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„Nach zwei Jahren schulischer Inklusion passt absolut nichts zusammen“

Wunsch und Wirklichkeit

In Nordrhein-Westfalen gilt die Inklusion in der Schule als Regelfall. Zwei Jahre nach der Einführung ziehen Verbände und Lehrer ernüchternde Zwischenbilanz.

25.08.2016, von Reiner Burger

Ende 2013 verabschiedete der Landtag in Düsseldorf ein Gesetz zum gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern. Kinder mit Handicap werden seitdem nur dann auf die Förderschule geschickt, wenn ihre Eltern das ausdrücklich wünschen. Doch das im Gesetz festgeschriebene Elternwahlrecht wird zunehmend unterlaufen: Immer mehr Förderschulen werden geschlossen, weil sie die Verordnung über die Mindestgrößen von Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) nicht mehr erfüllen. (…) Gutachter haben im Auftrag ihres Ministeriums errechnet, dass bis zum Jahr 2020 eine Inklusionsquote von 85 Prozent erreicht werden kann; derzeit beträgt sie rund 40 Prozent. (…)

Seit zwei Jahren ist Frau M. nun Klassenlehrerin in der Inklusionsklasse, in der sie bis zum Ende des vergangenen Schuljahrs drei Schüler mit dem Förderbedarf Lernen und einen Jungen mit Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung unterrichtet. Er wechselt mit Ende der Sommerferien nun auf eine Förderschule (…). „Es ist ein großes Glück für den Jungen und für meine Klasse, dass seine Eltern eingesehen haben, dass man ihm auf einer Förderschule einfach besser helfen kann.“ Einen Sonderpädagogen hatte die Lehrerin bisher nie an ihrer Seite, und auch im dritten Jahr mit ihrer Inklusionsklasse wird sie keinen Sonderpädagogen bekommen. Bei der Doppelbesetzung in den Hauptfächern werden in der „I-Klasse“ auch weiterhin ab und zu Lehrer aus ihrem Kollegium aushelfen. „Der dauernde Wechsel macht Absprachen und gezielte Förderung unmöglich. Immer wieder müssen fachfremde Kollegen aushelfen (…). In den Nebenfächern gibt es keine Doppelbesetzung (…) weil schon für den Regelbetrieb nicht genügend Fachlehrer vorhanden sind. Frau M.s Erfahrungen mit der Inklusion sind im nordrhein-westfälischen Schulsystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

(…) Die Lehrerin Frau H. meint: „… die 2014 eingeführte Inklusion ist ein erbarmungsloses Konstrukt, in dem Kinder systematisch zurückgelassen werden“.

Nach Angaben der „Lehrer NRW“ gibt es Förderschullehrer, die an bis zu fünf Regelschulen eingesetzt sind, um dort in ganz unterschiedlichen Rollen inklusiv arbeitende Klassen zu unterstützen. Sie sind den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs, in keinem Kollegium mehr zu Hause. Gemeinsame Absprachen und kontinuierliches Arbeiten zwischen Regel- und Förderschullehrern sind so kaum möglich. (…)

„Die Unzufriedenheit bei Schülern, Eltern und Lehrkräften nimmt zu“, warnen die [Lehrer-] Verbände und werfen Schulministerin Löhrmann vor, auf „eine rein quantitative Erhöhung der Inklusionsquote“ fokussiert  zu sein.

[Weiter wird ihr vorgeworfen,] den Schulen zu Lasten der Kinder und Lehrer ein völlig ungenügendes Gesetz übergestülpt zu haben. Tatsächlich liegt das Problem noch tiefer. Das Gesetz krankt schon an einer falschen Begründung. Anders als von Rot-Grün im Gesetzgebungsverfahren insinuiert [unterstellt], gibt es keinen völkerrechtlichen Zwang, das gemeinsame zielgleiche und zieldifferenzierte Lernen von Schülern mit und ohne Behinderung im allgemeinen Bildungssystem zu organisieren. In der 2009 von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention ist von einer Schule für alle keine Rede, auch die Schließung von Förderschulen wird nicht gefordert. Ganz im Gegenteil heißt es in der Konvention, dass besondere Maßnahmen für behinderte Menschen nicht als Diskriminierung zu werten sind.

Zum Artikel:  FAZ, Bildungswelten, 25.08.2016, Reiner Burger, Wunsch und Wirklichkeit

Integration im Klassenzimmer

Mikrokosmos statt Mikroghetto

TSP, 12.04.2016, Kommentar von Caroline Fetscher

An den Tag werden sie noch lange denken – und ihre Lehrer auch. An einem Gymnasium in Berlin haben sie ein klassisches Theaterstück inszeniert, ein Dutzend Schülerinnen und Schüler. Sie haben lange geprobt, nachgedacht, viel gelacht, sich manchmal gezankt, eine Menge Text gelernt – und schließlich das Stück klar, klug und spielfreudig auf die karge Bühne ihrer kahlen Aula gestemmt. Grandios! Dann das Wunder: Als alles vorüber war, wollten sie gar nicht mehr weg. Am liebsten wären die jungen Schauspieler über die Osterferien in der Schule geblieben, staunt strahlend einer der Lehrer. So etwas passiert selten, schon gar nicht hier. Und hier auch nur, weil sich Pädagogen, oft in ihrer freien Zeit, enorm engagieren für Kinder und Jugendliche, die Mustafa oder Fatima heißen.

Es ist nämlich eine der Schulen im Land, wie es sie gar nicht geben dürfte.  (…) 97 Prozent [der Schüler] sind „nicht deutscher Herkunft“, was Ämter gern mit „ndh“ abkürzen. Längst hätte eine Quotenregelung für „ndh-Kinder“ solchen Missständen vorbeugen müssen: maximal 50 Prozent, minimal 10 Prozent Kinder, die nicht Muttersprachler sind, das wäre ein Anfang, das groteske Ungleichgewicht zu verändern. (…)

Parallelgesellschaft pur, sozialpolitisch absurd, bildungspolitisch ein Irrsinn. Wie passiert das? Na ja, heißt es bei den Verantwortlichen, das kam einfach so, mit der Zeit. (…)

Naja ist nicht genug. Naja ist ein Armutszeugnis (…) für die fatale Denkarmut der Funktionseliten, die nicht verstehen wollen, was Teilhabe an einer aufgeklärten, dialogfähigen Öffentlichkeit bedeutet – und dass sie durch Schulen zur Welt kommen muss. Wo Lehrende die einzigen Muttersprachler sind, wie sollen da Schüler ohne enorme, zusätzliche Kraftanstrengung in der Landessprache heimisch werden? Wie soll das gehen? Höchstens in Glücks- und Einzelfällen, wenn so ein seltener Funke überspringt von der Probebühne ins Leben. (…)

[Unsere Schulen werden] zum elementar wichtigsten Ort, um in der aufnahmefähigsten Phase der Entwicklung Gemeinsamkeit zu erfahren. In der Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft wird deren demokratisches Fundament kontinuierlich erneuert. Dabei entsteht die Öffentlichkeit von morgen. Vor allem darum darf kein einziger solcher Mikrokosmos ein Mikroghetto sein.

zum Artikel:  Der Tagesspiegel, 12.04.2016, Caroline Fetscher, Mikrokosmos statt Mikroghetto

Stand Schuljahr 2015/16:

48 Sekundarschulen haben Schüler mit Migrationshintergrund zwischen 95,5% – 50%
59 Sekundarschulen haben Schüler mit Migrationshintergrund zwischen 49% – 10%
18 Sekundarschulen haben Schüler mit Migrationshintergrund zwischen 9% – 1,9%

siehe vollständige Tabelle unter:  Schüler mit nichtdeutscher Herkunftssprache/Migrationshintergrund in Berlin, Schuljahr 2011/12 bis 2015/16

„Die Diskussion über Inklusion auf den harten Boden der Tatsachen zurückzuführen“

Datum:  25.05.2015
Inklusion an Schulen aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer
Meinungen, Einstellungen und Erfahrungen Ergebnisse einer repräsentativen Lehrerbefragung

Presseerklärung Verband Bildung und Erziehung (VBE)
(…) Es ist ist bislang wenig darüber bekannt, wie die Lehrer an allgemeinbildenden Schulen selbst als – neben den Eltern und Schülern – direkt Betroffene zum Thema Inklusion stehen, welche Chancen und Probleme sie konkret sehen und welche Erfahrungen sie selbst bislang gemacht haben. Vor diesem Hintergrund hat forsa im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) eine bundesweite Repräsentativbefragung unter Lehrern an allgemeinbildenden Schulen durchgeführt, um in dieser Gruppe erstmals ein fundiertes Meinungsbild zum Thema Inklusion zu ermitteln. Im Rahmen der Untersuchung wurden bundesweit insgesamt 1.003 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in der Zeit vom 2. März bis 16. April 2015 in Deutschland befragt.

Auszüge der Repräsentativbefragung:

  • Bei der – offen und ohne jede Vorgabe gestellten – Frage nach den Argumenten, die gegen eine gemeinsame Unterrichtung sprechen, werden sowohl grundsätzliche (pädagogische) Argumente genannt als auch solche, die sich auf die Ausstattung der Schulen und die Qualifizierung des Personals beziehen. Der häufigste grundsätzliche Einwand betrifft das Argument, dass eine individuelle Förderung beider Gruppen bei einer gemeinsamen Unterrichtung nicht möglich sei. Weitere Argumente sind eine Überforderung der Kinder mit einer Behinderung bzw. die Benachteiligung der Kinder ohne eine Behinderung. Auch die Überforderung der Lehrkräfte wird als Gegenargument genannt.
  • Unter den Gründen gegen eine gemeinsame Unterrichtung, die sich auf die fehlenden Rahmenbedingungen beziehen, wird vor allem das fehlende Fachpersonal an Regelschulen und die dafür unzureichende Ausbildung der Lehrer genannt. Dann folgen die materielle und finanzielle Ausstattung der Schulen, die aus Sicht der Lehrer gegen eine gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung sprechen. Auch bei dieser Frage wird von einem Teil der Lehrer angemerkt, dass das Für und Wider einer gemeinsamen Unterrichtung auch abhängig ist von der Art bzw. der Schwere der Behinderung eines Kindes.
  • Die überwältigende Mehrheit der Lehrer (97 %) spricht sich dafür aus, auch bei Einrichtung eines inklusiven Schulsystems die bisherigen Förder- und Sonderschulen alle (55 %) oder mindestens teilweise (42 %) zu erhalten. Nur 2 Prozent halten Förder- und Sonderschulen perspektivisch für entbehrlich. Für einen (mindestens partiellen) Erhalt der Förder- und Sonderschulen sprechen sich im übrigen Lehrer an Schulen, in denen es bereits inklusive Lerngruppen gibt, genauso häufig aus wie Lehrer an Schulen ohne Erfahrung mit inklusiven Lerngruppen.
  • Nur 13 Prozent beurteilen das Fortbildungsangebot in ihrem Bundesland, um sich auf die Arbeit mit inklusiven Schulklassen vorzubereiten, als (sehr) gut. 77 Prozent der Lehrer beurteilen das Fortbildungsangebot hingegen als weniger (41 %) oder überhaupt nicht gut (36%). Auch in dieser Frage ergeben sich zwischen den einzelnen Schulformen oder dem Grad der eigenen Erfahrung mit inklusiven Lerngruppen nur graduelle Unterschiede.
  • 75 Prozent der Lehrer geben an, dass an ihrer Schule bereits Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. In 9 Prozent der Fälle ist dies geplant, 14 Prozent geben an, dass dies nicht geplant sei.
  • Lehrer, an deren Schule es bereits inklusive Lerngruppen gibt, geben die Zahl der Kinder in diesen Gruppen im Durchschnitt mit 18 Kindern an. Die Zahl der Kinder in diesen Gruppen mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird im Schnitt mit 4 Kindern angegeben.
  • 29 Prozent der Lehrer, die an Schulen unterrichten, in denen bereits inklusive Lerngruppen bestehen, geben an, dass die Klassengröße von inklusiven Klassen im Vergleich zu nicht inklusiven Klassen verkleinert worden sei. 65 Prozent geben dagegen an, dass die Klassengröße beibehalten wurde, 4 Prozent, dass die Klasse sogar vergrößert wurde.
  • 65 Prozent der Lehrer, die Schulen mit inklusiven Lerngruppen unterrichten, geben an, dass solche Gruppen für gewöhnlich nur von einer Person unterrichtet werden. 34 Prozent geben an, dass solche inklusiven Lerngruppen für gewöhnlich von zwei oder mehr Personen unterrichtet werden. Wo Letzteres der Fall ist, unterrichtet der Fachlehrer vor allem gemeinsam mit einem Sonderpädagogen (82 %), deutlich seltener dagegen gemeinsam mit einem anderen Fachlehrer (29 %), einem Assistenten (25 %) oder mit einem Lehrer in Ausbildung oder im Praktikum (18 %).
  • Nur wenige der Lehrer an Schulen mit inklusiven Lerngruppen geben an, dass es an ihrer Schule Maßnahmen zur Unterstützung bei der Bewältigung von möglichen physischen oder psychischen Belastungen durch die inklusive Unterrichtung gebe (7 %). 87 Prozent der Lehrer geben an, dass es keine derartigen Unterstützungsmaßnahmen gebe.

zum Artikel:  VBE Pressemitteilung und FORSA-Umfrageergebnisse zum Thema: Inklusion an Schulen aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer, 18.05.2015

weitere Artikel zu Inklusion:   Seitenleiste unter „Schule und Inklusion“

Mangelnde Kohärenz fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Lehrerausbildung

Datum 16.05.2015
Mit Qualität in die Offensive – Das Potsdamer Modell der Lehrerbildung

Die Universität Potsdam war in der bundesweit ausgeschriebenen Qualitätsoffensive Lehrerbildung erfolgreich. Fördergelder in Millionenhöhe fließen.

Die mehr als 4000 Lehramtsstudierenden sollen an der Universität Potsdam nicht nur Fachwissen erwerben, sondern auch ihr berufliches Handwerk erlernen. Experten beklagen seit Langem die mangelnde Kohärenz fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildung. Die Lehrerbildung an der Universität Potsdam  will sich diesem Problem stellen und praxisnahe Ausbildungskonzepte entwickeln.

In Modellschulen, die Interesse an der universitären Begleitung neuer Unterrichtskonzepte haben, sollen Studierende fachlich angeleitet unterrichten und erforschen können, unter welchen Voraussetzungen sich Schule und Unterricht verändern lassen.

Die Fördergelder sollen auch dazu genutzt werden, die Gelingungsbedingungen eines inklusiven Unterrichts zu erforschen:  Wie müssen Lehr – und Lernsituationen gestaltet werden? Welche Lernaufgaben erweisen sich als günstig?  Wie lassen sich Kinder mit unterschiedlichen Formen von Beeinträchtigungen differenziert und individualisiert unterrichten? Neben den Lernschwierigkeiten und individuellen Beeinträchtigungen liegt der Fokus auf besonderer Begabung, eine mögliche Mehrsprachigkeit und die kulturelle Herkunft der Schüler.

aus Artikel (nicht online):  Der Tagesspiegel, Universität Potsdam, 16.05.2015, Antje Horn-Conrad, Mit Qualität in die Offensive


Folgerungen für die Lehrerbildung und das Lernen in Schule und Unterricht

Prof. John Hattie:
Die  Fragestellung bei den Untersuchungen von John Hattie, Professor für Erziehungswissenschaften an der University of Melbourne, ist: Was wirkt am besten? Denn irgendeinen Effekt hat jede Unterrichtsmethode. Er wollte aber wissen, was man tun kann, damit Schüler die größten Lernfortschritte machen. Für ihn kann nur das der Maßstab sein für jede Art von Veränderung in Schule und Unterricht.
John Hattie: “Das, worauf es ankommt, spielt sich nämlich im Unterricht ab, im Klassenraum, wo sich Lehrer und Schüler begegnen. Die Rahmenbedingungen von Schule dagegen – die Schulstrukturen oder das investierte Geld – haben nur geringen Einfluss. Leider wird in der Bildungsdebatte genau umgekehrt diskutiert.” 

Hattie erwartet von Lehrerinnen und Lehrern, Unterricht mit den Augen der Lernenden zu gestalten. Damit meint er, dass Lehrpersonen sich darüber im Klaren sind, was einzelne Schülerinnen und Schüler denken und wissen. Die Lehrpersonen sollten sich in die Lernprozesse hineinversetzen und diese in der Perspektive der Schülerinnen und Schüler wahrnehmen können, um vor diesem Hintergrund fähig zu sein, Lernprozesse aktiv gestalten zu können.
Solche Lehrer, die sich als Lernende ihrer eigenen Wirkungen verstehen, sind hinsichtlich der Lernprozesse und Lernerfolge von Schülerinnen und Schüler die einflussreichsten.


FreieWelt.net:  (…) Was also macht einen erfolgreichen Unterricht aus?
John Hattie:
(…) Dazu gehört etwa, dass eine Gruppe von Lehrern von einer Person geleitet wird, die ein Klima des Vertrauens erzeugt, damit die Lehrer debattieren, kritisieren und Unterrichtsreihen planen können, die a) herausfordernd sind, b) auf dem Vorwissen der Schüler aufbauen, c) die Balance zwischen allgemeiner und tiefgründiger Stoffbehandlung halten und am wichtigsten, d) dass sich alle einig sind, wie der Erfolg sich am Ende darstellen wird und die Erfolgskriterien klar benennen können, BEVOR sie mit dem Unterrichten beginnen.
Die Aussicht auf Erfolg erhöht sich, wenn der Lehrkörper sehr frühzeitig die Zielsetzung des Unterrichtes kommuniziert und sich ständig um Feedback in Bezug auf den Fortschritt der einzelnen Schüler bemüht sowie die Lehrmethoden im Lichte dieser Rückmeldungen anpasst. Die Aussicht auf Erfolg erhöht sich, wenn Schüler, die mit den Herausforderungen des Lernens kämpfen, das Lernen selbst beigebracht bekommen (sich zu konzentrieren, mit Bewusstsein zu arbeiten, Fehler und Fehlschläge zu tolerieren, gemeinsam an Problemlösungen zu arbeiten und verschiedene Lernstrategien auszuprobieren) und mit regelmäßigem Feedback über die nächsten Schritte versorgt werden.
Angemessene Herausforderungen, Klärung des Erfolgsbegriffes und Lehrer, die sich und ihren Unterricht immer weiter entwickeln – das sind Schlüsselkategorien für Unterrichtserfolg. Lehrer müssen darin unterstützt werden, ihren eigenen Einfluss auf den Lernerfolg in einem vertrauensvollen Umfeld ständig zu überprüfen und die Anforderungen der Lehrpläne gemeinsam festzulegen. Lehrer müssen eine Leidenschaft dafür entwickeln, alle Schüler zum Erfolg zu führen. (…)

Im Interview mit FreieWelt.net erläutert John Allan Hattie, was guten Unterricht ausmacht.


Prof. Jochen Krautz in:  Persönlichkeit und Beziehung als Grundlage der Pädagogik
(…) Daher ist die entscheidende Aufgabe des Lehrenden, eine Haltung gegenüber den Schülern zu entwickeln, die diese in der Sache herausfordert und im Lernen fördert, und dabei in einer offenen, anteilnehmenden, emotional warmen Beziehung zu ihnen bleibt. Hierzu bedarf es eines Verständnisses sowohl der grundsätzlichen Erziehungssituation wie auch der Individualität des Schülers (…)
(…) Lehrerbildung und schulische Praxis zeigen, dass Pädagogik im Kern ein interpersonales Beziehungsgeschehen zwischen Lehrenden und Lernenden ist, das auf Persönlichkeitsbildung zielt und eine gebildete Lehrerpersönlichkeit voraussetzt.

siehe auch unter der Seite „Lernen“.


siehe auch den Beitrag:

„Pädagogisch gestaltete Klassengemeinschaft“

Welche Definitionen von Inklusion liegen den bildungspolitischen Entscheidungsprozessen zugrunde?

Datum:  15.04.2015
Inklusive Forschungslücken schließen

Ein Graduiertenkolleg „Inklusion – Bildung – Schule“ an der Humboldt-Uni forscht zu inklusiven Schulen – als erstes seiner Art in Deutschland. Gesucht werden unter anderem Definitionen, was eigentlich eine inklusive Schule ausmacht.
„Inklusion ist in aller Munde, aber es gibt bislang keine verbindliche Definition, was eigentlich damit gemeint ist“, sagt Vera Moser, Professorin am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität. Seitdem Deutschland 2009 die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert hat, machen sich mehr und mehr Schulen auf den Weg, „inklusive Schulen“ zu werden. Die Bundesländer arbeiten parallel an Konzepten. Bundesweite Standards und Definitionen gibt es dafür bislang nicht.
Was Politik und Schulen gleichwohl unter Inklusion verstehen, wie der Wandel bildungspolitisch gesteuert wird und wie einzelne Schulen vorgehen, untersucht jetzt ein von Moser geleitetes Graduiertenkolleg an der HU.
Untersucht werden soll:
– welche Definitionen von Inklusion den bildungspolitischen Entscheidungsprozessen zugrunde liegen
– welche Steuerungsprozesse auf der Ebene der landespolitischen Umsetzung relevant sind
– welche didaktischen Arrangements für den Unterricht in heterogenen Lerngruppen geeignet sind sowie
– welche Standards und zugehörige Indikatoren auf der Ebene der Entwicklung der Einzelschulen wirksam werden.

zum Artikel:  Der Tagesspiegel, 14.04.2015, Amory Burchard, Dr. Inklusion

„Es muss unterschiedliche Wege geben“

Datum:   30.03.2015
Inklusion: „Da gibt es Grenzen des Zumutbaren“
von Bernadette Bayrhammer, Die Presse, Wien
Die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung sei ein gutes Anliegen, sagt Prof. Dr. Bernd Ahrbeck vom Institut für Rehabilitationswissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin – trotzdem sollten Förderschulen nicht abgeschafft werden.

(…) Wo wäre denn die Grenze, was die Integration von Kindern mit Behinderung angeht?
Es gibt zwei kritische Punkte: wenn das behinderte Kind dort nicht gut zurechtkommt, also schlechter als in einer speziellen Einrichtung. Oder wenn die gesamte Klassengemeinschaft von der gemeinsamen Beschulung massive Nachteile hat, etwa bei Kindern, die verhaltensgestört oder gewalttätig sind. Da gibt es Grenzen des Zumutbaren.

Es wird viel darüber gestritten, ob es Sonderschulen überhaupt noch geben soll. In der UN-Menschenrechtskonvention ist die Rede von der vollständigen Integration.
Die UN-Konvention ist da ziemlich offen, sie lässt verschiedene Interpretationen zu. Zum einen wird das Recht auf eine allgemeine Schule betont. Zum anderen geht es darum, dass Kinder das höchstmögliche Maß an Förderung bekommen sollen und dass Besonderes nicht negativ diskriminierend angesehen werden darf.

Und das bedeutet Ihrer Meinung nach?
Es muss unterschiedliche Wege geben. Kinder, die die Gebärdensprache brauchen, müssen untereinander sein, damit sie kommunizieren können. Wenn nicht, ist ihr Kommunikationssystem nur begrenzt zugänglich, und sie haben erhebliche Nachteile davon. Was ist, wenn etwa Kinder mit schweren Verhaltensstörungen spezielle intensivpädagogische Settings brauchen, um zurechtzukommen und letztlich einen Gewinn und nicht einen großen Nachteil von Schule zu haben?

Sie sagen: Wenn es nur noch Inklusion gibt, richtet man potenziell Schaden an.
Wenn man sagt, die gemeinsame Beschulung aller Kinder sei ein unumstößliches Menschenrecht, das für jeden zwingend gelten muss, dann spielt die Empirie und die Lebensrealität keine Rolle mehr. Dann gibt es nur eine Antwort, nämlich unbedingt Gemeinsamkeit. Und das halte ich für grundlegend falsch. Die Frage ist doch: Was bewirkt Schule bei Schülern? Und hier muss man die unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen empirischen Befunde zur Kenntnis nehmen. Sonst wird die Inklusion zu einem moralischen Unternehmen, bei dem das Kindeswohl im konkreten Fall an zweiter Stelle steht. (…)

zum Artikel:  Die Presse, Wien, 27.03.2015, Bernadette Bayrhammer, Inklusion: „Da gibt es Grenzen des Zumutbaren“

siehe auch:  Bildungsklick, 18.05.2012, Interview mit Prof. Dr. Bernd Ahrbeck, Inklusive Bildung,  „Ich glaube nicht, dass der inklusive Weg immer der richtige ist“