Schlagwort-Archiv: Lernerfolg

Kinder sind keine Objekt-Roboter

Ein Berliner Lehrer klagt: In Diskussionen über den Schulunterricht kommt der Aspekt des Sozialen Lernens zu kurz

Berliner Zeitung, 7.11.2025, Markus Vollack, Open Source Beitrag.

Seit einigen Jahren wird die digitale Schule beschworen, gefordert und gefördert. Schulklassen sollen mit Laptops, Tablets, Smartphones und interaktiven Smartboards ausgestattet werden. Ferner sollen digitale Plattformen, Webkommunikationswege sowie Videoplattformen den Weg zur digitalen Schule (auch via Homeschooling) ebnen. Die Kritik lautet stets, dass es einen großen Mangel an der Umsetzung und Ausstattung geben würde.[1] Ob und inwiefern digitale Lernmaterialien überhaupt pädagogisch sinnvoll sind oder ob sie nicht auch schädlich für die kindliche Entwicklung sein können, interessiert dagegen kaum.

Ein Aspekt kommt hierbei regelmäßig zu kurz und wird quasi nie thematisiert: das Soziale Lernen. Davon auszugehen, dass Kinder Objekt-Roboter seien, die man via digitaler Schul-Lernfabrik nur mit Daten[2] füttern müsse, ignoriert alle pädagogischen, psychologischen, lerntheoretischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen 30 Jahre. Denn Kinder lernen fast ausschließlich in der sozialen und primär analogen Interaktion mit ihren Mitmenschen.

Probleme im Alltag

Ich kann aus meinem Schulalltag berichten, dass es immer mehr Kinder gibt, die weniger kognitive als viel mehr sozial-emotionale Schwierigkeiten im Alltag haben. Hier hilft den Kindern auch kein Laptop oder ein Tablet weiter. Sie benötigen zwingend die Interaktion mit anderen Kindern und die empathische Begleitung von pädagogischem Fachpersonal.

Kinder, die beispielsweise häufig in Konflikte involviert sind, eine geringe Frustrationstoleranz haben, bei denen die Selbst- und Fremdwahrnehmung schwach ausgeprägt ist, die Schwierigkeiten haben, sozial anzuknüpfen oder Freunde zu finden, sowie wenig selbständig-lösungsorientiert handeln können, brauchen unbedingt einen geschützten Freiraum, wo sie entsprechende Fähig- und Fertigkeiten mit anderen Kindern (er-)lernen können. Aber auch Kinder, die selbstbewusst und selbstwirksam sind, brauchen zwingend andere Kinder, um sich altersgerecht entwickeln zu können.

Werte und Normen wie Fairness, Rücksichtnahme, Verständnis, Empathie, Gerechtigkeit, gewaltfreie Kommunikation oder Gemeinschaftsgefühl lernen Kinder nicht durch eine Schulcloud oder eine Zoom-Videokonferenz.[3] Sie entdecken ihre körperlichen und emotionalen Grenzen und Fähigkeiten nur in der analogen Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen.

Wie bitte sollen Kinder und Jugendliche Konfliktlösungsstrategien mit digitalen Technologien erlernen? Wie sollen sie sich hier selbst sowie andere Kinder spüren? Mit all ihren Gerüchen, Berührungen, der Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme, die für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen so unglaublich wichtig sind? Wie lernen Kinder, ihre Ängste zu überwinden und selbstbewusster zu werden, wenn sie vor einem Smartphone oder einem Smartboard sitzen?

Digitalpakt. Bildungsstandort Deutschland. Digitaler Wandel. Homeschooling. Medienkompetenz. Bei all dem geht es – wie so oft – nicht um die Bedürfnisse und Interessen der Kinder.[4] Denn sie werden nicht gefragt. Stattdessen definieren die Kultusministerien die gewünschten Bildungsziele und die Digital-Firmen verdienen Millionen an der digitalen Aufrüstung der Schulen.[5]

Geld erbetteln

Fragt man nämlich die Kinder (oder die Eltern), wünschen sie sich meist saubere Toiletten, einen schöneren Garten oder einen besser ausgestatteten Schulhof. Dafür ist dann aber komischerweise selten Geld da. Stattdessen müssen Fördervereine gegründet und das Geld regelrecht eingebettelt werden, damit man sich wenigstens am Tag der offenen Tür nicht in Grund und Boden schämen muss.

Natürlich ist Lernen zunächst ein individueller Prozess. Soziales Lernen ist jedoch Training und Förderung der sozialen Kompetenz in der Gruppe.[6] Und gerade die Aushandlung eines Kompromisses zwischen eigenen Bedürfnissen und nicht eigenen Bedürfnissen ist beispielsweise für Grundschüler ein elementar wichtiger Bestandteil ihres kindlichen Entwicklungsprozesses.

Das Erleben und Erfahren der emotionalen Selbstwirksamkeit, die Teilhabe an der Gruppe, das Einfühlen in andere Kinder (Empathie), die Stärkung der eigenen Resilienz und Frustrationstoleranz, ein ausgeprägtes Regelverständnis, die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes sowie gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien – das alles sind weitere wichtige Lernprozesse des Sozialen Lernens. Das alles lernen Kinder nicht mit oder über digitale Technologien, sondern nur in der Interaktion mit anderen Menschen.

Berliner Zeitung (2.12.2025)

Markus Vollack ist Politologe und Pädagoge. Seit rund zehn Jahren arbeitet er an einer Berliner Grundschule.


Der Einsatz der Fußnoten und die darin enthaltenen Hinweise und Ergänzungen sind nicht vom Autor Markus Vollack! Sie wurden von Schulforum-Berlin als Hintergrundinformation eingefügt und sollen die Aussagen des Autors unterstützen.


[1] Der Schulleiter einer digitalen Vorreiterschule in Gütersloh, Martin Fugmann, der auch geschäftsführender Vorstand der Heraeus-Bildungsstiftung und diese Mitglied im „Forum Bildung Digitalisierung“ ist, führt in einem Interview aus: Die Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung „lernen, wie man Unterricht mit digitalen Werkzeugen gestaltet, wie man Kollaboration anbahnt, wie man Lernplattformen nutzt.“ Das klingt so, als „müssten Pädagogen ihre Pädagogik von den Geräten her denken“ und bitteschön, im Sinne der im Hintergrund des Stifterverbunds „Forum Bildung Digitalisierung“ agierenden IT-Industrie. Siehe: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/wir-haben-keine-zeit-mehr-digitalisierung-an-berliner-schulen-stagniert-li.2359299 (2.12.2025)

[3] Mittlerweile sehen auch Schüler, dass es bei der Digitalisierung der Schule nur vordergründig um Lernförderung geht. Die Auswirkungen der Vereinzelung beim individuellen Lernen, der Frontalunterricht vor dem Bildschirm, das Fehlen einer empathischen Resonanz, die Auflösung der Klassengemeinschaft und die unkontrollierbare Nutzung und weitere Verwertung ihrer gespeicherten Daten werden verschleiert. Zu diesem Vorgehen haben Schülerinnen und Schüler der Sophie-Scholl-Oberschule Berlin in einem Zeitungsbeitrag geschrieben: „Wir sind gegen die Digitalisierung von Schulen, weil wir nicht wollen, dass unsere Daten ausgekundschaftet und benutzt werden. […] Wir haben als Jugendliche das Recht, Fehler zu machen und daraus zu lernen, ohne dass sie uns im späteren Leben zum Verhängnis werden.“

[4] Die UNESCO kritisierte im „Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms?“, dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen.

KERNAUSSAGEN aus dem Report:
„Es gibt wenige belastbare Belege für den Mehrwert von digitalen Medien in der Bildung. Die Technologie entwickelt sich schneller, als wir sie evaluieren können: Produkte aus dem Bereich der Bildungstechnologien ändern sich im Durchschnitt alle 36 Monate.“

„Ein Großteil der Studien stammt von den Anbietern, die die Produkte verkaufen wollen. Pearson [der weltweit größte Bildungskonzern und Buchverlag, zudem Marktführer für Bildungsmedien in Großbritannien, Indien, Australien und Neuseeland, zugleich die zweitgrößte Verlagsgruppe in den USA und Kanada] finanzierte eigene Studien und bestritt unabhängige Untersuchungsergebnisse, wonach die Produkte des Unternehmens keine Effekte zeigten.“ https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000386147_ge. Zusammenfassung:  https://schulforum-berlin.de/technologie-in-der-bildung-ein-werkzeug-zu-wessen-bedingungen/  (2.12.2025)

[5] Offensichtlich ist: Es geht nicht wirklich um den Lernerfolg unserer Schülerinnen und Schüler, es geht um ein Milliardengeschäft. So berichtet die BertelsmannStiftung bereits am 3.11.2017: „IT-Ausstattung an Schulen: Finanzierung ist eine milliardenschwere Daueraufgabe“. Sie fordert: „Rund 2,8 Milliarden Euro müssten jährlich investiert werden, um all unsere Grundschulen und weiterführenden Schulen mit entsprechender Infrastruktur auszurüsten.“ https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/november/it-ausstattung-an-schulen-finanzierung-ist-eine-milliardenschwere-daueraufgabe/ (2.12.2025)

Eindrucksvoll beschreibt dieses Vorgehen Christian Füller in der GEW-Zeitung am Beispiel von Bertelsmann. Perfektes Zusammenspiel. In: GEW Landesverband Hamburg, Bildungspolitik, E&W 06/2016. (2.12.2025)

[6] „Der Kern schulischen Lernens war schon immer Zusammenarbeit und soziales Lernen – das Lernen mit und von anderen.“ Bildungsforscher John Hattie warnt vor falsch verstandener Individualisierung des Lernens, John Hattie, 27. Oktober 2025, aus: https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/john-hattie-warnt-vor-falsch-verstandener-individualisierung-des-lernens/ (2.12.2025)

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Smartphone im Grundschulalter?

Mehrheit der Eltern fordert Handyverbot an Schulen

Weitgehende Einigkeit herrscht in einer zentralen Frage: 81 Prozent aller Eltern befürworten ein Handyverbot an Schulen. Fast die Hälfte der Befragten mit Nachwuchs glaubt, dass Handys im Klassenzimmer die Konzentration und den Unterricht stören. Knapp ein Drittel hält ein Handyverbot für sinnvoll, möchte aber für bestimmte Situationen Ausnahmen gestatten. Darüber hinaus fordern die Eltern klare Altersgrenzen für den Zugang zu sozialen Medien: Hier halten 60 Prozent eine Altersbeschränkung für notwendig, unabhängig davon, um welchen Dienst es sich handelt: „Viele Eltern sehen den Lernerfolg ihrer Kinder wegen fehlender Konzentrationsfähigkeit in Gefahr, deshalb wünschen sie sich auch offiziell klare Regeln und Schutzräume“, sagt der Digitalexperte Thomas Brosch.

„Die Nutzungszeit ist extrem – und all diese Lebenszeit steht uns nicht für andere Dinge zur Verfügung“, sagt der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Ralf Lankau[2]. 168 Stunden hat eine Woche, etwa 50 bis 60 davon schlafen wir. Sagenhafte 72 Stunden pro Woche bewegen sich die Bundesbürger inzwischen im Netz, mit keinem anderen Gerät mehr als mit dem Smartphone, wie die „Postbank Digitalstudie 2025“ ergab. Bei den 18- bis 39-Jährigen sind es sogar fast 86 Stunden.

Statistiken weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und Bildungserfolg hin. „Wir haben in den USA eine Studie durchgeführt, in der wir die Bildschirmzeit von den Smartphones in den Kontext der Noten der Studierenden gesetzt haben“, sagt Prof. Dr. Christian Montag, der derzeit an der Universität von Macau in China lehrt[3]. Tatsächlich habe es einen Zusammenhang zwischen längerer Nutzungszeit der sozialen Medien und schlechteren Noten. „Zudem gibt es durchaus Evidenz, dass Smartphone-Verbote in Bildungseinrichtungen zu verbesserten Noten führen können.“


[1] Postbank Digitalstudie 2025 (18.11.2025)

[2] https://www.schwaebische.de/panorama/scrollen-wir-uns-um-den-verstand-4051494 (18.11.2025)

[3] A.a.O.


Weitere Informationen zum Thema:

Gesundheitsstadträte fordern umfassendes Handyverbot an Berliner Schulen (18.11.2025)

Bildungsforscher John Hattie warnt vor falsch verstandener Individualisierung des Lernens

John Hattie, 27. Oktober 2025

John Hattie, neuseeländischer Bildungsforscher und Professor an der University of Melbourne in Australien.

Viele Schulen setzen auf individualisiertes, selbstgesteuertes oder personalisiertes Lernen – in der Hoffnung, jedem Kind damit bestmögliche Lernchancen zu eröffnen. Doch der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie warnt: Zu viel Eigensteuerung kann das Lernen eher bremsen als beflügeln. Er plädiert für ein „maßgeschneidertes Lernen“, das auf professioneller Diagnostik und gemeinschaftlichem Lernen basiert.

Das Schulsystem ist durchdrungen von Schlagwörtern und Modebegriffen. Begriffe wie „individualisiertes -“, „personalisiertes -“ oder „selbstgesteuertes Lernen“ sind allgegenwärtig. Sie tauchen in Panel-Diskussionen auf Kongressen, in bildungspolitischen Papieren und Debatten in den sozialen Medien auf.

Obwohl diese Konzepte oft synonym verwendet werden, bezeichnen sie unterschiedliche Ansätze. Beim individualisierten Lernen passen Lehrkräfte Aufgaben an das Leistungsniveau einzelner Schülerinnen und Schüler an. Sie durchlaufen eine auf sie zugeschnittene Aufgabenabfolge in ihrem eigenen Tempo, auch wenn der Lehrplan in der Regel die Ziele vorgibt. Beim personalisierten und selbstgesteuerten Lernen hingegen haben die Lernenden mehr Autonomie: Sie setzen sich eigene Ziele, wählen Lernmaterialien aus und entscheiden, auf welche Weise sie ihre Leistung nachweisen möchten. Diese Ansätze beruhen auf der ansprechenden Idee, dass Lernen von Natur aus individuell sei – dass jedes Kind am besten auf seine eigene Weise lerne.

Diese Ideen sind zweifellos attraktiv. Jedes Kind ist einzigartig, und wir wünschen uns, dass Schülerinnen und Schüler Verantwortung für ihr Lernen übernehmen und es selbst steuern können. Doch trotz der intuitiven Anziehungskraft dieser Ideen müssen wir uns einer unbequemen Wahrheit stellen: Es gibt nur wenig belastbare Forschung, die großflächige Lerngewinne durch so organisierte Lernarrangements zeigt – und viele Studien, die nur minimale Effekte nachweisen. Die vorhandenen Daten weisen auf niedrige oder moderate durchschnittliche Effektstärken hin: 0,03 für schülergesteuertes Lernen und 0,26 für individualisiertes Lernen. Beide liegen deutlich unter der Schwelle von 0,4, die als Grenze für eine bedeutsame Wirksamkeit gilt.

„Das größte Problem von individualisiertem und personalisiertem Lernen liegt in der Überbetonung des Alleinarbeitens.“ John Hattie

Wie steht es also um das personalisierte Lernen? Richtig umgesetzt, kann es ein Gefühl von Eigenverantwortung und Motivation fördern. Schlecht umgesetzt jedoch verkommt es oft zu einer Orientierung an oberflächlichen Auswahlmöglichkeiten – etwa dazu, Unterricht an sogenannte „Lernstile“ anzupassen –, die kaum zu besseren Ergebnissen führen. Auf den ersten Blick deuten Metaanalysen zu personalisiertem Lernen auf eine Effektstärke von etwa 0,46 hin.

Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass dieser vergleichsweise hohe Wert vor allem aus Studien stammt, die Korrelationen statt Kausalzusammenhänge messen. Diese Studien zeigen lediglich, dass Schülerinnen und Schüler mit bestimmten Lernpräferenzen (zum Beispiel einer Vorliebe für verbale Informationen) tendenziell besser abschneiden – nicht aber, dass die Anpassung des Unterrichts an diese Präferenzen das Lernen tatsächlich verbessert. Berücksichtigt man nur Studien, die den Unterricht auf die Lernstile der Schülerinnen und Schüler abstimmen, sinkt die Effektstärke nahezu auf Null.

Kurz gesagt:

Der Hype um individualisiertes und personalisiertes Lernen übersteigt die Stärke der Forschungsergebnisse bei Weitem. Das Versprechen der Individualisierung ist größtenteils rhetorisch.

Die Gefahr des „Einzellernenden“

Das größte Problem von individualisiertem und personalisiertem Lernen liegt in der Überbetonung des Alleinarbeitens. Der Kern schulischen Lernens war schon immer Zusammenarbeit und soziales Lernen – das Lernen mit und von anderen. Nicht jeder, nicht jede lernt am besten, wenn er oder sie völlig allein entscheidet. Viele Lernende brauchen Struktur, Anleitung und ein gemeinsames Ziel. Wenn Schülerinnen und Schüler hauptsächlich individuell, in ihrem eigenen Tempo und auf ihre eigene Weise lernen, laufen sie Gefahr, zu isolierten „Einzellernenden“ zu werden, anstatt die kollaborativen Fähigkeiten zu entwickeln, die für bedeutsames Lernen entscheidend sind.

Diese Ansätze widersprechen auch gut belegten Forschungsergebnissen zum effektiven Lernen. Lernen lebt von Herausforderung, Feedback und von gemeinsamem Verstehen. Übermäßig individualisiertes Lernen läuft Gefahr, die kognitiven Anforderungen zu senken, weil Schülerinnen und Schüler, wenn sie selbst entscheiden dürfen, dazu neigen, in ihrer Komfortzone zu bleiben. Sie wählen dann Aufgaben, die sie bereits können oder angenehm finden. Schülerinnen und Schüler wissen oft nicht, was sie nicht wissen. Genau deshalb gibt es Lehrkräfte: um ihnen das beizubringen, was sie noch nicht wissen.

Bildungsgerechtigkeit bedeutet nicht, jedem Kind seinen eigenen Lernpfad zu geben.John Hattie

Ein falsches Verständnis von Differenzierung und Bildungsgerechtigkeit

Die Gefahr des Scheiterns von individualisiertem und personalisiertem Lernen liegt demnach in einem grundlegenden Missverständnis von Differenzierung. Kaum eine didaktische Idee wird so häufig fehlinterpretiert. Gute Differenzierung bedeutet nicht, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Aufgaben erhalten. Dieser fehlgeleitete Ansatz im Umgang mit den Unterschieden zwischen Schülerinnen und Schülern ist besonders in Klassenzimmern mit niedrigen Leistungserwartungen weitverbreitet. In solchen Klassen werden Schülerinnen und Schüler nach vermeintlichen Leistungsfähigkeiten gruppiert und erhalten Aufgaben, die als ihrem Niveau „angemessen“ gelten – ein Vorgehen, das, so gut es gemeint sein mag, ihr Lernpotenzial begrenzt.

Die Erwartungen, die wir an Schülerinnen und Schüler haben, haben enorme Auswirkungen auf ihre Lernergebnisse. Die Forschung zeigt: Hohe Erwartungen können die Lernrate von Schülerinnen und Schülern verdoppeln. Lehrkräfte mit hohen Erwartungen differenzieren nicht innerhalb ihrer Erwartungen, sondern beim Weg und bei dem Tempo, um diese zu erreichen. Traurigerweise differenzieren Lehrkräfte mit niedrigen Erwartungen durchaus – und die Auswirkungen auf ihre Schülerinnen und Schüler können verheerend sein.

Ein großes Risiko besteht darin, Personalisierung mit Bildungsgerechtigkeit zu verwechseln. Bildungsgerechtigkeit bedeutet nicht, jedem Kind seinen eigenen Lernpfad zu geben, sondern sicherzustellen, dass jeder Schüler und jede Schülerin mindestens ein Jahr Lernfortschritt in jedem Schuljahr erzielt. In der Praxis können personalisierte Ansätze Ungleichheiten sogar noch verstärken. Denn Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Haushalten landen oft in „individualisierten“ Lernpfaden, die nur begrenzten Zugang zu hochwertigen Unterrichtsgesprächen oder zum Austausch mit leistungsstarken Mitschülerinnen und Mitschüler bieten. Diese Schülerinnen und Schüler arbeiten häufig Arbeitsblätter ganz allein ab, ohne Gelegenheit zu tieferem Lernen, zu Transfer oder kritischem Denken. Echte Bildungsgerechtigkeit würde erfordern, dass Lehrkräfte allen Lernenden – unabhängig von ihrer Herkunft – anspruchsvolle Aufgaben, reichhaltige Dialoge und Aufgaben zumuten, die sie aus ihrer Komfortzone holen.

Vom individualisierten zum maßgeschneiderten Lernen

Anstelle von individualisiertem, selbstgesteuertem oder personalisiertem Lernen schlage ich deshalb einen anderen Ansatz vor – ich nenne ihn „maßgeschneidertes Lernen“. Maßgeschneidertes Lernen bedeutet eben nicht, jedem Kind ein eigenes Curriculum zu geben oder den Lernenden die Kontrolle über ihr Lernen zu geben. Vielmehr bedeutet es, dass Lehrkräfte ihren Unterricht basierend auf dem Lernfortschritt jedes einzelnen Schülers, jeder einzelnen Schülerin gezielt anpassen.

Schulen passen Unterricht, Ressourcen und Leistungsüberprüfungen an bestimmte Gruppen, Kontexte oder Individuen an – etwa durch temporäre Einzel- oder Kleingruppenförderung (ohne dabei Kinder abzustempeln oder dauerhaft abzusondern). Maßgeschneidertes Lernen wiederum verlangt von Lehrkräften, Lernstände zu diagnostizieren, Feedback zu geben und den Schwierigkeitsgrad anzupassen, sodass jeder Schüler und jede Schülerin angemessen herausgefordert werden. Gleichzeitig setzt maßgeschneidertes Lernen auf die Kraft der Gemeinschaft: Schülerinnen und Schüler lernen in erheblichem Maße voneinander – im Guten wie im Schlechten. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass sie auf die richtige Weise voneinander lernen.

Maßgeschneidertes Lernen beruht daher auf der professionellen Expertise und dem Urteil der Lehrkräfte. Die Klarheit einer Lehrkraft hat beispielsweise einen mehr als doppelt so starken Einfluss auf die Lernergebnisse wie eine oberflächliche Personalisierung im Unterricht. Statt Hypes nachzujagen, sollte sich das professionelle Lernen von Lehrkräften auf die Klärung von Lernzielen, Erfolgskriterien und Feedback richten – und sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler diese hören, verstehen und danach handeln. Natürlich müssen Schülerinnen und Schüler ebenfalls lernen, Verantwortung zu übernehmen und sowohl eigenständig zu arbeiten wie auch mit anderen. Aber es gibt eine richtige Zeit für Schülerautonomie – und eine falsche Zeit dafür.

Hervorhebungen durch Schulforum-Berlin

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Aus: Deutsches Schulportal, https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/john-hattie-warnt-vor-falsch-verstandener-individualisierung-des-lernens/ (21.10.2025)

Schulen im Fadenkreuz der Lobbyisten

„Technology in education: A tool on whose terms?“

Fragestellung der UNESCO im Global Education Monitoring Report 2023.

Der Schulleiter, der auch geschäftsführender Vorstand der Heraeus-Bildungsstiftung und diese Mitglied im „Forum Bildung Digitalisierung“ ist, hält als Forderung für die Grundschulen fest: Nicht nur „Lesen, Schreiben und Rechnen“ gehören zur Allgemeinbildung sondern „unbedingt“ auch „digitale Grundkompetenzen“. Wie es um die Grundkompetenzen in „Lesen, Schreiben und Rechnen“ bei den Grundschülern bestellt ist, scheint für ihn kein Problem zu sein – hat er doch ganz anderes im Sinn.

Schaut man genauer hin entdeckt man ein „perfektes Zusammenspiel: Die Stiftungen wirken wie ein Türöffner“[2]. Zu jeder sich ihnen bietenden Gelegenheit melden sich deren „Experten“ zu Wort, um ihre „digitalen Bildungskonzepte“ voranzubringen. Ihre „Empfehlungen“ sind passgenau ausgerichtet an den Medien- und IT-Produkten der jeweiligen Technologieunternehmen im Hintergrund.

Tatsächlich verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Ein Blick nach Schweden bringt Aufklärung.

Das Karolinska Institut, Medizinische Universität Stockholm[3], erklärte dazu in einer Stellungnahme:

„Die Annahme, dass die Digitalisierung die von der schwedischen Bildungsbehörde erwar­teten positiven Effekte haben wird, ist nicht evidenzbasiert, d.h., nicht auf wissen­schaftlichen Erkenntnissen beruhend.“

Weiter wird von der schwedischen Forschergruppe berichtet:

„Die Nationale Bildungsagentur scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass die Forschung gezeigt hat, dass die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler hat.“

In ihrer Stellungnahme führen sie weiter aus:

„Es gibt eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schüler eher beeinträchtigen als verbessern.“

Ungeachtet dieser Stellungnahmen der Wissenschaftler führt der Schulleiter jedoch im Interview weiter aus: Die Lehrkräfte müssen in ihrer Ausbildung „lernen, wie man Unterricht mit digitalen Werkzeugen gestaltet, wie man Kollaboration anbahnt, wie man Lernplattformen nutzt.“ Das klingt so, als „müssten Pädagogen ihre Pädagogik von den Geräten her denken“ und bitteschön, im Sinne der im Hintergrund des Stifterverbunds „Forum Bildung Digitalisierung“ agierenden IT-Industrie.

Die Vereinzelung beim Lernen vor dem Bildschirm, die Abschaffung des Unterrichts, die Auflösung der Klassengemeinschaft, der Verlust von Sozialkompetenzen sowie der stete Leistungsabfall in den Grundkompetenzen, all das wird kommentarlos hingenommen.

Treffend und komprimiert führte Susanne Klein in der Süddeutschen Zeitung[4] unter der Überschrift: „Digitales Geräteturnen“, aus: „Es ist Zeit, dem reflexhaften Ruf nach der digitalen Schule eine pädagogische Reflexion entgegenzusetzen. Damit die Schulen nicht zur nächsten Reform verdonnert werden, die eine kurzsichtige Politik irgendwann zurücknehmen muss.“

Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg stellt dazu fest, „dass viele Probleme, die wir im Bildungsbereich haben, von einer unreflektierten Digitalisierung letztendlich befeuert werden.“[5]

Und auch die UNESCO kritisierte im „Global Education Monitoring Report 2023. Technology in education: A tool on whose terms?“[6], dass bei aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Mittelpunkt stünden, sondern wirtschaftliche Interessen.[7]

Diese wirtschaftlichen Interessen in der umfassenden „Digitalisierung der Bildung“ charakterisierte Christian Füller als „Trojanisches Pferd“[8] und schrieb in der Hamburger GEW-Lehrer-Zeitung dazu: „Mit der Digitalisierung aber haben vor allem die Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund[9] eine völlig neue Mission: Sie rollen unter den großen Überschriften `Teilhabe´ und `Kooperation´ ein großes Trojanisches Pferd in die Schulen – das digitalisierte Lernen samt Endgeräten.“

Worauf es ankommt

Auf die Frage: Worin sehen Sie die größten Herausforderungen des deutschen Bildungssystems? antwortet Dr. Heiner Barz, Professor für Erziehungswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Ein […] Problem ist die viel beschworene `digitale Bildungsrevolution´. Viele Pädagogen und Bildungsexperten sehen im zu frühen Einsatz von Bildschirmmedien in Kita und Schulen mehr das Problem als die Lösung. Sie verlangen vielleicht nicht nach einer neuen `Kreidezeit´ – aber doch nach einer Rückbesinnung auf die lebendige Lehrer-Schüler-Begegnung, auf das fruchtbare Unterrichtsgespräch und auf den pädagogisch gestalteten Rhythmus von Anstrengung und Entspannung in der Eroberung neuer Wissenswelten.“[10]

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[1] Interview mit der Berliner Zeitung vom 30.9.2025, „Wir haben keine Zeit mehr“ – Digitalisierung an Berliner Schulen stagniert, Ronja Ackermann (20.10.2025)

[2] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel (20.10.2025)

[3] Karolinska-Institut (Schweden): Stellungnahme zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung. Deutsche Übersetzung. (20.10.2025)

[4] Süddeutsche Zeitung, 15.9.2017, „Digitales Geräteturnen“, Susanne Klein (20.10.2025)

[5] Aus NANO, 3sat vom 6.12.2023, https://www.3sat.de/wissen/nano/231206-digitale-leseschwaeche-nano-100.html (20.10.2025)

[6] Technologie in der Bildung EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN? (20.10.2025)

[7] Siehe auch: https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/11/moratorium_pub_17nov23.pdf (20.10.2025)

[8] Das Bildungsgeschäft der Bertelsmann Stiftung, „Perfektes Zusammenspiel“, Christian Füller, https://www.gew-hamburg.de/themen/bildungspolitik/perfektes-zusammenspiel (20.10.2025)

[9] Unternehmensnahe Stiftungen im Bildungsbereich:

Im Forum Bildung Digitalisierung sind derzeit zehn große deutsche Stiftungen mit Technologieunternehmen im Hintergrund Mitglied: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung. Berlin ist Netzwerk, Bühne und Treffpunkt für die wichtigsten Debatten über Bildung.

Siehe auch: Deutscher Bundestag, 2023, WD 8 – 3000 – 046/23, https://www.bundestag.de/resource/blob/968854/1bb8f689743f55cdb728acb36abcce91/WD-8-046-23-pdf-data.pdf (20.10.2025)

[10] Siehe: Tagesspiegel vom 8.12.2023, S. 16, „Fragwürdige Bildungsstudie“, https://www.tagesspiegel.de/wissen/was-sagt-uns-die-studie-wirklich-ein-ausstieg-aus-pisa-konnte-sinnvoll-sein-10889485.html (20.10.2025)

Wie TikTok & Co. das Lernen erschweren

Studien der TU Braunschweig zu Kurzvideos und Wissenserwerb zeigen gravierenden Einfluss

10. Juni 2025, aus der Pressemitteilung der TU Braunschweig

Ob und wie sich Kurzvideos auf Social Media-Plattformen auf unsere Denkweise und unser Lernen auswirken – das hat die Technische Universität Braunschweig in zwei Studien untersucht, die in der Fachzeitschrift „Computers & Education“ veröffentlicht wurden.

Die bunten Schnipsel zwischen zehn und 60 Sekunden Länge sind unterhaltsam, schnell und einfach konsumierbar sowie visuell ansprechend.

Kurzvideos fördern offenbar ein oberflächliches Verarbeiten von Informationen, können rationales Denken verdrängen und eignen sich für die Wissensvermittlung weniger gut als textbasiertes Lernmaterial.

Das sind zentrale Ergebnisse zweier Untersuchungen, in denen das Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig die Auswirkungen von Kurzvideokonsum analysiert hat.

Schnelle Clips, seichtes Lernen

Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmenden, die den Lernstoff in Form von Kurzvideos vermittelt bekamen, schnitten im anschließenden Wissensquiz schlechter ab als diejenigen, die mit Texten gelernt hatten. Darüber hinaus zeigte sich, dass bereits das dreiminütige Anschauen einer Sammlung von Kurzvideos zu einer Präferenz für einen oberflächlichen Lernansatz und somit für oberflächliches Lernen führte. Bei diesem Ansatz, der auf möglichst geringem Aufwand beruht, werden Inhalte auswendig gelernt, ohne sie wirklich durchdringen oder verstehen zu wollen. Forschungen zeigen: Wer so lernt, erzielt oft schlechtere Leistungen.

Kurzvideos im Unterricht stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar.

Was bedeutet das nun konkret für Lernende, aber auch für Eltern, Lehrer*innen und Dozent*innen? Kurzvideos sind zwar ein wirksames Mittel, um Aufmerksamkeit zu gewinnen – doch sie reichen offenbar nicht aus, um Wissen nachhaltig zu verankern. Aufgrund ihrer begrenzten Länge bieten sie meist nur einen sehr oberflächlichen Einstieg in ein Thema. Zudem beinhalten sie häufig eine Vielzahl gleichzeitig ablaufender Reize (wie schnelle Bildwechsel, gesprochene Sprache, Untertitel, Effekte und/oder Musik). Diese sind nicht alle für den eigentlichen Wissensgewinn notwendig, können aber zu kognitiver Überlastung führen und eine tiefergehende Verarbeitung erschweren.

Problem: Smartphones in der Schule

Der nachfolgende Text ist aus einem Interview des Tagesspiegels vom 10. Mai 2025 mit Wilfried Seiring. Als erster Landesschulamtsleiter war Seiring von 1990 – 1998 Vorgesetzter aller Lehrkräfte in Berlin. Im Interview nimmt er zu mehreren Themen Stellung, so auch zur Nutzung des Smartphones in der Schule. Interview: Susanne Vieth-Entus.

TSP: Sie erleben als Zeitzeuge in den Schulen, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Schülerinnen und Schüler abnimmt. Wie erklären Sie sich das?

Seiring: Das hat sicher mehrere Gründe, ich führe das zum großen Teil auf die Smartphones zurück. Wir haben dieses Problem überhaupt nicht im Griff, wobei das Problem viele Facetten hat. Die Schüler sagen mir, dass sie ungefähr vier bis fünf Stunden pro Tag ihre Handys nutzen, laut Studien sind es sogar mehr, und man sieht ja auch, dass die Kinder und Jugendlichen, wenn sie aus der Schule kommen, zwar nebeneinander hergehen, aber nicht miteinander sprechen.

Was soll man Ihres Erachtens dagegen tun?

Berlins Senatorin [für Bildung, Jugend und Familie, Katharina Günther-Wünsch] hat ja Verschiedenes angepackt, sie kann nicht alles schaffen. Aber ich denke, es ist falsch, dass sie die Bedingungen der Handynutzung den Schulen überlassen hat. Andere Länder sind da weiter. Ich finde, wichtig wäre ein Appell der Senatorin, der mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen zeigt, wie gefährlich die übermäßige Handynutzung ist. Es müsste in Richtung Handyverbot gehen. Das wäre auch ein Appell an die Elternschaft, selbst mehr auf ihre eigene Handynutzung zu achten – zu oft fehlt da ein beispielhaftes Modell.

Die Eltern sind ein Teil des Problems?

Auf jeden Fall. Eines der schlimmsten Erlebnisse ist für mich, wenn ich sehe, dass junge Mütter, deren Kinder im Kinderwagen den Augenkontakt suchen, die ganze Zeit, währen sie die Kinderwagen schieben, in ihre Handys gucken und Nachrichten senden.


Zum Thema Smartphones in der Schule nimmt am 2. Mai 2025 in einem Interview der taz mit der Überschrift „Nicht warten, dass der Staat etwas macht“ der Medienwissenschaftler an der Universität Erfurt, Danny Schmidt, Stellung. Interview Paula Schuhrbohm.

taz: Viele Schulen sind von der Social-Media-Nutzung im Schulalltag überfordert und reagieren mit einem Handyverbot. Ist das die Lösung?

Schmidt: Die Australier machen es gerade eindrucksvoll vor – Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16. Es ist wissenschaftlich belegt, unter anderem durch die aktuelle Studie der DAK aus dem Jahr 2025, dass der Konsum von Social Media für Jugendliche schädlich sein kann. Im Grunde haben wir es hier fast mit einem Fall für den Jugendschutz zu tun. Um einen Vergleich zu bemühen:

Bei Alkohol wissen wir als Gesellschaft, dass der Konsum besonders bei Jugendlichen Schäden verursachen kann. Die Folge: Wir verbieten den Konsum von Alkohol für Jugendliche unter 16 Jahren. Wir fangen nicht stattdessen an, an den Schulen Kompetenzworkshops über den verantwortungsvollen Konsum von Alkohol anzubieten.

Ein generelles Social-Media-Verbot bis zum 16. Lebensjahr ist also die Lösung?

Das wäre meine Empfehlung – und auch die vieler Kolleg:innen. Medienkompetenz kann sich dann Schritt für Schritt durch ein festes Schulfach und mit kompetenter Expertise von Lehrer:innen entwickeln. Durch schulische Medienbildung lernen die Schüler:innen nicht nur Medienkompetenz, sondern auch Lebenskompetenzen. Und das passt wunderbar zur Schule – einem Ort, der Menschen mit Lebenskompetenzen versorgen sollte.

Die Jugendlichen sind jetzt schon ständig von Social Media umgeben. Wie soll die Umsetzung funktionieren?

Es ist jetzt eine zivilgesellschaftliche Aktivierung gefragt. Also nicht zu sagen, man wartet, bis der Staat etwas tut, sondern selbstverantwortlich handeln. Man kann sich mit anderen Eltern zusammensetzen und als Gruppe das Problem lösen. Das Phänomen Social Media ist etwas mehr als 15 Jahre alt – beziehungsweise jung. Wir sind sozusagen teilnehmende Beobachter:innen eines laufenden „technologischen Experiments“ und kommen jetzt immer mehr zu dem Ergebnis, dass die Art, wie wir mit Social Media umgehen, schädlich ist – für die Individuen selbst und für die Gesellschaft als Ganzes. Vielleicht ist es an der Zeit zu sagen, dass wir aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Pause machen sollten.

Textauswahl in den Interviews durch Schulforum-Berlin

siehe auch:

Handys im Unterricht – ein klares NEIN!

Weil das Angebot süchtig macht: Staaten müssen Kinder vor Social Media schützen

Technologie in der Bildung: EIN WERKZEUG – ZU WESSEN BEDINGUNGEN?