Archiv für den Tag: 21. August 2022

Zwischenruf einer Lehrerin: Unser Beruf ist extrem belastend geworden!

Entgegen aller Vorurteile ist der Lehrerberuf keineswegs geruhsam. Eine Berliner Lehrerin über die Härten ihres Jobs.

Franziska Klumpp

Der Lehrerberuf ist schön, nur bei Regen nicht, weiß die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse aus eigener Erfahrung als langjährige Schulleiterin einer Grundschule in Berlin-Neukölln. Bei der Verbeamtungszeremonie letzte Woche, bei der seit 18 Jahren das erste Mal wieder junge Berliner Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet wurden, bekannte sie: Nach drei Regenpausen habe sie sich hin und wieder doch gefragt, warum sie sich das eigentlich antue.

Liebe Frau Senatorin, wenn es weiter nichts wäre als verregnete Pausen! Wenn es weiter nichts wäre als Pausen, die mit Elterntelefonaten, Besprechungen, Kopieren und Organisieren verbracht werden statt in Ruhe mit einer Tasse Kaffee! Wenn es nicht mehr wäre als Arbeiten in oft heruntergekommenen Schulgebäuden und mit alten und zu wenigen Computern! Wenn es weiter nichts wäre als Klassenstärken von über 30 Schülerinnen und Schülern, davon immer mehr mit häuslichen Problemen, Lernschwierigkeiten und verschiedenem Förderbedarf! Wenn es weiter nichts wäre als ständig zunehmende Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben zusätzlich zu den 26 Unterrichtsstunden pro Woche! Wenn es nicht mehr wäre als die Vorbereitung von Prüfungen und die schier endlosen Korrekturen von Klausuren, die wieder einmal die Ferien, das Wochenende oder die letzten Nächte gekostet haben! Wenn es weiter nichts wäre als die allabendliche Unterrichtsvorbereitung, während andere Leute Feierabend haben, den „Tatort“ sehen oder einem Hobby frönen!

Die Dauerbelastung der Berliner Lehrkräfte

Wenn es weiter nichts wäre als das Fehlen jeder Aufstiegsperspektive oder die fehlender Anerkennung durch Schulleitung, Schulaufsicht und Senatsverwaltung, die Jahr für Jahr neue außerunterrichtliche Aufgaben ersinnen, ohne dass je etwas dafür wegfiele! Wenn es weiter nichts wäre als das!

Aber all das zusammen, liebe Frau Senatorin, bedeutet eine Dauerüberlastung der Berliner Lehrkräfte, die dazu führt, dass immer mehr in Teilzeit arbeiten. Denn anders ist das Pensum kaum zu schaffen, wenn man – fast hätte ich es vergessen! – neben all dem auch für jede einzelne Schülerin und jeden Schüler da sein möchte, freundlich, geduldig und einfühlsam.

Wenn man wissen möchte, wie es den Beschäftigten einer Branche geht, blättere man einfach in den Blättchen der jeweiligen Berufsverbände. Wer wirbt darin wofür? Im PROFIL, dem Magazin für Gymnasium und Gesellschaft des Deutschen Philologenverbandes, sind es vor allem Burn-out-Kliniken, die in jeder Nummer großformatig mit Verheißungen werben wie „Erschöpft und ausgebrannt? Wir sind für Sie da!“

Die meisten Lehrer haben eine Sieben-Tage-Arbeitswoche

Eine andere verspricht „Endlich wieder Ruhe finden – wir helfen bei Depressionen, Burn-out und Angst- und Stresserkrankungen“.

Arbeitszeitstudien, wie z.B. 2020 die Studie Lehrerarbeit im Wandel (LaiW) des Deutschen Philologenverbandes belegen immer wieder, dass ein Großteil der Lehrer eine 7-Tage-Arbeitswoche hat. Nur etwa die Hälfte der Befragten gab an, eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden und vier von zehn Lehrkräften klagten über Schlafprobleme.

Da klingt es wie Hohn, wenn bei der erwähnten Verbeamtungszeremonie die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey die jungen Beamten auf die rot-weißen Kordeln an ihren Verbeamtungsurkunden hinwies, die ein Zeichen seien für „die Lebenszeitverbeamtung und ruhigen Schlaf“.

Dank der verfehlten Einstellungspolitik und der Sparmaßnahmen des Berliner Senats, gepaart mit permanenten „Bildungsreformen“ und ständig wachsenden Aufgaben jenseits des Unterrichts, ist der Lehrberuf in den letzten Jahrzehnten ein extrem belastender und gesundheitsschädlicher Beruf geworden.

Vor allem Lehrkräfte mit Kindern sehen sich genötigt, ihre Arbeitszeit drastisch zu reduzieren. Niemand kann 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten, wenn auch eigener Nachwuchs Ansprüche an Zeit, Kraft und Zuwendung stellt. Nur die wenigsten Lehrkräfte halten bis zur Pensionierung durch, wenn sie in Vollzeit arbeiten. Aber vielleicht können sich die nun neu bestallten Beamten ja, wenn sie erst einmal im Hamsterrad Schule angekommen und bald darauf am Ende ihrer Kräfte sind, an der eigenen rot-weißen Kordel aus dem Sumpf der Verzweiflung ziehen.

Die Autorin ist seit 1999 im Berliner Schuldienst und unterrichtet an einem Pankower Gymnasium die Fächer Englisch, Deutsch und Latein. Dieser Beitrag erscheint auf der Website Schulforum-Berlin mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Er ist zuerst in der Berliner Zeitung erschienen.