Das Phänomen und die Praktiken des change-managements

Datum:  05.06.2015
Dollarzeichen im Auge – Über die Ökonomisierung
der Gesellschaft
Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln

Wer erklärt uns die Welt, wenn Kirche, Politik, Wissenschaft und Kunst in der Krise sind? Richtig: Das Fernsehen! Es spielt uns politische Ereignisse ins Wohnzimmer, unterhält uns in vielfältigen Formaten und manchmal möchte es uns sogar bilden. (…)

Doch geht es wirklich um Bildung oder nicht eher um Umerziehung? Es sollte zumindest nachdenklich stimmen, dass die globalen Medienkonzerne und die mächtigen Mogule im Hintergrund, wie z.B. Rupert Murdoch oder die Familie Mohn mit dem Bertelsmann-Konzern, in der Verfolgung ihrer ökonomischen Ziele für eben die sozialpolitischen, gesellschaftlichen und
kulturellen Verwerfungen mitverantwortlich sind, die sie mit den messianischen Experten in ihren Kanälen zu heilen versprechen. (…)

(…) Propaganda verliert bekanntlich ihre Wirkung, sobald sie als solche durchschaut wird. Dazu muss man allerdings zuvor den Versuch der Manipulation und Beeinflussung beim Namen nennen. Norbert Blüm, den ich hier als Paten des Gedankens anführen möchte, schreibt in seinem zeitkritischen Buch ›Gerechtigkeit‹ über bedenkliche Strömungen innerhalb des ökonomischen Feldes: »Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sich anschickt, totalitär zu
werden, weil sie alles unter den Befehl einer ökonomischen Ratio zu zwingen sucht. (…) Aus Marktwirtschaft soll Marktgesellschaft werden. Das ist der neue Imperialismus. Er erobert nicht mehr Gebiete, sondern macht sich auf, Hirn und Herz der Menschen einzunehmen. Sein
Besatzungsregime verzichtet auf körperliche Gewalt und besetzt die Zentralen der inneren Steuerung des Menschen.« (Norbert Blüm 2006, Gerechtigkeit. S. 81) (…)

Ob es sich um den Umbau im Bereich Bildung, Arbeitsmarkt, Kultur, Bundeswehr oder
Gesundheit handelt – immer wieder finden sich die Dramaturgie der ›kreativen Zerstörung‹ und das Narrativ vom ›Schöner Wohnen‹, und besetzt so die demagogische Semantik des Reformbegriffs. Ganz entgegen dem Wortsinn der lateinischen Wurzel re-formare – etwas in seine ursprüngliche bzw. wesentliche Form zurückbringen – fungiert die Vokabel der ›Reform‹ heute nämlich als eine universell akzeptierte Allzweckformel zum permanenten Umbau gesellschaftlicher Wirklichkeit. Politik und Medien vermitteln den Eindruck, dass unter bestehenden Sachzwängen wie dem ›internationalen Wettbewerb‹, der ›Globalisierung‹, der
›Schuldenkrise‹, dem ›demographischen Wandel‹ oder der ›Erderwärmung‹ eine stetige Veränderung alternativlos sei. (…)

Um zukunftsfähig zu sein, müsse man alles auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls in die Sperrmüllpresse der Geschichte stecken: Soziale Sicherung, solidarische Daseinsvorsorge, humboldtsches Bildungsideal, Bürgerrechte, demokratische Verfahren, Menschenrechte,
Privatsphäre usf. erscheinen in der Perspektive der Reformer bloß noch als ein dysfunktionaler Ballast. Meine Beispiele werden sich vor allem auf den Bildungsbereich beziehen, eine Übertragung auf die anderen Politikfelder ist jederzeit möglich. Nehmen wir etwa die Schulreform im Zuge der PISAStudie oder den Umbau der Hochschulen im Namen von Bologna (…)

zum Artikel:  Gesellschaft für Bildung und Wissen, Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln, Dollarzeichen im Auge, SWR2 Wissen: Aula, 6.10.2013, 8.30 Uhr


Ergänzungen zu den Anmerkungen des Autors zu Change-Management:
In der im Artikel erwähnten Broschüre „Change Management, Anwendungshilfe zu Veränderungsprozessen in der öffentlichen Verwaltung“ (www.bmi.bund.de) ist zu lesen:

Unter Change Management versteht man die systematische Planung und Steuerung von Veränderungen z. B. von Organisationsstrukturen oder Prozessen.(…)

Change Management stellt den Menschen als entscheidenden Faktor für den Erfolg in den Mittelpunkt. Zur Erhöhung der Akzeptanz werden insbesondere psychologische Faktoren berücksichtigt. Durch Veränderungsmanagement kann außerdem ein Kulturwandel erreicht werden (…)

Was muss ein Change Manager tun?
….Auswirkungen des Wandels abschätzen und zu erwartende und auftretende Widerstände identifizieren und gegensteuern (…)

Die gezielte Auswahl des Zeitpunkts reduzierte die Anzahl zu überzeugender Beschäftigter und damit möglicher Widerstände (…)

Damit Veränderungsprojekte ernst genommen werden, müssen sie vom Willen zur Durchsetzung der Veränderung getragen sein. (…)

Die Energie, die Willenskraft und die Unterstützung für den Wandel müssen (auch) von der Behördenleitung bis zum erfolgreichen Abschluss vorhanden sein. (…)

Sie [die Führungskräfte] sind es, die die Beschäftigten „ins Boot holen“ müssen. (…)

Beschäftigte werden durch die Veränderung unmittelbar persönlich betroffen, positiv wie negativ. Neben positiver Neugier können auch Ängste und ggf. Widerstände ausgelöst werden. Sie müssen möglichst frühzeitig erkannt werden, um geeignete Werkzeuge einzusetzen. (…)

Bei Veränderungsvorhaben, die politisch vorgegeben werden, hat die Notwendigkeit zur Veränderung den Charakter eines Auftrages, der erfüllt werden muss. (…)

Können Widerstände schon im Vorfeld antizipiert werden, müssen geeignete Maßnahmen zur Überwindung entwickelt werden. Dies können „sanfte“ Methoden der Kommunikation und Überzeugungsarbeit sein, aber bei anhaltendem Widerstand können diese Widerstände auch mittels einer Leitungsentscheidung gelöst werden. Die Anwendung von Macht sollte aber nur als letztes Mittel verstanden werden, da dies negative Auswirkungen auf das Veränderungsklima der Behörde für den gesamten Veränderungsprozess haben kann. Es muss solch ein „Machtwort“ dann konsequent angewandt und durchgehalten werden. (…)


Ergänzungen zum Change-Management aus:  Change, Reform und Wandel,
Jens Wernicke interviewt Matthias Burchardt, Telepolis, heise online, 03.06.2015

(…) Jens Wernicke: Hätten Sie vielleicht ein konkretes Beispiel?
Matthias Burchardt: Ja, ich komme einfach auf die Schweiz, die ich kürzlich bereist habe, zurück. Aufschlussreich ist hier vor allem ein Dokument, das man als eine Art Leitfaden von offizieller Stelle entnehmen kann, wie man zögerliche oder widerspenstige Kollegien im Kanton Thurgau auf die Linie des „Lehrplan“ 21 bringen will.
Als erster Schritt der Auftau-Phase wird dabei angeraten, den Leidensdruck unter den Lehrern zu erhöhen – „Ziele so anspruchsvoll setzen, dass sie mit bisherigem Verhalten nicht erreicht werden können.“ – und „Das ‚Schön-Wetter-Gerede‘ (zu) unterbinden (Alles ist doch bestens …)“. Dann soll ein neues Führungsteam entwickelt und installiert werden, eine Koalition der Willigen, wenn man so will: „Zusammenstellen einer Koalition, die den Wandel verwirklichen kann. Die richtigen Leute auswählen, die richtigen Leute für die Zukunft (nicht der Vergangenheit).“ Und in dieser Dynamik aus Druck und Propaganda wird als Zielsetzung ausgegeben: „Lehrerinnen und Lehrer begeistern sich für den Lehrplan 21 und setzen ihn um“, wobei als Konfliktpotential ausgewiesen wird: „Die über 50-jährigen Lehrpersonen gewöhnen sich an nichts Neues.“ Als wäre die Transformation einer Schulkultur eine Sache von Gewöhnung und nicht des politischen Diskurses, der niemanden ausschließen darf.
Die skizzierten Strategien der Organisationsentwicklung durch Change Management dürften vielen Lehrern und Hochschulkollegen bekannt vorkommen. Insbesondere bei der Durchsetzung des Bologna-Prozesses sind auf diese Weise vielfältig Strukturen, Prozeduren und Personen verändert worden. (…)


Beispiel einer Präsentationsfolie zu obiger Beschreibung:
Change-Management im Zusammenhang mit der Einführung des Lehrplanes 21 im Kanton Thurgau, 2016–2020, Thementagung vom 8. Januar 2014

Beispiel Präsentationsfolie