Empfehlungen zur Leseförderung der Stiftung Lesen

Politische und programmatische Empfehlungen für bessere Bildung

Lesekompetenz ist eine zentrale, wenn nicht die Schlüsselqualifikation und wichtigste Bildungsvoraussetzung in Deutschland:

  • Lesen und Lesekompetenz sind Basis erfolgreicher Schul- und Berufslaufbahnen
  • Lesen ist Basis für Meinungsbildung, soziale Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe
  • Leseförderung ist eine der effektivsten und effizientesten Bildungsinvestitionen

Die Stiftung Lesen hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, Lesefreude zu wecken und Lesekompetenz in ganz Deutschland zu stärken – unabhängig von den materiellen, kulturellen oder sozialen Voraussetzungen jedes Einzelnen.

Warum Leseförderung in Deutschland unerlässlich ist:

  • Bundesweit sind 7,5 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren nicht in der Lage, Texte richtig zu verstehen und richtig zu schreiben. Der Anteil dieser sogenannten funktionalen Analphabeten entspricht 14,5 Prozent der Deutsch sprechenden Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (leo. – Level-One Studie 2011). [1]
  • 17,5 Prozent der 16- bis 65-Jährigen in Deutschland sind maximal in der Lage, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu lesen und ihnen in stark begrenztem Maße Informationen zu entnehmen (PIAAC-Studie 2013). [2]
  • Mangelnde Lesefähigkeiten bilden ein nachwachsendes Problem: 16,2 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben (PISA-Studie 2015). [3] 18,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler der vierten Grundschulklassen verfügen über kein ausreichendes Leistungsniveau im Lesen (IGLU-Studie 2016). [4] 13 Prozent der Grundschüler insgesamt erreichen nicht den Mindeststandard im Lesen, dem gegenüber erreichen nur 66 Prozent den Regelstandard sowie lediglich 10 Prozent den Optimalstandard (IQB-Ländervergleich 2016). [5]
  • Unter den Kindern und Jugendlichen wachsen somit kontinuierlich neue Generationen potenzieller funktionaler Analphabeten heran. Aufgrund mangelnder Lesefähigkeiten fehlt ihnen eine zentrale Voraussetzung für Bildung und Zugang zum Arbeitsmarkt. Es ist zu erwarten, dass sich das Problem in künftige Generationen fortsetzen wird, wenn die heutigen Kinder und Jugendlichen wiederum selbst Kinder haben und als Eltern nicht die notwendige Förderung anbieten. […]

Warum Lesen und Vorlesen in allen gesellschaftlichen Gruppen wichtig ist:

  • Ursachen für die Defizite in den Lesefähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen liegen in beträchtlichem Maße in der (früh-) kindlichen Lesesozialisation, die den formalen Bildungsinstitutionen notwendig vorgelagert ist: Nur 48 Prozent der Eltern von Kindern unter 12 Jahren halten Lesefreude für ein wichtiges Erziehungsziel. 39 Prozent nehmen Einfluss darauf, was ihre Kinder lesen, 30 Prozent darauf, wie viel sie lesen (Stiftung Lesen 2010). [12]
  • In 31 Prozent der Familien mit Kindern im Vorlesealter lesen Eltern selten oder nie vor. Die zentrale Vorleseperson ist für Kinder deutlich häufiger die Mutter als der Vater. 67 Prozent der Mütter lesen ihren Kindern täglich oder mehrmals in der Woche vor, jedoch nur 45 Prozent der Väter. Die geringe Präsenz von Vätern als Lesevorbilder und Vorleseakteure bedeutet eine mangelnde Unterstützung der Lesesozialisation vor allem von Jungen (Stiftung Lesen 2014 und 2013). [13]
  • Eltern besitzen ambivalente Einstellungen zum Lesen: Zwar stimmen 84 Prozent der Erwachsenen der Aussage zu, dass Lesen wichtig für die Entwicklung von Kindern ist. Die Mehrheit der Eltern von Kindern unter 12 Jahren meint, es bringe Kinder besonders voran, wenn sie gut lesen können (62 %) und wenn sie viele Bücher lesen (58 %). Jedoch glauben nur 52 Prozent daran, dass es überhaupt möglich ist, Kindern Lesefreude zu vermitteln (Stiftung Lesen 2010). [14]
  • Eltern ist nicht ausreichend bewusst, dass Lesen Kinder ganzheitlich fördert: Zwar sieht eine Mehrheit durch Lesen Wissen (93 %), Sprachkompetenz (96 %) und verschiedene kognitive Fähigkeiten gefördert, nur eine Minderheit dagegen bringt Lesen mit der emotionalen Entwicklung von Kindern und ihren sozialen Kompetenzen in Verbindung:
    30 Prozent sehen z. B. die Kontaktfreude von Kindern durch Lesen eher gehemmt. Demgegenüber stehen gerade emotionale und soziale Fähigkeiten an der Spitze der Erziehungsziele von Eltern (Stiftung Lesen 2010). [15]
  • Die genannten Einstellungen sind vor allem in solchen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet, die aufgrund von ungünstigen Ausgangsbedingungen benachteiligt sind. Deshalb gehören Familien mit niedrigem Bildungsniveau – vielfach zugleich mit Migrationshintergrund – zu den wichtigsten Zielgruppen der Leseförderung (PISA 2000, 2009, 2012 und 2015). [16] […]

Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Leseförderung in Deutschland:

Mit Blick auf die Defizite in der Leseförderung und Lesesozialisation in den Familien, den Bildungsinstitutionen und in der Gesellschaft sind folgende Maßnahmen notwendig:

  • Fortsetzung und Intensivierung der begonnenen frühkindlichen Leseförderprogramme – Lesestart: Die Stiftung Lesen nimmt sich mit bundesweiten Programmen der Bewusstseinsbildung, Sensibilisierung und Ausstattung mit ‚Lese- und Vorlesestoff‘ für Familien, Eltern und Kinder an: Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen (ein frühkindliches Leseförderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, durchgeführt von der Stiftung Lesen, mit flankierender Unterstützung einiger Länder) und Mein Papa liest vor (unter der Schirmherrschaft der meisten Ministerpräsidenten der Länder) erreichen Familien mit Kindern im Vorlesealter. Das bundesweite Programm Lesestart muss verstetigt werden mit finanzieller Unterstützung des Bundes und aller Bundesländer.
  • Investitionen in Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung: Sensibilisierung von Eltern und Erwachsenen, ihre Verantwortung für eine möglichst frühe und intensive Förderung der Sprachentwicklung und des Lesens ihrer Kinder wahrzunehmen. Besonders vordringlich und effektiv ist dies im Bereich des Vorlesens: Kinder, denen in der Familie vorgelesen wird, entwickeln häufiger Lesefreude, Lesemotivation und Lesekompetenz als Kinder, denen nicht vorgelesen wird (OECD 2012). [21] Sie verfügen über vielfältige Interessen und Kompetenzen, die sich fächerübergreifend in besseren schulischen Leistungen niederschlagen und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und hohe Empathie – unabhängig vom Bildungshintergrund der Familien (Stiftung Lesen 2011; Stiftung Lesen 2015). [22]
  • Breites öffentliches Engagement für Lesen und Vorlesen in Deutschland: Der Bundesweite Vorlesetag mit über 173.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wirkt mit Vorleseaktionen zahlreicher Politiker, Prominenter und Entscheider in eine breite Öffentlichkeit hinein. Der Bundesweite Vorlesetag wird mit umfassender gesellschaftlicher Unterstützung etabliert. Das Netzwerk Vorlesen der Stiftung Lesen motiviert und aktiviert hierzu begleitend Ehrenamtliche und Initiativen in allen Ländern und Kommunen in Deutschland, Kindern vorzulesen.
  • Verbindung von schulischen und außer-schulischen Programmen: Investitionen in Maßnahmen zur schulbegleitenden non-formalen und informellen Leseförderung von Kindern und Jugendlichen gelingen nachweislich durch Angebote, die Kindern und Jugendlichen Lesen im Kontext anderer Medien erfahrbar machen und ihnen durch freizeitorientierte, kreative und spielerische Impulse Freude am Lesen vermitteln (Stiftung Lesen 2011). [23] Die Stiftung Lesen setzt dies durch die Einrichtung von Leseclubs (mit Unterstützung des Bundes und privater Einrichtungen) und den Einsatz von Lesescouts um, die in allen Schulen und außerschulischen Lernorten etabliert werden.
  • Höhere Bildungsinvestitionen: Von den Gesamtausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für Bildung, Forschung und Wissenschaft entfielen im Jahr 2014 190,7 Mrd. Euro auf das Bildungsbudget (2013: 186,5 Mrd. Euro). Mit 151,7 Mrd. Euro entfielen davon mehr als drei Viertel auf die Ausgaben für Kindergärten, Schulen, Berufsbildung und Hochschulen (Bildungsfinanzbericht 2016). [24] Der Anteil der Bildungsausgaben am BIP liegt in Deutschland deutlich niedriger als in anderen OECD-Staaten: In Deutschland wurden 2013 4,3 Prozent des BIP für öffentliche und private Bildungseinrichtungen verwendet – im Vergleich zu 5,2 Prozent des BIP im Durchschnitt der OECD Länder (Bildung auf einen Blick 2016). [25] Die Stiftung Lesen setzt sich für eine signifikante Erhöhung der Mittel aus Bund, Ländern und Kommunen im Bereich der Leseförderung für Familien, Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein.

Die vollständige Liste der Empfehlungen der Stiftung Lesen mit den Quellenangaben steht auch als PDF-Datei zur Verfügung.