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Die Schulergebnisse waren einfach zu schön, um wahr zu sein

Diplome für alle

Nur ein amerikanischer Präsident hat je seine Kinder auf eine staatliche Schule in Washington geschickt – denn die zählen zu den schlechtesten des Landes. Eine Schulreform sollte mehr Schüler zum Abschluss führen und machte so alles noch schlimmer.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), 26.08.2018, Markus Günther

Dr. Markus Günther, geboren 1965 in Bottrop, machte am Heinrich-Heine Gymnasium 1986 sein Abitur, studierte Geschichte und Politikwissenschaften, bevor er für verschiedene Zeitungen tätig war. Er ist Autor der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und lebt in Washington, D.C.

Für seinen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienenen Text „Nur noch Analphabeten“ erhielt er 2015 den Dietrich Oppenberg-Medienpreis der Stiftung Lesen. 2018 zeichnete ihn Bundesfamilienministerin Franziska Giffey für seinen Essay „Du musst kämpfen“ mit dem mit 10.000 € dotierten Preis der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin aus.

Märchenhaft, anders kann man es nicht nennen. Vor zehn Jahren begann die Reform der völlig desolaten Schulen in Washington. Sie verlief so erfolgreich, dass man mitunter seinen Augen nicht traute, wenn wieder neue Fortschritte vermeldet wurden. Die Noten wurden immer besser, die Schüler immer schlauer, die Lehrer immer beliebter. Die Disziplin an den Schulen stieg, die Zahl der Abschlüsse auch, die Zahl der Problemfälle und Schulverweise sank. Der damalige amerikanische Präsident Barack Obama hielt vor nationalem Publikum eine Lobrede auf das Washingtoner Erfolgsmodell, das ein Vorbild für alle Schulen in den Vereinigten Staaten sein müsse. Das Magazin „Time“ setzte die strahlende Schuldezernentin Michelle Rhee mit einem eisernen Besen in der Hand aufs Cover und feierte sie als siegreiche Heldin im Kampf gegen die verkrustete Bürokratie. Mehr Ehre geht gar nicht.

Manche Ergebnisse waren einfach zu schön, um wahr zu sein – etwa an der Ballou High School in Washingtons Schwarzen-Getto. Die Schule war vormals von Problemen aller Art gebeutelt. Dass sie 2017 dann alle 164 Schüler der Abschlussklasse zum erfolgreichen High-School-Diplom führen konnte, überstieg die kühnsten Erwartungen in der Stadt. Schließlich hatte in Washington vor zehn Jahren nur die Hälfte aller Achtzehnjährigen die Schule mit einem Abschluss verlassen.

Wie war dieser märchenhafte Erfolg nur möglich? Um das besser zu verstehen, studierte Kate McGec, Reporterin des Hörfunksenders NPR, die Akten der Schule. Zwischen Mai und November 2017 interviewte sie Schüler und Lehrer, besuchte Eltern und Ehemalige. Doch fand sie nicht das Erhoffte – weder die pfiffigen Lehrer noch die innovativen Methoden, keine wirkungsvolle Reformpädagogik und keinen durchschlagenden Förderunterricht. Alles, was sie fand, waren Lug und Trug: Die Ballou High School hatte die Diplome praktisch an alle Schüler verschenkt, unabhängig davon, welche Leistungen sie erbracht hatten oder ob sie überhaupt am Unterricht teilgenommen hatten. Jeder zweite Absolvent hatte mehr als drei Monate des Schuljahres unentschuldigt gefehlt, jeder Fünfte hatte sogar mehr als die Hälfte des Jahres geschwänzt, viele andere waren in den entscheidenden Tests durchgefallen. Sogar Schüler, die sich praktisch nie hatten blicken lassen, bekamen zum Abschied von ihrer Schule ein Diplom aber auch solche, die wegen Gewalt- und Drogendelikten aufgefallen waren. Spätere Nachforschungen zeigten, dass mehrere Schüler des Abschlussjahrgangs nach gängigen Maßstäben kaum lesen und schreiben konnten – was darauf hindeutet, dass sie schon in früheren Jahren kaum am Unterricht teilgenommen hatten.

Den Meldungen über die skandalösen Zustände an Ballou High folgte die öffentliche Empörung und dann die nüchterne Erkenntnis, dass Ballou keine Ausnahme, sondern der Normalfall in Washington war. Es stellte sich heraus, dass die anderen Highschools es genauso gemacht hatten. Sie waren nur nicht so doof, die Absolventenquote auf hundert Prozent hochzuschrauben. Sondern ließen wenigstens ein paar Schüler durchfallen, um den Schein zu wahren.

Als vor kurzem das neue Schuljahr zu Ende ging und diesmal unter den Blicken einer misstrauisch gewordenen Öffentlichkeit alles mit rechten Dingen zugehen musste, kam die traurige Wahrheit ans Licht: Nur 58 Prozent aller Schüler in Washington haben den Abschluss in diesem Jahr tatsächlich geschafft und damit die Eintrittskarte zum College erworben. Damit ist man nach zehn Jahren Schulreform und politischer Selbstbeweihräucherung wieder etwa dort, wo man damals angefangen hat: Washingtons Schulen ebnen nur der Hälfte aller Schüler den Weg zu Berufsausbildung oder College und entlassen die andere Hälfte in die weitere Verwahrlosung, Verdummung und Verarmung. Über Jahrzehnte standen ausgerechnet die Schulen der amerikanischen Hauptstadt am untersten Ende der nationalen Statistik, dann stiegen sie bis fast an die Spitze auf. Jetzt sind sie wieder ganz unten angekommen.

Natürlich hat Washington nicht nur die schlechtesten Schulen Amerikas, sondern auch die besten. Doch dabei handelt es sich um Privatschulen, die im Grundschulalter etwa 10.000 bis 20.000 Dollar pro Kind und Schuljahr kosten, in der Highschool sogar 25.000 bis 40.000. Weiterlesen

„Kein Mensch lernt digital“

Digitalisierung und Schule – Der schöne Schein ist allzu trügerisch

Renommierter Experte warnt vor Risiken und Nebenwirkungen für den Bildungsbereich

Für ihr diesjähriges Forum hatten fünf überregionale Elternverbände* in NRW, die über Bildungsfragen und Schulpolitik informieren und diskutieren möchten, ein brisantes Thema gewählt – und einen unerschrockenen Experten gewonnen: Prof. Dr. Ralf Lankau, Medienwissenschaftler aus Offenburg und Autor des Buches „Kein Mensch lernt digital“ [siehe nebenstehende Bücherliste].

Lankau stellt der derzeitigen Digitaleuphorie eine realistische und kritische Sichtweise gegenüber. Versprochen werde wachsende Freiheit und Erleichterung, ernten würden wir aber vor allem totale Überwachung und Steuerung. Im Bildungsbereich sei das besonders brisant: Lernende degenerierten zum umfassenden Datensatz, ihr Lernverhalten werde bis ins Kleinste erfasst und abgespeichert, Bildungsgüter automatentauglich zerhackt. Hingegen könne sich humane Bildung nur als offenes, beziehungsgestütztes Lernen vollziehen. Die empirische Unterrichtsforschung – nicht zuletzt die derzeit weltgrößte Metastudie von John Hattie – zeige denn auch keinerlei Verbesserung der Lernqualität durch Technologie.

Es sei zu befürchten, dass der aktuell vieldiskutierte Digitalpakt versteckte Absichten verfolge:  nicht nur Lehrer durch Software zu ersetzen, Prüfungen zu automatisieren, Bildungsinhalte durch Konzerne statt durch Bürgervertreter zu steuern; auch unmerklich jede Regung unserer Kinder und Jugendlichen zu erfassen, abzuspeichern und profitmaximierend zu nutzen. Für die IT-Industrie winke jetzt ein riesiges Geschäft – und für viele andere Machtakteure demnächst die optimierte Steuerung. Unkontrollierte Digitalisierung sei die aktuelle Form der Gegenaufklärung.

Professor Lankau befürwortete durchaus zusätzliche Milliarden im Bildungsbereich – sie müssten aber ohne Lobbysteuerung und mit pädagogischem Bedacht ausgegeben werden können. Und das schließe keineswegs technologische Innovationen aus – nur müsse das Digitale ein Handwerkszeug bleiben, statt zur allgegenwärtigen Lehrmaschine zu entarten, die frontal auf die Lernenden einwirkt.

Der Experte regte an, Digitalisierung insbesondere im Schulischen neu zu denken. Er ermutigte Lehrer und Eltern, sich jeder Digitaleuphorie entgegenzustellen, nach dem tatsächlichen Nutzen digitaler Hilfsmittel zu fragen, sich für sparsamen Datenumgang und kontrollierbare Speicherung einzusetzen. Er wisse, dass das nicht einfach sei, aber hier gegenzuhalten würde sich für unsere Kinder lohnen. Die gerne belächelte DSGVO sehe er deshalb als Chance, das Schulverbot privater Smartphones in Frankreich sei für ihn ein Hoffnungsschimmer. Weitere konkrete Hinweise für Pädagogen können Interessenten den Folien von Prof. Lankau entnehmen.

Trotz Schwüle und Schuljahresendmüdigkeit verfolgten ca. 170 Eltern und Lehrer fast zweieinhalb Stunden lang Vortrag und Diskussion in der Aula des Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasiums in Köln.

* “Eltern für eine gute Schule“, „Landeselternschaft der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen e. V.“, „Elternverein Nordrhein-Westfalen e.V.“, „Landesverband NRW der Eltern und Förderer sprachbehinderter Kinder und Jugendlicher e. V.“, „wertevoll wachsen“.

„Das, was für einen guten Unterricht unverzichtbar ist, das gemeinsame Gespräch über die Stoffinhalte, bleibt auf der Strecke.“

Entzaubert

Am Ländervergleich schulischer Leistungen wird deutlich, dass das „längere gemeinsame Lernen“ die damit verbunden positiven Erwartungen nicht erfüllt.

5.8.2018, von Rainer Werner, Berlin

Rainer Werner war Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte in Berlin. Er ist Verfasser des Buches „Auf den Lehrer kommt es an“, siehe Bücherliste. Rainer Werner hält Vorträge zu pädagogischen Themen und berät Schulen bei der inneren Schulreform.

Fast jeder vierte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. Diese ethnische Vielfalt bildet sich in keiner anderen Institution so sichtbar ab wie in der Schule. Kinder aus aller Herren Länder lernen gemeinsam mit deutschen Kindern. Die Vielfalt der Herkunftssprachen ist enorm. Alle Schüler bringen die geistigen und kulturellen Prägungen mit, die sie im Elternhaus und in ihrem sozialen Milieu erworben haben. Heute lautet die Gretchenfrage der Pädagogik: Wie kann man die Vielfalt an Begabungen, sprachlichem Vermögen, sozialem Verhalten und kulturellen Prägungen pädagogisch so handhaben, dass für jedes Kind das optimale Lernergebnis herauskommt. Nicht-Pädagogen, die zum ersten Mal eine quirlige Multi-Kulti-Klasse live erleben, erscheint diese Aufgabe als die Quadratur des Kreises. Sie empfinden die Lehrkraft auf einer „mission impossible“. Doch die Lehrkräfte wissen sich offensichtlich zu helfen. Darum gelingt auch der Unterricht im ganzen Land überwiegend konfliktfrei. Auf einem anderen Blatt steht jedoch die Frage, wie sich der Umgang mit der heterogenen Schülermischung in den Lernergebnissen niederschlägt.

Rot-grüne Bildungspolitiker glauben, das Erfolgsrezept für heterogene Schulklassen gefunden zu haben: im „längeren gemeinsamen Lernen“. Dieses Konzept führt das in der Grundschule praktizierte gemeinsame Lernen bis zur 10. Klasse der Sekundarstufe I fort. Die äußere Fachleistungsdifferenzierung, die Schüler nach ihren Fähigkeiten in Kurse mit unterschiedlichem Anspruchsniveau einordnet, ist dabei verpönt. Die großen Unterschiede im Lernvermögen der Schüler sollen vor allem durch Binnendifferenzierung aufgefangen werden. Die Länder, in denen  CDU/CSU in unterschiedlichen Koalitionen regier(t)en, setzen  eher auf das herkömmliche  dreigliedrige System (Bayern) oder auf ein Zwei-Säulen-Modell (Thüringen, Sachsen), das den  integrierten  Schulformen (Mittelschule, Oberschule) Fachleistungskurse vorschreibt.

Der „Bildungsmonitor“ des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln bewertet regelmäßig die Qualität der Schulen aller Bundesländer und entwickelt daraus eine Rangfolge. Auch die PISA-Studie der OECD erlaubt die Ermittlung der Schulqualität der Bundesländer. In den letzten Jahren hat sich die Rangfolge der Länder relativ verfestigt. An der Spitze liegen Bayern, Sachsen und Thüringen, am Ende Bremen und Berlin. Es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen, wie in diesen Ländern der Unterricht in der Sekundarstufe I gehandhabt wird. Hier werden die Weichen gestellt, ob ein Schüler die Schule mit dem Mittleren Schulabschluss (MSA) oder ohne Abschluss verlässt. Bayern hat seine Spitzenstellung seit Jahren verteidigt, weil es unbeirrt vom Zeitgeist am gegliederten Schulsystem festhält. Das Gymnasium dürfen nur Schüler besuchen, die einen Notendurchschnitt von 2,33 in den Fächern Deutsch, Mathe, Heimat- und Sachunterricht vorweisen können. Anders als in den meisten Bundesländern, wo nur der Elternwille zählt, bietet diese Notenschwelle die Gewähr dafür, dass am Gymnasium eine relativ homogene Leistungskultur vorherrscht. Dass dann die Lernergebnisse gut ausfallen, kann einen Kenner nicht verwundern.

In Thüringen und Sachsen existiert ein Zweisäulen-Modell. Neben dem Gymnasium gibt es die „Oberschule“ (Sachsen) bzw. „Regelschule“ plus Gesamtschule (Thüringen). Die beiden integrierten Schulformen „Oberschule“ und „Regelschule“ bieten zwei Bildungsgänge an, die zum Haupt- oder Realschulabschluss führen. Da die beiden Schulformen keinen gymnasialen Zug haben, ist die Schülerschaft relativ homogen. Die Gesamtschule, die es in Thüringen zusätzlich gibt, kann den Spagat zwischen Kindern mit Hauptschul- und Gymnasialempfehlung nur meistern, indem sie die Schüler, wie es an dieser Schulform seit jeher üblich ist, in Fachleistungskursen unterrichtet. Diese klare Trennung von Gymnasium und integrierter Schulform hat mit zu den guten Leistungen der beiden Bundesländer beigetragen.

Anders sieht es in Berlin aus. Neben dem Gymnasium gibt es seit 2010 die Integrierte Sekundarschule. In dieser Schulform sind auch die zahlreichen Berliner Gesamtschulen aufgegangen. Da gerade in Berlin die Heterogenität der Schülerschaft enorm ist, muss der Unterricht differenziert werden. Diese Differenzierung kann unterschiedlich realisiert werden: durch die Einrichtung von Kursen auf verschiedenen Leistungsstufen oder durch Binnendifferenzierung in gemischten Lerngruppen. Die Berliner Schulverwaltung verzichtet darauf, den Schulen die Differenzierungsmethode vorzuschreiben, die am meisten Erfolg verspricht. Stattdessen heißt es im „Berliner Schulgesetz“: „Über Beginn und Formen der Leistungsdifferenzierung entscheidet jede Schule im Rahmen ihres Schulprogramms. Eine Verpflichtung zur äußeren Fachleistungsdifferenzierung besteht nicht“. (§ 22, 4) Im wichtigen Fach Deutsch dürfen sich die Schulen sogar bis zur 9. Klasse Zeit lassen, bevor sie überhaupt leistungsdifferenziert unterrichten müssen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich Kollegien, denen vor allem die „soziale Gerechtigkeit“ am Herzen liegt, für die Binnendifferenzierung entscheiden, obwohl Erfahrung und Evidenz des Unterrichts ihnen zeigen müssten, dass das Unterrichten in homogenen Lerngruppen besser gelingt.

Warum ist die Fachleistungsdifferenzierung der Binnendifferenzierung überlegen?

In den Klassen des integrierten Systems ist die Spreizung der Lernvoraussetzungen, des Vorwissens und der Lernmotivation, bei den Schülern gewaltig. Sie stellt den Lehrer vor große methodische Herausforderungen. Es ist nämlich keineswegs leicht, jeden Lernstoff so aufzubereiten, dass er allen Lernniveaus gerecht wird. Binnendifferenzierung gehört zu den schwierigsten Handwerkstechniken eines Lehrers. Und es ist ein zeitlich aufwendiges Verfahren, jedes Unterrichtsmaterial in drei Niveaustufen aufzubereiten. Viele Lehrer begnügen sich deshalb damit, Unterrichtsangebot und Schwierigkeitsgrad auf das mittlere Niveau in der Klasse abzustellen, also auf die Schüler, die die Mehrheit bilden. Die besonders leistungsstarken Schüler bekommen dann nur ungenügende Lernanreize, die leistungsschwachen erhalten nicht die Förderung, derer sie bedürfen. Dies ist leider der pädagogische Alltag an vielen Sekundarschulen.

Gruppenunterricht mit verschiedenen Anforderungsniveaus ist nur ein schwacher Notbehelf. Die Kluft im Leistungsvermögen der Schüler bleibt ja bestehen. Sie wird spätestens dann wieder offen zutage treten, wenn es gilt, die in den Gruppen gewonnenen Lernergebnisse im anschließenden Klassengespräch zusammenzuführen. Mit den unterschiedlichen Lernniveaus so umzugehen, dass alle Schüler einen Lernzuwachs erfahren, erfordert ein hohes Geschick in der Gesprächsführung. Weil dies in heterogenen Gruppen so schwierig ist, begnügen sich viele Lehrer mit der Erarbeitung des Lernmaterials in den Arbeitsgruppen. Sie hoffen, dass das Erarbeitete auch ohne Vertiefung durch die abschließende Diskussion „hängen bleibt“. Das Prinzip Hoffnung ersetzt eine wirkungsvolle Unterrichtstechnik. Das, was für einen guten Unterricht unverzichtbar ist, das gemeinsame Gespräch über die Stoffinhalte, bleibt auf der Strecke.

Es könnte so einfach sein, wenn Bildungspolitiker ihre Parteitagsmanifeste und Gesellschaftsutopien beiseiteließen und ausschließlich das Wohl der Schüler im Auge hätten. Was ist für sie das beste Lernprinzip? In welchen Lerngruppen fühlen sie sich am wohlsten? Ich habe an der Gesamtschule erlebt, wie entspannt man in den homogenen Lerngruppen unterrichten kann, die durch äußere Leistungsdifferenzierung zustande kommen. Ich habe zugleich erfahren, wie wohl sich die Schüler inmitten gleich leistungsstarker Schüler fühlen. Gerne habe ich auch in den Kursen unterrichtet, die von den besonders schwachen Schülern gebildet werden. Wenn man sich auf ihr Verständnisniveau und auf ihre Mentalität einlässt und wenn man ihnen jede mögliche Unterstützung zuteilwerden lässt, werden die Erfolge nicht ausbleiben. In diesen Lerngruppen hatte ich nie das Gefühl, gegen die „soziale Gerechtigkeit“ zu verstoßen, weil ich sie alleine, also „selektiv“, unterrichtete. Im Gegenteil: Die Schüler waren entspannt, weil sie nicht mit den „Überfliegern“ zusammen waren, deren Geistesblitze sie allzu oft als Demütigung empfanden. Und sie wussten es zu schätzen, dass der Lehrer auch ihren Ehrgeiz herausforderte. Manchmal ist soziale Gerechtigkeit dort finden, wo man sie gar nicht vermutet.

2008 startete die Kultusministerkonferenz die Kampagne „Aufstieg durch Bildung – Die Qualifizierungsoffensive für Deutschland“. Darin werden die Bundesländer aufgefordert, in ihren Schulen Voraussetzungen zu schaffen, jedem Kind in Deutschland einen Schulabschluss zu ermöglichen. Von diesem Ziel hat sich unser Land in den letzten Jahren immer weiter entfernt. 2015 betrug die Zahl der Schüler ohne Schulabschluss 5,9 Prozent gegenüber 5,7 Prozent (2014) und 5,6 Prozent (2013). Solange die Qualitätsoffensive der KMK die Unterrichtsmethoden in den schlecht abschneidenden Bundesländern nicht in den Blick nimmt, wird sich daran wenig ändern.

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des Autors. Zum Artikel und seiner Website:  https://guteschuleblog.wordpress.com/2018/08/05/entzaubert/

Eine ganze Kleinstadt ohne Schulabschluss

Deutschlandweit summiert sich das Scheitern an der Schule zu rund 47.000 Jugendlichen. Jährlich. Anders gesagt: Das Land leistet sich in jedem Jahr die Einwohnerschaft einer kompletten Kleinstadt, die allenfalls zu Aushilfsjobs in der Lage ist. (Aus: Tagesspiegel, 13.05.2017, Werner van Bebber, Eine ganze Kleinstadt ohne Schulabschluss)

Berliner Quote der Schulabbrecher:  Jeder Zehnte verlässt die Sekundarschule ohne Abschluss – fast doppelt so viele Schüler wie im Bundesdurchschnitt.

„Der Zustand der Berliner Bildungspolitik belastet zunehmend das Fundament der Gesellschaft“

Viel Aufwand, wenig Ertrag: Das Ergebnis der Berliner Bildungspolitik ist verheerend

Tagesspiegel, 25.06.2018, ein Kommentar von Gerd Nowakowski, leitender Redakteur beim TSP
Hervorhebungen im Fettdruck und zusätzliche Beiträge im Einzug durch Schulforum-Berlin.

Was passiert, wenn zwei von drei Bewerbern beim obligatorischen Deutsch-Diktat eine glatte Sechs erzielen? Klar doch – man schafft das Diktat ab. Absurd? Nicht in Berlin. An der Polizeiakademie hat man 2016 genau so entschieden.

Dazu der Sonderermittler, Josef Strobl im Tagesspiegel vom 26.06.2018: An der Akademie sei das Diktat bei der Einstellung nicht gestrichen worden, um die Anforderungen zu senken, sondern weil schlicht kein Lehrer für die Korrektur verfügbar war.

Seitdem müssen künftige Polizeibeamte nur einen Lücken- und Multiple-Choice-Test machen. Deutsch – nicht so wichtig. Kann man sich vorstellen, wie belastbar die Berichte jener Beamten sind, wenn es um eine gerichtliche Aufklärung einer Straftat geht?

Den jungen Menschen, die einen Job [nicht nur] bei der Polizei wollen, kann man kaum einen Vorwurf machen. Denn alle Bewerber sind zehn Jahre lang zur Schule gegangen und haben einen Mittleren Schulabschluss. Das Diktat-Debakel ist deshalb das sichtbare Ergebnis einer Schulmisere, die von den politisch Verantwortlichen geleugnet oder schöngeredet wird. Auch die Wirtschaft beklagt, dass Betriebe den Auszubildenden immer häufiger schulische Grundfertigkeiten beibringen müssen.

Wer sich vor Augen führt, dass die Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss schon so angesetzt sind, dass sie etwa von der Hälfte der Schüler erreicht werden können, muss sich über die Klagen von Handwerk, Industrie und Universitäten über Bildungsdefizite nicht wundern. Eigentlich müsste die Messlatte höher gelegt werden, doch dann wird sie von weit mehr als der Hälfte verfehlt. Aus: FAZ vom 28.10.2016, Heike Schmoll, Jugendliche Klassengesellschaft

Berlins Senat rühmt sich großer Anstrengungen, um die Bildungschancen aller Kinder zu verbessern – vom kostenlosen Kita-Besuch über Förderklassen bis zur 2010 durchgesetzten Abschaffung der zum Bildungsghetto für benachteiligte Familien verkommenen Hauptschulen.

Die Ausgaben für den Bildungsbereich sind enorm gestiegen, die Ergebnisse verschlechtern sich. Nur 62 Prozent aller Zehntklässler der Sekundarschulen haben im Schuljahr 2016/17 den Mittleren Schulabschluss geschafft – drei Prozent weniger als im Jahr zuvor. Dafür steigt die Quote der Schulabbrecher: Jeder Zehnte verlässt die Sekundarschule ohne Abschluss – doppelt so viele Schüler wie im Bundesdurchschnitt. Die Ergebnisse von Jugendlichen aus Migrantenfamilien haben sich sogar noch weiter verschlechtert: Von ihnen erreichen 16 Prozent keinen Schulabschluss – vier Prozentpunkte mehr als noch 2012.

Die Arbeitslosenquote bei den Berliner Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren liegt in Berlin bei 15 Prozent (im Bund nur bei 3,6 Prozent). Von 28000 Schulabgängern treten jeden Sommer nur zehn Prozent eine Ausbildung an, während rund 3000 „völlig vom Radar verschwinden“. TSP, 22.06.2018, Weckruf an den Senat

Nach dem „Bildungsmonitor 2017“ des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ in Köln belegen sechs Bundesländer bei der Schulqualität die letzten Plätze, die von rot-grünen Regierungen geführt werden. Berlin hat seit Jahren die rote Laterne inne. Interessant ist dabei auch ein Städtevergleich. Während das Schulsystem der Hauptstadt den letzten Platz belegt, schneiden Großstädte wie Frankfurt /M., Stuttgart und München relativ gut ab. Der hohe Anteil an Kindern mit Migrationsgeschichte in Berlin kann nicht die Ursache für das schlechte Abschneiden sein, wie die Berliner Verantwortlichen gerne behaupten. Der Ausländeranteil in den drei anderen genannten Großstädten ist nämlich höher als der in Berlin. Es muss also an der Pädagogik liegen, die in sozialdemokratisch regierten Ländern den Schulen verordnet wird. Rainer Werner, Für eine gute Schule, Gymnasiallehrer und Buchautor

Da läuft was schief in einem Senatsressort, das seit 23 Jahren von der SPD geführt wird. Viele Reformen – etliche überhastet und unterfinanziert umgesetzt – haben sich möglicherweise nicht bewährt. Ist die Berliner Bildungspolitik überhaupt noch auf einem erfolgversprechenden Weg? Auch der am vergangenen Freitag vorgelegte nationale Bildungsbericht muss in Berlin zu denken geben. Darin wird etwa festgestellt, dass das Ende der Hauptschule den sozial Benachteiligten nicht viel gebracht hat, außer, dass die leistungsschwachen Schüler nun auf Schulen gehen, an deren Tor „Sekundarschule“ steht. [Berliner Schulstrukturreform, vom mehrgliedrigen zum zweigliedrigen Schulsystem, Integrierte Sekundarschule (ISS) und Gymnasium]

Bei der Schulstrukturreform konnte keine der intendierten Veränderungen festgestellt werden, im Gegenteil: Das Muster der vorherigen Schulformgliederung in der Zusammensetzung der Schülerschaft mit ihrer Herkunft und mit ihren Leistungsvoraussetzungen ist auch an den ISS weiterhin klar zu erkennen, die soziale und ethnische Entmischung konnte also nicht verringert werden. (S. 474) Auch blieben die Motivation und das schulische Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler weitgehend unverändert. (S. 480) „Kompetenzarmut“ ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen des Berliner Schulsystems. (S. 483) Aus: „Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie“. Siehe auch Ergebnisse der im Mai 2017 erschienene Studie von Marcel Helbig (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und Rita Nikolai (Humboldt-Universität). Sie untersuchten erstmals, wie sich die soziale Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler an den Berliner Sekundarschulen im Zuge der Schulstrukturreform von 2010/11 verändert hat und welche Schulstrukturmerkmale soziale Ungleichheiten beeinflussen.

Die Befunde bestätigten die These, dass die Schulstruktur auf das Verändern des Leistungsniveaus von Schülerinnen und Schülern nur eine nachrangige Bedeutung hat, jedoch „lernprozessnähere Aspekte wie die Unterrichtsqualität“ ausschlaggebend sind. („Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie“, S. 498.) [vgl. John Hattie: Lernen sichtbar machen (2013) und Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen (2014)]

Auch beim in Berlin intensiv vorangetriebenen Ganztagsunterricht hat der Bildungsbericht keine Wirksamkeit beim Abbau von sozialen Unterschieden und keine Verbesserung der Leistungen festgestellt. […]

Die Schulstrukturreform könne (bisher) noch keinen verbesserten – fördernden und fordernden – Unterricht und ebenso wenig die optimale Gestaltung und Nutzung des Ganztagsbetriebs garantieren. („Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie“, S. 498).

In der Öffentlichkeit wird meist gesprochen über Strukturfragen: Ganztagsschule, Inklusion, Differenzierung nach der vierten Klasse oder später. Daran arbeiten sich die Bildungspolitiker seit 50 Jahren ab. Bei all diesen Strukturfragen gerät aus dem Blick, dass es letztlich auf die Unterrichtsqualität ankommt, also auf das, was Lehrerinnen und Lehrer im Klassenzimmer wirklich machen. (…) Aus: FAZ, 22.05.2015, „Schlechter Unterricht führt dazu, dass alle gleicher werden“, Interview mit Prof. Andreas Gold. Seine Arbeitsgebiete sind die Lehr-Lern-Forschung und die Erforschung der Wirksamkeit pädagogischer Interventionen, Goethe-Universität in Frankfurt.

Die Hoffnung, durch die Ganztagsschule auch die sozial bedingten Unterschiede im Bildungserfolg ausgleichen zu können, ist also Utopie?
Angesichts der Realität von Ganztagsschulen ist es nicht utopisch, sondern blauäugig oder gar eine Täuschung der Öffentlichkeit. Das ginge nur in Ganztagsschulen, in denen auch ganztags gelernt wird, auch mit speziellen Förderprogrammen, reich differenziert. Betreuung allein kompensiert nicht. […] Aus: FAZ, 28.12.2017, Bildungswelten, Heike Schmoll im Interview mit Prof. Tenorth, Humboldt-Universität zu Berlin, Es werden inkompetente Lehrer erzeugt.

Eigentlich müssten die Eltern geschlossen auf die Barrikaden gehen.

Fachbrief Grundschule – Grundlagen des Schriftspracherwerbs – Das „Experimentieren“ geht weiter!

Das A und O beim Lesen- und Schreibenlernen – „Schreiben nach Gehör“?

Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will am anfänglichen „Schreiben nach Gehör“ festhalten. Sie sieht keinen Widerspruch zwischen einer Unterweisung in korrekter Rechtschreibung und den Berliner Regeln im Anfangsunterricht. Im Vorwort des Fachbriefes schreibt sie, dass in weiten Kreisen der Fachdidaktik Konsens [!] bestehe,  „dass Kinder von Anfang an mit dem selbstständigen Schreiben von Wörtern und Sätzen experimentieren sollen. Dadurch gelingt es ihnen, auf individuellem Niveau Wege in die Schrift zu nehmen, die kommunikative Funktion von Schrift zu erfahren und Lese- und Schreibmotivation aufzubauen“.

Sie weist darauf hin, dass entsprechend den „Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich“ (Kultusministerkonferenz 2004) […] Schülerinnen und Schüler am Ende von Jahrgangsstufe 4 unter anderem „geübte, rechtschreibwichtige Wörter normgerecht schreiben“ bzw. „Rechtschreibstrategien verwenden: Mitsprechen, Ableiten, Einprägen“. [Ergebnisse weiter unten im Text]

Für ihr Festhalten an „Schreiben nach Gehör“ nimmt die Bildungssenatorin Prof. i. R. Dr. Jörg Ramseger zu Hilfe. Er schreibt im Geleit des Fachbriefes: „Viele der [im Fachbrief] ausgeführten Beispiele und Erläuterungen möchte man auch der Presse und manchen ängstlichen Eltern ans Herz legen, die, aufgescheucht durch manche dramatisch präsentierte Schulleistungsstudie, den Untergang des Abendlandes befürchten, wenn ein Kind auf der ersten Stufe eigener Schreibversuche in Skelettschreibung „Hnt“ statt „Hund“ schreibt, und auch noch befürchten, das arme Kind würde sich diese Fehlschreibung für immer einprägen, wenn sie nicht sofort wegradiert würde. Alles Unsinn, wenn man sich etwas in der Materie auskennt!“

Im Tagesspiegel vom 31.05.2018, Scheeres will „Schreiben nach Gehör“ beibehalten, ist zu Jörg Ramseger nachzulesen: „Wenn man einem Kind das anfängliche „Schreiben nach Gehör“ verbieten wolle, sei das ungefähr so, als würde man einem kleinen Kind untersagen, sich zu Beginn des Laufenlernens an Möbelstücken festzuhalten.“

Der Vorstand des Grundschulverbandes, darunter die Professoren Jörg Ramseger, Erika Brinkmann und Hans Brügelmann, wehrt sich gegen „populäre Vorurteile“ gegen die Grundschulen – und eine darauf bauende reaktionäre Bildungspolitik. Von „fragwürdigem Dilettantismus und Schaufensterpolitik“ ist in der soeben erschienenen Broschüre „Faktencheck“ die Rede.

In der Berliner Morgenpost vom 2.5.2018, berichtet Susanne Leinemann dazu folgendes: „Aber halt, wie steht es denn mit den Fakten [des Grundschulverbandes]? Auch da lässt einen die Broschüre eher ratlos zurück. „Testergebnisse sind interpretationsbedürftig“ – so wie Pisa oder Vera –, einige Studien sind „wenig aussagekräftig“, besonders wenn die Befunde „widersprüchlich“ sind (also nicht im Sinne des Grundschulverbands), „harte Zahlen sprechen nicht für sich“ und das mit den „Allgemeinurteilen“ sei eh schwierig. Ist ja alles, bitte nicht vergessen, sehr individuell. Anfangs heißt es etwas vorwurfsvoll an die reformmüden Gegner, die keine Lust mehr haben, dass an den Kindern ständig neue Experimente durchgeführt werden: „Forschung wird selektiv wahrgenommen oder gar instrumentalisiert, indem man einzelne Studien herauspickt, deren Ergebnisse in das eigene Argumentationsmuster passen.“ Es wäre schön gewesen, der Grundschulverband hätte diesen Vorwurf ernster genommen und sich auch an die eigene Nase gefasst.“

Wenn politische und ideologische Vorstellungen auf Wirklichkeit treffen:

Rainer Werner, Lehrer für Deutsch und Geschichte, Autor, Berlin: „Beim Vera-3-Test [Bundesweite Vergleichsarbeiten im 3. Schuljahr] im Schuljahr 2014/2015 waren die Ergebnisse für die Berliner Grundschüler verheerend. Die Hälfte der Drittklässler erfüllte nicht die Mindestanforderungen an die Rechtschreibung, wie sie die Kultusministerkonferenz (KMK) festgelegt hatte. Sie können, wie es im Kommentar des Instituts für Schulqualität (ISQ) hieß, gerade einmal „lautgetreu“ schreiben. Schüler bringen Wörter also so zu Papier, wie sie diese hören, nicht aber, wie sie korrekt geschrieben werden.“ Aus: FAZ, Bildungswelten, 06.04.2017, Rainer Werner, Sollten Schüler erst einmal so schreiben, wie sie wollen? – Nein!  Zum Artikel und der web-Seite: Für eine gute Schule

Im Tagesspiegel schrieb am 11.09.2016, Harald Martenstein eine Glosse zu diesem Thema: „Es gibt seit Jahren einen bundesweiten Schultest namens „Vera“. Berlin schneidet meist desaströs ab. Zuletzt wurde festgestellt, dass etwa die Hälfte der Berliner Drittklässler im Grunde weder lesen noch schreiben kann. Einige wissen immerhin, dass es so etwas wie „Schrift“ gibt. Vor ein paar Tagen kam dank „Tagesspiegel“ heraus, dass die Schulverwaltung die neuen Ergebnisse einfach nicht veröffentlichen wollte, vermutlich, um in der Bevölkerung keine Ängste zu schüren. Das kam nicht gut an, sie mussten den Geheimhaltungsplan aufgeben. Es reicht, wenn die Ergebnisse erst nach der Wahl bekannt werden.
Wenn es dir nicht mal mehr gelingt, etwas zu vertuschen, hast du als Regierender wirklich ein Problem. (…)“

„Vor diesem Hintergrund verdient eine Längsschnittstudie Aufmerksamkeit, in der die Schreibfähigkeit von Viertklässlern untersucht wurde. Wolfgang Steinig, Germanistikprofessor aus Siegen, hat dort in mehreren Zyklen erhoben, wie sich die Fähigkeiten der Grundschülerinnen und Grundschüler in Sachen Zeichensetzung, Grammatik, Textgestaltung und Wortschatz über Jahrzehnte hinweg verändert haben. Dabei kam heraus, dass sich die Zahl der Rechtschreibverstöße, der Flexions- und der Satzbaufehler von der ersten Messung im Jahr 1972 bis zur dritten Messung im Jahr 2012 deutlich erhöht hat. Machten die Schülerinnen und Schüler in den 70er Jahren etwa sieben Rechtschreibfehler pro 100 Wortformen, waren es 2002 rund zwölf und im Jahr 2012 bereits 17 Fehler. […] Einen Grund für die Veränderungen in der Fehlerart sieht der Professor in methodischen Umwälzungen im Anfangsunterricht der Grundschule. Während vor den 70er Jahren die geschriebene und die gesprochene Sprache möglichst von Beginn an mit der korrekten Schreibweise verbunden gelehrt wurden, wird das Schreiben in vielen Bundesländern mittlerweile nach Gehör mithilfe von Anlauttabellen unterrichtet. Die Fehlertoleranz ist enorm hoch.“  Aus: BILDUNGBEWEGT, NR. 27, 3/2015, Sabine Stahl, „von Raichtuum und Amuut“ – Im Dilemma zwischen Wortschatz und Wortwahl, Schreiben und Tippen, Pflicht und Kür.

Agi Schründer-Lenzen, Professorin für Allgemeine Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Potsdam: Wenn also nach der „Lesen durch Schreiben“-Methode [umgangssprachlich „Schreiben nach Gehör“] mit der Anlauttabelle unterrichtet wird, „dann ist es so, dass die Kinder einen Weg in die Schriftsprache gewiesen bekommen, der grundsätzlich einseitig und auch fehlerhaft ist. Man sollte ihnen vom ersten Tag an das anbieten, was richtig ist“.

Damit scheint sie dem 8-jährigen Jan aus der Seele zu sprechen.  „Also ich würde sagen, dass man schon anfängt, die Fehler zu korrigieren in der Ersten, weil sonst hat man sich da dran gewöhnt zum Beispiel Blatt hinten nur mit einem t zu schreiben. Da kommt auf einmal jemand in der Zwei und sagt, das ist falsch, und das ist falsch. Da kriegt man irgendwie so ein ganz trauriges Gefühl.“  Aus: Deutschlandfunk, 28.08.2014, Aus Kultur- und Sozialwissenschaften, Streit um die richtige Methode.

Prof. Tenorth, Historiker und Bildungsforscher, Humboldt-Universität zu Berlin im Interview mit Heike Schmoll, FAZ:
Heike Schmoll: Was müsste man tun, um das Dilemma zu lösen, dass es Grundschulen offenbar nicht gelingt, die kulturellen Basiskompetenzen so zu vermitteln, dass weiterführende Schulen darauf aufbauen können?
Prof. Tenorth: […] Die Grundschule garantiert die basale Grundbildung nicht, weder im Lesen, Schreiben und der Orthographie, noch für mathematische Basaloperationen oder naturwissenschaftliche Grundeinsichten im Sachunterricht. Wie kann ein Land, eine Schule, eine professionelle Lehrerschaft damit zufrieden sein oder mit dem Befund, dass sie im besten Fall zehn Prozent in den oberen Leistungsstufen hat?
Hier in Berlin könnte man bei der [Schul-]Verwaltung zuweilen den Eindruck haben, dass man Leistung gar nicht will.
In der Tat gibt es in der Grundschulpädagogik auch die Auffassung, dass man in der Primarstufe nicht leistungsdifferent arbeiten darf, weil das Enttäuschungen bereitet, die Kinder verletzt und ihre Zukunft verbaut – eine Kritik, die ich für aberwitzig halte. Es gibt aber immer noch die Befürworter des Schreibens nach Gehör, die Gegner der Leistungsbewertung und bei allen Bundesländern die Angst, wegen zu strenger Standards schlecht dazustehen. Iglu- und Pisa-Pressekonferenzen sind wohlgeplante Inszenierungen, weil die beteiligten Politiker wochenlang daran gearbeitet haben, nicht über das reden zu müssen, was sie schlecht aussehen lässt. Diese Strategie ist bei allen Bildungspolitikern, gleich welcher Couleur, stark ausgeprägt. Länder wie Bayern tragen das relativ gefasst, weil sie auch relativ gute Ergebnisse haben. Doch auch dort wird daran gefeilt, dass nirgendwo ein kritisches Wort steht, das ein Versäumnis der Bildungspolitik anzeigen könnte. […] Stattdessen hat die Politik ein permanentes Interventionsregime errichtet. Die Politik bejubelt sogar, dass nur noch sechs bis sieben Prozent kein Abschlusszeugnis haben, und ignoriert – gegen die eigenen Kompetenzmessungen –, dass mehr als zwanzig Prozent in der Schule nicht die Kompetenz erwerben, am gesellschaftlichen Leben selbstbestimmt teilzunehmen, und dass etwa 25 Prozent der Ausbildungsverträge nach kurzer Zeit wieder aufgelöst werden, weil elementare Fähigkeiten fehlen. Aus: FAZ, 28.12.2017, Bildungswelten, Heike Schmoll im Interview mit Prof. Tenorth, Historiker und Bildungsforscher, Humboldt-Universität zu Berlin

Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann konstatiert zur Tatsache, dass grundlegende Kulturtechniken nicht mehr beherrscht werden: „Volkskrankheit Analphabetismus“! Er sieht darin „den Skandal der modernen Zivilisation schlechthin“. Schreiben nach Gehör sowie das Ansinnen, Texte immer weiter zu vereinfachen, um die Lesefähigkeit zu verbessern oder auch die Vereinfachung der Schrift zählen für ihn zu hochproblematischen Methoden und Strategien. […] Die Tatsache, dass der Erwerb von Kulturtechniken nicht jedem leicht fällt, kann daher nicht als Grund herhalten, „das Betrachten von Bildern zu einem Akt des Lesens und das Ankreuzen von Wahlmöglichkeiten zu einem Akt des Schreibens hochzustilisieren“. „Wenn etwas schwerfällt, bieten die Didaktiker Erleichterungen an. Doch wo alle Schwierigkeiten umgangen werden, herrscht eine Praxis der Unbildung“. Damit auch weiterhin in und mit Sprache gedacht, argumentiert, artikuliert oder abgewogen und fein nuanciert wird, solle lieber alles Erdenkliche unternommen werden, damit auch jene mit Schwierigkeiten wirklich Schreiben und Lesen lernen. Aus: Konrad Paul Liessmann (2014), Geisterstunde – Die Praxis der Unbildung, S. 131 – 148. Infos zum Buch siehe Bücherliste. Siehe auch: FAZ, 24.09.2014, Paul Liessmann, Analphabetismus als geheimes Bildungsziel

„Varat“-Fahren – Rechtschreibung in der Grundschule, von Heike Schmoll, Sendung: SWR 2, Aula, Sonntag, 28.08.2016, Redaktion: Ralf Caspary
Auch im kommenden Schuljahr lernen wieder Hunderttausende Erstklässler Lesen durch Schreiben und das heißt, Schreiben nach dem phonetischen Klang der Worte. Der Schreibvielfalt sind je nach dialektaler Färbung wiederum keine Grenzen gesetzt.

[…] Seit einigen Jahren wird getreu nach Jürgen Reichen Schreiben nach dem Hören gelehrt. Kinder sollen also so schreiben, wie sie ein Wort hören. Reichen war ein Schweizer Reformpädagoge. Er war der festen Auffassung, dass Schüler umso besser lernen, je weniger sie belehrt werden. Reichen glaubte daran, dass Kinder sich die Schriftsprache selbst aneignen können, genauso wie sie einst laufen und sprechen lernten. […] Wie Reichen dachte, mag folgender Ausspruch illustrieren: „Dieser gesamte Rechtschreibwahnsinn führt doch zu nichts anderem, als die Schule mit Quark zu beschäftigen. Dadurch halten wir die Kinder davon ab, wirklich denken zu lernen und uns mit der Welt und dem Leben auseinanderzusetzen“, sagte Reichen wörtlich. Auch er hing der Ideologie an, dass Rechtschreibregeln einzig und allein als Herrschaftsinstrument anzusehen seien. […]

Das kreative Schreiben fruchtet wenig, wenn die Anforderungen ohnehin schon auf niedrigstem Niveau sind. Doch alles schien den Reformern wichtiger als Diktate, die völlig aus dem Deutschunterricht verbannt wurden. Ohne Rechtschreibregeln hätte es ja ohnehin nichts zu korrigieren gegeben. Eigentlich sollten die Grundschüler in der dritten Klasse wenigstens annähernd die Rechtschreibung beherrschen, die Korrekturphase sollte in der zweiten Klasse beginnen. Doch das gelingt nicht. Welchen Sinn hat es eigentlich, wenn Kinder Texte produzieren, die weder sie selbst noch andere lesen können? […] Schließlich ist Lesen und Schreiben in erster Linie ein Kommunikationsmittel und keine sinnfreie Fantasieübung. […] Letzten Endes müssen die weiterführenden Schulen darauf vertrauen können, dass die Grundschulen die kulturellen Grundlagen vermitteln, zu denen vor allem verständiges Lesen und Schreiben gehören.

Es hat sich inzwischen eingebürgert, in den Aufsätzen der Grundschule Rechtschreibfehler nicht einmal mehr anzustreichen, geschweige denn zu korrigieren. Unweigerlich sinkt das Niveau dadurch. Zugleich wird der verpflichtende Wortschatz für die Grundschule ständig gesenkt. Sollten Grundschüler vor zehn Jahren noch 1200 Wörter sicher beherrschen, sind es inzwischen nur noch 700 bis 800. Die Sprachverarmung ist deshalb vorprogrammiert, zugleich sind die Mindestanforderungen leichter zu erfüllen. […]

Viele Berliner Schulen reagieren verlegen bis abwehrend, wenn sie nach der Anzahl der Lese-Rechtschreib-Schwachen gefragt werden. Die Zahlen werden auch nicht von der Schulbehörde erhoben – ein Schelm, der dabei Böses denkt. […]

Wie lange eigentlich sollen Deutschlands Schulanfänger systematisch zu Rechtschreibanarchisten erzogen werden? Warum lassen es sich Eltern gefallen, dass ihre Sprösslinge zu Versuchskaninchen einer Methode gemacht werden, deren Unzulänglichkeit nicht mehr zu übersehen ist? Warum setzen sie nicht Schulleiter unter Druck und machen bekannt, an welcher Grundschule ein guter Rechtschreibunterricht stattfindet? 

Seit 1989 arbeitet Heike Schmoll in der Nachrichtenredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zuständig für Schul- und Hochschulpolitik. Verantwortlich für die Seite „Bildungswelten“, seit März 2008 ist sie Korrespondentin in Berlin.

Hervorhebungen im Fettdruck und Beiträge im Einzug durch Schulforum-Berlin.

„Die Heranwachsenden werden des menschlichen Gegenübers beraubt“

Digitalisierung der Schule – Smartphone-Pädagogik

Die Digitalisierung der Schulen wird von übertriebenen Hoffnungen begleitet. Sie ersetzt weder gute Lehrer noch gute Schüler.

Süddeutsche Zeitung, 06. 05. 2018, von Michael Felten

Michael Felten, Jahrgang 1951, ist Pädagoge und Publizist. Er betreibt die Webseite, inklusion-als-problem.de und hat das Buch: „Die Inklusionsfalle“ veröffentlicht (siehe auch nebenstehende Bücherliste).

Die Digitalisierung ist das große Versprechen in den Schulen. Nichts, was sich dadurch nicht bessern soll, so explizite Versprechen wie implizite Hoffnungen: die Leistungen der Schüler, ihre Motivation, vielleicht gar die Bildungsgerechtigkeit.

Nun wird niemand bezweifeln wollen, dass unsere Kinder gerade auch in der Schule mit digitalen Medien kundig wie kritisch umgehen lernen sollen. Aber einmal abgesehen davon, wie zügig die Milliarden dann demnächst tatsächlich fließen und wie schnell Geräte und Software dann doch wieder veralten werden: Steht mit der Digitalisierung wirklich eine Bildungsrevolution ins Haus? Wird man schulisches Lernen in zehn Jahren allen Ernstes nicht mehr wiedererkennen?

Vor Wahrsagerei soll man sich ja hüten – aber eines wird sich wohl kaum ändern: dass es auf die Lehrer ankommt – wie sie den Unterrichtsverlauf strukturieren, welches Lernklima sie entfalten, welche emotionale Qualität ihre Beziehung zu den Schülern hat. Das beginnt schon bei der Motivationskraft, die Lehrpersonen innewohnt. „Der Mensch ist für andere Menschen die Motivationsdroge Nummer eins“, urteilt der Freiburger Psychosomatiker Joachim Bauer. Und nicht das perfekte Arbeitsblatt, ließe sich hinzufügen. Oder das Digitale an sich. Man darf sich nämlich nichts vormachen, Internet und Smartphone sind zwar für Schüler höchst verlockend – aber zunächst nur für ihr lebensweltliches Treiben, nicht für fokussierende Lernprozesse. Der Reiz des Mediums bricht schnell zusammen, wenn es mühsam wird.

Die Zunft der Lehrkräfte ist ja ein wenig zur bedrohten Art geworden – nicht nur, weil es an Nachwuchs mangelt, sondern auch wegen der modischen Selbstlerneuphorie. Eine Zeit lang hatte man ja geglaubt, Schüler wüssten selbst am besten, was gut für ihren Lernfortschritt ist: An welcher Aufgabe sie jetzt gerade arbeiten wollen, auf welchem Weg sie neue Zusammenhänge entdecken können, wie viel Lernzeit sie überhaupt aufwenden möchten. Eigenverantwortlich arbeiten, selbstgesteuert lernen – so die pädagogischen Mantras der jüngeren Vergangenheit.

Gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten brauchen eine direkte und geduldige Lern-Anleitung

Doch dann zeigte sich: Bei selbständiger Arbeit lassen viele Schüler schwerere Aufgaben zu oft links liegen, mit engerer Anleitung hätten sie die vielleicht gelöst. Und beim Stationenlernen, das funktioniert wie das Zirkeltraining im Sport, sind die Jugendlichen zwar bestenfalls ständig beschäftigt, stellen aber ohne Diskussion nur selten gedankliche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Stoffportionen her. Kinder in der Pubertät verlieren bei übertriebener Unterteilung einer Aufgabe die Orientierung, und sogar Oberstufenschüler sind ohne Lehrer schnell überfordert.

Besonders pikant: Die Selbstlerneuphorie geht zu Lasten gerade der schwächeren Schüler. Denn struktur- und beziehungsarmer Unterricht benachteiligt Kinder aus bildungsferneren Schichten in besonderem Maße. In ihrem Herkunftsmilieu gilt Selbstbestimmung eher wenig, weshalb gerade sie eines direkt angeleiteten, aber auch geduldigen und ermutigenden Unterrichts bedürfen. Sonst bleibt ihnen der schulische Aufstieg erschwert bis verwehrt, so eine nach wie vor aktuelle Warnung des Erziehungswissenschaftlers Hermann Giesecke.

Und nicht nur Unterschichtskindern erwachsen Probleme aus voreiliger Eigenverantwortlichkeit. Psychoanalytiker wie Neurobiologen kritisieren am lehrerarmen Lernen etwas Prinzipielles: Dass es die Heranwachsenden des menschlichen Gegenübers beraube, der für sie Spiegelung und Herausforderung zugleich beinhalte. Überhaupt entfällt beim atomisierten Selbstlernen eine eminent wichtige Funktion des Schulischen, das Sozialisierende. Und letztlich ist die viel beschworene Selbständigkeit ja ein halbes Fake: Alles ist doch bereits vorgedacht, herausfordernde Problemstellungen und ungeplante Lösungswege sind kaum vorgesehen.

Die jüngere empirische Bildungsforschung hat denn auch die schulische Selbstlerneuphorie erheblich abgebremst. Die derzeit weltgrößte Datenbasis zu Unterrichtseffekten, die XXL-Metastudie „Visible Learning“ des neuseeländischen Forschers John Hattie, besagt nämlich: Im Vergleich zur durchschnittlichen Lernprogression (Effektstärke 0,4) erzielen gelenkte Unterrichtsverfahren wie direkte Instruktion (0,59) oder Klassendiskussionen (0,82) attraktiv hohe Werte, während Individualisierung (0,21) oder Freiarbeit (0,04) höchst bescheiden abschneiden. Im Schülerslang kommentiert: „Ist ja der Hammer!“

Der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart drückt sich nüchterner aus: Hatties Daten würden den aktiven, dominanten, redenden Lehrer rehabilitieren, der aber auch genau wisse, wann er zurücktreten und schweigen muss. „Die Perspektive auf den Unterricht ist lehrerzentriert. Im Zentrum steht ein Lehrer, für den allerdings seine Schüler im Zentrum stehen.“ Und nicht nur empirische Bildungsforscher, auch moderne Kognitionspsychologen wie Elsbeth Stern sehen den Lehrer keineswegs im Abseits, sondern fordern sein Lenkungshandeln geradezu heraus.

Dieser Befund hat Praktiker nicht wirklich überrascht, manchen Visionär in gehobener Position indes beunruhigt – weshalb die Botschaft viel zu langsam ihre Kreise zieht. Sagen wir’s deshalb noch mal kurz und knackig: Schüler, denen der Lehrer beibringt, wie man Probleme löst, profitieren nach Hattie – salopp gesagt – viermal so stark wie Lernende, die man lediglich mit Problemen konfrontiert, die sie dann in Eigenregie lösen müssen. Interessanterweise beeinflusst es übrigens die Lernwirksamkeit kaum, ob Internet zur Verfügung steht oder nicht.

Nun, die digitale Aufrüstung wird kommen, es sind ja auch außerpädagogische Interessen im Spiel – aber das wird das Anthropologische nicht umkrempeln. Wie beim Lernen mit Kreide und Schiefertafel wird es darauf ankommen, dass Lehrer Personen sind, die das Digitale als sinnvolle Ergänzung des Unterrichts einsetzen, nicht aber als Ersatz für sich selbst. Üben und Anwenden kann dann für Schüler reichhaltiger und individueller werden, Einsichten lassen sich vielfältiger vertiefen, es gibt mehr Möglichkeiten für das oft noch unterentwickelte Feedback. Ein selbstgesteuertes Erarbeiten neuer Zusammenhänge aber wird problematisch bleiben.

Und in einer Hinsicht wird der Lehrer zusätzlich gefragt sein, denn die neuen Medien fordern eine ganz neue Kontrollintensität. Schließlich ist ihr Ablenkungspotenzial kaum zu bändigen, lassen sie die Heranwachsenden doch ständig vom Lernen ins Private abgleiten, zu ihren Spielen, Chats, Videos. Die sind nämlich allemal interessanter als Formeln oder Farbkontraste.

zum Artikel:  http://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-smartphone-paedagogik-1.3969119

Mehr Infos auf den web-Seiten des Autors:
http://www.eltern-lehrer-fragen.de/
http://initiative-unterrichtsqualitaet.de/


Kernaussagen von vier Studien zum Thema „Digitalisierung in der Schule“

Die Studie „Bring Your Own Device“ der Universität Hamburg, November 2016, kommt zu dem Ergebnis, dass die Nutzung mobiler IT-Geräte im Unterricht weder zu einer messbar höheren Leistungsmotivation, noch zu einer stärkeren Identifikation mit der Schule führt. (S. 42f) Auch eine höhere Informationskompetenz wurde nicht erreicht. (S. 92) Die Analyse der gewonnen Daten macht deutlich, dass mobile Endgeräte ein hohes Ablenkungspotenzial im Unterricht haben. (S. 80, 98) Auch gab es keine Hinweise, „dass die Schülerinnen und Schüler durch die Nutzung der Smartphones und anderer persönlicher Endgeräte innerhalb des Untersuchungszeitraums signifikant höhere Kompetenzniveaus erreichen konnten.“ (S. 109)
Eine Befragung der Teilnehmer ergab: „dass sich die Schülerinnen und Schüler wünschen, dass digitale Medien als eine mögliche Alternative zu konventionellen Lernmethoden gesehen werden, diese aber nicht ersetzen [sollen].“ (S. 104) Die Schülerinnen und Schüler präferieren den gemeinschaftlichen Klassenunterricht und sehen die digitale Technik nur als Ergänzung.

Gutachten des „Aktionsrat Bildung“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, „Bildung 2030 – Veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik“, Mai 2017.
Kernbotschaften:
– die Schule müsse digitaler werden
– am Nutzen der Digitaltechnik [Digitalisierung der Schule] bestehe kein Zweifel.
In der ersten Fassung des Gutachtens, das auch in den Medien verbreitet wurde, war zu lesen, dass „Grundschüler in Deutschland, in deren Unterricht mindestens einmal wöchentlich Computer eingesetzt wurden, in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften statistisch signifikant höhere Kompetenzen aufweisen als jene Grundschulkinder, die seltener als einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzen“. Der Deutsche Lehrerverband machte bereits am 22.05.2017 auf die Falschmeldung aufmerksam.

In der darauf korrigierten Fassung heißt es: … niedrigere Kompetenzen … [aus: Bildung 2030 – veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik, S. 78, aktualisierte Version]

Äußerung einer Sprecherin zu der Falschmeldung: Das ändere aber nichts an den Herausforderungen für die Bildungswelt, die das Gutachten beschreibe.[!]
Anmerkung dazu von Prof. Lankau (Hochschule Offenburg, Fakultät Medien und Informationswesen):  „Das heißt auf gut deutsch: Was immer Studien ergeben, die Digitalisierung von Schule und Unterricht bleibt das Ziel der Wirtschaftsverbände und der ihnen zuarbeitenden Wissenschaftler.“

Die Metastudie „Digitale Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe“ wurde im Auftrag der KMK durchgeführt, Dezember 2017.

Die Leiterin der Studie, Frau Professorin Kristina Reiss, TU München, äußert sich zu den Ergebnissen: „Digitale Medien sollten im Unterricht mit Augenmaß eingebaut werden. Es würde über das Ziel hinaus schießen, bewährte analoge Formate zu verbannen. Außerdem sehen wir, dass auch sehr gut gemachte Lernprogramme nicht die Lehrerinnen und Lehrer ersetzen können.“ [siehe dazu auch: Stellungnahme zu dieser Studie von Prof. Ralf Lankau, Nebelkerzen statt Aufklärung, 29.01.2018]

In der Studie – „Erfolgsfaktoren Resilienz“, der OECD und Vodafone Stiftung, veröffentlicht im Januar 2018, wird als ein zentrales Ergebnis die Bedeutung eines positiven Schul-, Unterrichts- und Lernklimas für Resilienz festgehalten. (S. 8)

Hervorgehoben wird eine „wertschätzende und offene Kommunikation“ aller an Schule Beteiligten, eine „vertrauensvolle Beziehung“ sowie eine „niedrige Lehrerfluktuation“. (S. 2)

Die Verfasser führen weiter aus: „eine bessere Ausstattung in der Schule hilft, aber nur, wenn sie den Lernprozess effektiv verbessert und das Gemeinschaftsgefühl stärkt.“ Außerdem wird festgestellt, dass eine bessere Ausstattung mit Computern gerade bei sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern nicht mit besseren Leistungen einhergeht. (S. 7)

aus:  Schulforum-Berlin: https://schulforum-berlin.de/risiken-und-chancen-des-einsatzes-digitaler-medien-in-der-schule/