu erforschen sind unter anderem sensible Entwicklungsfenster, Wechselwirkungen mit der elterlichen Mediennutzung, die Rolle von Peers sowie die Auswirkungen kommender KI-gestützter Social-Media-Formate – etwa sogenannter virtueller Freunde oder sozialer Halluzinationen, bei denen Künstliche Intelligenz den falschen, aber subjektiv absolut überzeugenden Eindruck authentischer sozialer Interaktion erzeugt. (S. 44)

In Anbetracht der individuellen und gesellschaftlichen Risiken, die mit der Nutzung sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche somit einhergehen, besteht aus Sicht der Autorinnen und Autoren dieses Diskussionspapiers daher kurzfristiger Handlungsbedarf. Bund und Länder sollten wirksame Maßnahmen zum Schutz dieser besonders vulnerablen Altersgruppe ergreifen. Heranwachsende sollten vor den Risiken sozialer Medien geschützt werden. (S. 45)

Die altersdifferenzierte Schutzstrategie […] vereint regulatorische, technische und pädagogische Maßnahmen sowie gesellschaftliche Aufklärung zu einem abgestimmten Maßnahmenbündel:

Für Kinder unter 13 Jahren sollte unserem Vorschlag zufolge die Einrichtung eigener Social-Media-Accounts untersagt sein, da entsprechende Angebote für diese Altersgruppe grundsätzlich ungeeignet sind. (S. 45)

Für 13- bis 17-jährige Jugendliche sind hingegen altersgemäße Einschränkungen von Plattformfunktionen erforderlich – etwa der Ausschluss personalisierter Werbung und der Verzicht auf die Erstellung individueller Nutzungsprofile. (S. 45)

Für 13- bis 15-jährige Kinder und Jugendliche befürworten wir darüber hinaus eine elterliche Begleitung, die durch einfach zu handhabende Lösungen unterstützt wird. Die Einhaltung der Altersgrenzen erfordert eine verlässliche Infrastruktur zur Altersverifikation, deren Einführung wir empfehlen. (S. 45)

In Bildungseinrichtungen sollte darüber hinaus die Nutzung von Smartphones bis einschließlich Klasse 10 untersagt werden. (S. 46)

Kritisch zu sehen ist so etwa das Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie, das im Zentrum vieler digitaler Geschäftsmodelle steht; denn die Extraktion und Monetarisierung von Aufmerksamkeit fördert technologische Strategien zur Maximierung der Nutzerbindung und schafft gezielt suchtfördernde Strukturen im digitalen Raum. Die rasante technologische Entwicklung im Digitalsektor befeuert diese ökonomisch motivierte Tendenz noch, weshalb sich die sozialen Medien ebenso rasant weiterentwickeln: Immer leistungsfähigere Algorithmen und KI-Systeme werden eingesetzt, um Nutzerverhalten vorherzusagen und mittels emotionaler Bindung zunehmend zu steuern. (S. 46)

Der Schutz junger Menschen vor den Gefahren sozialer Medien erfordert nicht nur sektorale Maßnahmen, sondern muss eingebettet sein in eine umfassende deutsche und europäische Strategie für digitale Resilienz und digitale Souveränität. Es geht um den Erhalt politischer und persönlicher Handlungsfähigkeit im digitalen Zeitalter – durch klare Regeln, wirksame Kontrollen, internationale Kooperation und einen normativen Rahmen, der den Schutz des Kindeswohls ins Zentrum stellt. (S. 47)

In einem Video [2] stellt Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Mitautor des Diskussionspapiers, die Handlungsempfehlungen vor.


[1] https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Diskussionen/2025_Diskussionspapier_Soziale_Medien.pdf

[2] Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=2l5Qcu1_Fpc

Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Er vergleicht Smartphones mit Drogen und manche Eltern mit Drogendealern.

30.06.2025, TSP

Der Philosoph Peter Sloterdijk hält ein Handyverbot für Kinder und Jugendliche an Schulen für sinnvoll. „Wir haben die Dinge zu sehr schleifen lassen“, sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur in Köln.

„In den Schulen sind Zustände herangereift, mit denen wir nicht glücklich sein können. Handys müssten unter das Drogenverbot fallen, dann erübrigt sich die Debatte.“

Dieses Verbot könne gar nicht früh genug einsetzen, denn ein Entzug sei bei jeder Form von Sucht immer außerordentlich schwierig. 

Es gehe letztlich um die Frage, ob man eine erzieherische oder nur eine ausbildende Schule wolle, sagte Sloterdijk.

„In dem Moment, in dem wir akzeptieren, dass Kinder auch ein Recht auf Erziehung haben, müssen wir Ernst machen mit ihrem Recht, vor der Kolonisierung durch anonyme Gewalten in Gestalt der neuen Medien geschützt zu werden. Alles andere ist so, als würden wir ständig einem Einbrecher die Tür öffnen. Man darf es den medialen Einbrechern, die in die Kinderstuben eindringen, nicht so einfach machen.“

Viele Eltern agieren laut Sloterdijk „wie Drogendealer“

Wenn man eine erziehende Schule wolle, müsse man Medienkontrolle ausüben, und zwar streng, sagte Sloterdijk. Und wenn man begriffen habe, dass man Haschisch und andere Rauschgifte aus der Schule ausschließen müsse, dann sollte dies auch für die Smartphones gelten, die ebenfalls Drogenqualität hätten.

„Sie schädigen das Hirn, evozieren Persönlichkeitsstörungen ohne Ende. Derzeit werden sie als Informationsmedien mystifiziert, aber kein Junge, kein Mädchen verwendet sie so. Es sind Partydrogen, um sich in der Fünf-Minuten-Pause schnell noch einen Kick zu verpassen.“

Sloterdijk, der in Köln beim Philosophiefestival Phil.Cologne auftrat, sieht hier auch die Eltern in der Pflicht.

„Es ist eine enorme Mitverantwortung der Eltern zu konstatieren – und ein enormes Versagen“, sagte er. „Denn sehr viele Eltern verhalten sich selber wie Drogendealer, die ihren Kindern dieses Ding in die Hand drücken. Wenn das Kind erst einmal Smartphone-süchtig geworden ist, ist das für die Eltern eine große Entlastung, weil sie weniger Zeit mit ihm verbringen müssen – das Kind hat ja nun einen digitalen Spielgefährten.“

TSP: Philosoph fordert Durchgreifen: Sloterdijk will Handyverbot für Kinder und Jugendliche