Die Berliner Schulbau- und Bildungsoffensive

Mehr Leiden als Lernen

Im achten Jahr sollte es endlich vorangehen mit Berlins zeitraubendster Schulsanierung.

Karikatur von Heiko Sakurai (2018, Meilenstein? Schaun wir mal), Veröffentlichung auf Schulforum-Berlin mit freundlicher Genehmigung

Mangels Klassenräumen und eigener Turnhalle haben Schüler der Kurt-Schumacher-Schule mit Papprohren, Klebeband, Farbe und Folien sich selbst ein Schulhäuschen gebaut.

Tagesspiegel, 18.09.2020, Susanne Vieth-Entus

Mit dem Brandschutz fing es an: Das Hauptgebäude der Kurt-Schumacher-Schule in Kreuzberg ist seit dem 20. Dezember 2012 gesperrt. Damals ergab eine Brandschutzbegehung, dass bei einer lange zurückliegenden Asbestsanierung geschlampt worden war. Aber danach fingen die Probleme erst richtig an […].

Was die Kurt-Schumacher-Schule ist – das verkündet seit rund einem Jahr ein in den Schulzaun gewebter Schriftzug an der Wilhelmstraße: „BER Kreuzberg“. [Diesen] haben die Eltern um [die Gesamtelternvorsitzende] Henrike Hüske aus Stoffresten geschrieben, als sie es nicht mehr aushalten konnten, nichts zu tun. Zu diesem Zeitpunkt war es so weit, dass ein ganzer Jahrgang die Schule durchlaufen hatte, ohne je einen normalen Klassenraum von innen gesehen zu haben. […]

So berichtet in der Spalte „Aus dem Klassenzimmer“ des Tagesspiegels ein Schüler, der die 5. Klasse besucht:  Ich habe seit fast zwei Jahren keine Bauarbeiter mehr gesehen. Und vorher waren sie auch immer nur kurz da und nie viele. Mich ärgert das sehr. Die Schule sollte zu meiner Einschulung repariert sein, und jetzt bin ich in der 5. Klasse.

Wie wirkt so etwas auf eine Schulgemeinschaft, die im achten Jahr im Ausnahmezustand lebt? „Viele schütteln nur noch den Kopf“, sagt Schulleiter Lutz Geburtig. Nach über zehn runden Tischen mit den Bezirksverantwortlichen und einer Unzahl ergebnislos verstrichener Termine schwinde die Bereitschaft, zu hoffen oder sich aufzuregen. […]

„Die Enge fällt den Eltern auf“, sagt Schulleiter Geburtig auf die Frage, wie es denn ist, wenn Familien auf der Suche nach einer Grundschule zu ihm kommen. Es ist schwer, Menschen für eine Schule zu begeistern, die aus nichts anderem besteht als aus einem Horthaus [Schule und Hort, Lehrerzimmer und Sekretariat, Aula und Schulleiterbüro, alles in einem].

Auf die Frage: Haben eure Schulhühner die Corona-Schließzeit gut überstanden? entgegnet der Fünftklässler: Vor Corona waren es ja noch fast Küken und jetzt sind sie schon richtig groß geworden. In der Corona-Zeit haben einige Lehrer den Stall vergrößert und ausgebaut. Die haben bald mehr Platz als wir, aber ich freue mich für die Hühner.

Wenn diese Eltern fragen, wann es wieder normale Unterrichtsräume und eine Turnhalle geben wird, dann verweist Geburtig auf Mitte 2021 – den avisierten Termin für den ersten [!] Bauabschnitt. [Dann ist] erst ein Drittel erledigt: Zwei Drittel der Räume gehören nämlich zum zweiten Bauabschnitt, von dem noch nicht klar ist, wann er beginnt. […]

Zurück zu den Schülern. „Die meisten Kinder der Schule haben noch nie einen Bauarbeiter auf der Baustelle gesehen“, erzählt Hüske. Diese Woche seien aber welche gesichtet worden: „Die Kinder waren sehr aufgeregt. Sie bringen es in Verbindung mit dem kleinen Schulbau und denken, dass es dem Amt peinlich ist und sie jetzt schnell Leute geschickt haben.“

Zum Artikel: TSP, 18.09.2020, Susanne Vieth-Entus, Lernen und leiden, Acht Jahre Sanierung

Eingefügte Karikatur mit freundlicher Genehmigung von Heiko Sakurai.
Textauswahl in grau unterlegtem Einschub und Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.


Bildungsverwaltung: Die Berliner Schulbauoffensive liegt „grundsätzlich im Zeitplan“.

Bereits vor einem Jahr wurde bekannt, dass 2021/22 knapp 10.000 Schülerplätze fehlen könnten: Der Mangel könne nur durch die Überfüllung von Klassen kompensiert werden. Dies allerdings war eigentlich nichts Neues, sondern seit Jahren die Normalität. Schon 2019/20 hatten allein an Grundschulen 9400 Plätze gefehlt, an Sekundarschulen weitere 700. […] Längst wird geunkt, man wird noch über 2030 hinaus mit dem Abbau des Sanierungsstaus beschäftigt sein. Dennoch beharrt die Bildungsverwaltung, dass die Berliner Schulbauoffensive „grundsätzlich im Zeitplan“ liege […]. (Tagesspiegel, 04.08.2020, Susanne Vieth-Entus, Eine Milliarde Euro später)