Berücksichtigung des Bürgeranspruchs auf Transparenz staatlicher Aktivitäten

Große Anfrage 21 der Fraktion der PIRATEN zu Aktivitäten und politischen Initiativen der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit der Bertelsmann-Stiftung (…)

Auszüge aus der Vorbemerkung der Großen Anfrage:

(…) Über die Meinungsmacht der Bertelsmann-Unternehmensgruppe hinaus übt Bertelsmann über die Stiftung eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht. (…)

Geradezu paradox am Verhalten der Bertelsmann-Stiftung ist, dass sie zwar überall nach
Wettbewerb ruft, diesen Wettbewerb aber bei sich selbst konsequent verhindert. Das nicht nur, indem sie „ausschließlich operativ“ arbeitet, d.h. nur ihre von ihr selbst initiierten Projekte fördert und keine Projektanträge von außerhalb zulässt, also wissenschaftlichen Pluralismus satzungsmäßig ausschließt, sondern darüber hinaus indem sie sich vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof und nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen muss.

Die Bertelsmann-Stiftung hält über drei Viertel des Kapitals der Bertelsmann SE & Co. KGaA, die sich auf zahlreichen Politikfeldern und u.a. auch auf dem Bildungsmarkt engagiert. Zudem sind die 100%ige Bertelsmanntochtergesellschaft Arvato AG und deren Tochtergesellschaften u.a. im Bereich der Dienstleistungen für die öffentliche Hand tätig.
Darüber hinaus wird seitens der Stiftung beispielsweise im Bereich der Bildung ein Wachstumsmarkt für private Anbieter gesehen, in vielen Fällen zeigen die Beratungsdienstleistungen und -inhalte der Stiftung eine deutliche Tendenz hin zur Privatisierung. (…)

Darüber hinaus geraten die wissenschaftliche Qualität sowie die methodische als auch die auf die erhobenen Daten bezogene Genauigkeit von durch die Bertelsmann-Stiftung oder ihren Tochtergesellschaften und Beteiligungen erstellten Studien und Rankings zu gesellschaftspolitischen Fragen immer wieder in die Kritik namhafter Einzelwissenschaftler und Fachverbände.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Bürgeranspruchs auf Transparenz
staatlicher Aktivitäten stellte die Piratenpartei 42 Fragen an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen über den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis heute.

Auszug einiger Fragen zur Bildungspolitik:

13. Wurden oder werden Schulinspektor/innen durch die Bertelsmann-Stiftungsgruppe (BSG) oder andere private Anbieter/innen oder beide ausgebildet und führen auf dieser Basis gesetzlich vorgeschriebene Evaluationsaufgaben durch?

14. Sind die sog. Bildungsbüros aus gemeinsamen Konzepten oder Kooperationsprojekten
zwischen der Landesregierung oder dem Schulministerium und der BSG oder der Bertelsmann-Unternehmensgruppe (BUG) oder beiden hervorgegangen?

15. Sind durch die BSG oder die BUG oder beide entwickelten Evaluationsaufgaben sowie
die Evaluationskriterien in den offiziellen Qualitätsrahmen von Schulentwicklung aufgenommen worden, bzw. wurden die Landesregierung und das Schulministerium, durch die BSG oder die BUG oder beide in derartigen Vorhaben begleitet oder unterstützt? Gibt es dazu interne oder öffentliche Stellungnahmen seitens der BSG oder der BUG oder beider an die Landesregierung oder das Schulministerium?

20. Welche Landesbediensteten oder Hochschullehrer/innen bekleideten oder bekleiden Funktionen bei der BSG oder bei der BUG oder beiden oder begleiten oder begleiteten die BSG oder die BUG in beratender Form? Bitte ehrenamtliche Funktionen mitberücksichtigen, bitte Angabe der Zeiträume.

zur Großen Anfrage


Die Landesregierung von NRW hat drei Monate Zeit, die Anfrage zu beantworten.

Antwort zur Großen Anfrage vom 6.07.2016


Weitere Informationen:  Kraus, Josef (Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL)) – Über den Wert von Bertelsmann-„Studien“


Einfluss von Bertelsmann auf die NRW-Landesregierung –
Wie nah ist zu nah?

Bonn. Bertelsmann berät die NRW-Landesregierung umfassend. Der Einfluss auf die Landesregierung ist aus Sicht von Juristen mit staatsrechtlichen Grundsätzen nur schwer zu vereinbaren.
23.02.2017, Kirsten Bialdiga,

(…) Dass Bertelsmann die NRW-Landesregierung umfassend berät, ist nicht neu, aber vielen unbekannt. Obwohl die Piraten-Fraktion eine Große Anfrage an die Landesregierung auf den Weg brachte, die im Sommer 2016 in eine lebhafte Landtagsdebatte mündete. Die enge Kooperation wirft nicht nur aus staatsrechtlicher Sicht Fragen auf. (…)

Tatsächlich listete die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Piraten-Fraktion auf knapp 50 Seiten auf, was es an Kontakten, Kooperationen und Verträgen in den vergangenen zehn Jahren mit Bertelsmann gab. Doch aus Sicht des Staatsrechtlers Christoph Degenhart bleiben wesentliche Fragen offen: „Es ist ein Problem, dass sich diese Zusammenarbeit in einer Grauzone abspielt und daran Vertreter maßgeblich mitwirken, die dem Volk nicht zur Verantwortung verpflichtet sind“. (…)

Degenhart kommt zu dem Ergebnis, dass die Antwort der NRW-Landesregierung auf die Große Anfrage Transparenz schuldig bleibe, insbesondere auch hinsichtlich personeller Verflechtungen: „Am problematischsten ist es, wenn es personelle Überschneidungen gibt und Lobbyvertreter in staatlichen Bereichen aktiv sind.“

Aus Sicht des Wissenschaftlers sollte die Landesregierung vollständig offenlegen, worin die Zusammenarbeit auf den einzelnen Gebieten jeweils besteht. Auskünfte über „Drehtür-Personalien“, also ein Beschäftigungswechsel zwischen der Landesregierung und Bertelsmann, hatte die Landesregierung mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte und Datenschutz weitgehend abgelehnt. (…)

Zum Artikel:   General Anzeiger, Bonn, 23.02.2017, Kirsten Bialdiga, Einfluss von Bertelsmann auf die NRW-Landesregierung , Wie nah ist zu nah?