Mathematikunterricht im internationalen Vergleich.

Ergebnisse aus der TALIS-Videostudie Deutschland.

Grünkorn, Juliane [Hrsg.]; Klieme, Eckhard [Hrsg.]; Praetorius, Anna-Katharina [Hrsg.]; Patrick Schreyer [Hrsg.], Frankfurt am Main: DIPF, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation 2020 [1]

Zusammenfassung der Forschungsstudie für Schulforum-Berlin [2]


Die TALIS-Videostudie ist die erste internationale Untersuchung, die einen Blick in Klassenzimmer auf drei Kontinenten wirft und zugleich Aussagen zu den Wirkungen des Unterrichts, zu Lernprozessen und Lernergebnissen der beteiligten Schüler*innen gestattet. (TALIS-Studie, S. 36)

Die TALIS-Videostudie Deutschland ist ein Forschungsprojekt der Leibniz-Gemeinschaft, das an die internationale Videostudie „Teaching and Learning International Survey (TALIS-Video)“ der OECD anschließt. Am Beispiel der Unterrichtseinheit zum Thema „quadratische Gleichungen“ hat das verantwortliche Forschungsteam dafür unter anderem Unterrichtsstunden per Video aufgezeichnet und ausgewertet und diese mit Leistungstests und Befragungen der Schüler*innen sowie der Lehrkräfte verknüpft.

Weitere Erhebungen der internationalen Studie fanden in Chile, China, England, Japan, Kolumbien, Mexiko und Spanien statt. In Deutschland nahmen 50 Klassen/Lehrkräfte mit insgesamt 1140 Jugendlichen im Alter von durchschnittlich 15 Jahren teil. Die 38 teilnehmenden Schulen waren über sieben Bundesländer verteilt. An der Studie waren aus den teilnehmenden Staaten insgesamt 700 Lehrkräfte beteiligt. Die Stichprobe ist aufgrund des aufwändigen Designs der Studie und der freiwilligen Teilnahme nicht repräsentativ.

Ziel der Studie war es, aus deutscher wie aus internationaler Perspektive mehr darüber zu lernen, was erfolgreichen Mathematikunterricht ausmacht – erfolgreich aus der Perspektive der beteiligten Lehrkräfte und Schüler*innen, aus Sicht externer, geschulter Beobachter*innen und nach gemessenen Lernergebnissen wie Leistung und Fachinteresse. (S. 3)

Als Ausgangspunkt der Studie stellt das Forschungsteam die Frage: „Was verstehen wir unter Unterrichtsqualität?“ und fassen zusammen:

Die empirische Forschung zur Unterrichtsqualität beschreibt Schulunterricht häufig nach drei grundlegenden Dimensionen. Dies sind:
Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung.

Auch die TALIS-Videostudie Deutschland greift diese drei Basisdimensionen des Unterrichts auf, um Unterricht zu beschreiben und seine Wirkungen zu untersuchen.

Gute Klassenführung beinhaltet, klare Regeln für erwünschtes Verhalten von Schüler*innen einzuführen, insbesondere für deren aktive Beteiligung und Aufmerksamkeit, dieses Verhalten durch eine gute Organisation der Lernaktivitäten, durch Routinen und Rituale zu stützen sowie Störungen rechtzeitig zu erkennen und präventiv zu vermeiden. Dadurch wird Unterrichtszeit tatsächlich zu Lehr- und Lernzeit, so dass den Schüler*innen mehr Lerngelegenheiten eröffnet werden bzw. sie diese intensiver nutzen können. Aktive Lernzeit ist einer der stärksten Prädiktoren für Lernzuwächse. (S. 6)

Konstruktive Unterstützung umschließt zum einen sozioemotionale Aspekte wie eine positive Beziehung zwischen Schüler*innen und ihren Lehrkräften sowie einen wertschätzenden Umgang der Schüler*innen und Lehrkräfte miteinander. Damit sollen vor allem die psychosoziale Entwicklung und motivationale Merkmale wie das Interesse gefördert werden. (S. 6)

Die kognitive Aktivierung der Schüler*innen ist als hoch einzuschätzen, wenn der Unterricht auf Verstehen und schlussfolgerndes Denken ausgerichtet ist, wenn die Lernenden mit herausfordernden Inhalten konfrontiert werden, zugleich aber an ihr Vorwissen und ihre Erfahrungswelt angeknüpft wird. Anspruchsvolle Aufgaben und diskursive Auseinandersetzungen können beispielsweise kognitive Konflikte auslösen, die zu einer tiefen kognitiven Verarbeitung, zur Re-Organisation und Erweiterung des Wissens führen. Ein kognitiv aktivierender Mathematikunterricht sollte mathematische Konzepte gut strukturiert und mit geeigneten Repräsentationsformaten einführen, sie systematisch verknüpfen, in verschiedenen Kontexten anwenden und üben und dabei unterschiedliche Lösungswege zulassen. (S. 6)

Die drei Basisdimensionen des Unterrichts:  1. Klassenführung, 2. konstruktive Unterstützung und 3. kognitive Aktivierung werden in der Studie jeweils noch weiter differenziert. Sie werden anhand der aufgezeichneten Unterrichtsvideos durch geschulte Beobachter*innen mithilfe der verschiedenen zuvor festgelegten und beschriebenen Kriterien beurteilt.

1. Klassenführung

In der Unterrichtsforschung wird die Qualität der Klassenführung über ein breites Spektrum unterschiedlicher Kriterien erfasst. Die TALIS-Videostudie Deutschland verwendet drei Kriterien die ausführlich beschrieben werden (TALIS-Studie, Abbildung 5, S. 15). Dies sind:

1. Routine, 2. Monitoring und 3. Umgang mit Störungen.

1. Routinen: Sind Routinen erkennbar, die den Unterrichtsfluss unterstützen und die Übergänge zwischen verschiedenen Arbeitsformen oder das Austeilen von Materialien effizient gestalten? Eine hohe Bewertung (4) bedeutet, dass Routinen erkennbar waren, die gut organisiert waren und zeitlich effizient umgesetzt wurden. Niedrig (1) hingegen wurden Routinen eingeschätzt, die wenig organisiert schienen und durch die Unterrichtszeit verloren ging. (S. 15)

2. Monitoring: Nimmt die Lehrkraft kontinuierlich wahr, was im Klassenraum geschieht, um gegebenenfalls schnell reagieren und die Aufmerksamkeit der Schüler*innen auf das Lernen lenken zu können? Das Monitoring wurde daraufhin eingeschätzt, ob die Lehrkraft stets den gesamten Klassenraum im Blick behält, physische Nähe zu den Schüler*innen wahrt, möglichst viele Schüler*innen in das Unterrichtsgeschehen einbindet und Unterschiede im (Lern-) Verhalten der einzelnen Schüler*innen wahrnimmt. (S. 15)

3. Umgang mit Störungen: Treten Störungen in der Klasse auf und falls ja, wie effektiv werden diese von der Lehrkraft unterbunden? Eine hohe Bewertung (4) deutet darauf hin, dass entweder keine Störungen aufkamen oder die Lehrkraft zügig auf diese reagierte, sodass keine Unterrichtszeit verloren ging. Niedrig (1) fiel die Bewertung aus, wenn auftretende Störungen nicht effektiv unterbunden wurden und ein erheblicher Teil der Unterrichtszeit dadurch verloren ging. (S. 15)

TALIS-Studie, Abbildung 5, S.15

Die Abbildung 5 dokumentiert, dass für Deutschland vor allem beim Umgang mit Störungen (3,82), aber auch beim Einsatz von Routinen (3,74) sehr hohe Werte erreicht wurden. Für den Bereich Monitoring ergaben sich leicht niedrigere Werte (3,44).

Bei der Klassenführung, also der Fähigkeit, den Unterricht zu steuern und die Aufmerksamkeit zu sichern, schnitten im internationalen Vergleich die deutschen Lehrkräfte gut ab. Die Klassen waren gut organisiert, Routinen waren etabliert, Störungen kamen selten vor oder wurden effektiv unterbunden. (S. 37) [siehe dazu auch Studie zu „autoritativem Unterrichtsstil“]   

Dabei hing die eingeschätzte Klassenführung mit der Einstellung der Lehrkräfte zusammen:  Sie war höher, wenn die Lehrkraft selbst angab, Freude an der Arbeit mit der jeweiligen Klasse zu haben.

Beim Monitoring – der kontinuierlichen Aufmerksamkeit der Lehrkraft für Lernprozesse und mögliche Störungen – ist aus der Befragung ersichtlich, dass den Lehrkräften selbst diese Problematik (Differenz zwischen Lehrer-Schülereinschätzung) nicht bewusst ist.

2. Konstruktive Unterstützung

Auch die Qualität der konstruktiven Unterstützung wurde in der TALIS-Videostudie anhand der aufgezeichneten Unterrichtsvideos durch geschulte Beobachter*innen beurteilt. Um die Qualitätsdimension in ihrer Breite zu beurteilen, wie sie in der deutschen Unterrichtsforschung gesehen wird, greift die Studie auf fünf Komponenten in der Videoanalyse zurück (TALIS-Studie, Abbildung 6, S. 19). Dies sind:

1. Respekt, 2. Ermutigung und freundliches Miteinander, 3. Eingehen auf Schüler*innenbeiträge, 4. Chancen zur Beteiligung und 5. Feedback.

1. Respekt: Wie respektvoll ist der Umgang aller Beteiligten im Klassenraum miteinander? Es wurde eine hohe Bewertung (4) vergeben, wenn im Unterricht ein durchweg respektvoller Umgang zu erkennen war. Dies zeigte sich unter anderem durch eine respektvolle Sprache, gegenseitiges Zuhören, die adäquate Verwendung von Namen (z. B. Frau oder Herr), einen angemessenen Tonfall und allgemeine Höflichkeitsformen wie „Bitte“ und „Danke“.

2. Ermutigung und freundliches Miteinander: Wie gestaltet sich das Miteinander im Unterricht und wie werden Schüler*innen in ihrer Arbeit ermutigt? Beide Aspekte wurden als in vollem Umfang erfüllt (4) beurteilt, wenn die Lehrperson, aber auch die Schüler*innen sich gegenseitig in ihrer Arbeit ermutigten, beispielsweise durch ermunternde Worte, wenn Fehler gemacht wurden, oder durch Lob für die geleistete Arbeit.

3. Eingehen auf Schüler*innenbeiträge: Inwieweit nutzen Lehrkräfte die Beiträge der Schüler*innen, um den Unterricht anzupassen? Unter der Nutzung von Schüler*innenbeiträgen wurde verstanden, dass die Lehrkraft beispielsweise die Aufmerksamkeit auf den Beitrag einzelner Schüler*innen lenkt, eine Frage als Antwort auf den Beitrag einer Schüler*in stellt oder die Schüler*innen dazu auffordert, den nächsten Schritt eines Prozesses zu erläutern. Dabei berücksichtigten die geschulten Beobachter*innen auch den Umfang an Hinweisen und Tipps, die von den Lehrkräften gegeben wurden.

4. Chancen zur Beteiligung: Haben Schüler*innen die Möglichkeit sich am fachlichen Unterrichtsgespräch zu beteiligen? Es wurde geschaut, wie häufig sich die Schüler*innen an Gesprächen über mathematische Inhalte, egal ob mündlich oder schriftlich, beteiligen konnten. Die Beobachter*innen vergaben einen niedrigen Wert (1), wenn die Lehrkraft die Gesprächsführung kontrolliert und die Schüler*innen keine detaillierten Gedanken beisteuern konnten. Der Maximalwert (4) wurde vergeben, wenn der Austausch kaum lehrerzentriert war [siehe nachfolgende Anmerkung der Autoren] und die Schüler*innen häufig Gelegenheit hatten, sich mit detaillierten Beiträgen in das Unterrichtsgespräch einzubringen.

5. Feedback: Wird Feedback gegeben, das den Schüler*innen beim Lernen weiterhilft? Die Beobachter*innen beurteilten das Feedback dementsprechend hoch (4), wenn es auf Fragen nach dem Warum einging: warum Gedanken und Lösungen der Schüler*innen korrekt oder inkorrekt waren oder warum Lösungsschritte in bestimmter Weise erfolgen sollten. Zudem musste das Feedback vollständige Aspekte der Mathematik adressieren. (S. 17f)

TALIS-Studie, Abbildung 6, S. 19

Bei der konstruktiven Unterstützung ergeben die Videobeobachtungen folgendes Bild: Die Unterrichtsatmosphäre wird als sehr respektvoll angesehen. Die deutschen Lehrkräfte gingen zudem auf Beiträge der Schüler*innen ein und gaben diesen Chancen [Möglichkeiten] zur Beteiligung am Gespräch. (S. 37)

Bei der Auswertung der Unterrichtsvideos verweist die Forschungsgruppe bei „4. Chancen zur Beteiligung“ auf den Bildungsforscher Hattie – handelt aber entgegengesetzt zu dessen Ergebnissen der Metastudie:  [D]er Idee eines schülerzentrierten Unterrichts entspricht der beobachtete Mathematikunterricht nicht – wobei diese Idee, folgt man etwa Hattie, keineswegs als pädagogisches Ideal angesehen werden sollte. (S. 19) [Hinweis zur Unterrichtsmethode „Direkte Instruktion“. Siehe auch dazu Prof. Dr. Andreas Helmke]

Durchweg schwach ausgeprägt war der Einsatz von Feedback – verstanden als informative Rückmeldung, die darauf eingeht, warum etwas passend oder unpassend ist. (S. 37) Das Forschungsteam sah beim Feedbackverhalten Verbesserungsbedarf.

3. Kognitive Aktivierung

In der Unterrichtsforschung wird die Qualität der kognitiven Aktivierung über ein breites Spektrum unterschiedlicher Kriterien erfasst. Die TALIS-Videostudie Deutschland verwendet sechs Kriterien (TALIS-Studie, Abbildung 8, S. 21f). Diese sind:

1. Denkweise der Schüler*innen ergründen, 2. Anspruchsvolle Fragen, 3. Explizite Verknüpfungen, 4. Multiple Lösungswege, 5. Mathematisches Verständnis der Schüler*innen und 6. Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Inhalten.

1. Denkweise der Schüler*innen ergründen: Wie schafft es die Lehrkraft, die Denkweisen der Schüler*innen zu ergründen? Die höchste Beurteilung (4) wurde vergeben, wenn eine Vielzahl an Beiträgen (mündlich oder schriftlich) von Schüler*innen sichtbar waren und die Fragen und Aufgaben der Lehrkräfte zu detaillierten Antworten (z. B. Beschreibungen einzelner Prozeduren oder Erklärungen von Konzepten) aufseiten der Schüler*innen führten. Der niedrigste Wert (1) wurde vergeben, wenn die Gedanken der Schüler*innen nicht beobachtbar waren (z. B. während eines Vortrags der Lehrperson).

2. Anspruchsvolle Fragen: Wie kognitiv anregend sind die im Unterricht gestellten Fragen? Der niedrigste Wert (1) wurde vergeben, wenn hauptsächlich Fragen gestellt wurden, die sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten ließen, einzelne Zahlen oder Terme als Antwort erlaubten oder lediglich eine Wiederholung von etwas bereits Gesagtem erforderten. Der höchste Wert (4) wurde hingegen vergeben, wenn die im Unterricht gestellten Fragen schwerpunktmäßig auf Begründungen, Zusammenführungen, Analysen oder Vermutungen abzielten.

3. Explizite Verknüpfungen: Werden Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aspekten der Mathematik hergestellt? Dieses Kriterium wurde niedrig (1) bewertet, wenn sich keine Verbindungen zwischen zwei Aspekten der Mathematik beobachten ließen oder wenn die Verknüpfungen implizit formuliert waren (z. B. eine Abfrage, wer schon einmal mit einer speziellen Methode gerechnet hat). Eine hohe Bewertung (4) wurde hingegen vergeben, wenn mindestens zwei explizite Verknüpfungen zwischen zwei Aspekten der Mathematik beobachtet werden konnten.

4. Multiple Lösungswege: Werden im Unterricht unterschiedliche Lösungswege oder Begründungen angewendet? Ließen sich keine unterschiedlichen Lösungsstrategien und Begründungen beobachten, wurde der niedrigste Wert (1) vergeben. Ein hoher Wert (4) bedeutet, dass die Schüler*innen generell mindestens zwei Lösungswege anwandten, um eine Gleichung bzw. ein Problem zu lösen.

5. Mathematisches Verständnis der Schüler*innen: Zeigen die Schüler*innen, dass sie die Begründungen hinter den mathematischen Anwendungen und Inhalten verstehen? Die Beobachter*innen schätzten diesen Aspekt als hoch (4) ein, wenn sich beobachten ließ, dass die Schüler*innen der Logik der vorgestellten Mathematik im Unterricht folgen können. Dies konnte sich unter anderem dadurch zeigen, dass die Schüler*innen erklären, warum ein Verfahren funktioniert oder was die Ziele oder Eigenschaften eines bestimmten Verfahrens sind. Ließen sich keine Beiträge von Schüler*innen beobachten oder wurde das Verständnis der Schüler*innen aus ihren Beiträgen nicht erkennbar, wurde eine niedrige Einschätzung (1) abgegeben.

6. Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Inhalten: Werden Schüler*innen mit herausfordernden Inhalten konfrontiert? Herausfordernde Inhalte wurden dann als hoch (4) eingeschätzt, wenn die Schüler*innen häufig in Aufgaben und Aktivitäten involviert waren, die ein tieferes analytisches, beurteilendes oder kreatives Denken erforderten. (S. 21f)

TALIS-Studie, Abbildung 8, S. 21

Die videobasierte Einstufung der Klassen im Bereich „kognitive Aktivierung“ ergab über die sechs Kriterien folgendes Bild:

In den deutschen Unterrichtsstunden wurden bei den Aspekten „Denkweise der Schüler*innen ergründen“ (2,90) und „anspruchsvolle Fragen“ (2,64) im Durchschnitt relativ hohe Werte erreicht. Die Werte zeigen an, dass die Schüler*innen im Unterricht mit Fragen konfrontiert wurden, die generell die Anwendung von Regeln oder Formeln, Erklärungen, Zusammenfassungen oder Klassifizierungen erfordern, aber den Schüler*innen vereinzelt auch die Formulierung von Begründungen, Zusammenfassungen, Analysen oder Vermutungen abverlangten. […]

Seltener ließ sich hingegen beobachten, dass die Schüler*innen mit „kognitiv anspruchsvollen Inhalten“ (1,93) konfrontiert wurden und dass sie „mathematisches Verständnis“ (2,03) zeigten. Schüler* innen wurden demnach nur selten mit Aufgaben und Problemen konfrontiert, die analytisches, evaluatives oder kreatives Denken erforderten. […] Im Mittel erhielten die „expliziten Verknüpfungen“ zwischen verschiedenen Aspekten der Mathematik einen Wert von 1,77 und die Anwendung „multipler Lösungswege“ einen Wert von 1,48. Inhaltlich bedeutet dies, dass explizite Verknüpfungen eine Seltenheit waren und dass sie, wenn sie hergestellt werden, eher vage in die unterrichtliche Diskussion eingebettet waren. Auch multiple Lösungswege kamen im Unterricht nur gelegentlich zur Anwendung. (S. 22f)

Weitere Erkenntnisse der Forschungsgruppe aus der Videostudie welche die Wirkungen des Unterrichts und die Lernprozesse betreffen:

Neben den Basisdimensionen des Unterrichts halten die Forscher zu den Sozialformen und Medien im Unterricht Folgendes fest: 

Die Unterrichtsforschung geht grundsätzlich davon aus, dass die Vielfalt der Sozialformen und Medien den Erfolg des Unterrichts nur wenig bestimmen. Dieser hängt vielmehr von den Basisdimensionen der Unterrichtsqualität ab. (S. 15)

Eine weitere Erkenntnis aus der Videostudie zu Medien und Arbeitsformen lautet:

Weder im Vergleich zwischen den Ländern bzw. den Kulturen noch innerhalb der Länder bestimmen Medien und Arbeitsformen, was die Schüler*innen lernen und wie motiviert sie aus dem Unterricht hervorgehen. (S. 36)

Die TALIS-Videostudie erlaubt auch Aussagen zur Integration der einzelnen Schüler*innen in die Klassengemeinschaft:

In Klassen, in denen Lehrkräfte eine positive Beziehung mit den Lernenden aufbauen können, den Lernenden also das Gefühl geben, sich für sie zu interessieren, und Wert auf ein gutes Miteinander legen, gibt es eine bessere Klassengemeinschaft. Mehr noch: leistungsängstliche Schüler*innen fühlen sich dann genauso gut in die Klassengemeinschaft integriert wie ihre Mitschüler*innen. Eine hohe Beziehungsqualität stellt somit eine wichtige Ressource für Schüler*innen mit weniger günstigen Lernvoraussetzungen dar. (S. 34)

Schlussfolgerungen

Die Herausgeber*innen der Studie warnen davor, pädagogische Konzepte aus anderen Ländern einfach zu kopieren. (S. 36) International gäbe es große Unterschiede zwischen den Lernkulturen, den Fachdidaktiken, den verwendeten Hilfsmitteln und somit dem kompletten Wirkungsgefüge des Unterrichts. Die Auswertung der Unterrichtsmaterialien aus verschiedenen Ländern verdeutlicht: Unterricht ist stark kulturell geprägt und wird kultur- wie gruppenspezifisch unterschiedlich wahrgenommen. (S. 30) Mit diesen Erkenntnissen will das Forschungsteam auch eine kritische Diskussion vergleichender Aussagen, politischer und pädagogischer Folgerungen anregen, wie sie mitunter aus großen Teststudien wie PISA ‚abgeleitet‘ wurden. (S. 36) Dazu Dr. Juliane Grünkorn, Leiterin des deutschen Teams: „Aus internationalen Vergleichsstudien wie PISA werden oft vorschnelle Schlussfolgerungen gezogen, welche politischen und pädagogischen Maßnahmen umzusetzen seien, um die Leistungen der Schüler*innen zu verbessern.“ Auch weise die Studie darauf hin, dass „sich die Unterrichtsqualität und Lernergebnisse nur bedingt über Lehrpläne und Standards kontrollieren [lassen]. Wer den Unterricht verbessern und weiter entwickeln will, muss bei den pädagogischen Prozessen und der (Fach-) Didaktik ansetzen.“ [3] (siehe auch S. 37)

Zusammenfassung der Studie von Manfred Fischer für Schulforum-Berlin.

Texte in kursiver Schrift sowie Abbildungen sind der TALIS-Videostudie entnommen. Textauswahl in den grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.
Zusammenfassung der Videostudie als PDF-Datei.

[1] Grünkorn, Juliane [Hrsg.]; Klieme, Eckhard [Hrsg.]; Praetorius, Anna-Katharina [Hrsg.]; Patrick Schreyer [Hrsg.]: Mathematikunterricht im internationalen Vergleich. Ergebnisse aus der TALIS-Videostudie Deutschland. Frankfurt am Main: DIPF, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation 2020.
[2] www.Schulforum-Berlin.de
[3] DIPF|Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, 23.11.2020, Pressemitteilung
Siehe auch: Tagesspiegel, 23.11.2020, Clara Meyer-Horn, Talis-Videostudie zu Mathematik in der Schule – Guter Mathe-Unterricht baut auf Vorwissen auf.