Wird die Schule zur Quasselbude?

Datum: 18.03.2015
Wissen weniger wichtig – Der Kompetenz-Fetisch
von Klara Keutel und Jan Grossarth

Wissen wird in den Schulen weniger wichtig, Kompetenzen dafür umso mehr.
Hannes Roth ist Referendar für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen. Er staunt nicht schlecht, was von ihm verlangt wird, wenn die Prüfungskommission zum Unterrichtsbesuch angekündigt ist. Mehrfacher Methodenwechsel – Gruppenarbeit, Diskussion, Tafelbild, Videoeinspielung – und größtmögliche Zurückhaltung. „Der Lehrer soll so wenig wie möglich vorgeben“, sagt Roth. 45 Minuten Unterricht erfordern wochenlange Vorbereitung und ein 25-seitiges schriftliches Konzept.  Darin muss sehr oft das Wort Kompetenz stehen: Die Rede ist von Methoden- und Verfahrenskompetenzen, Handlungs-, Urteils-, Entscheidungs- und Sachkompetenzen.

Vom Lehrplan zum Kerncurriculum oder Bildungsstandard, von primär inhaltlicher zu sogenannter Kompetenzorientierung. „Output-orientiertes Lernen“ steht jetzt auf dem Plan.
Konrad Paul Liessmann, Philosophieprofessor an der Universität Wien spricht vom Kompetenzfetischismus, nahezu beliebiger Erweiterbarkeit und von einer Ökonomisierung der Bildung.  Wissen und Bildung nur danach auszurichten, was die Verfasser des Lehrplans gerade als nützliche Fertigkeit ansähen, öffne Willkür und Ideologie die Türen.
Die Beliebigkeit ist auch der Kritikpunkt von Peter Euler, Pädagogikprofessor an der TU Darmstadt. Er sieht eine „Unterwerfung aller Lebensbereiche unter ökonomische Verwertungsbedingungen“, scherzt, es sei die „zentrale Zukunftskompetenz, Inkompetenz kompetent zu kompensieren“. Wird die Schule zur Quasselbude? Ein Ort zum „Lernen des Lernens, also von einem Lernen, bei dem das Lernen Inhalt ist, also keinen Inhalt mehr hat“.

zum Artikel:   FAZ, 18.02.2015, Klara Keutel und Jan Grossarth, Wissen weniger wichtig – Der Kompetenz-Fetisch