Archiv der Kategorie: Sozial Media Communities

Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Er vergleicht Smartphones mit Drogen und manche Eltern mit Drogendealern.

30.06.2025, TSP

Der Philosoph Peter Sloterdijk hält ein Handyverbot für Kinder und Jugendliche an Schulen für sinnvoll. „Wir haben die Dinge zu sehr schleifen lassen“, sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur in Köln.

„In den Schulen sind Zustände herangereift, mit denen wir nicht glücklich sein können. Handys müssten unter das Drogenverbot fallen, dann erübrigt sich die Debatte.“

Dieses Verbot könne gar nicht früh genug einsetzen, denn ein Entzug sei bei jeder Form von Sucht immer außerordentlich schwierig. 

Es gehe letztlich um die Frage, ob man eine erzieherische oder nur eine ausbildende Schule wolle, sagte Sloterdijk.

„In dem Moment, in dem wir akzeptieren, dass Kinder auch ein Recht auf Erziehung haben, müssen wir Ernst machen mit ihrem Recht, vor der Kolonisierung durch anonyme Gewalten in Gestalt der neuen Medien geschützt zu werden. Alles andere ist so, als würden wir ständig einem Einbrecher die Tür öffnen. Man darf es den medialen Einbrechern, die in die Kinderstuben eindringen, nicht so einfach machen.“

Viele Eltern agieren laut Sloterdijk „wie Drogendealer“

Wenn man eine erziehende Schule wolle, müsse man Medienkontrolle ausüben, und zwar streng, sagte Sloterdijk. Und wenn man begriffen habe, dass man Haschisch und andere Rauschgifte aus der Schule ausschließen müsse, dann sollte dies auch für die Smartphones gelten, die ebenfalls Drogenqualität hätten.

„Sie schädigen das Hirn, evozieren Persönlichkeitsstörungen ohne Ende. Derzeit werden sie als Informationsmedien mystifiziert, aber kein Junge, kein Mädchen verwendet sie so. Es sind Partydrogen, um sich in der Fünf-Minuten-Pause schnell noch einen Kick zu verpassen.“

Sloterdijk, der in Köln beim Philosophiefestival Phil.Cologne auftrat, sieht hier auch die Eltern in der Pflicht.

„Es ist eine enorme Mitverantwortung der Eltern zu konstatieren – und ein enormes Versagen“, sagte er. „Denn sehr viele Eltern verhalten sich selber wie Drogendealer, die ihren Kindern dieses Ding in die Hand drücken. Wenn das Kind erst einmal Smartphone-süchtig geworden ist, ist das für die Eltern eine große Entlastung, weil sie weniger Zeit mit ihm verbringen müssen – das Kind hat ja nun einen digitalen Spielgefährten.“

TSP: Philosoph fordert Durchgreifen: Sloterdijk will Handyverbot für Kinder und Jugendliche

Wie TikTok & Co. das Lernen erschweren

Studien der TU Braunschweig zu Kurzvideos und Wissenserwerb zeigen gravierenden Einfluss

10. Juni 2025, aus der Pressemitteilung der TU Braunschweig

Ob und wie sich Kurzvideos auf Social Media-Plattformen auf unsere Denkweise und unser Lernen auswirken – das hat die Technische Universität Braunschweig in zwei Studien untersucht, die in der Fachzeitschrift „Computers & Education“ veröffentlicht wurden.

Die bunten Schnipsel zwischen zehn und 60 Sekunden Länge sind unterhaltsam, schnell und einfach konsumierbar sowie visuell ansprechend.

Kurzvideos fördern offenbar ein oberflächliches Verarbeiten von Informationen, können rationales Denken verdrängen und eignen sich für die Wissensvermittlung weniger gut als textbasiertes Lernmaterial.

Das sind zentrale Ergebnisse zweier Untersuchungen, in denen das Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig die Auswirkungen von Kurzvideokonsum analysiert hat.

Schnelle Clips, seichtes Lernen

Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmenden, die den Lernstoff in Form von Kurzvideos vermittelt bekamen, schnitten im anschließenden Wissensquiz schlechter ab als diejenigen, die mit Texten gelernt hatten. Darüber hinaus zeigte sich, dass bereits das dreiminütige Anschauen einer Sammlung von Kurzvideos zu einer Präferenz für einen oberflächlichen Lernansatz und somit für oberflächliches Lernen führte. Bei diesem Ansatz, der auf möglichst geringem Aufwand beruht, werden Inhalte auswendig gelernt, ohne sie wirklich durchdringen oder verstehen zu wollen. Forschungen zeigen: Wer so lernt, erzielt oft schlechtere Leistungen.

Kurzvideos im Unterricht stellen keinen Ersatz für tiefgehende Lernprozesse dar.

Was bedeutet das nun konkret für Lernende, aber auch für Eltern, Lehrer*innen und Dozent*innen? Kurzvideos sind zwar ein wirksames Mittel, um Aufmerksamkeit zu gewinnen – doch sie reichen offenbar nicht aus, um Wissen nachhaltig zu verankern. Aufgrund ihrer begrenzten Länge bieten sie meist nur einen sehr oberflächlichen Einstieg in ein Thema. Zudem beinhalten sie häufig eine Vielzahl gleichzeitig ablaufender Reize (wie schnelle Bildwechsel, gesprochene Sprache, Untertitel, Effekte und/oder Musik). Diese sind nicht alle für den eigentlichen Wissensgewinn notwendig, können aber zu kognitiver Überlastung führen und eine tiefergehende Verarbeitung erschweren.

Weil das Angebot süchtig macht: Staaten müssen Kinder vor Social Media schützen

Artikel von Peter G. Kirchschläger, TSP, 7.12.2024

Peter G. Kirchschläger ist Professor für Ethik und Direktor des Instituts für Sozialethik an der Universität Luzern. Aktuell ist er Gastprofessor an der ETH Zürich.

Australien verbietet Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren ab Ende 2025 die Nutzung sozialer Medien. Dieser Schritt, der gerade beschlossen wurde, ist auf Kritik gestoßen, insbesondere bei Meta (wozu Facebook und Instagram gehören) und Tiktok.
Den Unternehmen drohen Geldstrafen von bis zu 32 Millionen Dollar, wenn sie es nicht schaffen, junge Menschen von ihren Plattformen fernzuhalten.

Die australische Politik ist einen entscheidenden Schritt zum Schutz der Kinder im 21. Jahrhundert gegangen. Alle Staaten haben die Verantwortung, ihre Kinder vor schädlichen Süchten zu schützen. Und Sucht ist genau das, worauf die Unternehmen der sozialen Medien abzielen.

Wie der Gründungspräsident von Facebook, Sean Parker, 2017 erklärte, wurde der Aufbau der Plattform von einer einfachen Frage geleitet, und die lautete:

„Wie können wir so viel Zeit und bewusste Aufmerksamkeit wie möglich in Anspruch nehmen?“

Die Antwort bestand darin, „eine Schwachstelle der menschlichen Psychologie auszunutzen“: den Wunsch nach sozialer Bestätigung.

Im Wesentlichen, so Parker, wurden Social-Media-Plattformen bekanntlich so konzipiert, dass sie durch sozial anerkennende Likes, Kommentare und Ansichten Schübe des Glückshormons Dopamin freisetzen. Und zwar umso mehr, je aktiver die Menschen auf den Plattformen sind.
Das Ergebnis sei eine „Feedbackschleife der sozialen Bestätigung“, die die Nutzer süchtig mache. „Gott allein weiß, was das mit den Gehirnen unserer Kinder anstellt“, bedauerte Parker.
Und gerade Kinder sind nicht in der Lage, informierte und begründete Entscheidungen für den Umgang mit sozialen Medien zu treffen.

Nach Angaben des Regionalbüros für Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die problematische Nutzung sozialer Medien unter Jugendlichen stark angestiegen: von sieben Prozent im Jahr 2018 auf elf Prozent im Jahr 2022.

Problematische Nutzung ist dabei gekennzeichnet durch suchtähnliche Symptome wie die Unfähigkeit, die Nutzung zu kontrollieren, und regelrechte Entzugsgefühle, wenn man sie nicht nutzt.

Diese Zahlen bergen ernsthafte Risiken. Jugendliche, die mehr als drei Stunden pro Tag mit sozialen Medien verbringen, haben ein doppelt so hohes Risiko, an Angstzuständen und Depressionen zu leiden wie ihre Altersgenossen.

Die Nutzung sozialer Medien wird auch mit einem geringen Selbstwertgefühl, Mobbing und schlechten schulischen Leistungen in Verbindung gebracht.
Es gibt Hinweise darauf, dass die sozialen Medien maßgeblich zum Anstieg der Selbstmordrate unter Jugendlichen in den USA im vergangenen Jahrzehnt beigetragen haben.

Die WHO hat dazu aufgerufen, „sofortige und nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen, um Jugendlichen dabei zu helfen, die potenziell schädliche Nutzung sozialer Medien zu beenden“. Und auch junge Menschen selbst schlagen Alarm.

Anfang November beispielsweise forderte das Jugendparlament des Schweizer Kantons Luzern den Luzerner Kantonsrat auf, den Schutz der Social-Media-Nutzer und auch die „Suchtprävention“ durch „gezielte Sensibilisierung von Eltern und Öffentlichkeit“ zu stärken.

Gab es das zuvor schon, dass Kinder und Jugendliche die Erwachsenen aufgefordert haben, sie vor schädlichen Gewohnheiten zu schützen? Haben etwa Jugendliche beim Thema Rauchen gefordert, dass ihre Eltern über die Risiken von Nikotin und Co. informiert werden? Nicht, dass man es gehört hätte.

Und so zeigt auch die Tatsache, dass die sozialen Medien solche Forderungen auslösen, wie akut der Schaden ist. Und die Folgen der sozialen Medien gehen über Kinder und Jugendliche hinaus.

2017 sagte Chamath Palihapitiya – ein weiterer ehemaliger Facebook-Manager, dessen „enorme Schuldgefühle“ ihn dazu veranlassten, sich gegen soziale Medien auszusprechen – bei einer Veranstaltung in Stanford zum versammelten Publikum:

„Sie merken es nicht, aber Sie werden programmiert.“

Die Entscheidung, wie (und wie viel) man soziale Medien nutze, sei gleichbedeutend mit der Entscheidung, wie viel „intellektuelle Unabhängigkeit“ man „aufzugeben bereit ist“.

Palihapitiya zufolge zerstören die „kurzfristigen, dopamingesteuerten Rückkopplungsschleifen“, die diese Unternehmen geschaffen haben, zudem „die Funktionsweise der Gesellschaft“, indem sie Fehlinformationen und „Falschmeldungen“ verbreiten. Wie Parker es ausdrückt, verändern die sozialen Medien „buchstäblich die Beziehung zur Gesellschaft und zueinander“.

Dies ist keine bloße Spekulation mehr: Soziale Medien haben sich bereits als „Polarisierungsmotor“ und als mächtiges Werkzeug zur Aufstachelung zur Gewalt erwiesen.

Palihapitiya erklärte, dass er und seine Kollegen sich zwar einredeten, dass nichts Schlimmes passieren würde, aber zugleich „im Hinterkopf“ doch wussten, dass genau das passieren würde.

Aber die Belohnungen waren offenbar zu groß, um aufzugeben: Je süchtiger die Menschen nach ihren Plattformen waren, desto mehr Nutzerdaten konnten ihre Firmen sammeln und desto mehr Geld würden sie mit dem Verkauf von hochgradig gezielter und personalisierter Werbung verdienen.

Die Vorstellung, dass Social-Media-Firmen sich selbst kontrollieren würden, war immer Wunschdenken: Die Geschäftsmodelle dieser Firmen beruhen auf der Verletzung von Grundrechten.

Deshalb müssen alle Länder, die ihrer Verantwortung für den Schutz ihrer Bürger ernsthaft nachkommen wollen – und auch die internationale Gemeinschaft insgesamt – zusammenarbeiten, um einen neuen Rechtsrahmen für diese Plattformen zu schaffen und durchzusetzen. Der erste Schritt besteht darin, dem Beispiel Australiens zu folgen und die Altersgrenzen für die Nutzung dieser Plattformen anzuheben.

Beitrag siehe: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/weil-das-angebot-suchtig-macht-staaten-mussen-kinder-vor-social-media-schutzen-12809999.html

Siehe auch: TAZ, 7.12.2024, Christina Koppenhöfer, „Was Kindern nicht gut tut“, https://taz.de/Social-Media-erst-ab-16/!6051179/

Generation Angst

Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen.

Jonathan Haidt, 2024, Rowohlt Verlag

Aber selbst wenn Schüler ihre Mobiltelefone einmal nicht checken, beeinträchtigt allein schon deren Präsenz  ihr Denkvermögen. (S. 164f)

Die visuell orientierten Plattformen gründen allesamt auf dem von Facebook entwickelten Geschäftsmodell: Maximierung der auf der Plattform verbrachten Zeit, um die Extraktion von Daten und den Wert der Nutzer für die Inserenten zu maximieren. (S. 191)

Warum behandelt jemand seine Kunden so? Weil die Nutzerinnen und Nutzer für die meisten Social-Media-Unternehmen gar nicht wirklich die Kunden sind. Wenn Plattformen freien Zugang zu Informationen oder Dienstleistungen anbieten, dann meist deshalb, weil die Nutzer das Produkt sind. Ihre Aufmerksamkeit ist eine kostbare Substanz, die extrahiert und an die zahlende Kundschaft verkauft wird – die Werbekunden. Die Unternehmen konkurrieren untereinander um die Aufmerksamkeit und tun – wie Spielkasinos – alles, um ihre Nutzer an sie zu binden, selbst wenn sie ihnen dabei schaden. (S. 282f)

Das auf Werbung basierende Geschäftsmodell macht die Nutzer zum Produkt, das an den Haken genommen und eingeholt werden soll.

Jüngere Nutzerinnen und Nutzer sind besonders wertvoll, weil man Gewohnheiten, die man sich schon früh zulegt, oft lebenslang beibehält; die Unternehmen brauchen sie also, um die Nutzung ihrer Angebote auch in Zukunft sicherzustellen. (S. 285f)

Smartphonefreie Schulen

Als Shane Voss die Leitung der Mountain Middle School in Durango, Colorado, übernahm, litten die Schüler und Schülerinnen „unter heftigem Cybermobbing, Schlafmangel und ständigen sozialen Vergleichen“. Voss ordnete in der Schule ein Smartphoneverbot an. 76 Prozent der öffentlichen Schulen in den Vereinigten Staaten, gaben bei einer Umfrage im Jahr 2020 an, dass sie den Gebrauch von Smartphones während des Unterrichts untersagen.
Die Belege dafür, dass Smartphones in der Nähe der Schüler (Schultasche, Hosentasche…) das Lernen beeinträchtigen, sind heute so eindeutig, dass die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, im August 2023 einen Bericht herausgab, der sich mit den negativen Auswirkungen von digitalen Technologien, insbesondere Smartphones, auf die Bildung in aller Welt beschäftigt. Siehe dazu: https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/unesco-bericht-zu-it-in-schulen-fordert-mehr-bildungsgerechtigkeit.html

Der Bericht weist darauf hin, dass es erstaunlich wenige Belege dafür gibt, dass digitale Techniken das Lernen in einem typischen Klassenzimmer verbessern. Angemerkt wird zudem, dass der Gebrauch von Smartphones mit einem verminderten Lernerfolg und vermehrten Störungen in der Klasse einhergeht. (S. 308ff)

Die Smartphones der Schüler stecken voller Apps, die dafür konzipiert sind, die Aufmerksamkeit junger Menschen zu erregen und diese mit Benachrichtigung-Pings aus dem Klassenzimmer in die virtuelle Welt zu locken. Das ist der größte Störfaktor für Lernen und Beziehungen. (S. 311)

[D]as was sie [z.B. Eltern] tun, hat viel mehr Wirkung als das, was sie sagen; achten sie also auf ihren eigenen Umgang mit dem Smartphone. Seien sie ein Vorbild, das seine Aufmerksamkeit nicht ständig zwischen dem Smartphone und dem Kind aufteilt. (S. 333)

Kinder gedeihen, wenn sie in Gemeinschaften der wirklichen Welt verwurzelt sind, nicht in körperlosen virtuellen Netzwerken. Das Aufwachsen in der virtuellen Welt fördert Angst, Anomie und Einsamkeit. Die große Neuverdrahtung der Kindheit von einer spielbasierten zu einer smartphonebasierten Kindheit war ein katastrophaler Fehler.

Es ist Zeit, das Experiment zu beenden. (S. 361)

Textauswahl aus „Generation Angst“ durch Schulforum- Berlin

Weitere Artikel von Johnathan Haidt: https://jonathanhaidt.com/articles/

Siehe auch: FAZ, 18.09.2024, „Depressionen sind Teil der Kindheit geworden“. Zach Rausch hat sich ausführlich damit befasst, wie soziale Medien und Smartphones auf Kinder und Jugendliche wirken. Seine Befunde sind alarmierend.

Smartphone-Daten geben Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale

Was dein Smartphone über deinen Charakter verrät

MDR Wissen, 16. Juli 2020, 09:52 Uhr

Für zahlreiche Menschen ist das Smartphone zu einem ständigen Begleiter geworden. Ohne das Telefon in der Tasche, fühlt man sich direkt etwas nackt. Denn es kann ja auch so viel: Apps verraten den Weg, lenken ab oder wir kommunizieren mit unseren Liebsten. Doch das Smartphone erzeugt auch ständig Daten. Und die lassen teils besorgniserregende Rückschlüsse auf unsere Persönlichkeit zu, wie Forschende in einer aktuellen Analyse zeigen konnten.

Smartphones können so einiges – wie viel genau die hoch entwickelten Computer mit den zahlreichen Sensoren können, ist aber den wenigsten Menschen wirklich bewusst. Mit ihnen ist es zum Beispiel ein Leichtes, umfangreiche Aufzeichnungen unseres Verhaltens zu erfassen. Und das kann die Privatsphäre ernsthaft gefährden. Das jedenfalls ist eine Schlussfolgerung von Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München und der renommierten US-Universität Stanford. Das Team um den deutschen Erstautoren Dr. Clemens Stachl hat daher untersucht, inwieweit Smartphone-Daten Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen zulassen. Die Analyse ist im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences publiziert worden.

Smartphones sammeln umfassend Daten über ihre Nutzerinnen und Nutzer und deren Verhalten – so zum Beispiel den Standort, die Kommunikation oder den Medienkonsum. Das Forschungsteam ist deshalb der Frage nachgegangen, inwiefern sich aus diesen Daten Rückschlüsse auf die sogenannten „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale [Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit, Verträglichkeit, emotionale Stabilität] ziehen lassen. Mit diesem Modell beschreiben Psychologen die verschiedenen Charaktere von Menschen. Frühere Studien haben gezeigt, dass die „Big Five“ ein breites Spektrum von Lebensergebnissen in den Bereichen Gesundheit, politische Partizipation, persönliche und romantische Beziehungen, Kaufverhalten sowie akademische und berufliche Leistung vorhersagen können.

Diese Big Five-Persönlichkeitsdimensionen wollten die Forschenden anhand von sechs verschiedenen Kategorien des Smartphone-Verhaltens bewerten, die über Sensor- und Protokolldaten erfasst worden sind. Die Nutzenden mussten dem Forschungsteam also nicht direkt Auskunft geben, das hat sozusagen allein ihr Smartphone übernommen. Diese Kategorien waren die Kommunikation und das soziale Verhalten, der Musikkonsum, die App-Nutzung, die Mobilität, die allgemeine Telefonaktivität und die Tag- und Nacht-Zeitaktivitäten, schreiben die Forschenden.

Mithilfe eines Ansatzes aus dem maschinellen Lernen haben die Forschenden die Smartphone-Daten von 624 Freiwilligen an 30 aufeinander folgenden Tagen Daten gesammelt und analysiert [mehr als 25 Millionen Datenaufzeichnungen ihrer Smartphones].

Das Ergebnis: Bestimmte Verhaltensmuster in den sechs untersuchten Kategorien haben tatsächlich Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale zugelassen, so das Forschungsteam.

Die Daten ermöglichten eine relativ gute Vorhersage der „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale der Freiwilligen. Diese Vorhersagen seien ähnlich genau wie die, die Social Media-Plattformen aus den digitalen Fußabdrücken ihrer Nutzerinnen und Nutzer – also beispielsweise den Likes auf Facebook – ableiten können. Nur, dass bei den Smartphone-Daten eben nicht extra ein Button angeklickt werden müsse, sondern sie passiv in erheblichen Mengen von den Geräten erfasst würden – zum Beispiel durch App-Nutzungsprotokolle, Medien- und Website-Verbrauch, Standort, Kommunikation oder Bildschirmaktivität.

Vor allem die Analyse der Kommunikation und des sozialen Verhaltens sowie die App-Nutzung lassen Vorhersagen über die Persönlichkeitsmerkmale besonders gut zu. Dabei hätten sich am besten Aussagen über Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion treffen lassen. Bei der emotionalen Stabilität dagegen sei das nur eingeschränkt möglich gewesen und für die Verträglichkeit überhaupt nicht. Und das alles, obwohl die Datenmenge, die sie genutzt hätten, recht konservativ gewesen sei, schreiben die Forschenden. Würde man noch mehr Sensoren und Protokolldaten verwenden, wäre eine präzisere Aussage über die Persönlichkeit mit ziemlicher Sicherheit möglich.

Die Forschenden warnen explizit vor dem Missbrauch dieser Daten für kommerzielle Zwecke oder beispielsweise die Manipulation von Menschen. Es gebe bereits viele kommerzielle Akteure, die schon Daten, wie sie in der Studie verwendet wurden, mithilfe öffentlich zugänglicher Anwendungen sammelten. […]

Hervorhebungen im Fettdruck und Textauswahl im Kasten durch Schulforum-Berlin.

Zum Artikel: MDR Wissen, Was Ihr Smartphone über Ihren Charakter verrät

Weitere Informationen und Fachbeiträge: https://schulforum-berlin.de/category/sozial-media-communities/

Gefahren von Youtube, Whatsapp, Facebook & Co.

„Tausende Programmierer zielen auf dein Hirn“

Tech-Experte Tristan Harris gibt Tipps zur Nutzung von Social-Media und Smartphones im Alltag und warnt vor den Gefahren für Minderjährige.

Tagesspiegel, 08.02.2020, Oliver Voß

Tristan Harris hat das Center für Humane Technology gegründet. Schon während des Studiums am Stanford Persuasive Technology Lab beschäftigte sich Harris mit den psychologischen Effekten von Softwaredesign. Zu seinen Kommilitonen gehörten die späteren Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger. Auch Harris gründete ein Start-up namens Apture, das 2011 von Google gekauft wurde. Er arbeitete dann für den Suchmaschinenkonzern und sorgte dort zwei Jahre später intern mit einer Präsentation für Wirbel. Darin skizzierte er seine Sorge, die Google-Entwickler würden dazu beitragen, dass immer mehr Menschen immer stärker durch Dinge wie die Benachrichtigungsfunktionen von Apps abgelenkt würden. 

Herr Harris, Sie beschäftigen sich mit negativen Folgen der Technologieplattformen. Wie sollten wir Smartphones und soziale Netzwerke nutzen?

Es geht mir nicht darum, wie wir selbst die Dinge nutzen, sondern wie die Technologie gestaltet ist und die Geschäftsmodelle funktionieren. Wir sind dadurch alle ständig abgelenkt, narzisstisch, ständig empört und desinformiert. Die Welt wird durch die Aufmerksamkeitsökonomie immer verrückter und neigt sich immer stärker zu den Extremen, zu Hassrede und Verschwörungstheorien. Das bringt uns in digitales Mittelalter, wo die Leute immer mehr Zweifel daran haben, was wahr ist, und zerstört das Vertrauen in den Gesellschaften.

Wie können wir lernen, die eigene Aufmerksamkeit besser zu steuern?

Es ist sehr schwer. Sobald man Facebook, Twitter oder Youtube öffnet, ist das meist der Anfang vom Ende. Denn auf der anderen Seite des Bildschirms sitzen Tausende Programmierer, zielen auf dein Hirn und kalkulieren, was die ideale Sache ist, die sie dir zeigen und vor deinem Hirn baumeln lassen können. Das ist eine unfaire, asymmetrische Interaktion. Das Beste wäre daher, soziale Medien gar nicht zu benutzen, wenn man es vermeiden kann. Aber für jemanden, der eigene Botschaften verbreiten und damit viele Menschen erreichen möchte, wie Journalisten, aber auch unsere Organisation, ist das sehr schwer. Wir alle sind daher die nützlichen Idioten, die unbezahlten Uber-Fahrer in der Aufmerksamkeitsökonomie.

Haben Sie trotzdem Tipps zum bewussteren Umgang?

Was man tun kann, ist, Social Media nicht auf dem Telefon, sondern nur am Computer zu nutzen. Oder sich danach auszuloggen, sodass man sich wieder anmelden muss – das erzwingt eine bewusstere Nutzung. Außerdem sollte man alle Benachrichtigungen abstellen.
Wenn es um Probleme von richtiger Abhängigkeit geht, ist es weniger eine Frage, was man mit seinem Telefon macht, sondern mit seinem Leben. Haben wir Dinge, die uns wirklich erfüllen? Dann sollten wir dazu greifen statt zum Telefon. Die eigentliche Lösung eines Suchtproblems ist nicht Nüchternheit, sondern wirkliche Verbindungen im Leben.

Was sollten Eltern ihren Kindern erlauben und was nicht?

Es gibt neue Forschungen von Jonathan Haidt, demnach ist es eine gute Praxis, Kindern bis 13 Jahren gar keine eigenen Smartphones zu geben. Das Problem ist aber, dass sich Eltern verpflichtet fühlen, ihre Kinder Telefone nutzen zu lassen. Denn wenn alle Freunde damit kommunizieren, müssen sie es auch, um nicht ausgeschlossen zu sein. Man muss daher die Eltern ermutigen, diese sozialen Normen zu verändern. Man muss in der Gruppe Schulprinzipien finden.

Warum finden Sie Smartphones bei Kindern so problematisch?

Die Gamification der Identität und des Selbstwertgefühls auf Basis von Likes und Followern im Alter zwischen etwa zehn und 14 Jahren ist so schädlich, dass wir sie nicht erlauben sollten. Das ist eine sehr verletzbare Phase des Lebens, in der die Kinder ihre Identität entwickeln. Doch die Lektion aus den Filtern der Smartphone-Apps lautet: Andere Leute mögen dich, aber nur wenn du einen Filter nutzt, der dich schöner erscheinen und anders aussehen lässt, als du eigentlich aussiehst. Das verankert unrealistische Erwartungen an Aussehen und Identität.

Is this the world we live in?

Ich will Technologie aber nicht grundsätzlich verteufeln, Computer sind übrigens großartig. Es geht um das Design von Smartphones und sozialen Netzwerken, die unsere Aufmerksamkeit manipulieren.

Was raten Sie in Bezug auf Videospiele?

Ich habe als Kind auch Computer gespielt. Bei Telefonen sind die Spiele jedoch direkt neben wichtigen Kommunikationswerkzeugen, viele gehen damit schlafen und stehen damit auf. Das ist eine zu große Nähe zum Alltag und eine gefährliche Vermischung. Es ist daher besser, ein spezielles Gerät nur zum Spielen zu haben, das man nur bei bestimmten Gelegenheiten nutzt. Man muss außerdem sehr vorsichtig sein und sich fragen, ob das Geschäftsmodell des Spieleherstellers mit dem Entwicklungsstand des Kindes zusammenpasst. Wer kümmert sich wirklich um die Kinder und wem geht es nur darum, sie an den Bildschirm zu fesseln? Man sollte übrigens auch wissen, dass sehr viele Menschen im Silicon Valley ihre Kinder keine Smartphones und keine Social Media nutzen lassen.

„Wir müssen uns nur den Aufstieg der digital entrümpelten Schulen [in USA] anschauen. Dort wird es Kindern nicht erlaubt, Smartphones oder Laptops zu nutzen. Die arbeiten dort mit Büchern, mit Papier und Stift. Sehr altmodisch. Aber diese Schulen sind sehr teuer und sehr exklusiv. In einigen Fällen schickt die Silicon-Valley-Elite ihre Kinder auf diese Schulen. Was natürlich unheimlich heuchlerisch ist.“ Aus: Welt, 26.11.2019, Interview von Martin Hahn mit dem amerikanischen Historiker und Suchtexperte David T. Courtwright

Einfügen der Bilder und Kasten in den Text durch Schulforum-Berlin.