„Drei Studien erwecken den Eindruck, als lasse sich Lernen durch digitale Medien revolutionieren“

Die Digitalillusion

FAZ, 18.09.2017, Heike Schmoll, Berlin

Es scheint so, als hinge die gesamte Zukunft der schulischen Bildung daran, ob digitale Medien in den Schulen zur Selbstverständlichkeit werden. Jedenfalls legen das zwei Studien und das Bildungsbarometer des ifo-Instituts nahe. Die Schulen sollten die Digitalisierung vorantreiben, finden laut ifo-Umfrage 63 Prozent der über 4000 repräsentativ befragten Deutschen; sie halten es für richtig, 30 Prozent der Unterrichtszeit für das selbständige Arbeiten am Computer zu nutzen. Vor zwei Jahren waren erst 48 Prozent dafür. Einheitliche Abschlussprüfungen beim Haupt-und Realschulabschluss, sowie beim Abitur wünscht sich eine überwältigende Mehrheit, 75 Prozent sprechen sich außerdem dafür aus, Bildungsreformen zunächst in kleinem Rahmen zu testen, bevor sie flächendeckend eingeführt werden.

aus: „Bildungsbarometer 2017“, ifo-Institut (Leibnitz Institut, Institut für Wirtschaftsforschung), (Sept. 2017)
Es wird nicht untersucht, wie Bildungspolitik bestmöglich gestaltet werden sollte, um das Bildungssystem zu verbessern. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, welche Meinungen die Deutschen haben und in welchen Bereichen und unter welchen Umständen sich politische Mehrheiten für oder gegen Bildungsreformen finden.
Die Ergebnisse zeigen also Bereiche auf, in denen politische Reformen auf öffentliche Akzeptanz treffen und somit leichter umsetzbar sein dürften. (S.17f)
Insgesamt zeigt das ifo Bildungsbarometer deutlich, dass die Bereitstellung bestimmter Informationen bildungspolitische Meinungen verändern kann. (S.37, letzter Satz der Dokumentation)

Über die Hälfte der Erwachsenen hält es laut ifo-Institut für angebracht, Digitatalkompetenzen schon vom Grundschulalter zu vermitteln, bei den weiterführenden Schulen sprechen sich sogar 90 Prozent dafür aus. Außerdem wünschen sie sich, dass der Bund jeden Schüler an einer weiterführenden Schule mit einem Laptop oder Computer ausstattet, was ganz gewiss nicht geschehen wird, selbst wenn der von Bundesbildungsministerin Wanka (CDU) Ende 2016 mit viel Wind angekündigte Digitalpakt tatsächlich noch einmal kommen sollte. Das wird ganz entscheidend davon abhängen, ob der Bundesfinanzminister die dafür nötigen fünf Milliarden Euro bereitstellt. Außerdem wollen die Befragten verpflichtende jährliche Fortbildungen in Digital- und Medienkompetenzen. Mit dem üblichen Alarmismus, den solche Studien im Sinne der öffentlichen Aufmerksamkeit pflegen, stellte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung am vergangenen Donnerstag eine Expertise zu „Kompetenzen in der digitalen Welt“ vor, die im Wesentlichen von der Paderborner Erziehungswissenschaftlerin Birgit Eickelmann verantwortet wird. Digitale Bildung sei längst nicht flächendeckend in den Schulen angekommen, und die Digitalisierung des Schulbereichs (was auch immer das eigentlich sein soll) halte nicht mit den Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen Schritt. Das Beste an der Expertise sind noch Beispiele aus der Praxis in unterschiedlichen Ländern, die im Übrigen zeigen, dass alle Bundesländer längst auf die Entwicklung digitaler Medien reagiert haben und versuchen, ihre Schüler in einem reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu üben. Der Slogan von der digitalen Bildung ist abwegig. Sie kann es nicht geben. Schüler können sich nur selbst bilden und allenfalls mit Hilfe digitaler Medien, und wie ertragreich das ist, steht noch längst nicht fest.

In völlig unkritischer Weise rechnen alle, die für die Nutzung digitaler Medien die Werbetrommel rühren, damit, dass sie das Lernen verbessern könnten. Von einer Revolution des Lernens zu sprechen entbehrt jeder empirischen Grundlage. Auch der Unterricht wird nicht neu erfunden, nur weil die Tafel kreidefrei ist und die Schüler bücherlos lernen. Bei der schulischen Nutzung digitaler Medien gehe es darum, „die rasanten technischen Entwicklungen pädagogisch zu nutzen und Lehr-Lern-Prozesse dadurch zu verbessern, Motivation und Interesse zu fördern, bestimmte Schülergruppen zu fördern und den Umgang mit Heterogenität zu unterstützen“, heißt es in der Expertise der Ebert-Stiftung. Das wirkt so, als könnten mit digitalen Medien alle Unterrichtsprobleme in Klassen mit unterschiedlichen Schülern mit verschiedenem Lernstand gelöst werden. So verwundert es auch nicht, dass das Credo lautet: „Schulische Medienkonzepte sind für Schulen das zentrale Instrument für eine zukunftsfähige Schulentwicklung, das die Vermittlung digitaler Kompetenzen systematisch auf allen Schulebenen verankert.“

Unter der Überschrift „Der Geist ist willig, das W-Lan ist schwach“ erwartet die Bertelsmann Stiftung in einer am Freitag veröffentlichten Studie ähnlich umfassende Alleskönnerwirkungen vom Einsatz digitaler Medien. „Digitale Medien können dabei helfen, pädagogische Herausforderungen wie Inklusion, Ganztag oder die Förderung lernschwacher Schüler zu bewältigen.“ Doch nicht einmal 10 Prozent der Lehrer setzten die digitalen Medien ein, selbst etablierte Medien wie Youtube Wikis und Power Point würden nur gelegentlich im Unterricht eingesetzt.

Die Vernunft der meisten Lehrer scheint doch noch beträchtlich zu sein. Denn welcher moderne Vortragshörer hat noch kein Power-Point-Trauma? Ihre Zurückhaltung begründeten die Lehrer mit technischen Rahmenbedingungen. Nur jeder Dritte sei mit dem W-Lan zufrieden, jeder fünfte beklagte, dass es an seiner Schule kein W-Lan gebe. „Tatsächlich messen nur acht Prozent der Schulleitungen der Digitalisierung hohe strategische Bedeutung für die Ausrichtung ihrer Schule zu.“ Deshalb entwickele das Kollegium kein gemeinsames didaktisches Verständnis. „Digitalisierung darf für Lehrkräfte nicht als zusätzliche Belastung erscheinen, sondern sollte Teil der Lösung für ihre pädagogischen Herausforderungen sein“, heißt es in der dritten Ausgabe des „Monitor Digitale Bildung“ von Bertelsmann.

Wer sich all das ansieht und die vielen müsste, sollte, dürfte und könnte liest, wird den Eindruck nicht los, dass es sich beim Einsatz digitaler Medien an den Schulen mehr um Ideologie als um eine zukunftsweisende Strategie handelt. Wieso sollte das gesamte Wohl und Wehe der Schulen von dem Versuch abhängen, sämtliche Lernprobleme mit Hilfe digitaler Medien zu lösen? Dafür finden sich keine Belege, und trotzdem wird ein solcher Unterricht forciert. In einer Studie mit Grundschülern, in deren Unterricht einmal in der Woche Computer eingesetzt wurden, erreichten die Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften „statistisch signifikant niedrigere Kompetenzen“ als Grundschüler, die seltener als einmal in der Woche Computer nutzten.

Die über drei Jahre erhobene Hamburger Studie mit über 1300 Schülern mit dem dortigen BYOD-Ansatz (Bring Your Own Device — also mit eigenen Mobilgeräten) zeigt, dass die Erwartungen längst nicht erfüllt wurden. Weder entwickelten die Schüler eine messbare höhere Leistungsmotivation noch eine stärkere Identifikation mit der Schule. Es werde weder besser mit Quellen umgegangen noch sei eine höhere Informationskompetenz erreicht, heißt es darin. Softwaregesteuerter Unterricht hat also bisher keinen nachweisbaren Nutzen. Der Gegenbeweis wäre erst zu erbringen. Bis dahin hängt die Qualität des Unterrichts von den fachlichen und didaktischen Fähigkeiten des Lehrers und der Lernumgebung ab. Einen unfähigen Lehrer kann eben auch keine noch so intelligente Software kompensieren.

Hervorhebungen im Fettdruck und Einzug durch Schulforum-Berlin

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