Schulen im Fadenkreuz der Lobbyisten

„Technology in education: A tool on whose terms?“

Dies ist die Fragestellung der UNESCO im Global Education Monitoring Report 2023.

Der Schulleiter, der auch geschäftsführender Vorstand der Heraeus-Bildungsstiftung und diese Mitglied im „Forum Bildung Digitalisierung“ ist, hält als Forderung für die Grundschulen fest: Nicht nur „Lesen, Schreiben und Rechnen“ gehören zur Allgemeinbildung sondern „unbedingt“ auch „digitale Grundkompetenzen“. Wie es um die Grundkompetenzen in „Lesen, Schreiben und Rechnen“ bei den Grundschülern bestellt ist, scheint für ihn kein Problem zu sein – hat er doch ganz anderes im Sinn.

Schaut man genauer hin entdeckt man ein „perfektes Zusammenspiel: Die Stiftungen wirken wie ein Türöffner“[ii]. Zu jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit melden sich deren „Experten“ zu Wort, um ihre „digitalen Bildungskonzepte“ voranzubringen. Ihre „Empfehlungen“ sind passgenau ausgerichtet an den Medien- und IT-Produkten der jeweiligen Technologieunternehmen im Hintergrund.

Tatsächlich verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Ein Blick nach Schweden bringt Aufklärung.

Das Karolinska Institut, Medizinische Universität Stockholm[iii], erklärte dazu in einer Stellungnahme:

„Die Annahme, dass die Digitalisierung die von der schwedischen Bildungsbehörde erwar­teten positiven Effekte haben wird, ist nicht evidenzbasiert, d.h., nicht auf wissen­schaftlichen Erkenntnissen beruhend.“

Weiter wird von der schwedischen Forschergruppe berichtet:

„Die Nationale Bildungsagentur scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass die Forschung gezeigt hat, dass die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler hat.“

In ihrer Stellungnahme führen sie weiter aus:

„Es gibt eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schüler eher beeinträchtigen als verbessern.“

Ungeachtet dieser Stellungnahmen der Wissenschaftler führt der Schulleiter jedoch im Interview weiter aus: Die Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung „lernen, wie man Unterricht mit digitalen Werkzeugen gestaltet, wie man Kollaboration anbahnt, wie man Lernplattformen nutzt.“ Das klingt so, als müssten Pädagogen ihre Pädagogik von den Geräten her denken und bitteschön, im Sinne der im Hintergrund des Stifterverbunds „Forum Bildung Digitalisierung“ agierenden IT-Industrie.

Betrachtet man die Strategie der im „Forum Bildung Digitalisierung“ zusammengefassten Akteure und der mit ihnen verbundenen Konzerne genauer, entdeckt man ein perfektes Zusammenspiel. Es geht darum, das „digitale Bildungskonzept“ der Stiftungen gewinnbringend für die Unternehmen an unseren Schulen umzusetzen.

Die Vereinzelung beim Lernen vor dem Bildschirm, die Abschaffung des Unterrichts, die Auflösung der Klassengemeinschaft, der Verlust von Sozialkompetenzen sowie der stete Leistungsabfall in den Grundkompetenzen, all das wird kommentarlos hingenommen.

Treffend und komprimiert führte Susanne Klein in der Süddeutschen Zeitung[iv] unter der Überschrift: „Digitales Geräteturnen“, aus: „Es ist Zeit, dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen. Damit die Schulen nicht zur nächsten Reform verdonnert werden, die eine kurzsichtige Politik irgendwann zurücknehmen muss.“

Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg stellt dazu fest, „dass viele Probleme, die wir im Bildungsbereich haben, von einer unreflektierten Digitalisierung letztendlich befeuert werden.“[v]

Und auch die UNESCO kritisierte im „Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms?“[vi],dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen.[vii]

Diese wirtschaftlichen Interessen in der umfassenden „Digitalisierung der Bildung“ charakterisierte Christian Füller als „Trojanisches Pferd“[viii] und schrieb in der Hamburger GEW-Lehrer-Zeitung dazu: „Mit der Digitalisierung aber haben vor allem die Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund[ix] eine völlig neue Mission: Sie rollen unter den großen Überschriften `Teilhabe´ und `Kooperation´ ein großes Trojanisches Pferd in die Schulen – das digitalisierte Lernen samt Endgeräten.“

Worauf es ankommt

Auf die Frage: Worin sehen Sie die größten Herausforderungen des deutschen Bildungssystems? antwortet Dr. Heiner Barz, Professor für Erziehungswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Ein […] Problem ist die viel beschworene `digitale Bildungsrevolution´. Viele Pädagogen und Bildungsexperten sehen im zu frühen Einsatz von Bildschirmmedien in Kita und Schulen mehr das Problem als die Lösung. Sie verlangen vielleicht nicht nach einer neuen `Kreidezeit´ – aber doch nach einer Rückbesinnung auf die lebendige Lehrer-Schüler-Begegnung, auf das fruchtbare Unterrichtsgespräch und auf den pädagogisch gestalteten Rhythmus von Anstrengung und Entspannung in der Eroberung neuer Wissenswelten.“[x]

Zusammenstellung der Textbeiträge durch Schulforum-Berlin.


[i] Interview in der Berliner Zeitung vom 30.9.2025, „Wir haben keine Zeit mehr“ – Digitalisierung an Berliner Schulen stagniert, Ronja Ackermann

[ii] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel

[iii] Karolinska-Institut (Schweden): Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung. Deutsche Übersetzung.

[iv] Süddeutsche Zeitung, 15.9.2017, „Digitales Geräteturnen“, Susanne Klein

[v] Aus NANO, 3sat vom 6.12.2023, https://www.3sat.de/wissen/nano/231206-digitale-leseschwaeche-nano-100.html

[vi] Technologie in der Bildung EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN?

[vii] Siehe auch: https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/11/moratorium_pub_17nov23.pdf

[viii] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel

[ix] Unternehmensnahe Stiftungen im Bildungsbereich:

Im Forum Bildung Digitalisierung sind derzeit zehn große deutsche Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund Mitglied: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung. Berlin ist Netzwerk, Bühne und Treffpunkt für die wichtigsten Debatten über Bildung.

Siehe auch: Deutscher Bundestag, 2023, WD 8 – 3000 – 046/23, https://www.bundestag.de/resource/blob/968854/1bb8f689743f55cdb728acb36abcce91/WD-8-046-23-pdf-data.pdf

[x] Siehe: Tagesspiegel vom 8.12.2023, S. 16