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Macht der Messung

Schule und Unterricht
„Bildung ist mehr als Kompetenztraining“

Neue Konzepte verändern unser Bildungswesen. Sie drohen, das Bildungsniveau zu senken, pädagogische Ziele zu unterlaufen und Schüler in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern zu behindern. Trotz wachsender Kritik werden sie bildungspolitisch durchgesetzt, werden Lehrpläne und Schulbücher entsprechend umgeschrieben und Lehrer daraufhin ausgebildet.
Interview mit Prof. Dr. Jochen Krautz

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Krautz, wohin steuert unser Bildungswesen?
Prof. Dr. Jochen Krautz: Besser wäre zu fragen, wohin es gesteuert wird. Die Schule der Zukunft soll nach den Vorstellungen machtvoller Akteure zu einer Art Dienstleistungsorganisation werden, die keine soziale Einrichtung mehr ist. Internationale Akteure, Lobbygruppen wie die Bertelsmann Stiftung treiben diesen Umbau nach ökonomistischen Prinzipien voran, die in der Bildung nichts verloren haben. Man schreibt Konzepte und konzipiert die Durchsetzungsstrategien, mit der vermeintliche „Lösungen“ an den Bürgern vorbei politisch umgesetzt werden.

Was sind das für Forderungen?
Aus dem ökonomischen Globalisierungsprozess wird abgeleitet, dass sich unser Bildungswesen auf die daraus vermeintlich resultierenden Anforderungen einzustellen habe. Bildung müsse befähigen, sich dieser Entwicklung anzupassen, also nicht kritisch zu hinterfragen, sondern „flexibel“ und „kreativ“ darauf zu reagieren. Die Reformmaßnahmen der letzten Jahre hängen damit zusammen, wenn dieser Zusammenhang auch oft nicht direkt einsichtig ist: Englisch schon im Kindergarten, individuelle Förderung, selbstgesteuertes Lernen, Lehrer als „Coaches“, Kompetenzorientierung, mehr Wettbewerb und Effizienz, Qualitätsmanagement und Evaluationen, zentrale Tests und Abschlüsse, PISA-Studien, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schulzeit, Notebook oder Tablet für jeden Schüler.

Was ist daran falsch?
All diese Maßnahmen führen faktisch zu einem schleichend veränderten Bildungsverständnis. Immer weniger wird darüber nachgedacht, worum es bei der Bildung eigentlich gehen sollte. Bildung ist mehr als „Kompetenztraining“, bedeutet Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen eines klaren Wertehorizonts. Dies ist auch in den meisten Landesverfassungen ausdrücklich so formuliert.  (…) [für Berlin siehe nachfolgend: Schulgesetz für das Land Berlin]

Wie sieht so eine ökonomisierte Bildung aus?
Ausgehend von der Annahme, dass wir uns in einem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft befinden, wird Wissen als die entscheidende Ressource für Wirtschaftswachstum angesehen und der Mensch gilt dabei als „Humankapital“, in das investiert werden muss. Die für die PISA-Tests verantwortliche OECD hat schon früh deutlich gemacht, dass Schulen und Universitäten eine Art Produktionsstätten für solches Humankapital sein sollten, die die Aufgabe haben, junge Menschen von Kultur und Traditionen abzukoppeln, also zu entwurzeln, um sie steuerbar zu machen, sie für den neoliberalen „Fortschritt“ zu öffnen. Der Bildungsprozess erschöpft sich deshalb in formulierten Ergebniserwartungen und deren Überprüfung. Relevant ist nur, was getestet werden kann. Qualität bedeutet dabei Effizienz: eine günstige Kosten-Nutzen-Relation. Da sich die Qualität wirklicher Bildung nicht so einfach messen lässt, rückt ein neuer Begriff in den Mittelpunkt: die Kompetenz. Kompetenz beschreibt laut OECD eben die Fähigkeit zur Anpassung. (…)

Wie kann sich so ein Konzept durchsetzen?
Indem man dezidierte Mechanismen der Propaganda anwendet. Eine Schlüsselrolle hat etwa die PISA-Studie der OECD gespielt. Sie inszeniert eine Scheinwirklichkeit: Auf ihre angeblich „objektiven“ Messdaten reagieren seitdem Medien, Politiker und Wissenschaftler. [siehe unten] Was PISA eigentlich misst, fragt niemand mehr. Und ob wir wollen, dass seitdem das Bildungswesen den Forderungen der OECD gemäß umgebaut wird, gerät auch aus dem Blick. Die OECD nimmt also eine normative Setzung vor und stülpt sie den nationalen Bildungswesen über: Sie definiert nun, was Bildung ist. Das ist ein klarer Fall von Kompetenzanmaßung. Und weil die OECD selbst sehr genau weiß, dass sie eigentlich keine legitimen Einflussmöglichkeiten auf nationale Bildungspolitik hat, arbeitet sie mit der „Naming-and-shaming-Technik“: Sie stellt „PISA-Verlierer“ an den medialen Pranger und lobt „PISA-Gewinner“. So übt sie starken Druck auf eigentlich souveräne Staaten aus. Und tatsächlich sorgte der „PISA-Schock“ für ein reflexives Vakuum, in dem man sich bereitwillig nach dem von der OECD propagierten Bildungskonzept richtete, um die „Schmach“ wettzumachen. So unterläuft die OECD nationale Verfassungen und nationale Lehrpläne. Sie setzt ein Menschenbild und einen Bildungsbegriff durch, der weit entfernt ist von dem, was demokratisch legitimierter Konsens ist. Die Politik und die Medien unterstützten die pseudowissenschaftliche Propaganda, indem sie eine wahre PISA-Hysterie schürten. (…)

zum Artikel:  ÖkologiePolitik, Nr. 168, 2015, Schule und Unterricht, „Bildung ist mehr als Kompetenztraining“


HopmannIn einem Sammelband „PISA zufolge PISA – Hält PISA, was es verspricht?“ von Dr. Stefan Thomas Hopmann, Professor für Schul- und Bildungsforschung an der Universität Wien, sind 18 Beiträge von Forscherinnen und Forschern aus 7 europäischen Ländern publiziert. Die Ergebnisse fasst er im Vorwort folgendermaßen zusammen:

„Das PISA-Projekt ist offenkundig mit so vielen Schwachstellen und Fehlerquellen belastet, dass sich zumindest die populärsten Endprodukte, die internationalen Vergleichstabellen sowie die meisten nationalen Zusatzanalysen zu Schulen und Schulstrukturen, Unterricht, Schulleistungen und Problemen wie Migration, sozialer Hintergrund, Geschlecht usw., in den bisher praktizierten Formen wissenschaftlich schlicht nicht aufrecht erhalten lassen.“

(…) „others tend to a conclusion that the PISA project is beyond repair (e.g. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) or so much embedded in a specific political purpose, that it rather should be considered as a type of research-based policy making, not as a scholarly undertaking (e.g. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

(…) „andere [Autoren] kommen zu dem Schluss, dass das PISA-Projekt nicht zu retten ist (z.B. Langfeldt, Meyerhöfer, Wuttke) oder so sehr einem spezifischen politischen Ziel untergeordnet ist, dass es sich eher um eine auf Forschungen basierende Form des Politikmachens handelt und nicht um ein wissenschaftliches Projekt (z.B. Hopmann, Jahnke, Uljens, Bozkurt/Brinek/Retzl).“ (S. 12)

Insgesamt tendiert das Buch dazu, die Eingangsfrage „Hält PISA, was es verspricht?“ mit einem klaren NEIN zu beantworten. Das liegt auch daran, dass PISA MitarbeiterInnen sich schlicht geweigert haben, an der Diskussion teilzunehmen bzw. Beiträge zu schreiben.

Stefan Thomas Hopmann, Gertrude Brinek, Martin Retzl (Hg./Eds.)
PISA zufolge PISA – PISA According to PISA. Hält PISA, was es verspricht? –
Does PISA Keep What It Promises?, LIT VERLAG, Wien–Zürich, ISBN 978-3-8258-0946-1, 420 S.


Auszug:  Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG)
Vom 26. Januar 2004

§ 3 Bildungs- und Erziehungsziele
(1) Die Schule soll Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbständig zu treffen und selbständig weiterzulernen, um berufliche und persönliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen und die Zukunft der Gesellschaft mitzuformen.
(2) Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen,
1. für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen sowie ein aktives soziales Handeln zu entwickeln,
2. sich Informationen selbständig zu verschaffen und sich ihrer kritisch zu bedienen, eine eigenständige Meinung zu vertreten und sich mit den Meinungen anderer vorurteilsfrei auseinander zu setzen,
3. aufrichtig und selbstkritisch zu sein und das als richtig und notwendig Erkannte selbstbewusst zu tun,
4. die eigenen Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeiten sowie musisch-künstlerischen Fähigkeiten zu entfalten und mit Medien sachgerecht, kritisch und produktiv umzugehen,
5. logisches Denken, Kreativität und Eigeninitiative zu entwickeln,
6. Konflikte zu erkennen, vernünftig und gewaltfrei zu lösen, sie aber auch zu ertragen,
7. Freude an der Bewegung und am gemeinsamen Sporttreiben zu entwickeln.
(3) Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen,
1. die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
2. die Gleichstellung von Mann und Frau auch über die Anerkennung der Leistungen der Frauen in Geschichte, Wissenschaft, Wirtschaft, Technik, Kultur und Gesellschaft zu erfahren,
3. die eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten,
4. ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in einem gemeinsamen Europa wahrzunehmen,
5. die Auswirkungen des eigenen und gesellschaftlichen Handelns auf die natürlichen lokalen und globalen Lebensgrundlagen zu erkennen, für ihren Schutz Mitverantwortung zu übernehmen und sie für die folgenden Generationen zu erhalten,
6. die Folgen technischer, rechtlicher, politischer und ökonomischer Entwicklungen abzuschätzen sowie die wachsenden Anforderungen des gesellschaftlichen Wandels und der internationalen Dimension aller Lebensbezüge zu bewältigen,
7. ihre körperliche, soziale und geistige Entwicklung durch kontinuierliches Sporttreiben und eine gesunde Lebensführung positiv zu gestalten sowie Fairness, Toleranz, Teamgeist und Leistungsbereitschaft zu entwickeln,
8. ihr zukünftiges privates, berufliches und öffentliches Leben in Verantwortung für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen auszugestalten, Freude am Leben und am Lernen zu entwickeln sowie die Freizeit sinnvoll zu nutzen.

Schulgesetz für das Land Berlin

Auswirkungen des Ökonomismus in der Bildung

ZERSETZUNG VON BILDUNG:
ÖKONOMISMUS ALS ENTWURZELUNG UND STEUERUNG

EIN ESSAY
Prof. Jochen Krautz
Ein Essay ist ein Versuch. Hier der Versuch, die dominanten Entwicklungen beim Umbau des Bildungswesens im deutschsprachigen Raum der letzten 20 Jahre in einem großen Zug zusammenzudenken. Ausgangspunkt ist dabei die These, dass der überall sichtbare
Bildungsabbau durch bekannte Phänomene wie PISA-Test und Bologna-Reform nicht „perverser Effekt“ an sich gut gemeinter Reformen ist, sondern deren eigentliche Intention. (…)

„Bildung in der res publica“
In diesem Sinne ruft der Richter am Bundesverfassungsgericht, Johannes Masing, in Erinnerung, dass „keine politische Ordnung so eng verwoben (ist) mit Vertrauen in Bildung wie die Demokratie.“ Diese Vorstellung gehe davon aus, dass „alle Bürger substantiell gleich sind“ und baue auf „das Vertrauen in Urteilsfähigkeit, die es erlaubt, politische Fragen als Sachfragen auszutragen.“ Bildung in der Demokratie hat demnach diese Urteilsfähigkeit zu entwickeln und zu fördern, um der demokratischen Selbstbestimmung willen und die im Sinne des Allgemeinwohls angemessenen Klärung der Sachfragen. (…)

Gleichheit, Selbstbestimmung, Gemeinschaftlichkeit und gemeinsame Klärung der Sachfragen in bestmöglicher Annäherung an das Richtige sind somit wesentliche Kennzeichen von Demokratie und markieren gleichzeitig die Aufgabe von Bildung und Bildungswesen in einem solchen Staat. Die Gestaltung dieses Bildungswesens kann zudem ebenfalls nur demokratisch verantwortet werden. (…)

Bildung an öffentlichen Schulen dient demnach der Personwerdung des Einzelnen im Horizont des Gemeinwohls, also in der Orientierung auf Friede, Freiheit und Gerechtigkeit. Dem widerspricht schon grundsätzlich jede Verkürzung von aufklärerischer Bildung auf das Training vordergründig anwendungsorientierter, funktionaler Kompetenzen. Und dem widerspricht ebenso grundsätzlich eine rein wirtschaftsliberale Auffassung, der zufolge Bildung den
Menschen „lebensfähig für den Markt“ zu machen habe. Demokratische Selbstbestimmung würde sich dann auf das Treffen von Konsumentscheidungen am Markt reduzieren. Die deutsche Verfassung aber sieht „den Menschen und die ihn repräsentierende gewählte Staatsgewalt als Gestalter des Marktes, nicht den Markt als Gestalter des Menschen.“ Somit gilt: Nicht die Wirtschaft als gesellschaftliches Subsystem kann definieren, was an Bildung nötig und wie sie auszugestalten sei. Vielmehr ist die Frage nach dem Beitrag von Bildung zum Wirtschaftsleben nur bestimmbar in einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft, in der die Wirtschaft dem Menschen als Person, nicht der Mensch als Funktion der Wirtschaft dient. Jede Forderung der Wirtschaft an Bildung muss daher notwendig zu der Rückfrage führen, von welcher Form von Wirtschaft diese Forderung ausgeht: Eine Form, die vom egoistischen Interesse ausgeht, oder eine solche, die am Gemeinwohl orientiert ist?
Bildung dient also nicht funktional der Wirtschaft. Gleichwohl kann und muss sie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, jungen Menschen ein Wissen und Können zu vermitteln, das sie auch befähigt, am Wirtschaftsleben verantwortlich teilzunehmen und dieses mitzugestalten. Allgemeine Bildung und berufliche Qualifikation sind also kein Gegensatz, wie mit einem falschen Verweis auf Wilhelm von Humboldt gerne unterstellt wird. (…)

Der Bildungsabbau durch bekannte Phänomene wie PISA-Test und Bologna-Reform sind nicht „perverser Effekt“ an sich gut gemeinter Reformen, sondern deren eigentliche Intention.

(…) Die durchschlagenden Wirkungen sind nicht nur im Alltag von Schule und Hochschule längst sichtbar, sondern auch empirisch belegt. Der Sonderforschungsbereich 597 der Universität Bremen widmet sich den Formen von „soft governance“ seitens der internationalen
Organisationen wie OECD und EU im Bildungswesen seit längerem und fasst in einer Teilstudie für Deutschland zusammen:
„Der zu beobachtende Reformprozess ist maßgeblich von Initiativen auf internationaler Ebene angestoßen und beeinflusst worden – namentlich durch die PISA-Studie der OECD und den Bologna-Prozess, welcher mehr und mehr mit der EU zu assoziieren ist. In beiden Fällen wurde durch die Anwendung vornehmlich weicher Steuerungsmechanismen maßgeblich Einfluss auf die Reformprozesse genommen. Obwohl in Deutschland zahlreiche institutionelle Vetopunkte im Bereich der Bildungspolitik existieren und die traditionellen Prinzipien des deutschen Bildungsverständnisses den von der internationalen Ebene beförderten Idealen teilweise diametral gegenüberstanden, gelang es beiden internationalen Organisationen bzw. Initiativen diese blockierenden Effekte zu umgehen bzw. zu neutralisieren.“

(…) Anhand der Bologna-Reform etwa lässt sich sehr genau zeigen, wie mit in Aussicht gestellten Vorteilen und dem bewussten Ansprechen politischer Vorlieben Akteure gegeneinander ausgespielt wurden. Dies funktionierte dabei offenbar so gut, dass Detlef Müller-Böling, damals Chef des „Centrums für Hochschulentwicklung“ (CHE), einem Ableger der Bertelsmann Stiftung, im Rückblick in dreister Offenheit formulieren kann:
„Man darf Frösche nicht fragen, wenn man ihren Teich trockenlegen will. […] Ich habe nie gedacht, dass man mit dreißig Leuten Dinge direkt durchsetzen kann. […] Im CHE standen dreißig Leute 36.000 Professoren und zwei Millionen Studenten an achtzig bis hundert Universitäten und rund 260 Fachhochschulen gegenüber, außerdem 16 Landesministerien mit jeweils 300 Mitarbeitern.” (…)

(…) Das Programm kultureller Entwurzelung und geistiger Neuformatierung wurde von der OECD dezidiert beschrieben und zeigt ebenfalls seine Wirkung als Folge des oben beschriebenen Bildungsabbaus. Über die Wirkung der Entwurzelung aber hat niemand luzider nachgedacht als Simone Weil (1909-1943, französische Philosophin, Dozentin und Lehrerin sowie Sozialrevolutionärin jüdischer Abstammung):
„Auch ohne militärische Eroberung können die Macht des Geldes und wirtschaftliche Übermacht den Zwang eines ausländischen Einflusses so stark werden lassen, dass er die Krankheit der Entwurzelung verursacht. […] Das eine ist das Geld. Das Geld zerstört die Wurzeln überall, wo es eindringt, indem es alle Triebfedern durch das Gewinnstreben ersetzt. […] Die zweite Ursache der Entwurzelung ist der heutige Begriff von Bildung. […] eine Bildung, die sich in hohem Maße an der Technik orientiert und von dieser beeinflusst wird […].“
Entwurzelung aber „ist mit Abstand die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaften, denn sie vervielfacht sich selbst,“ so Weil weiter: „Wer entwurzelt ist, entwurzelt auch andere. Wer verwurzelt ist, entwurzelt nicht.“

(…) Mitglieder neokonservativer Think-Tanks in den USA beschreiben dieses strategische Vorgehen [der kulturellen Entwurzelung], das sich hier abzeichnet, dezidiert:
„Schöpferische Zerstörung ist unser zweiter Name, sowohl nach innen in unserer eigenen Gesellschaft als auch nach außen. Wir reißen die alte Ordnung jeden Tag ein, vom Business zur Wissenschaft, Literatur, Kunst, Architektur und Film zu Politik und Recht. Unsere Feinde haben den Wirbelwind von Energie und Kreativität immer gehasst, der ihre Traditionen bedroht. Wenn sie sehen, wie Amerika traditionelle Gesellschaften demontiert, fürchten sie uns, weil sie nicht demontiert werden wollen.“

(…) Der Ausblick für „die nächsten hundert Jahre“ klingt (bei George Friedman) nicht anders:
„Die Vereinigten Staaten müssen keine Kriege gewinnen. Es reicht aus, wenn sie die andere Seite aus dem Gleichgewicht bringen und daran hindern, so stark zu werden, dass sie eine Gefahr darstellen.“ „Zu Beginn des Amerikanischen Zeitalters haben die Vereinigten Staaten großes Interesse daran, traditionelle Gesellschaftsmuster aufzubrechen. Dies erzeugt einen Grad an Instabilität, der ihnen den größtmöglichen Spielraum verschafft.“

Wohlgemerkt: Das Handeln „der“ Vereinigten Staaten ist dabei nicht im Sinne des demokratischen Willens ihrer Bürger zu verstehen. Vielmehr sind diese Positionen Ausdruck geostrategischer Überlegungen der dort ansässigen Finanz- und Machteliten und ihrer
ideologischen Brutstätten.

(…) Einfacher drückt dies der US-Historiker Eric Zuesse aus:
„Es gibt zwei Wege, um in jedem Spiel zu gewinnen: Ein Weg ist, die eigene Leistung zu verbessern. Der andere ist, die Leistung all seiner Konkurrenten zu schwächen. Die USA verlassen sich zurzeit fast ausschließlich auf die zweite Strategie.“

(…) In dieser politischen Perspektive steht an erster Stelle die Rückforderung politischer Souveränität: Politische Steuerungsvorgänge durch internationale Organisationen sind demokratiewidrig, das dabei durchgesetzte Menschenbild und Bildungsziel verfassungswidrig.
Öffentliche Aufklärung, Engagement für eine Bildung, die Demokratie und Grundgesetz gerecht wird, ist somit Pflicht von Wissenschaft sowie aller Lehrenden an Schulen und Hochschulen, soll die Grundlage der eigenen Arbeit und der gemeinsamen Kultur und Demokratie nicht aufgegeben werden. (…)

Gesamter Beitrag, sämtliche Zitate und Literaturhinweise siehe:
Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte, Beiheft 5, Bildung gestalten – Akademische Aufgaben der Gegenwart, S. 129. Herausgegeben von Silja Graupe und Harald Schwaetzer zur Eröffnung der Cusanus Hochschule,
ZERSETZUNG VON BILDUNG: ÖKONOMISMUS ALS ENTWURZELUNG UND STEUERUNG
Prof. Jochen Krautz

Kritik an der „Kompetenzorientierung“ von Unterricht

Datum:  25.06.2015
Kompetenzen machen unmündig
von Prof. Jochen Krautz
in: Streitschriften zur Bildung, Heft 1, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), BerlinKompetenzen machen unmündig_Krautz

Mit den Streitschriften zur Bildung stellt die GEW Berlin eine Reihe kritischer Texte vor, die jenseits von Parteipolitik und kurzfristigen bildungspolitischen Moden entstanden sind. Die Beiträge der Reihe behandeln Konzepte und Schlagwörter wie z.B. „Kompetenzorientierung“ in ihren strukturellen politischen und ideologischen Zusammenhängen und ermöglichen damit den Blick über den Tellerrand der tagesaktuellen Diskussion hinaus. Auf diese Weise sind sie geeignet, den Horizont der bildungspolitischen Debatte zu erweitern – und sie wieder stärker auf die erlebten Realitäten in den Bildungsinstitutionen zurückzuorientieren.

Vorwort von Sibylle Recke, Fachgruppe Grundschulen, GEW Berlin
Überall werden Stimmen der Unzufriedenheit laut – in den Bildungsinstitutionen bundesweit ebenso wie in Berlin. Das Gefühl, dass in den letzten Jahren etwas ganz gründlich schief läuft, teilen viele miteinander. Am augenfälligsten ist zunächst der Eindruck, dass sich zwischen politischen Absichtserklärungen und dem Berufsalltag von Lehrerinnen und Erzieherinnen ein breiter Graben auftut. Das Feld wird beherrscht von Reformen und Absichten, die häufig mit heißer Nadel gestrickt und dann zum Teil wieder zurückgenommen werden. Die professionelle Neugierde und der Tatendrang werden so überstrapaziert und sinnlos verbraucht. (…)

In den letzten Jahren findet auf allen Ebenen der Gesellschaft eine beliebige Ansammlung von Innovationen statt, die auch vor den staatlichen Bildungseinrichtungen nicht halt macht. (…)

Das durch die Bertelsmannstiftung formulierte Motto „Regieren durch Reformieren“ scheint sich vielfach durchgesetzt zu haben. Pädagogische Stellungnahmen und Expertisen werden medienwirksam von Bertelsmann produziert. Das pädagogische Feld wird damit tendenziell der demokratischen Kontrolle durch die Bürger entzogen und stattdessen werden neue Heilsversprechen durch Stiftungen, Bildungsgurus und Public-Private-Partnership ausgerufen. Leider ist zu befürchten, dass es sich lediglich um die Eröffnung neuer Märkte handelt entsprechend dem neoliberalen Modell, wie es etwa von McKinsey propagiert wird. (…)

Jochen Krautz
Kompetenzen machen unmündig.
Eine zusammenfassende Kritik zuhanden der demokratischen Öffentlichkeit

Der Beitrag fasst die wesentlichen Argumente zur Kritik der„Kompetenzorientierung“ von Unterricht zusammen. Das Kompetenzkonzept wurde durch die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mittels ihrer PISA-Studien als neues Leitziel von Schule durchgesetzt. Dies geschah ohne demokratische Legitimation und am Souverän, den Bürgern, vorbei. Dabei kann das Kompetenzkonzept als wissenschaftlich ungeklärt gelten, es senkt empirisch nachweisbar das Bildungsniveau, widerspricht den Leitzielen eines demokratischen Bildungswesens, zersetzt didaktisches und pädagogisches Denken und Handeln und behindert Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu mündigen Staatsbürgern.

Dennoch wird das Konzept weiterhin bildungspolitisch durchgesetzt. Lehrpläne werden dementsprechend umgeschrieben, Schulbücher danach umgestaltet, Lehrer daraufhin ausgebildet. Millionen von Steuergeldern fließen zudem in entsprechende Forschung.

Daher muss die in der Wissenschaft und von vielen Lehrern geleistete Kritik am Kompetenzkonzept der Öffentlichkeit bekannt werden. Denn das anscheinend rein innerpädagogische Problem ist tatsächlich ein gesellschaftspolitisches, das alle angeht: Eltern, Vertreter von Kultur und Wirtschaft sowie alle anderen Bürger müssen diskutieren, ob sie die Entwicklung einer ungebildeten und unmündigen Jugend hinnehmen wollen. Denn deren Bildungsanspruch wird missachtet, Demokratie, Kultur und Wirtschaft werden gefährdet. (…)

Zum Artikel:   2015_Krautz – Kompetenzen machen unmündig (GEW Berlin)

Das Phänomen und die Praktiken des change-managements

Datum:  05.06.2015
Dollarzeichen im Auge – Über die Ökonomisierung
der Gesellschaft
Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln

Wer erklärt uns die Welt, wenn Kirche, Politik, Wissenschaft und Kunst in der Krise sind? Richtig: Das Fernsehen! Es spielt uns politische Ereignisse ins Wohnzimmer, unterhält uns in vielfältigen Formaten und manchmal möchte es uns sogar bilden. (…)

Doch geht es wirklich um Bildung oder nicht eher um Umerziehung? Es sollte zumindest nachdenklich stimmen, dass die globalen Medienkonzerne und die mächtigen Mogule im Hintergrund, wie z.B. Rupert Murdoch oder die Familie Mohn mit dem Bertelsmann-Konzern, in der Verfolgung ihrer ökonomischen Ziele für eben die sozialpolitischen, gesellschaftlichen und
kulturellen Verwerfungen mitverantwortlich sind, die sie mit den messianischen Experten in ihren Kanälen zu heilen versprechen. (…)

(…) Propaganda verliert bekanntlich ihre Wirkung, sobald sie als solche durchschaut wird. Dazu muss man allerdings zuvor den Versuch der Manipulation und Beeinflussung beim Namen nennen. Norbert Blüm, den ich hier als Paten des Gedankens anführen möchte, schreibt in seinem zeitkritischen Buch ›Gerechtigkeit‹ über bedenkliche Strömungen innerhalb des ökonomischen Feldes: »Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu
werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht. (…) Aus Marktwirtschaft soll Marktgesellschaft werden. Das ist der neue Imperialismus. Er erobert nicht mehr Gebiete, sondern macht sich auf, Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein
Besatzungsregime verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt die Zentralen der inneren Steuerung des Menschen.« (Norbert Blüm 2006, Gerechtigkeit. S. 81) (…)

Ob es sich um den Umbau im Bereich Bildung, Arbeitsmarkt, Kultur, Bundeswehr oder
Gesundheit handelt – immer wieder finden sich die Dramaturgie der ›kreativen Zerstörung‹ und das Narrativ vom ›Schöner Wohnen‹, und besetzt so die demagogische Semantik des Reformbegriffs. Ganz entgegen dem Wortsinn der lateinischen Wurzel re-formare – etwas in seine ursprüngliche bzw. wesentliche Form zurückbringen – fungiert die Vokabel der ›Reform‹ heute nämlich als eine universell akzeptierte Allzweckformel zum permanenten Umbau gesellschaftlicher Wirklichkeit. Politik und Medien vermitteln den Eindruck, dass unter bestehenden Sachzwängen wie dem ›internationalen Wettbewerb‹, der ›Globalisierung‹, der
›Schuldenkrise‹, dem ›demographischen Wandel‹ oder der ›Erderwärmung‹ eine stetige Veränderung alternativlos sei. (…)

Um zukunftsfähig zu sein, müsse man alles auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls in die Sperrmüllpresse der Geschichte stecken: Soziale Sicherung, solidarische Daseinsvorsorge, humboldtsches Bildungsideal, Bürgerrechte, demokratische Verfahren, Menschenrechte,
Privatsphäre usf. erscheinen in der Perspektive der Reformer bloß noch als ein dysfunktionaler Ballast. Meine Beispiele werden sich vor allem auf den Bildungsbereich beziehen, eine Übertragung auf die anderen Politikfelder ist jederzeit möglich. Nehmen wir etwa die Schulreform im Zuge der PISAStudie oder den Umbau der Hochschulen im Namen von Bologna (…)

zum Artikel:  Gesellschaft für Bildung und Wissen, Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln, Dollarzeichen im Auge, SWR2 Wissen: Aula, 6.10.2013, 8.30 Uhr


Ergänzungen zu den Anmerkungen des Autors zu Change-Management:
In der im Artikel erwähnten Broschüre „Change Management, Anwendungshilfe zu Veränderungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung“ (www.bmi.bund.de) ist zu lesen:

Unter Change Management versteht man die systematische Planung und Steuerung von Veränderungen z. B. von Organisationsstrukturen oder Prozessen.(…)

Change Management stellt den Menschen als entscheidenden Faktor für den Erfolg in den Mittelpunkt. Zur Erhöhung der Akzeptanz werden insbesondere psychologische Faktoren berücksichtigt. Durch Veränderungsmanagement kann außerdem ein Kulturwandel erreicht werden (…)

Was muss ein Change Manager tun?
….Auswirkungen des Wandels abschätzen und zu erwartende und auftretende Widerstände identifizieren und gegensteuern (…)

Die gezielte Auswahl des Zeitpunkts reduzierte die Anzahl zu überzeugender Beschäftigter und damit möglicher Widerstände (…)

Damit Veränderungsprojekte ernst genommen werden, müssen sie vom Willen zur Durchsetzung der Veränderung getragen sein. (…)

Die Energie, die Willenskraft und die Unterstützung für den Wandel müssen (auch) von der Behördenleitung bis zum erfolgreichen Abschluss vorhanden sein. (…)

Sie [die Führungskräfte] sind es, die die Beschäftigten „ins Boot holen“ müssen. (…)

Beschäftigte werden durch die Veränderung unmittelbar persönlich betroffen, positiv wie negativ. Neben positiver Neugier können auch Ängste und ggf. Widerstände ausgelöst werden. Sie müssen möglichst frühzeitig erkannt werden, um geeignete Werkzeuge einzusetzen. (…)

Bei Veränderungsvorhaben, die politisch vorgegeben werden, hat die Notwendigkeit zur Veränderung den Charakter eines Auftrages, der erfüllt werden muss. (…)

Können Widerstände schon im Vorfeld antizipiert werden, müssen geeignete Maßnahmen zur Überwindung entwickelt werden. Dies können „sanfte“ Methoden der Kommunikation und Überzeugungsarbeit sein, aber bei anhaltendem Widerstand können diese Widerstände auch mittels einer Leitungsentscheidung gelöst werden. Die Anwendung von Macht sollte aber nur als letztes Mittel verstanden werden, da dies negative Auswirkungen auf das Veränderungsklima der Behörde für den gesamten Veränderungsprozess haben kann. Es muss solch ein „Machtwort“ dann konsequent angewandt und durchgehalten werden. (…)


Ergänzungen zum Change-Management aus:  Change, Reform und Wandel,
Jens Wernicke interviewt Matthias Burchardt, Telepolis, heise online, 03.06.2015

(…) Jens Wernicke: Hätten Sie vielleicht ein konkretes Beispiel?
Matthias Burchardt: Ja, ich komme einfach auf die Schweiz, die ich kürzlich bereist habe, zurück. Aufschlussreich ist hier vor allem ein Dokument, das man als eine Art Leitfaden von offizieller Stelle entnehmen kann, wie man zögerliche oder widerspenstige Kollegien im Kanton Thurgau auf die Linie des „Lehrplan“ 21 bringen will.
Als erster Schritt der Auftau-Phase wird dabei angeraten, den Leidensdruck unter den Lehrern zu erhöhen – „Ziele so anspruchsvoll setzen, dass sie mit bisherigem Verhalten nicht erreicht werden können.“ – und „Das ‚Schön-Wetter-Gerede‘ (zu) unterbinden (Alles ist doch bestens …)“. Dann soll ein neues Führungsteam entwickelt und installiert werden, eine Koalition der Willigen, wenn man so will: „Zusammenstellen einer Koalition, die den Wandel verwirklichen kann. Die richtigen Leute auswählen, die richtigen Leute für die Zukunft (nicht der Vergangenheit).“ Und in dieser Dynamik aus Druck und Propaganda wird als Zielsetzung ausgegeben: „Lehrerinnen und Lehrer begeistern sich für den Lehrplan 21 und setzen ihn um“, wobei als Konfliktpotential ausgewiesen wird: „Die über 50-jährigen Lehrpersonen gewöhnen sich an nichts Neues.“ Als wäre die Transformation einer Schulkultur eine Sache von Gewöhnung und nicht des politischen Diskurses, der niemanden ausschließen darf.
Die skizzierten Strategien der Organisationsentwicklung durch Change Management dürften vielen Lehrern und Hochschulkollegen bekannt vorkommen. Insbesondere bei der Durchsetzung des Bologna-Prozesses sind auf diese Weise vielfältig Strukturen, Prozeduren und Personen verändert worden. (…)


Beispiel einer Präsentationsfolie zu obiger Beschreibung:
Change-Management im Zusammenhang mit der Einführung des Lehrplanes 21 im Kanton Thurgau, 2016–2020, Thementagung vom 8. Januar 2014

Beispiel Präsentationsfolie

Wer macht die Schulpolitik – Kultusminister oder Stiftungen?

Datum:  17.11.2014
Wer macht die Schulpolitik?
Kultusminister und Stiftungen
Die Stiftungen von Bertelsmann, Bosch und Telekom wollen über einen Nationalen Bildungsrat mehr Einfluss in der Bildungspolitik nehmen.

Begabten Schülern Stipendien verschaffen oder naturwissenschaftliches Unterrichtsmaterial in Kitas verteilen – Stiftungen, die sich im Bildungswesen engagieren, dürfen immer mit einem besonderen Imagegewinn als Rendite rechnen. Von den mehr als 20.000 Stiftungen in Deutschland engagieren sich denn auch 3000 im Bildungswesen, teilt der Bundesverband Deutscher Stiftungen mit. Gute Taten reichen manchen Stiftungen aber nicht. Die Bertelsmann-Stiftung, die Deutsche-Telekom-Stiftung und die Robert-Bosch-Stiftung wollen die politische Agenda mitbestimmen, indem sie die Schule den Kultusministern ein Stück weit entwinden.

zum Artikel:   Der Tagesspiegel, 17.11.2014, Amory Burchard und Anja Kühne

Bertelsmann Stiftung als „Reformwerkstatt“ und als „Politikberatung“

Datum:  Dezember 2012
Über den Wert von Bertelsmann-„Studien“
Von Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL)

Die bildungspolitische Debatte ist immer weniger orientiert an den Kriterien Rationalität und Ehrlichkeit, sondern immer mehr geprägt von Schreckensszenarien gewisser Organisationen und Stiftungen.
Damit solche Szenarien ihre Wirkung entfalten können, werden sie als „Studien“ und damit als „Wissenschaft“ verkauft. Wenn der Initiator einer solchen „Studie“ auch noch OECD oder Bertelsmann heißt, dann steht eine solche „Studie“ kurz vor der Heiligsprechung zur apokalyptischen Offenbarung.
Diese Art von Handwerk versteht die Bertelsmann Stiftung hervorragend – übrigens nicht nur im Bereich Bildungspolitik, sondern auch in den Bereichen Kommunalpolitik, Außenpolitik, Europapolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik usw. Auf all diesen Feldern sieht sich die Stiftung als „Reformwerkstatt“ und als „Politikberatung“.
Die Bertelsmann Stiftung verfügt über enorme Ressourcen. 1977 gegründet, hält sie mittelbar rund 77 Prozent der Aktien der Bertelsmann SE & Co. KGaA. Das erlaubt ihr nicht nur die Beschäftigung von über 300 Mitarbeitern, sondern größte mediale Verbreitung über die in ihrer Hand befindlichen Sender und Printmedien. Weil die Bertelsmann-Familie Mohn rund drei Viertel der Bertelsmann-Aktien auf die Stiftung übertragen hat, sparte sie obendrein vermutlich gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Jahresetat von rund 60 Millionen Euro und mit einem Gesamtvolumen aller ihrer Projekte seit 1977 in der Höhe von rund 800 Millionen Euro arbeitet so gesehen also de facto mit öffentlichem Geld, ohne dafür gegenüber einer Exekutive oder Judikative Rechenschaft ablegen zu müssen. (…)
Insofern ist es an der Zeit, dass der Bertelsmann Stiftung endlich der (Schein-) Heiligenschein des angeblich selbstlosen Innovator und Impulsgebers genommen wird. Die Impulse der Stiftung bauen nämlich fast immer auf der Skandalisierung irgendwelcher vermeintlicher Missstände auf. Da ist man sich auf für gnadenlose Verzerrungen nicht zu schade. Zum Beispiel behauptete die Bertelsmann Stiftung nach der ersten PISA-Studie, Deutschland sei auf „hinteren Plätze“ zusammen mit „Klassenkameraden aus Mexiko und Brasilien“ gelandet. Aber das ist die Basis dafür, dass die Bertelsmann Stiftung mit Blick auf PISA dann meint, von sich selbst behaupten zu können: „Das Ergebnis der Studie (gemeint ist PISA; JK) unterstreicht, wie wichtig im Land der Dichter und Denker privatwirtschaftliche Bildungsinitiativen sind.“ Um dann fortzufahren: „….Nicht zuletzt haben Einrichtungen wie die Bertelsmann Stiftung durch ihre vielfältigen Aktivitäten dazu beigetragen, dass auch in Deutschland neue, innovative Schulkonzepte eine Chance bekommen.“ (…)

zum Artikel:  Deutscher Lehrerverband (DL), Aktuell, Dezember 2012, Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Über den Wert von Bertelsmann-„Studien“
zu weiteren Artikeln:   NachDenkSeiten >> Sachfragen >> Krake Bertelsmann