„Es muss unterschiedliche Wege geben“

Datum:   30.03.2015
Inklusion: „Da gibt es Grenzen des Zumutbaren“
von Bernadette Bayrhammer, Die Presse, Wien
Die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung sei ein gutes Anliegen, sagt Prof. Dr. Bernd Ahrbeck vom Institut für Rehabilitationswissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin – trotzdem sollten Förderschulen nicht abgeschafft werden.

(…) Wo wäre denn die Grenze, was die Integration von Kindern mit Behinderung angeht?
Es gibt zwei kritische Punkte: wenn das behinderte Kind dort nicht gut zurechtkommt, also schlechter als in einer speziellen Einrichtung. Oder wenn die gesamte Klassengemeinschaft von der gemeinsamen Beschulung massive Nachteile hat, etwa bei Kindern, die verhaltensgestört oder gewalttätig sind. Da gibt es Grenzen des Zumutbaren.

Es wird viel darüber gestritten, ob es Sonderschulen überhaupt noch geben soll. In der UN-Menschenrechtskonvention ist die Rede von der vollständigen Integration.
Die UN-Konvention ist da ziemlich offen, sie lässt verschiedene Interpretationen zu. Zum einen wird das Recht auf eine allgemeine Schule betont. Zum anderen geht es darum, dass Kinder das höchstmögliche Maß an Förderung bekommen sollen und dass Besonderes nicht negativ diskriminierend angesehen werden darf.

Und das bedeutet Ihrer Meinung nach?
Es muss unterschiedliche Wege geben. Kinder, die die Gebärdensprache brauchen, müssen untereinander sein, damit sie kommunizieren können. Wenn nicht, ist ihr Kommunikationssystem nur begrenzt zugänglich, und sie haben erhebliche Nachteile davon. Was ist, wenn etwa Kinder mit schweren Verhaltensstörungen spezielle intensivpädagogische Settings brauchen, um zurechtzukommen und letztlich einen Gewinn und nicht einen großen Nachteil von Schule zu haben?

Sie sagen: Wenn es nur noch Inklusion gibt, richtet man potenziell Schaden an.
Wenn man sagt, die gemeinsame Beschulung aller Kinder sei ein unumstößliches Menschenrecht, das für jeden zwingend gelten muss, dann spielt die Empirie und die Lebensrealität keine Rolle mehr. Dann gibt es nur eine Antwort, nämlich unbedingt Gemeinsamkeit. Und das halte ich für grundlegend falsch. Die Frage ist doch: Was bewirkt Schule bei Schülern? Und hier muss man die unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen empirischen Befunde zur Kenntnis nehmen. Sonst wird die Inklusion zu einem moralischen Unternehmen, bei dem das Kindeswohl im konkreten Fall an zweiter Stelle steht. (…)

zum Artikel:  Die Presse, Wien, 27.03.2015, Bernadette Bayrhammer, Inklusion: „Da gibt es Grenzen des Zumutbaren“

siehe auch:  Bildungsklick, 18.05.2012, Interview mit Prof. Dr. Bernd Ahrbeck, Inklusive Bildung,  „Ich glaube nicht, dass der inklusive Weg immer der richtige ist“