Lehrer müssen Autoritäten sein – nicht autoritär

Wissen, wo es lang geht

Wer in den Lehrerberuf startet, ist meist noch jung – darf sich aber nicht mit den Schülern verbrüdern oder ihr Kumpel sein wollen. Nur ausgestattet mit einer gesunden Autorität, können Lehrer ihren Auftrag erfüllen: Heranwachsenden Orientierung auf dem Weg ins Leben zu geben.

Peter Maier, Gymnasiallehrer und Mentor beleuchtet die Hintergründe

Schüler brauchen Klarheit und Orientierung

Zu einer menschlichen und lebendigen Pädagogik gehört es, als Lehrer klar und konsequent zu sein, selbst wenn die Schüler dies vordergründig als garstig und abweisend empfinden sollten. Es ist wohl die pädagogische Kunst schlechthin, als Lehrer einen klaren Weg zu finden zwischen echter Autorität (Ausstrahlung) und autoritärem Gehabe. Schüler besitzen dafür empfindliche Sensoren und können durchaus unterscheiden, ob diese Ausstrahlung des Lehrers überzeugend oder nur vorgespielt ist.

Sie wünschen sich zu Recht einen Lehrer mit echter Autorität, der sie beachtet, liebt, ernst nimmt, fördert, unterstützt und den sie gleichzeitig respektieren können. Auch sollte er neben fachlichem Wissen echte Empathiefähigkeit besitzen. Gleichzeitig erwarten gerade Jungs, dass ein Lehrer sich durchsetzen und überzeugend Grenzen setzen kann, falls diese von der Klasse oder von einzelnen Schülern in Frage gestellt werden. Indem Heranwachsende die Autorität des Lehrers testen, loten sie zugleich aus, wie weit sie selbst gehen können. Dies gehört zur Pubertät im Allgemeinen und zum „Spiel“ des Unterrichts zwischen Schülern und Lehrern im Besonderen.

Der Lehrer muss Grenzen setzen können

Die Grundlage für einen guten (Fach-) Unterricht ist eine geklärte Beziehung zwischen den einzelnen Schülern, der ganzen Klasse und dem Lehrer. Beide Ziele des Bildungskanons – die Wissensvermittlung und die gleichzeitige Begleitung der Schüler bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung – können nur erreicht werden, wenn der Grundsatz „Erziehung durch Beziehung“ konkret Wirklichkeit wird. An dem Lehrer liegt es, dass sich innerhalb der Schulstrukturen ein pädagogischer Raum öffnet, in dem Fachunterricht stattfinden, die einzelnen Schüler individuell gefördert und ein möglichst gutes Arbeitsklima herrschen kann.

Eine Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass der Pädagoge selbst im Tiefsten seiner Persönlichkeit erwachsen geworden ist. Nur dann kann er die „Königsaufgabe“ erfüllen, die mit seinem Beruf verbunden ist: seinen Schülern Orientierung geben, ihnen ein Vorbild bei ihrer eigenen Persönlichkeitsentfaltung zu sein und sie dabei kompetent zu begleiten. Zu dieser Rolle gehört auch die Fähigkeit, einzelnen Schülern oder ganzen Klassen [Klassengemeinschaft] klare Grenzen setzen zu können.

Das Erwachsenwerden erfordert Begleitung und Orientierung

Manche Schüler schreien förmlich danach, durch den Lehrer solche Grenzen zu erleben, weil sie sie zu Hause vermissen – sei es, weil ihre Eltern überfordert oder selbst noch nicht ganz erwachsen sind; weil ihre Eltern aus falsch verstandener Liebe zu viele Zugeständnisse machen oder sie es schlicht versäumt haben, ihnen respektvolles Verhalten anzuerziehen. […]

Lehrer müssen Autoritäten sein – nicht autoritär

Kuschelpädagogik ist besonders in Jungenklassen der falsche Ansatz, wenn klare Ansagen und harte Grenzziehungen erwartet werden. Die Schüler haben es verdient, dass diese Grenzen vom Lehrer auch gesetzt werden.

Es ist eine verständliche, oft aber eine falsche Haltung, sich als Lehrer von den Schülern auf der Nase herumtanzen zu lassen, nur um sich bei ihnen ja nicht unbeliebt zu machen. Genau das Gegenteil ist meist der Fall: Die Schüler verlieren den Respekt vor dem Lehrer.

Es sollte nicht das Ziel der Pädagogen sein, von den Schülern geliebt zu werden oder sich mit ihnen gar zu „verbrüdern“. Diese wollen in der Regel gar keinen Kumpel als Lehrer. Sie wollen ihn vielmehr respektieren können als ein erwachsenes Gegenüber, an dem sie sich orientieren und reiben können, der sie ernst nimmt, auch indem er Verstöße ahndet oder Konsequenzen zieht, wenn über die Stränge geschlagen worden ist.

Als Lehrer trage ich die Verantwortung für den Unterricht und für die mir anvertrauten Schüler. Darum ist es meine Pflicht, stets „Chef/in im Ring“ zu bleiben – in meiner inneren Autorität und auch wörtlich gesehen im Klassenzimmer.

Echte und verantwortliche Liebe des Lehrers zu seinen Schülern kann daher auch heißen, konsequent zu sein, klare Grenzen zu setzen und auf deren Einhaltung zu bestehen. Auch dies gehört meiner Ansicht nach zu einer wirklichen Pädagogik des Herzens. Es ist gut, neben dem lehrerzentrierten Unterricht viele andere Unterrichtsmethoden zur Verfügung zu haben und zu beherrschen: Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Projektarbeit usw. Dennoch darf ich als Lehrer auch bei diesen anderen Unterrichtsformen niemals die eigentliche Leitung aus der Hand geben.

Aus: Friedrich Verlag, Geschichte lernen, Beilage Bildung + Referendare 2/2018


Siehe auch zu diesem Thema:  Autorität ist ein Grundbedürfnis

F.A.Z. – FEUILLETON, 24.01.2019, Hannah Bethke, Korrespondentin des Feuilletons der F.A.Z. in Berlin

Wer keine Grenzen zieht, übt ungesehen Macht aus. Wo bleibt die gute Pädagogik, die Denken nicht durch Wissen ersetzt und Freiheit nicht mit Vernachlässigung verwechselt?

[…] „Lehrer sind oft nicht gestärkt genug, nein zu sagen“, erzählt eine Berliner Gymnasiallehrerin: „Schüler werden angeglichen, weil Lehrer Angst haben, Leistungen als schlecht zu bewerten.“ Wer nein sagt, dem mangele es nicht an Empathie; im Gegenteil sei es in der Erziehung empathisch, (auch einmal) nein zu sagen. Hier geht es also um notwendige Grenzziehungen in der Pädagogik, um etwas, das der Soziologe Richard Sennett so formuliert hat: „Das Bedürfnis nach Autorität ist elementar“ – nicht in Form von Unterdrückung und Repression, sondern als Instanz, die anleitet, orientiert und Sicherheit gibt. […]

In einem Unterricht, der angeblich der Freiheit der Kinder dienen soll, werden die Schüler beim Lernen allzu oft allein gelassen. Wenn sie Regeln nicht einhalten, werden sie häufig mit einer Zuwendungspädagogik eingelullt, statt Grenzen gezogen zu bekommen. Davon berichtet ein Berliner Grundschullehrer: „Wenn Schüler Mist bauen, unterbinden viele Lehrerinnen das nicht, sondern gehen zu den Schülern und sagen ganz freundlich: ,Ach Mensch, was ist denn bloß mit dir? Irgendetwas stimmt doch mit dir nicht, meinst du nicht auch? Lass uns doch mal gemeinsam ganz in Ruhe darüber reden‘.“ Das sei eine viel größere Machtausübung, als klar zu sagen, „bis hierhin und nicht weiter“. Was der Berliner Lehrer hier beobachtet, hat eine strukturelle Ähnlichkeit mit der Zauberformel der (Leistungs-)Gleichheit, die nur zu haben ist, wenn die Anforderungen nach unten geschraubt und dadurch alle gleich gut werden: Unter dem Diktum des antiautoritären Lernens und Unterrichtens wird Autorität ausgeübt – und das ist sicher nicht die Art von Autorität, die Sennett als elementares Bedürfnis erkannt hat. Aus:  F.A.Z. – FEUILLETON, 24.01.2019, Hannah Bethke, Autorität ist ein Grundbedürfnis