Archiv für den Monat: März 2020

Wo „hart arbeiten und freundlich sein“ Teil des Lehrplans sind.

Bericht über eine „Brennpunktschule“ im Norden Londons.
Der Schulalltag „ist darauf ausgerichtet, das Lernen zu maximieren und Ablenkung zu minimieren.“

Bericht von Andreas Schleicher, Statistiker und Bildungsforscher. Er ist bei der OECD Direktor des Direktorats für Bildung. [siehe Anmerkung am Schluss des Berichts]

[…] Ein Ort, der seinen Erfolg auf lehrergeleiteten Unterricht aufgebaut hat, ist die Michaela Community School im Wembley Park, einem benachteiligten Viertel im Norden Londons. In jedem Klassenzimmer, das ich beobachtete, machten die Lehrer die Lernziele deutlich, strukturierten ihren Unterricht klar und stellten interessante Fragen, die das Denken höherer Ordnung anregten. Es wurde keine Zeit verschwendet, da die Schüler genau wussten, was sie zu erwarten hatten. Es gab kein Auswendiglernen, das Menschen oft mit lehrergesteuertem Unterricht in Verbindung bringen. Alle Schüler wurden in jedem Moment aufgefordert, alternative Wege zu finden, um Probleme zu lösen und ihre Denkprozesse und Ergebnisse kurz und bündig zu kommunizieren. Und weil die Schüler von Michaela vom ersten Tag an lernen, wie man lernt und hart arbeitet, müssen sie am Ende nicht mehr für die Prüfung üben und verlieren wertvolle Zeit bei der Prüfungsvorbereitung. Es überrascht nicht, dass die GCSE-Prüfungsergebnisse [1] bei Michaela sehr gut sind und Ofsted [2], das Büro für Bildungsstandards der britischen Regierung, die Qualität der Bildung als herausragend anerkennt, was man in dieser Nachbarschaft nicht oft sieht. […]

Die Schulbildung bei Michaela baut auf dem Verständnis auf, dass das Lernen sequentiell ist und dass die Beherrschung früherer Aufgaben die Grundlage für die Kompetenz in nachfolgenden Aufgaben ist. Für Lehrer bedeutet dies, dass sie nicht die Lernziele variieren, die für die gesamte Klasse gelten, sondern dass sie alles tun, um sicherzustellen, dass jeder Schüler die Möglichkeit hat, das Material auf eine für ihn oder sie angemessene Weise zu lernen. In einer der von mir beobachteten Mathematikstunden bot eine Lehrerin einem der Kinder drei Möglichkeiten an, ihr Verständnis von Brüchen zu festigen. Und indem sie sie bat, ihre Denkprozesse zu erklären, machten nicht nur der Schüler, sondern die ganze Klasse Fortschritte. Da es allen Schülern gelingt, jede aufeinanderfolgende Aufgabe zu erledigen, ist das Ergebnis weniger Variation und ein schwächerer Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf die Lernergebnisse. […]

Während der lehrergesteuerte Unterricht ein wichtiger Bestandteil der Unterrichtspraxis in der Michaela Community School ist, geht es nicht nur darum, Fakten und Zahlen zu reproduzieren, sondern basiert auf dem Verständnis, dass eine breite und vielfältige Wissensbasis die Grundlage für die Entwicklung einer informierten und differenzierten Meinung ist. Ich habe das während des Schulessens gesehen, als ich mit einer Gruppe von Sechstklässlern an einem „Familientisch“ gegessen habe. Die Kinder waren wach, neugierig und fürsorglich. Sie kamen aus sehr unterschiedlichen ethnischen und sozialen Verhältnissen, teilten eine Identität über das Lernen und waren sehr stolz auf ihre Schule. Sie diskutierten beim Mittagessen das Thema des Tages – was es braucht, um einen Marathon zu laufen – mit dem gleichen Interesse und der gleichen Energie, mit der sie mich mit Fragen über mein Leben und meine Ausbildung überhäuften. Die hohen Anforderungen, die die Schule an sie stellt, haben sie nicht ängstlich, sondern ehrgeiziger gemacht. Sie zielen auf Oxford und Cambridge. Sie hörten mir und einander aufmerksam zu und kümmerten sich darum, dass wir alle genug zu essen hatten. Nachdem die Teller abgeräumt waren, drückten die Kinder von jedem Tisch ihren Klassenkameraden, Lehrern und Eltern ihre „Wertschätzung“ aus und dankten demjenigen, der ihnen besonders geholfen hat.

Als ich Katharine Birbalsingh, die Direktorin und Gründerin von Michaela, nach dem Mittagessen traf, fasste sie die Fähigkeiten, die sie unter diesen Kindern entwickeln möchte, als „hart arbeiten und freundlich sein“ zusammen, ein Streben, das ebenso mächtig wie einfach ist. Die Schüler müssen verstehen, dass Erfolg harte Arbeit erfordert, aber Michaela sorgt auch dafür, dass Schüler, die Probleme haben, die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Disziplin ist ein wesentlicher Bestandteil davon. Jedes Detail des Schultages ist darauf ausgerichtet, das Lernen zu maximieren und Ablenkung zu minimieren. […]

Disziplin [wird] durch Struktur, Vorhersehbarkeit und Eigenverantwortung erreicht. Die Kinder, die ich traf, wirkten glücklich und selbstbewusst. Und das stimmt wiederum mit einer der wichtigsten Lehren aus PISA überein: Ein positives Disziplinarklima ist eine der besten Prognosen für bessere Bildung und soziale Ergebnisse. Kinder schätzen ein schulisches Umfeld, in dem Mobbing ungewöhnlich ist, in dem sie sich nicht unbehaglich oder fehl am Platz fühlen und in dem der Aufbau echter und respektvoller Beziehungen zu Lehrern die Norm ist. […]

Die Schulleiterin Birbalsingh hörte sich die Forschungsergebnisse von PISA mit großem Interesse an, gründete ihre Schule jedoch auf etwas Einfacherem: dem gesunden Menschenverstand.

[1] GCSE = General Certificate of Secondary Education entsprechen in England, Wales und Nordirland etwa dem deutschen mittleren Schulabschluss (MSA). Das GCSE gilt im britischen Schulsystem als die wichtigste Abschlussprüfung für die Sekundarstufe I.
[2] Ofsted, Office for Standards in Education, Children’s Services and Skills

Übersetzt aus: OECD Education, Where “working hard and being kind” are part of the curriculum, 20.11.2019, Bericht von Andreas Schleicher, Statistiker und Bildungsforscher. Er ist bei der OECD Direktor des Direktorats für Bildung


Anmerkung durch Schulforum-Berlin:

Die Verfasser der von Schleicher erwähnten Pisa-Studie [1] führen weiter aus: „Eine bessere Ausstattung in der Schule hilft, aber nur, wenn sie den Lernprozess effektiv verbessert und das Gemeinschaftsgefühl stärkt.“ Außerdem wird festgestellt, dass eine bessere Ausstattung mit Computern gerade bei sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern nicht mit besseren Leistungen einhergeht. (S.8)

Natürlich kennt Schleicher auch dieses Ergebnis der Studie, das er jedoch in einem aktuellen Interview [2] bewusst verschweigt, denn er sagt: „Die deutschen Schulen sind beim digitalen Lernen [3] weit zurück, das rächt sich jetzt.“ Er führt weiter aus, wie die „Möglichkeiten der Digitalisierung“ genutzt werden sollen. So sind „durch Technik nicht nur herkömmliche Bildungsprozesse effizienter zu gestalten, sondern völlig neue Lernumgebungen zu entwickeln“, und er gibt als Lösung vor, dass diese „das Lernen spannender, relevanter, interaktiver und individueller machen.“ Sein Credo lautet: „Das Land kann beim digitalen Lernen jetzt einen Riesensprung nach vorn machen.“

Wie weit ist doch seine Argumentation von den Ergebnissen der genannten Pisa-Studie sowie den überragenden Ergebnissen der Schulpraxis der von Schleicher geschilderten Michaela Community School entfernt.

Nicht erst seit der Initiierung der Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ [4] durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2015 wird deutlich, dass internationale IT- und Medienkonzerne – mit kompletter Verwertungskette für IT-Geräte und digitale Lern-Produkte – die Rolle als Richtungsgeber bei den Akteuren der Digitalisierung von Bildung eingenommen haben. [5] Anzumerken ist auch, dass die OECD keine Bildungsvereinigung ist sondern die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“. Der Bildungsmarkt hat weltweit ein Volumen von 5 Billionen US-Dollar. [6] Es geht also um ein riesiges Geschäft!

Unter diesen ökonomischen Vorgaben ist wenig Hoffnung, dass Schleicher mit dem Finger auf das „Zentrale Ergebnis der Studie“ hinweist: „Ein positives Schul- und Unterrichtsklima ist ein Schlüsselfaktor für Resilienz.“ (S. 9)

Viele Schülerinnen und Schüler haben seit Jahren besorgniserregende schlechte Leistungsergebnisse in den Basiskompetenzen Rechnen, Schreiben und Lesen. Auch ist ein zunehmender Verlust von Sozialkompetenzen, sprachlichem Ausdrucksvermögen und vernetztem Denken festzustellen. All das lässt sich durch die „Digitalisierung“ nicht verbessern – denn Lernen braucht Beziehung. [7]

[1] Erfolgsfaktor RESILIENZ – Warum manche Jugendliche trotz schwieriger Startbedingungen in der Schule erfolgreich sind – und wie Schulerfolg auch bei allen anderen Schülerinnen und Schülern gefördert werden kann. Eine PISA-Sonderauswertung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Kooperation mit der Vodafone Stiftung Deutschland.
[2] Interview im Redaktionsnetzwerk Deutschland, 25.02.2020
[3] Kritisch ist anzumerken, dass die Bezeichnung „digitales Lernen“ irreführend ist und eher als positiv konnotiertes, euphemistisches Synonym für die Einführung digitaler Lehr- und Lernmittel im Diskurs genutzt wird [vgl. Förschler, Annina], so auch von Schleicher.
[4] BMBF, Digitale Chancen nutzen. Die Zukunft gestalten. Zwischenbericht der Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“
[5] Förschler, Annina (2018): „Das ‚Who is who?‘ der deutschen Bildungs-Digitalisierungsagenda – eine kritische Politiknetzwerk-Analyse“. In: Pädagogische Korrespondenz, 58/18: S. 31-52. (siehe Bücherliste)
„[D]er Diskurs [wird] über das Veröffentlichen von Strategie- und Positionspapieren, Handlungsempfehlungen, öffentlichwirksamen Studien und Online-Auftritten wirkmächtig beeinflusst und (mit)gestaltet und (auch) darüber Einfluss auf bildungspolitische Entscheidungen und Agenden-Ausrichtungen genommen.“ (ebd. S. 46)
[6] Handelsblatt, 21.10.2014, Relias Learning – Bertelsmann erweitert Bildungsgeschäft mit USA-Zukauf
[7] Krautz, Jochen (2020): Zur Erinnerung: Bildendes Lernen braucht Schule und Unterricht, Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V.


Die Ergebnisse der Michaela Community School zählen zu den besten des Landes.

Die GCSE-Ergebnisse der Michaela Community School, die viermal besser waren als der nationale Durchschnitt, waren die ersten, über die seit ihrer Eröffnung vor fünf Jahren im Rahmen des Programms für freie Schulen berichtet wurden. Gavin Williamson, der Bildungssekretär, sagte, dass „erstaunliche Ergebnisse“ von den freien Schulen erzielt wurden und fügte hinzu: „Wir haben echte Erneuerungen gesehen, echte Veränderungen, und das führt tatsächlich zu besseren Ergebnissen in einigen der am stärksten benachteiligten Teile des Landes.“ (übersetzt aus: Telegraph, 17.10.2019, Camilla Turner, More than half of state school pupils failing to achieve ’strong pass‘ in English and maths GCSEs.)


siehe auch:
Auf dieser Berliner Schule herrschen klare Regeln
„Die Schüler wissen, dass wir sehr konsequent handeln würden“
Schulleiter Michael Rudolph legt bei seinen Schülern Wert auf Disziplin. Und hat damit offenbar Erfolg.

Viele Kinder sind „eigentlich nicht beschulbar“

Der Grundschule werden immer mehr Erziehungsaufgaben aufgebürdet. Julia Petry ist gerne Grundschullehrerin. Doch die Schwierigkeiten würden immer mehr, sagt die Pädagogin. […]

Deutschlandfunk Kultur, 09.03.2020, Julia Petry im Gespräch mit Dieter Kassel

Eine Stunde mehr pro Woche sollen bayerische Grundschullehrerinnen und –lehrer nach dem Willen des bayerischen Kultusministeriums künftig unterrichten. Für die Grundschullehrerin Julia Petry war diese Ankündigung der Anlass, in einem offenen Brief auf Facebook ihren Unmut auszudrücken. Nicht nur über die aktuelle Maßnahme, sondern generell über die immer schwieriger werdende Situation von Grundschullehrern. […]

[I]n den letzten Jahren habe die Zahl der Kinder mit emotionalen oder sozialen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten extrem zugenommen: „Das heißt, sie können sich nicht konzentrieren, kaum zuhören, Stillsitzen fällt wahnsinnig schwer. Es gibt unglaublich viele Konflikte, die ausgetragen werden, und es fällt einfach diesen Kindern wahnsinnig schwer, sich zurückzunehmen.“

„Konnte man vielleicht in der Vergangenheit davon ausgehen, dass der überwiegende Teil der Schüler den Anforderungen der Schule gewachsen ist, so finden sich heute massiv viele Kinder in den Klassenzimmern, die in diesem Rahmen eigentlich nicht beschulbar sind. Sei es, dass Kind A von klein auf Stunde um Stunde vor der Playstation verbracht und keinerlei Lust auf den ‚anstrengenden‘ Unterricht hat, weil sein Gehirn, sein Belohnungszentrum bereits auf Videospiel-Niveau konditioniert ist. Sei es, weil Kind B zu Hause keine Zuneigung und Strukturen erfahren hat und dementsprechend in einem Sozialverbund, der Rücksichtnahme und Empathie erfordert, gänzlich verloren ist. Sei es, dass Kind C mit Eltern aufwächst, die nur vor dem Smartphone hängen – aus welchen Gründen auch immer – was beim Kind in einer extremen Sprachentwicklungsstörung resultiert. Hinzu kommen dann noch die Kinder, die – weil Erziehen nun durchaus eine anstrengende Sache ist – überhaupt keine Grenzen kennen und alles dürfen, die gar nicht gelernt haben, sich auch einmal zurückzunehmen. Diese Herausforderung wird nun in vielen Fällen auf die Schule übertragen und an die Lehrkraft übergeben, denn diese werde es schon richten, in der Schule werde das Kind schon Anstand lernen.“ (Aus Julia Petrys offenem Brief)

Petry vermutet die Ursache für diese Entwicklung in den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, vor allem in der Mediennutzung. „Ein Kind, was es jetzt beispielsweise gewöhnt ist, von klein auf die Zeit vor Fernseher und Tablet zu verbringen, wird natürlich eine andere Motivation vielleicht entwickeln für die Schule, andere Voraussetzungen entwickeln als ein Kind, dem regelmäßig vorgelesen wird oder das viel an der frischen Luft spielen kann.“

Verhaltensauffällige Kinder hätten Auswirkungen auf den gesamten Unterrichtsalltag, betont die Lehrerin. Denn man wolle sich natürlich diesen Kindern zuwenden und ihnen gerecht werden. „Aber auch den anderen Kindern muss man ja noch gerecht werden. Und das ist eigentlich das, was das Unterrichten gerade so schwierig macht.“

Die gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich offenbar auch in der Elternarbeit wider. Auf der einen Seite gebe es die Eltern, für die es „sehr wichtig“ sei, was in der Schule passiere. „Viele Eltern fragen wöchentlich oder alle zwei Wochen nach, wie es steht“, sagt Petry. 

„Und auf der anderen Seite haben wir die Eltern, die vielleicht den Schwerpunkt zu Hause nicht so sehr auf die Schule setzen, wo dann die Elternarbeit deshalb schwierig wird, weil man sie erreichen muss – oder eben noch zusammen mit anderen Behörden zusammenwirken muss, um halt da die Kinder so richtig in die Schule mit einzubinden.“

„Elternarbeit: ‚Dafür gibt es doch die Sprechstunde‘, werden Sie sagen. Was aber, wenn Klein-Heinzi jeden Tag andere Kinder verprügelt und man deshalb täglich in den Pausen oder nach Schulschluss mit der Mutter telefonieren muss? Was aber, wenn Klein-Jutta schon morgens vor der Schule weint und man deshalb jeden Tag zusammen mit den Eltern eine Viertelstunde früher anfängt, um das Kind zu beruhigen? Was aber, wenn Klein-Ole mit der familiären Situation wegen Scheidung/ Trennung etc. überhaupt nicht zurecht kommt, dies in der Schule kompensiert und man darum ständig in Kontakt mit beiden Eltern, Jugendamt, Schulpsychologen ist? Was aber, wenn Klein-Mahmud schwer traumatisiert ist und man durch wöchentliche Treffen mit den Betreuern und den Eltern versucht, Hilfe zu organisieren? Was aber, wenn Klein-Heidi eine Vierfachdiagnose hat und man aus diesem Grund eigentlich jeden Tag mit dem Vater kommunizieren müsste und immer wieder Hilfeplangespräche mit anderen Behörden stattfinden?“ (Aus dem offenen Brief)

[E]s gibt Kollegen, die es noch härter trifft.

„Stichpunkt Inklusion: Sollte man – und dies betrifft mittlerweile keineswegs nur noch Ausnahmefälle – ein oder mehrere gehandicappte Schüler in der Klasse haben, darf man für dieses Kind/ diese Kinder eigene, mit den Klassenzielen nicht übereinstimmende Förderpläne schreiben, besonderes Unterrichtsmaterial erstellen, versuchen, im ohnehin schon randvoll gepackten Klassenraum in ohnehin schon randvoll gepackten Unterrichtsminuten zu unterstützen und zu fördern, und überdies noch mit der Schulbegleitung, dem Förderzentrum, dem Jugendamt etc. engstens kooperieren.
Vielleicht hat man dann noch das „Glück“, in einer Jahrgangsmischung zu unterrichten – einer Sparmaßnahme, die als tolles pädagogisches Projekt verkauft wird – bedeutet dies für den Lehrer aber vor allem sehr viel Mehrarbeit, schließlich muss ja der Unterricht für die 13 Erstklässler und die 15 Zweitklässler vorbereitet werden.“ (Aus dem offenen Brief)

Von den Behörden wünscht sich Petry mehr Sensibilität für die gestiegene Belastung. „Wir möchten allen Kindern gerecht werden“, betont sie. „Das ist natürlich immer eine schwierige Angelegenheit. Aber je schwieriger sozusagen die Voraussetzungen sind, umso weniger können wir eigentlich dieses hohe Ideal erfüllen, das wir uns alle gesetzt haben.“

aus: Deutschlandfunk Kultur, 09.03.2020, Julia Petry im Gespräch mit Dieter Kassel

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben durch Schulforum-Berlin.

Wer schützt uns vor unseren Daten?

Arte, Xenius: Soziale Medien, Facebook, 08.01.2020

Facebook, Twitter, Instagram – für viele von uns sind die sozialen Netzwerke aus der alltäglichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Wir chatten mit unseren Freunden, teilen Fotos, Erlebnisse und sind immer up to date. Doch dadurch erhalten die Internetfirmen sehr viele Informationen über uns. Sie sammeln diese Daten und verdienen damit sogar Geld. Aber wie funktioniert das und wie gefährlich ist das? Wie viel wir online über uns preisgeben, testen Dörthe Eickelberg und Pierre Girard an sich selbst. Die „Xenius“-Moderatoren laden alle Informationen herunter, die Facebook in den letzten fünf Jahren über sie gespeichert hat, und drucken sie aus.

Dörthe schnappt sich die über 2.500 Seiten und pflastert die Berliner City mit Pierres und ihrer Datenspur. Sie stößt dabei auf einige Überraschungen.

Gespeicherte Daten bei Facebook, alle Screenshots aus: Arte, Xenius, Soziale Medien

Währenddessen trifft Pierre einen Experten für Datenschutz, Alexander Fanta, netzpolitik.org, der ihm erklärt, was Facebook und Co. noch alles über uns wissen und wie wir unsere persönlichen Daten besser schützen können. Er sagt:

„Facebook weiß so gut wie alles von deinem Leben“.

Täglich tauchen 1,4 Milliarden Menschen in die Welt von Facebook ein. Sie vergeben Likes, schauen Videos und teilen. Durch diese Datenflut weiß Facebook so gut wie alles über seine Nutzer und kann sie so gezielt mit Botschaften erreichen. Ein „Schatz“ für alle Werbetreibenden. Wer an diesen Datenschatz heran will, muss bezahlen. Davon lebt Facebook. (Sprechertext zum Video)

Der Fall Cambridge Analytica ist ein Beispiel dafür, wie heute mit unseren Datenspuren im Netz gearbeitet wird. Die Analyse-Firma hatte sich unerlaubt Zugang zu Informationen von Millionen Facebook-Profilen verschafft, um damit die Wählermeinung bei der US-Wahl zugunsten Trumps zu manipulieren.

Beim Trump-Wahlkampf läuft das etwa so: Ein potentieller Clinton-Wähler wird identifiziert und bekommt gezielt Anti-Clinton-Artikel zu lesen. So arbeitet übrigens nicht nur Cambridge Analytica. So funktioniert heute generell politische Meinungsmache in „Sozialen Medien“. Auch andere Parteien versuchen dort auf diese Art Wähler zu erreichen. Nur tun sie es auf einem offiziellen Weg, also innerhalb der Facebook-Welt – soweit man weiß. Zum ersten Mal wird von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen, wofür persönliche Daten missbraucht werden können. (Sprechertext zum Video)

Die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung soll uns in Zukunft vor dieser Art Datenmissbrauch schützen. Das Gesetz wurde im Europaparlament gegen großen Widerstand [!] durchgesetzt. Wie kam es dazu und was bringt die neue Regelung?

zum Video, verfügbar bis 06.04.2020: Arte, Xenius: Soziale Medien, Facebook, 08.01.2020, 27 min.

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin. Alle Screenshots aus: Arte, Xenius, Soziale Medien


Weitere Kommentare zum Thema Datenschutz

[Der ehemalige] Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen [2012 – 2018] hat Internet-Giganten wie Facebook und Twitter scharf attackiert und ihnen Verantwortungslosigkeit vorgeworfen.
Die Internet-Giganten gäben sich zwar transparent und altruistisch [durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise], versteckten hinter dieser Fassade aber ihre Macht- und Profitinteressen. Ihre Algorithmen lenkten und beeinflussten nach emotionalen oder intransparenten Kriterien nicht nur Datenströme, sondern auch die politische Willensbildung. In der Demokratie dürften Meinungen und Fakten jedoch nicht als gleichwertige Datenpakete gehandelt werden, sie seien nicht einfach Bits und Bytes. […] „Genau das geschieht jedoch, zumal wenn hinter den Posts und Tweets gesteuerte Botnetzwerke stecken, die millionenfach seelenlose Zombie-Meinungen streuen und politische Debatten lediglich simulieren“, kritisierte Maaßen. „Wenn es auf Fakten nicht mehr ankommt und die Realität auf Meinungen reduziert wird, verliert der demokratische Pluralismus sein Fundament“, warnte der Verfassungsschutz-Präsident. „Eine offene pluralistische Gesellschaft verträgt viele Meinungen, aber nicht viele Wahrheiten.“ Aus: TSP, 27.11.2017, Facebook, Twitter & Co. – Maaßen attackiert Internet-Giganten als verantwortungslos

Die Auswertung von Nutzerprofilen, die Verwertung von Userdaten für Werbezwecke, der Verkauf von Apps oder gebührenbasierte Streamingportale, damit verdienen die Anbieter von Internetdiensten am meisten Geld. 9,32 Milliarden US-Dollar nahm allein Facebook im zweiten Quartal 2017 ein. Der User als „Datenschaf“ bekommt seine „Monetarisierung“ meist nur dort mit, wo er direkt zahlt. „Wir freuen uns zwar alle, dass das Internet kostenlos ist, aber am Ende ist es deshalb kostenlos, weil wir das Produkt sind, weil wir alle unsere Daten den Konzernen preisgeben“. Aus: TSP, 9.12.2017, Die Unabhängigkeit vom System, Digitales Berlin

Sie wollen auf Standort, Kontakte und Kamera zugreifen: Apps fürs Smartphone fordern immer mehr Berechtigungen an. Meist nickt der Nutzer alles ab. Das kann unangenehm werden. Apps erscheinen praktisch oder bestenfalls harmlos. Ihr Zweck besteht jedoch nicht unbedingt darin, als nützliche Helfer verkauft zu werden oder unentgeltlich Gutes zu tun. Sie werden vielmehr mit dem Ziel programmiert, Nutzerdaten abzugreifen, um diese vor allem an Werbenetzwerke zu verkaufen. Vor einigen Jahren luden Sicherheitsforscher des Unternehmens Eurecom 2000 Gratis-Apps für Android aus 25 verschiedenen Kategorien im Google Play Store auf Testgeräte. Der Netzwerkverkehr der Apps nach außen wurde abgefangen und analysiert. Demnach steuerten die Programme heimlich insgesamt 250 000 verschiedene Webadressen an und gaben Daten weiter. Aus:  FAZ, 30.11.2017, Michael Spehr, Apps auf dem Smartphone:  Gelinkt mit den Rechten

Aus: FAZ, 05.06.2018, Buchbesprechung von Uwe Ebbinghaus, Jaron Lanier: „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“.
„Die verdeckte Manipulation in sozialen Medien wie Facebook und Google ist ein perverses Geschäftsmodell“.
Laniers Analyse ist eindeutig: Unternehmen, die den Großteil ihres Gewinns damit erwirtschaften, „Kunden zu finden, die bereit sind, dafür zu zahlen, das Verhalten anderer Menschen zu verändern“, und zwar verdeckt, sind aus seiner Sicht würdelos und schaden nachhaltig der Gesellschaft. Denn dank der digitalen Werkzeugpalette von Facebook und Co. müssen sich Institutionen und Unternehmen längst nicht mehr mit analogen Glückstreffern begnügen, sondern können die Nutzer sozialer Medien durch individualisierte Ansprache an ihrem durch Algorithmen errechneten empfänglichsten Punkt treffen […].
Die Algorithmen der sozialen Netzwerke zielen darauf ab, Nutzer zu manipulieren, um sie an die Netzwerke zu binden. Sie sind nicht daran interessiert, den Wahrheitsgehalt von Botschaften zu gewährleisten oder gute Eigenschaften der Nutzer zu fördern, sondern daran, die Nutzer zu vermarkten. Das Geschäftsmodell der Medienplattformen basiert darauf, „dass man die Verbindung zwischen zwei Menschen nur durch einen Dritten finanzieren kann, der dafür bezahlt, beide zu manipulieren.“ […]
Weitere Merkmale für Lanier sind neben einem „perversen Geschäftsmodell“ die „totale Überwachung“, „aufgezwungene Inhalte“, angestrebte „Verhaltensmodifikation“ und „Fake People“, welche die ohnehin schon „vergiftete“ Kommunikation in sozialen Netzwerken noch zusätzlich in eine bestimmte Richtung lenken.

„Is doch nicht so wich tich“

Hören kann der Siebenjährige, den wir gebeten haben, die Überschrift zu schreiben, gut. Nur mit dem Schreiben hapert es.

Welt am Sonntag, 16.02.2020, von Freia Peters

Rechtschreibung beherrschen? Nein, findet Winfried Kretschmann. Oh doch, sagen Bildungsforscher und kritisieren: Noch immer wird in vielen Grundschulen gelehrt, nach Gehör zu schreiben. Dabei ist bewiesen, dass das Murks ist.

Satzzeichen können Leben retten.

„Wir essen, Opa!“
klingt gleich viel freundlicher als
„Wir essen Opa!“.

Man muss eben wissen, dass ein Komma in den Satz gehört, und auch noch die richtige Stelle dafür finden.

Mehr als ein Viertel der neunjährigen Jungen und Mädchen wüssten das wahrscheinlich nicht und würden wohl auch die Wörter falsch schreiben. Denn mehr als jeder fünfte Viertklässler erfüllt bei der Rechtschreibung laut einer Studie des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin nicht die Mindeststandards. In den vergangenen Jahren hat sich die Rechtschreibfähigkeit der deutschen Kinder kontinuierlich verschlechtert – in 20 OECD- Staaten zeigen Grundschüler bessere Leistungen als in Deutschland. […]

Mit dem Ziel, es den Kindern leichter zu machen, hatte sich in den 90er-Jahren wie ein Lauffeuer das Konzept verbreitet, Erstklässlern zunächst die Laute der Buchstaben zu vermitteln und dann erst das Alphabet. Es war eine Gegenbewegung zum starren Unterricht der 70er-Jahre, in dem die Schüler hundert Mal dasselbe Wort schreiben mussten. Mit „Lesen durch Schreiben“ sollte sich jedes Kind die Schriftsprache seinem eigenen Tempo entsprechend erarbeiten, der Lehrer den Prozess nur wohlwollend begleiten. Mithilfe der Anlauttabelle (neben dem „A“ ist ein Apfel abgebildet, neben „G“ eine Gabel) sollten schon Erstklässler alle Worte nach Lauten schreiben können und nicht wie beim Fibellehrgang warten, bis sie die jeweiligen Buchstaben gelernt haben. Doch: So wird aus Mädchen „Metchen“, aus Fahrrad „Farat“, oder aus wichtig „wichtich“.

Dabei hat eine groß angelegte Studie der Uni Bonn bewiesen, dass Kinder, die mit der klassischen Fibel lernen, die Rechtschreibung besser beherrschen. Mit ihrem Doktoranden Tobias Kuhl und rund 30 weiteren Nachwuchswissenschaftlern hat Una Röhr-Sendlmeier, Professorin für Pädagogische Psychologie, Leistungen von mehr als 3000 Kindern aus Nordrhein-Westfalen untersucht, die mit einer von drei verschiedenen Methoden schreiben lernten: Mit dem systematischen Fibelansatz, nach dem Buchstaben und Wörter schrittweise nach festen Vorgaben eingeführt werden. Nach der sogenannten Rechtschreibwerkstatt, gemäß der die Kinder selbstständig in individueller Reihenfolge und ohne zeitliche Vorgaben ihre Materialien bearbeiten. Und nach der „Lesen durch Schreiben“-Methode.

Am Ende der vierten Klasse machten die Schüler der zuletzt genannten Gruppe 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler, Werkstattschüler sogar 105 Prozent mehr als Fibelkinder. „Ein klar strukturierter, systematischer Unterricht vom Einfachen zum Komplexen, vom Häufigen zum Seltenen hat sich als klar überlegen erwiesen“, sagt Röhr-Sendlmeier. Das Problem mit der Anlauttabelle sei, dass unterschiedlich gehörte Laute gleich geschrieben werden, etwa Esel und Ente. „Der Ansatz ,Schreib wie du sprichst‘ kann nicht klappen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das ist eine Irreführung der Kinder.“ Die Tabelle als Kernmittel beim Schreibenlernen zu verwenden, sei fahrlässig. „Durch das Prinzip Versuch und Irrtum wird ein Kind niemals in vier Jahren schreiben lernen.“

Doch dieses Kernprinzip ist noch immer verbreitet. Laut einer Auswertung des Germanistik-Professors Albert Bremerich-Vos [Universität Duisburg-Essen] benutzen 71 Prozent der Viertklässler die Anlauttabelle. 47,9 Prozent der Lehrer setzen sie in ihrem Unterricht sogar intensiv ein. […]

Vor einem Jahr hat die Bonner Psychologin Röhr-Sendlmeier ihre Ergebnisse dem Schulministerium des Landes NRW vorgestellt. Infolgedessen gab im Sommer Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine Handreichung an alle Grundschulen des Landes heraus: Der Rechtschreibunterricht benötige mehr Systematik. Schon Erstklässler bräuchten Hinweise auf das normgerechte Schreiben, und sie müssten kurz, aber regelmäßig üben. Die Anlauttabelle könne nicht dem Erwerb der Rechtschreibung dienen, sondern nur ein Hilfsmittel sein. […]

Anne Deimel, Leiterin einer Grundschule und Verbandsvize des Lehrerverbandes VBE in NRW: „Seit etwa zehn Jahren wird der Unterricht in der Grundschule immer schwieriger“. „Die Vorerfahrungen, mit denen die meisten Kinder in die Schulen kommen, haben sich deutlich verändert. Die Klassen werden immer heterogener. Die Lehrkräfte reichen nicht aus.“

Während in den Grundschulen Ressourcen fehlen, entstehen anderswo neue: In den letzten Jahren ist ein riesiger Nachhilfemarkt entstanden. Wer es sich leisten kann, bezahlt seinem Kind die Nachhilfe oder unterrichtet es zusätzlich zu Hause. Das Nachsehen haben Kinder aus bildungsfernen Familien. „Nur bildungsnahe Eltern sind in der Lage, den Schaden von ihrem Kind abzuwenden“, bestätigt die Bonner Forscherin Röhr-Sendlmeier.

„Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Skandal.“

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.

siehe auch folgender Beitrag: „Die Regeln der deutschen Rechtschreibung können und müssen von der ersten Klasse an gelernt werden.“

Deutsch-Förderkurs „bei Herr Maier“

Wenn selbst Lehrer die Rechtschreibung nicht beherrschen

Genitiv, Dativ, Satzbau oder Kommasetzung: Viele Lehrer oder Lehramtsstudierende sind schlecht in Grammatik und Rechtschreibung.

F.A.Z., 16.02.2020, Rüdiger Soldt

Auf dem Aufgabenblatt einer Schule in Baden-Württemberg steht:

„Lese den Text und schreibe eine Zusammenfassung.“

Falscher Imperativ. Lies, müsste es heißen. Und weder Schülern noch Lehrern fällt es notwendigerweise auf, wenn ein

Deutsch-Förderkurs „bei Herr Maier“

angeboten wird. Wo es um Rechtschreibung und Grammatik geht, wird gern im kulturpessimistischen Ton über die heutige Schülergeneration geschimpft. Das ist aber eine recht oberflächliche Betrachtung. Denn Schwierigkeiten mit Genitiv, Dativ, Satzbau und Zeichensetzung haben heute nicht wenige Germanistikstudenten, die auf Lehramt studieren, und auch immer mehr Lehrer, die seit vielen Jahren unterrichten. […]

In der Germanistik wird über das Problem erodierender Orthographiekenntnisse seit Mitte der neunziger Jahre diskutiert. Erste Erhebungen über den tatsächlichen Kenntnisstand von Lehramtsstudenten gibt es seit etwa zehn Jahren. Der Linguist und Sprachdidaktiker Albert Bremerich-Vos [Professor i.R., Universität Duisburg-Essen] untersuchte 2016 die Sprachkompetenzen von Studenten, er analysierte 900 studentische Texte. Den Studenten hatte er die Aufgabe gestellt, aus einem feuilletonistischen Zeitungsartikel die zentrale These herauszuarbeiten. 30 Prozent der Texte enthielten mindestens sechs Orthographie- und mindestens fünf Kommafehler. Nur 20 Prozent der Texte wurden als gut eingestuft. Vielen Studenten war es übrigens auch nicht gelungen, die These herauszufiltern.

In dem Forschungsprojekt zur Untersuchung des studentischen Sprachvermögens, verfasst von Dirk Scholten-Akoun [Universität Duisburg-Essen, Zentrum für Lehrerbildung], heißt es: „Mehr als ein Viertel der Lehramtsstudierenden verfügt zu Beginn des Studiums nicht oder nicht in akzeptablem Umfang über die sprachlichen Mittel, die ihnen eine Weiterentwicklung ihrer Schreibkompetenz hin zur wissenschaftlichen Schreibkompetenz erlauben.“ Die Forscher untersuchten die Sprachkompetenzen an drei Universitäten in Nordrhein-Westfalen, die in der Studie anonymisiert wurden. Das Ergebnis zeigt besorgniserregende Defizite:

Elf bis 27 Prozent der Studenten haben erheblichen Förderbedarf in Rechtschreibung, von denen mit Migrationshintergrund sogar bis zu 49 Prozent. Nur ein Zehntel der Studenten beherrscht Grammatik und Rechtschreibung nahezu perfekt und fehlerfrei. Ein Drittel hat Probleme in der Textauslegung und Rechtschreibung. […]

Die Germanisten und Praktiker aus der Lehrerausbildung sind von den Äußerungen zur Rechtschreibung des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wenig überzeugt. Er sagte, es sei nicht mehr so wichtig, Rechtschreibung zu pauken, weil es ja „kluge Geräte“ gebe, die Grammatik und Fehler korrigierten. […]

Die Fachdidaktikerin Dr. Ulrike Behrens, Institut für Germanistik [an der Universität Duisburg-Essen]: „Wenn die Rechtschreibprobleme von Schülern und Lehrern auf die Digitalisierung oder Whatsapp geschoben werden, ist mir das viel zu simpel. […] Die Schule ist der Ort, wo die Rechtschreibnormen thematisiert werden müssen, darauf können wir nicht verzichten.“ […] Behrens weiter: „Ob die Künstliche Intelligenz das Lernen von Rechtschreibregeln irgendwann überflüssig machen wird, bezweifle ich.“

Es sei schon besser, wenn die Schüler weiterhin lernten, im Kopf zwischen Komma und Koma zu unterscheiden.

zum Artikel: F.A.Z., 16.02.2020, Rüdiger Soldt, Deutschstunde bei Herr Maier

Textauswahl in grau unterlegten Einschüben sowie Hervorhebungen im Fettdruck durch Schulforum-Berlin.